Gleiche Rentenbeiträge für Eltern und Kinderlose sind verfassungskonform. Außerdem in der Presseschau: Überlastung der Verwaltungsrichter, warum Plädoyers aufgezeichnet werden sollten und der Sejm billigt weiteres Gesetz zur Justizreform.
Thema des Tages
BSG zu Elternbonus bei Rente: Es verstößt nicht gegen die Verfassung, wenn Eltern ebenso hohe Renten-Beiträge zahlen wie Kinderlose. Ihre Kindererziehung werde durch andere Leistungen in verfassungsgemäßer Weise ausgeglichen, beispielsweise durch Anrechnung von Kindererziehungszeiten und freie Schulen. Dies entschied nunmehr das Bundessozialgericht und hielt damit eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht für nicht erforderlich. Inwieweit eine weitere Unterstützung von Eltern sozialpolitisch wünschenswert sei, habe der Gesetzgeber zu entscheiden. Die Kläger wollen nun ihrerseits vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die SZ (Thomas Öchsner) zeichnet die Argumentation von Gericht und Klägern nach. Ebenso die taz (Christian Rath), die auch auf bisherige und anstehende Entscheidungen zum Thema Gleichbehandlung von Eltern und Kinderlosen bei Sozialbeiträgen verweist. Auch die FAZ (Hendrik Wieduwilt) bringt eine Meldung.
Christian Rath (taz) begrüßt die Entscheidung des BSG. "Eine derartige Großreform" sei Aufgabe des demokratisch legitimierten Bundestags. Die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe diene daher allenfalls dazu, die finanziellen Engpässe von Familien öffentlich zu machen.
Rechtspolitik
"Ehe für alle": Die SZ (Matthias Drobinski) fasst die Debatte rund um die Öffnung der Ehe für Heiratswillige gleichen Geschlechts zusammen. Es werde nicht nur über die Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens diskutiert, sondern auch über die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten. Der CDU-Politiker Patrick Sensburg hatte Steinmeier dazu aufgefordert, das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
"Nur keine Hast", mahnt Matthias Drobinski (SZ) mit Blick auf die angekündigte Verfassungsklage gegen die "Ehe für alle". Die verfassungsrechtliche Bewertung der Ehe für alle sei kompliziert: "Komplizierter, als es viele glauben, die jetzt sagen, die Ehe für alle sei verfassungswidrig – mit überraschend großer Selbstgewissheit."
Justiz
Überlastete Verwaltungsgerichte: Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter warnt vor einem Zusammenbruch der Verwaltungsgerichte. Die zahlreichen Asylverfahren, rund 250.000, führten die Gerichte an ihre Grenzen. Um diese Belastung dauerhaft zu bewältigen, brauche es mehr Richter und mehr Personal, melden spiegel.de und focus.de.
OLG München – NSU: Annette Ramelsberger (SZ) findet, es sei "ausnahmsweise kein Grund, um genervt zu seufzen", dass die Verteidiger im NSU-Prozess forderten, das Plädoyer der Staatsanwaltschaft auf einem Tonträger aufzuzeichnen. Da es kein Protokoll des Plädoyers gebe, sei es das Recht der Angeklagten und ein Schritt in die Neuzeit, dem Wunsch der Verteidiger zu entsprechen.
BGH zum Ersatzanspruch beim Kfz-Mangel: Auf lto.de führt Gerald Gräfe, Rechtsanwalt, seine Bedenken bezüglich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Nacherfüllung in Kfz-Mangelfällen aus.
VG Stuttgart – Abgas in Stuttgart: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am vergangenen Mittwoch über den Luftreinhalteplan verhandelt, mit dem die Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der baden-württembergischen Landeshauptstadt eingehalten werden sollen. Die taz (Christian Rath - erweiterte Onlinefassung) erläutert, weshalb sich abzeichne, dass die Richter ein Dieselfahrverbot für erforderlich erachten und deutet die Relevanz der Entscheidung für Politik und Autoindustrie aus.
ArbG Heilbronn – Entlassene Audi-Ingenieure: Drei ehemalige Audi-Ingenieure klagen vor dem Arbeitsgericht Heilbronn gegen ihre Entlassung, wie spiegel.de meldet. Das Unternehmen kündigte ihnen im Zuge der Dieselaffäre fristlos. Die Entlassenen sehen sich als Bauernopfer. Der Vorstand trage die Verantwortung für die manipulierten Schadstoffwerte. Am 18. Oktober steht der Kammertermin an.
Verfahren gegen deutsche Autoindustrie: spiegel.de (Kristina Gnirke) bringt einen umfangreichen Überblick über die straf- und zivilrechtlichen Verfahren gegen deutsche Autounternehmen und Zulieferer in Sachen Dieselskandal.
LG Hamburg zu Anschlag auf "Mopo": Die Jugendkammer des Landgerichts Hamburg hat vier junge Männer wegen eines Brandanschlags auf die Räume der "Hamburger Morgenpost" verurteilt. Alle müssen Arbeitsstunden ableisten, drei erhielten zudem eine Bewährungsstrafe. Die Verurteilten waren verärgert darüber, dass die Zeitung die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo abgedruckt hatte, so spiegel.de.
GBA – "Abu Walaa": Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen den sogenannten Hassprediger Ahmad A., alias "Abu Walaa", wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten erhoben. Im September beginne das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle. Mitangeklagt seien auch Hasan C. und Boban S. "Abu Walaa" sei die mutmaßliche Nummer eins des IS in Deutschland, erklärt die taz. Auch zeit.de meldet zur Anklage.
BVerfG zu Tarifeinheitsgesetz: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Alexander Stöhr erläutert auf juwiss.de anlässlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, warum er das Tarifeinheitsgesetz für verfassungswidrig erachtet. Ebenfalls auf juwiss.de legt Matthias Münder, wissenschaftlicher Mitarbeiter, dar, weshalb das Bundesverfassungsgericht mit seiner Auslegung von § 4a Tarifeinheitsgesetz die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung überschreite.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Das polnische Unterhaus, der Sejm, hat mehrheitlich für ein weiteres Gesetz der umstrittenen Justizreform gestimmt. Dieses sieht vor, die Richter des Obersten Gerichtshofs in den Ruhestand zu schicken. Zudem solle künftig der Justizminister die neuen Richterkandidaten bestimmen können. Die nötige Zustimmung des Oberhauses, des Senats, sei wahrscheinlich; dessen Abstimmung stehe am heutigen Freitag an. Die SZ (Florian Hassel) zeichnet nach, wie nicht nur das Gesetz selbst, sondern auch das laufende Gesetzgebungsverfahren die Verfassung verletze. Die FAZ (Konrad Schuller) erörtert neben der Verfassungswidrigkeit des Vorhabens, wie das Gesetz noch aufzuhalten wäre. Der Beitrag skizziert auch die bisherigen Reformen der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und welches politische Kalkül dahinter stehe. Die taz (Gabriele Lesser) befasst sich mit Verfassungsfragen und den rechtsstaatlichen Konsequenzen der Umstrukturierung.
"Polen degradiert die allgemeinen Gerichte, den Landesrichterrat und nun auch das Oberste Gericht zu Filialen der Regierungspartei.", konstatiert Florian Hassel (SZ). Er befürchtet, auch unabhängige Medien und Bürgergruppen würden durch den "Aufbau des autoritären Kaczyński-Staates" unter Druck geraten.
focus.de resümiert die unterschiedlichen Positionen in der Debatte um die Justizreform.
EGMR zu "Hassprediger": Der Aufruf zur gewaltsamen Errichtung der Scharia fällt nicht unter die Meinungsfreiheit. Dies bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, indem er die Beschwerde eines belgischen Salafisten verwarf. Dieser hatte sich wegen eines Strafurteils an das Straßburger Gericht gewendet. Er erhielt eine Haftstrafe, weil er unter anderem dazu aufrief, Nicht-Muslime zu "bekämpfen", meldet lto.de.
Türkei – inhaftierte Menschenrechtler: Die SZ (Mike Szymanski) führt aus, "mit welch fadenscheinigen Begründungen Amnesty-Aktivisten in Istanbul festgehalten werden". Ein Istanbuler Richter hatte Anfang der Woche Untersuchungshaft für sechs Menschenrechtler angeordnet, da sie unter dem Verdacht der Spionage und der Unterstützung von Terrororganisation stünden.
EU/Vereinigtes Königreich – Brexit: Die taz (Eric Bonse/Dominic Johnson) fasst die Differenzen zwischen Großbritannien und der EU um den Brexit zusammen. Ungeklärt seien etwa das Bleiberecht, die Austrittsrechnung und die zukünftigen Beziehungen.
Sonstiges
Verfassungsreferenden: "Why do we need international legal standards for constitutional referendums?" Diese Frage beantwortet Rechtsprofessorin Kriszta Kovács auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache).
Akten von Helmut Schmidt: Die Regierungsdokumente, die sich Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt nach seiner Amtszeit aneignete, kehren nun wieder ins Kanzleramt zurück. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) skizziert das weitere Vorgehen bezüglich der Akten.
Das Letzte zum Schluss
Rasende Betagte: Dass das Alter nicht zwingend ein gemächliches Tempo vorschreibt, hat eine 79-Jährige in Belgien gezeigt. Die zweifache Großmutter bewegte ihren Porsche Boxster GTS mit 238 km/h über die Autobahn. Das Alter hat die Frau nicht gebremst – das Gesetz hingegen schon: Sie darf 45 Tage lang nicht Auto fahren und muss 1.200 Euro an Strafe zahlen, meldet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. Juli 2017: Rentenbeiträge ohne Elternbonus / Überlastete Verwaltungsgerichte / Polens Justizreform . In: Legal Tribune Online, 21.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23484/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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