Das Bundesverfassungsgericht verhandelt heute über AfD-Schelte. Außerdem in der Presseschau: Befristete Teilzeit abgeblasen, Nürnberger Prozesse jähren sich, neuer Grundrechtereport erschienen und Behörden-Fake-Accounts.
Thema des Tages
BVerfG – Neutralitätspflicht: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht den Organstreit der AfD gegen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU). In Anspielung auf einen AfD-Demonstrationsspruch gegen Angela Merkel veröffentlichte die Ministerin in einer Pressemitteilung, dass der AfD die "rote Karte" gezeigt werden sollte. Die AfD sah dadurch die Neutralitätspflicht des Ministeriums im politischen Meinungskampf und damit ihr Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt. Sie war im Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich. Nun muss das Gericht abschließend klären, ob es sich um eine zulässige Verteidigung im Rahmen der Parteipolitik oder eine Verletzung des Neutralitätsgebots handelte, erläutern swr.de (Max Bauer) und lto.de (Pia Lorenz) im Vorbericht.
Rechtspolitik
Befristete Teilzeit: Das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplante Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeitbeschäftigung wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen, wie die FAZ (Dietrich Creutzburg) und die SZ (Thomas Öchsner) berichten. Geplant war die Einführung eines Anspruchs auf befristete Teilzeit mit der Option, wieder in eine Vollzeitbeschäftigung zu wechseln. Das Projekt sei allerdings am Widerstand der Union und der Bundeskanzlerin gescheitert.
Heide Oestreich (taz) stellt heraus, dass die Teilzeitarbeit den Hauptgrund für die sogenannte "gender paygap" und die Altersarmut bilde, da Frauen wegen Kinderbetreuung im "mummy track" landeten und nicht mehr Vollzeit arbeiten dürften.
Urheberrecht: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will die Nutzung digitaler Semesterapparate erleichtern. Wie die taz (Christian Rath) darstellt, ist der Gesetzentwurf über das Urheberrecht in der Wissensgesellschaft vergangene Woche im Bundestag beraten worden. Nach der Neuregelung sollen Lehrende bis zu 15 Prozent eines Buches den Studierenden zur Verfügung stellen können, ohne dass dies einer Erlaubnis bedarf. Der lizenzfreie Zugang soll auch dann zur Verfügung stehen, wenn der Verlag ein angemessenes Lizenzangebot macht.
Pflegekinder: Rechtsanwältin Maria Demirci stellt auf lto.de den neuen Entwurf des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen vor. Danach sollen Familiengerichte einen dauerhaften Verbleib von Pflegekindern in der Pflegefamilie anordnen können. Bei der Erstellung der Zukunftsprognose sollen die gewachsenen Bindungen zwischen Kind und Pflegefamilie eine stärkere Berücksichtigung finden.
Suizidmedikamente: Wie die FAZ (Andreas Mihm) berichtet, will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgabe tödlicher Medikamente in extremen Ausnahmefällen nicht akzeptieren. Er kündigte an, gegen die "zivilrechtliche Legalisierung ärztlicher Suizidbeihilfe" vorzugehen. Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery forderte ebenfalls Gesetze, die "solche Gerichtsentscheidungen wieder obsolet machen".
Daniel Deckers (FAZ) fordert ebenfalls eine Klarstellung im Betäubungsmittelgesetz, "dass die Herbeiführung des Todes niemals ein Therapiezweck sein kann".
Parteienfinanzierung: Die FAZ (Günter Bannas) fasst die Kritik an der geplanten Grundgesetzänderung zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung zusammen. Insbesondere die Grünen kritisierten die Verfassungsänderung als Schnellschuss. Die Große Koalition sei auf Stimmen der anderen Fraktionen allerdings nicht angewiesen.
Unternehmensbesteuerung: Um Steuern zu umgehen, übertragen multinationale Unternehmen immaterielle Wirtschaftsgüter wie Lizenzen und Patente auf konzerneigene Rechteinhaber in Ländern, die besonders günstige Steuermodelle anbieten. Um die Steuern dem Staat der Wertschöpfung zuzuschreiben, soll eine Lizenzschranke eingeführt werden, die eine solche Gewinnverlagerung verhindert. Rechtsanwalt Christoph Hawlitschek stellt den Gesetzentwurf im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ vor.
Justiz
BGH zu Impfung: Die Impfung eines Kindes stellt familienrechtlich keine Angelegenheit des täglichen Lebens, sondern eine Sache von besonderer Bedeutung dar. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden, mit der Folge, dass bei Uneinigkeit der Eltern das Gericht die Letztentscheidung einem Elternteil übertragen kann. Im verhandelten Fall wies das Gericht das Entscheidungsrecht dem Vater zu, da die Mutter Vorbehalte gegen notwendige Impfungen hatte. Die SZ (Wolfgang Janisch) und lawblog (Udo Vetter) berichten.
BVerfG zu Abschiebungen: Verwaltungsgerichte müssen im Asylverfahren prüfen, ob die Abschiebung in einen anderen EU-Staat eine unmenschliche Behandlung des Asylsuchenden nach sich zieht. Wie die taz (Christian Rath) und lto.de (Tanja Podolski) darstellen, hat das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines Syrers stattgegeben, der bereits in Griechenland als Flüchtling anerkannt war, dort jedoch keine Sozialleistungen erhielt. Das Gericht sah das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, da das Instanzgericht die Lage für Asylberechtigte in Griechenland nicht aufgeklärt hatte.
EuGH zu Freihandelsabkommen: In englischer Sprache besprechen der Doktorand David Kleimann und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Gesa Kübek auf verfassungsblog.de das Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zur Zustimmungspflicht von Mitgliedstaaten beim Abschluss von EU-Freihandelsabkommen. Die Autoren vergleichen die Position des Gerichts mit den Ansichten der Kommission sowie des Generalanwalts und gegeben einen Ausblick auf die weitere Entwicklung.
StA Stuttgart – Daimler: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Abgasmanipulationen elf Standorte des Daimler-Konzerns durchsucht. Das Hbl (Markus Fasse u.a., handelsblatt.com-Zusammenfassung) stellt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in einem umfassenden Bericht dar.
Dieter Fockenbrock (Hbl) kommentiert, das Großaufgebot führe am Thema vorbei, da die Staatsanwälte und Richter Vergangenheitsbewältigung betrieben, man aber die Frage nach der Zukunft des Diesels stellen müsse.
LG Stuttgart – Schlecker: Das Verfahren gegen Christa Schlecker, der im Schlecker-Prozess Beihilfe zu Bankrott-Straftaten vorgeworfen wird, könnte wegen Mangel an Beweisen eingestellt werden. Dies habe der Vorsitzende Richter in Aussicht gestellt, berichtet die SZ (Stefan Mayr). Die beanstandete hohe Zahlung eines Honorars sei zwar überzogen, jedoch könne nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob die Ehefrau nicht doch Leistungen hierfür erbracht habe.
Nürnberger Prozesse: Vor 70 Jahren fand der Nürnberger Juristenprozess als dritter der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse statt. Der emeritierte Professor Arthur Kreuzer stellt für die FAZ das Verfahren, die Vorwürfe und die Rezeption des Urteils unter deutschen Juristen dar. Er entkräftet die gängigen Einwände gegen die Entscheidungen und hebt die Aktualität der Verfahren hervor.
Unabhängigkeit des Richters: Erich Künzler, Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, erläutert in der FAZ die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für einen demokratischen Rechtsstaat und weist auf Gefahren hin, die von Dienstvorgesetzten, Kollegen, aber auch einer breiten medialen Öffentlichkeit ausgehen können.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Anschlag: Nach dem Terroranschlag in Manchester ruft Reinhard Müller (FAZ) dazu auf, kühlen Kopf zu bewahren und weiter über Schutz und Prävention nachzudenken. Die Botschaft dürfe niemals lauten: "Wir finden uns mit Terror ab."
Südkorea – Park Geun-hye: Die FAZ (Patrick Welter) berichtet vom Prozess gegen die ehemalige südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye. Ihr wird Korruption vorgeworfen, weil sie zusammen mit ihrer ebenfalls angeklagten Beraterin Choi Soo-sil Bestechungsgelder von führenden Unternehmen eingefordert haben soll.
Sonstiges
Grundrechtereport: Am gestrigen Dienstag ist der neue Grundrechtereport von Monitor-Leiter Georg Restle in Karlsruhe vorgestellt worden. Dieser kritisierte die Ausweitung der verdachts- und anlasslosen Überwachung, etwa durch die Vorratsdatenspeicherung, berichtet die taz (Christian Rath). Der Grundrechtereport wird jährlich von acht Bürgerrechtsorganisationen herausgegeben und beleuchtet die Grundrechtsentwicklung aus einer kritischen Perspektive.
Auf netzpolitik.org findet sich ein Gastbeitrag von Nils Leopold aus dem aktuellen Band, der sich mit der Pflicht zur Vorlage von Ausweispapieren beim Kauf von Prepaidkarten befasst.
Behörden und Fake-Accounts: Das Polizeipräsidium Rheinpfalz nutzt Fake-Accounts bei Facebook, um Verkehrssünder zu ermitteln. Hierfür werden die Blitzlichtfotos mit Profilbildern des Halters sowie dessen Angehörigen verglichen, um den Geblitzten zu ermitteln. Zwar sei dies nicht unzulässig, verstoße jedoch gegen Facebooks Nutzungsbedingungen, die Fake-Accounts untersagen. Daraus ließe sich aber wohl kein Verwertungsverbot im Bußgeldverfahren ableiten, berichtet lawblog.de (Udo Vetter).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Mai 2017: BVerfG und Neutralitätsgebot / Keine Abschiebung nach Griechenland / Behörden und Fake-Accounts . In: Legal Tribune Online, 24.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23017/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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