Das LG München I hält die BGH-Rechtsprechung zu Filesharing für europarechtswidrig und hat den EuGH angerufen. Außerdem in der Presseschau: Von der Leyen tadelt Staatsanwaltschaft und Steinmeiers Amtseid kommt möglicherweise zu spät.
Thema des Tages
LG München I zu Filesharing: Das Landgericht München I sieht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Filesharing in Widerspruch zum europäischen Recht und hat die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der BGH hatte in anderen urheberrechtlichen Verfahren eine Haftung unter Hinweis auf den Schutz von Ehe und Familie abgelehnt, wenn Familienmitglieder den gleichen Internetzugang nutzten und kein Verantwortlicher feststellbar ist. Das Landgericht sieht darin einen Verstoß gegen Unionsrecht, das "angemessene Sanktionen und Rechtsbehelfe" gegen Urheberrechtsverletzungen vorschreibt, so die SZ (Stephan Handel).
Rechtspolitik
Hatespeech im Internet: Die Welt (Christian Meier) gibt die Kritik am Gesetzentwurf gegen sogenannte Hassrede im Internet wieder, nach dem soziale Netzwerke Bußgelder zahlen sollen, wenn sie rechtswidrige Inhalte nicht rechtzeitig löschen. Die Unterscheidung zwischen offensichtlichen und nicht offensichtlichen Fällen sei schwierig. Die Upload-Filter würden zudem als Zensur-Instrumente kritisiert.
Auch der Rechtsanwalt Harro von Have kritisiert in der Welt den Entwurf und prophezeit, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben werde. Die harten Sanktionen würden unweigerlich dazu führen, dass die Betreiber sozialer Netzwerke eher löschten. Damit greife das Gesetz unmittelbar in die Meinungsfreiheit ein. Anders sieht das Rechtsprofessor Michael Kubiciel in der FAZ: Das Gesetz schließe eine Rechtsschutzlücke, die dadurch entstehe, dass die gerichtliche Rechtsdurchsetzung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sei und Gerichtsverfahren erst erfolgreich seien, wenn die Rechtsverletzung bereits eingetreten ist.
Wetter-App: Nach Kritik aus der Unionsfraktion und dem Bundesrat wird die von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) geplante Wetter-App nur in eingeschränkter Form kommen. Das meldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt). Der Minister wollte ursprünglich nicht nur meteorologische Daten frei verfügbar machen, sondern diese auch in einer App darstellen lassen. Nach der Kritik, dass dies nicht Aufgabe des Staates sei und möglicherweise gegen das Wettbewerbsrecht verstoße, einigte sich die Unionsfraktion darauf, dass die Anwendung nur amtliche Unwetterwarnungen anzeigen soll.
Pkw-Maut: Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat Forderungen einiger Länder nach Ausnahmen von der Pkw-Maut für Grenzregionen zurückgewiesen. Laut SZ (Martin Balser) könnte der Bundesrat das umstrittene Gesetz bis zur Bundestagswahl verzögern. In einem gesonderten Kommentar drückt Martin Balser (SZ) seine Zustimmung zu einem solchen Schritt aus. Die Abgabe sei ein "falscher und ökonomisch mehr als fragwürdiger Versuch, mit Ausgrenzung Politik zu machen".
Hochschulorganisation: Die Rechtsprofessoren Wolfgang Löwer und Klaus Gärditz nehmen in der FAZ das Urteil des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg zum Landeshochschulgesetz aus dem vergangenen Jahr zum Anlass, sich mit Grundfragen der Hochschulorganisation zu befassen. Der organisatorische Schutz der Wissenschaftsfreiheit setze der Stärkung der Hochschulleitungen Grenzen. Dass die Gruppe der Professoren bei der Wahl die Mehrzahl der Stimmen haben müsse, habe sachliche Gründe. Sie würden über die notwendige Erfahrung verfügen und müssten mit den Folgen der Entscheidungen langfristig leben.
Justiz
BVerwG zu Abschiebung von "Gefährdern": Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anträge eines Algeriers und eines Nigerianers auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt, mit denen diese sich gegen ihre Abschiebung wehrten. Das meldet die FAZ (Reinhard Bingener). Die in Deutschland geborenen Männer haben sich zwar nicht strafbar gemacht, werden jedoch von den Behörden verdächtigt, Terroranschläge geplant zu haben. Daher soll zum ersten Mal seit seiner Einführung der für derartige Sachverhalte geschaffene § 58a Aufenthaltsgesetz auf die beiden Männer angewendet werden.
LG Essen zu Anschlag auf Sikh-Tempel: Das Landgericht Essen hat drei Jugendliche wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Hauptangeklagten sollen im vergangenen Jahr einen Sprengsatz vor einem Sikh-Tempel deponiert haben. Nach der Überzeugung des Gerichts handelten sie dabei religiös motiviert. Den Fall schildern die SZ (Jan Bielicki) und die taz (Sabine am Orde).
StA Oldenburg zu Belästigung bei Bundeswehr: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg für die Wortwahl kritisiert, mit der diese die Einstellung der Ermittlungen gegen einen Bundeswehrsoldaten begründet hat, der eine Soldatin sexuell belästigt haben soll. Die Argumentation, dass der Mann lediglich "Interesse" kundtun und die Soldatin nicht beleidigen wollte, sei "abenteuerlich und aus der Zeit gefallen", so die Ministerin. Es berichten die SZ (Christoph Hickmann) und zeit.de.
LG Frankfurt – S&K-Prozess: Nachdem vier von fünf Angeklagten gestanden haben, ist es zu einer Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft Gericht und Verteidigung im Prozess gegen die Gründer der Immobiliengruppe S&K gekommen. Danach hätten die Angeklagten mit Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb und neuneinhalb Jahren wegen Untreue zu rechnen. Die Betrugsvorwürfe seien hingegen fallen gelassen worden, so die FAZ (Marcus Jung).
LG München I – Georg Funke: Im Prozess gegen den ehemaligen Chef der Hypo Real Estate, Gregor Funke, hat der Angeklagte Vorwürfe gegen die Deutsche Bank und das Bundesfinanzministerium erhoben. Die Hypo Real Estate hätte die Liquiditätskrise überstanden, sei aber von außen zerstört worden. Über den Prozess berichten die FAZ (Marcus Jung), die SZ (Thomas Fromm/Stephan Radomsky) und das Hbl (Christian Schnell).
EuGH zu Kopftuch am Arbeitsplatz: Mehrere Beiträge befassen sich mit dem Urteil, das der Europäische Gerichtshof in der vergangenen Woche zum Kopftuchverbot in der Privatwirtschaft verkündet hat. In einem (englischsprachigen) Beitrag für verfassungsblog.de bemängelt Jura-Dozentin Ioanna Tourkochoriti, dass das Urteil Kriterien vermissen lasse, nach denen die Zulässigkeit eines Verbots in der Praxis zu beurteilen sei. Jost Müller-Neuhof (Tsp) kritisiert das Urteil. Man müsse die Menschen nehmen wie sie sind. Das sei bei der Religion nicht anders als beim Alter oder Geschlecht. Die Jura-Dozentin Viola Teubert beleuchtet auf juwiss.de die Auswirkungen des Urteils und stellt die Rechtslage zu Kopftuchverboten im öffentlichen Dienst dar.
Fischer reagiert auf offenen Brief: In einem Gastbeitrag für meedia.de reagiert Bundesrichter Thomas Fischer auf einen offenen Brief einer taz-Journalistin, der am Samstag veröffentlicht wurde, nachdem keine Einigung über die Autorisierung eines Fischer-Interviews zustande gekommen war. Fischer wirft der Journalistin vor, mit Vorurteilen an das Interview herangegangen zu sein und jetzt nachzutreten. Der Beitrag enthält zudem eine Version des bisher nicht veröffentlichten Interviews.
Kanzleidurchsuchungen: In der Abgasaffäre wurden nicht nur Geschäftsräume von Audi, sondern auch die Räume der Kanzlei Jones Day durchsucht, die für den Volkswagen-Konzern den Abgasskandal untersucht. Die FAZ (Marcus Jung) beleuchtet die offenen Rechtsfragen rund um die Zulässigkeit solcher Durchsuchungen. Die Rechtsprechung sei bisher uneinheitlich, Kritik kommt vor allem von Anwaltsorganisationen.
Wahlkampf bei RAK Düsseldorf: lto.de (Pia Lorenz) beschreibt die Auseinandersetzung im Vorfeld der Versammlung der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf. Eine Gruppe von Anwälten möchte, dass der derzeit amtierende Präsident Herbert Schons abgelöst wird.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Gerichtsstandort nach Brexit: Der Rechtsanwalt Patrick Ostendorf untersucht in der FAZ, welche Auswirkungen der Brexit auf den Standort London für internationale Rechtsstreitigkeiten hat. Das Vereinigte Königreich könne durch einen Beitritt zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen sicherstellen, dass Gerichtsstandsvereinbarungen weiter respektiert werden und Urteile auch in anderen Ländern vollstreckt werden können. Daher dürfte der Brexit die kontinentaleuropäischen Standorte kaum stärken.
WTO-Schiedsgericht – Zölle gegen China: China verklagt die Europäische Union vor dem am Dienstag zusammengetretenen Schiedsgericht der Welthandelsorganisation wegen der gegen chinesische Importe verhängten Anti-Dumping-Zölle. Als China vor 15 Jahren in die WTO eingetreten ist, erhielt es einen Sonderstatus, da es nicht als Marktwirtschaft eingestuft wurde. Jetzt verlangt China eine Aufhebung der EU-Zölle, weil der Sonderstatus abgelaufen sei. Den Streit schildert die SZ (Michael Bauchmüller/Christoph Giesen).
Juristische Ausbildung
Schwerpunktstudium: In einem Beitrag auf lto.de kritisiert Rechtsprofessor Roland Schimmel die geplante Reform des Jurastudiums. Die Gewichtung des Schwerpunktstudiums zu verringern, laufe dem wissenschaftlichen Anspruch des juristischen Fachs zuwider. Womöglich könnte das universitäre Studium der Rechtswissenschaft Konkurrenz durch die Bologna-Abschlüsse Bachelor und Master erhalten.
Sonstiges
Elke Büdenbender: Mit dem Amtsantritt des neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier lässt seine Frau Elke Büdenbender ihr Amt als Richterin am Verwaltungsgericht Berlin ruhen. Die taz (Christian Rath) erklärt, dass dieser Schritt rechtlich nicht erforderlich war. Die möglichen Interessenkonflikte hätten sich durch Steinmeiers Wechsel vom Auswärtigen Amt nach Bellevue eher verringert. Das Recht über den Bundespräsidenten sehe keine Regelungen für die Gattin vor. Die Beurlaubung sei daher wohl der institutionellen Erwartung geschuldet.
Amtsantritt von Steinmeier: Die FAZ (Reinhard Müller) wirft die Frage auf, ab wann genau Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident ist. Die Amtszeit von Joachim Gauck sei zwar am 18. März abgelaufen, im Grundgesetz heiße es jedoch, dass der Bundespräsident den Amtseid "bei seinem Amtsantritt" leiste. Dies soll jedoch erst am heutigen Mittwoch geschehen.
Weisungen zum AÜG: Der Rechtsanwalt André Zimmermann weist auf dem Handelsblatt-Rechtsboard auf die aktualisierte Geschäftsanweisung zur Durchführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes hin. Darin würden Unklarheiten beseitigt, etwa hinsichtlich der Form der Konkretisierung und der Berechnung der Überlassungshöchstdauer.
Das Letzte zum Schluss
Indien – Fluss mit Rechtspersönlichkeit: Ein indisches Gericht hat die beiden Flüsse Ganges und Yamuna die Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Die Flüsse sollen sich jetzt durch einen gesetzlichen Vertreter vor Gericht gegen die Verletzung ihrer Rechte, etwa durch Verschmutzung, wehren können. Das meldet die SZ (Arne Perras).
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. März 2017: Filesharing geht zum EuGH / Von der Leyen kritisiert Staatsanwaltschaft / Steinmeiers Amtseid . In: Legal Tribune Online, 22.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22440/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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