Politiker fordern schärfere Gesetze zur inneren Sicherheit. Außerdem in der Presseschau: Die Gewerkschaft der Fluglotsen haftet für Streik und das Jurastudium soll reformiert werden.
Thema des Tages
Diskussion über innere Sicherheit: Nach den jüngsten Gewalttaten in Süddeutschland werden politische Konsequenzen gefordert. Im Zentrum der Debatte stehen insbesondere Forderungen nach mehr Überwachung, einer restriktiveren Flüchtlingspolitik und dem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Die Welt (Manuel Bewarder) und die taz stellen die Forderungen vor. Justizminister Joachim Herrmann will die Hürden für Abschiebungen "bis an den Rand der europarechtlichen Bestimmungen" senken. Generalbundesanwalt Peter Frank erklärte gegenüber der FAZ (Reinhard Müller), er halte die Frage für berechtigt, "ob die rechtlichen Befugnisse und die technischen Möglichkeiten der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden den aktuellen Anforderungen entsprechen."
Jasper von Altenbockum (FAZ) äußert in einem Kommentar Zweifel daran, dass ein verschärftes Asylrecht die Terrorgefahr senken werde. Paul-Anton Krüger (SZ) warnt davor, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Joachim Käppner (SZ) kritisiert die Rufe nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Dieser sei nach dem Grundgesetz nur im Fall des inneren Notstands zulässig. Diesen Zustand herbeizuführen, indem man die Polizei "kurz und klein spart, dürfte schwerlich im Sinne der Verfassung sein".
Die FAZ (Johannes Leithäuser) erläutert, wie die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden könnte. spiegel.de (Christoph Titz) beantwortet die Fragen, wann dies zulässig ist und was die Bundeswehr darf.
Rechtspolitik
Islamvertrag in Niedersachsen: Die FAZ (Reinhard Bingener) befasst sich mit der Auseinandersetzung um den Islamvertrag mit der Ditib in Niedersachsen und weist auf ein Rechtsgutachten des Staatskirchenrechtlers Stefan Muckel hin, der Ditib als eine Religionsgemeinschaft ansieht. Sein Kollege Hans Michael Heinig meint hingegen, der Staat dürfe "eine mitgliedschaftliche Vergesellschaftung verlangen".
Privacy Shield: Nachdem das Safe-Harbor-Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA vom Europäischen Gerichtshof gekippt worden ist, hat die Kommission die endgültige Fassung des EU-US Privacy Shield verabschiedet. Rechtsanwältin Kathrin Schürmann (Handelsblatt-Rechtsboard) analysiert den Inhalt und erklärt, was Unternehmen beachten müssen.
Justiz
BAG zu Fluglotsenstreik: Die Gewerkschaft der Luftsicherheit muss für einen Streik im Februar 2012 Schadensersatz an Fraport zahlen. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. Damals hatte bereits das Arbeitsgericht Frankfurt den Streik für rechtswidrig erklärt, Schadensersatzforderungen hat es wie auch das Landesarbeitsgericht jedoch abgelehnt, mit der Begründung, dass Fraport bereits vor dem Streik hätte versuchen müssen, ihn zu stoppen. Dieser Begründung erteilte das Bundesarbeitsgericht eine Absage. Schadensersatzforderungen von Lufthansa und Air Berlin wies es jedoch ab, weil diese nur "Drittbetroffene" seien. Die SZ (Detlef Esslinger) berichtet.
BGH – Privatsphäre: Am Bundesgerichtshof wurde über die Klage des ehemaligen Berliner Oberbürgermeisters Klaus Wowereit gegen die Bild-Zeitung verhandelt. Die Bild-Zeitung hatte Bilder von Wowereit veröffentlicht, wie dieser am Abend vor einer wichtigen Abstimmung eine Bar besuchte. Die SZ (Wolfgang Janisch) und die BadZ (Christian Rath) schildern den Fall und ordnen ihn in die bisherige Rechtsprechung zur Privatsphäre von Prominenten ein.
BSG zu Elterngeld: Das Elterngeld ist bei der Berechnung des Kinderzuschlags als Einkommen anzurechnen. Das hat das Bundessozialgericht in einem Urteil entschieden, mit dem sich die FAZ (Hendrik Wieduwilt) befasst. Dem Kläger war der Kinderzuschlag gestrichen worden, nachdem der Gesetzgeber festgelegt hatte, dass das Elterngeld auf Hartz IV und Kinderzuschlag anzurechnen ist. Der dreifache Vater sah sich benachteiligt und argumentierte, dass es sich beim Elterngeld nicht um eine Entgeltersatzleistung, sondern um eine "Anerkennung der Erziehungs- und Betreuungsleistung" handelt. Das Bundessozialgericht verneinte jedoch eine Verletzung von Art. 3 des Grundgesetzes.
In einem gesonderten Kommentar bezeichnet Hendrik Wieduwilt (FAZ) die Entscheidung als konsequent. Das Elterngeld sei eine Entgeltersatzleistung und "keine staatliche Erziehungsvergütung oder verfassungsrechtlich zwingende Abtreibungsbremse". Constanze von Bullion (SZ) meint, das Urteil sei "bitter für Arbeitslose, aber korrekt".
OLG München – Anstiftung zur Falschaussage im NSU-Prozess? Während der Verhandlung im NSU-Prozess ist es möglicherweise zu einer Anstiftung zur Falschaussage durch den Rechtsbeistand eines Zeugen gekommen. Der Anwalt des Zeugen Torsten W. soll seinem Mandanten empfohlen haben, Unwissenheit vorzutäuschen. Das behaupten jedenfalls laut spiegel.de (Wiebke Ramm) mehrere anwesende Personen.
LG Potsdam zu doppeltem Kindesmord: Silvio S. ist vom Landgericht Potsdam zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass der 33-Jährige den vierjährigen Mohamed und den sechsjährigen Elias sexuell missbraucht und anschließend ermordet hat. Die Richter stellten die besondere Schwere der Schuld fest, ordneten jedoch keine Sicherungsverwahrung an. Die Welt (Christine Kensche) und spiegel.de (Benjamin Schulz) berichten vom Prozess.
LG Heidelberg – Darknet: Am Landgericht Heidelberg steht ein 32-Jähriger vor Gericht, dem vorgeworfen wird, über das sogenannte Darknet Waffen und Mundition vertrieben zu haben. Ein Urteil wird am Donnerstag gesprochen. Eine Zusammenhang zum Amoklauf in München besteht nicht, der Angeklagte ging jedoch beim letzten Wort darauf ein, berichtet die SZ (Christoph Dorner).
StA Dresden zu Hasskommentar: Die Staatsanwaltschaft Dresden wehrt sich nach einem Bericht der SZ (Cornelius Pollmer) gegen die Kritik, nicht konsequent genug gegen Hasskommentare vorzugehen. Sie hatte ein Verfahren gegen einen Internet-Nutzer eingestellt, der "gleich erschießen dieses dreckspack" unter den Bericht über mutmaßliche Diebe aus Rumänien gepostet hatte. Anders als bei einer vergangenen Äußerung von Lutz Bachmann bezog sich der Kommentar nicht auf alle Flüchtlinge und stelle daher keine Volksverhetzung dar.
OVG Münster zu Küken: Die wissenschaftliche Referentin Saskia Stucki setzt sich auf juwiss.de (Teil I, Teil II) mit den Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Münster vom Mai zur tierschutzrechtlichen Zulässigkeit des Tötens von Küken auseinander.
Recht in der Welt
USA/Irland – Abgasskandal: Ein US-Gericht hat vorläufig dem Vergleich zugestimmt, den VW mit der US-Regierung und den Anwälten von Kunden ausgehandelt hat. Danach verpflichtet sich der Konzern, 14,7 Milliarden Dollar zu zahlen. Die SZ (Thomas Fromm/Claus Hulverscheidt/Nikolas Piper) schildert das Verfahren und erklärt in einem aktuellen Lexikonbeitrag das Instrument der Sammelklage. Unterdessen muss Volkswagen in einem anderen Verfahren vor einem Gericht im irischen Städtchen Castlebar sensible Dokumente offenlegen, berichtet das Hbl (Martin Murphy/Volker Votsmeier).
USA – Anstecker im Gerichtssaal: Um ein Zeichen gegen Gewalt gegen Schwarze zu setzen, trug eine US-amerikanische Anwältin auch im Gerichtssaal einen Anstecker der Black-Lives-Matter-Bewegung. Der Richter sah darin ein Verstoß gegen das Verbot politischer Symbole im Gerichtssaal und ließ die Anwältin schließlich in Handschellen abführen, berichtet zeit.de (Sasan Abdi-Herrle).
Demokratische Republik Kongo – Schnellverfahren gegen Sänger: In der Demokratischen Republik Kongo ist ein bekannter Sänger wenige Tage nach seiner Auslieferung aus Kenia wegen Körperverletzung verurteilt worden. Er hatte vor laufender TV-Kamera ein weibliches Mitglied seiner Band mit Füßen getreten. Laut taz (Dominic Johnson) wollte die Regierung ein Exempel statuieren.
Sonstiges
Ärztliche Schweigepflicht: Anlässlich des Amoklaufs in München erklärt die SZ (Wolfgang Janisch), dass Ärzte ihre Schweigepflicht nur beim Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer Menschen brechen dürfen. Diese lasse sich jedoch nur selten in Behandlungsgesprächen feststellen. Die hohen Hürden für das Brechen der Schweigepflicht würden jedoch letztlich auch die potenziellen Opfer schützen, da sie psychisch Kranken den Gang zum Arzt erleichtern.
Schönheitsreparaturen: Im Wirtschaftsteil erläutert die SZ (Berrit Gräber) die mieterfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu sogenannten Schönheitsreparaturklauseln. In vielen Fällen müssten Mieter nicht streichen oder tapezieren, auch wenn im Vertrag etwas anderes steht.
Pokémon Go: Der Juniorprofessor Jens Prütting befasst sich für die FAZ mit datenschutz-, ordnungs- und haftungsrechtlichen Fragen rund um das Nintendo-Spiel Pokémon Go.
Quotenpranger: Der Rechtsanwalt Christoph Seibt setzt sich in der FAZ mit einer "Prangerliste" auseinander, mit der Justiz- und Familienministerium Druck auf Unternehmen ausübt, die 30-Prozent-Geschlechterquote einzuhalten. Die Bestimmung der vom Gesetz erfassten Unternehmen durch die Ministerialbeamten sei fehlerhaft.
Unfallflucht: Bundesrichter Thomas Fischer befasst sich in seiner Kolumne auf zeit.de erneut mit Anekdoten sowie rechtlichen und moralischen Überlegungen zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort.
Juristische Ausbildung
Reform des Jurastudiums: Der FAZ (Jochen Zenthöfer) liegen Pläne der Justizminister der Länder vor, nach denen das Jurastudium reformiert werden soll. Sie sehen unter anderem vor, dass die Bedeutung des Schwerpunktbereichs sinkt und der staatliche Teil deutlich entschlackt werden soll. An Bedeutung würden dabei unter anderem das öffentliche Baurecht und das Versammlungsrecht verlieren. Kenntnisse der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Prozessrechts würden hingegen wichtiger werden. Kritik gibt es bereits an den Plänen, das Internationale Privatrecht aus dem Prüfungskanon zu streichen.
Das Letzte zum Schluss
Stinkefüße im ICE: Eine ICE-Fahrt von Basel nach Berlin endete für zwei Passagiere vorzeitig in Göttingen – mit der Einleitung von Strafverfahren wegen Beleidigung und Körperverletzung. Auslöser waren die stinkenden Füße eines 54-Jährigen, die sein 32-jähriger Sitznachbar nicht hinnehmen wollte. Es entwickelte sich eine Auseinandersetzung, in deren Zuge es zu der Beleidigung und einer Ohrfeige gekommen sein soll, schreibt spiegel.de (Antje Blinder).
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. Juli 2016: Diskussion über innere Sicherheit / Schadensersatz für Streik / Reform des Jurastudiums . In: Legal Tribune Online, 27.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20115/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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