Nach dem Amoklauf in München wird über innenpolitische Konsequenzen diskutiert. Außerdem in der Presseschau: Das OLG Düsseldorf bekräftigt seine Kritik an Wirtschaftsminister Gabriel und Christine Lagarde erwartet ein Strafverfahren.
Thema des Tages
Amoklauf in München: Nach dem Amoklauf in München, bei dem am Freitagabend mit dem Täter zehn Menschen ums Leben gekommen sind, wird über die Ursachen und über mögliche politische Konsequenzen diskutiert. Im Gespräch sind Verschärfungen des Waffenrechts, das Verbot von Ego Shootern sowie der Einsatz der Bundeswehr im Innern, wie die Montags-SZ (Detlef Esslinger) berichtet.
Im Interview mit der FAS (Ralph Bollmann/Inge Kloepfer) erklärt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass am Freitag eine Feldjäger-Einheit der Bundeswehr in Bereitschaft gesetzt wurde. Die Montags-SZ (Christoph Hickmann) vermutet, dass die Aussage gezielt platziert wurde, um das Thema noch einmal auf die Agenda zu setzen und zu "verdeutlichen, dass die Bundeswehr im Ernstfall auch ohne Grundgesetzänderung bereitstünde". Laut Reinhard Müller (Montags-FAZ) ist es verständlich, dass nach einer solchen Bluttat abermals die gesetzlichen Regelungen überprüft werden. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern sei jedoch schon jetzt bei "besonders schweren Unglücksfällen", also auch bei größeren Anschlägen zulässig. Die Montags-taz (Tobias Schulze/Christian Rath) erläutert, wozu und unter welchen Voraussetzungen die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden darf. Bei einer Schießerei sei fraglich, ob es sich um einen Anschlag "katastrophischen Ausmaßes" handele. Zudem fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.
Mit Forderungen nach der Verschärfung des Waffenrechts befasst sich die Montags-taz (Konrad Litschko). In einem Gastbeitrag für die Montags-FAZ fordert Roman Grafe, Sprecher der Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen!", eine Verschärfung des Waffenrechts. Das Lebensrecht der unbewaffneten Mehrheit in Deutschland würde die Freiheitsrechte von Legalwaffen-Besitzern überwiegen. Nach der Auffassung von Christian Bommarius (Montags-BerlZ) kann hingegen kein Gesetz verhindern, dass sich ein zur Tat entschlossener Mensch eine Waffe besorgt. Die Debatte über die innere Sicherheit sei sinnlos.
Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU hat im Interview mit der WamS (Beat Balzli/Jacques Schuster) ein Verbot von Ego Shootern ins Gespräch gebracht. Die Montags-SZ (Jannis Brühl) weist darauf hin, dass sich die schädliche Wirkung von Ego Shootern nicht belegen lasse.
Die Montags-SZ (Ronen Steinke) befasst sich mit dem Begriff der Terrorlage, der im Polizei-Vokabular eigentlich gar nicht vorkomme. Vielmehr könne ein Fall von "Größeren Gefahren-, Schadenlagen und Katastrophen" (GSSK) ausgerufen werden, wenn aus ex-ante-Perspektive eine entsprechende Gefahrenprognose vorliege.
Rechtspolitik
Gottesbezug in Landesverfassung: Eine Initiative, die die Aufnahme eines Gottesbezuges in die Landesverfassung Schleswig-Holsteins gefordert hat, ist vorerst gescheitert. Ein entsprechender Gesetzentwurf verpasste die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit um eine Stimme. Für Thomas Hahn (Samstags-SZ) ging der Abstimmung eine moderne Wertedebatte vorher, die von der Einsicht getragen worden sei, dass nicht nur das Christentum zu Deutschland gehöre. Diese Einsicht hätte gelitten, wenn jemand "einen Abstimmungserfolg als Sieg des Christentums gefeiert hätte". Auch Martin Rath (lto.de) begrüßt die Entscheidung. Sie halte den Weg frei für eine Präambel, die ein Formular beinhaltet, in das der Bürger eine höhere Macht seiner Wahl eintragen kann.
Bauvertragsrecht: Die geplante Reform des Bauvertragsrechts ist laut einem Gutachten des Verfassungsrechtlers Ulrich Battis, über das die Montags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet, in Teilen verfassungswidrig. Es geht um das sogenannte Anordnungsrecht. Danach kann der Besteller bei nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage einseitig Änderungen des Vertrags anordnen. Diese Abweichung vom Grundsatz "pacta sunt servanda" verstoße gegen die Berufsfreiheit des Bauunternehmers, so Battis.
GWB-Reform: Jens Steger (Handelsblatt-Rechtsboard) erläutert die geplante Reform des Wettbewerbsrecht. Laut Montags-Tsp (Jost Müller-Neuhof) stößt diese bei Journalisten auf Protest. Nach dem Gesetzentwurf haben Journalisten kein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn sie in Besitz von Beweismaterial für Schadensersatzprozesse wegen Kartellverstößen sind.
Überwachungstechnologien: Die EU-Kommission plant den Export von Überwachungstechnologien durch eine Änderung der Dual-Use-Verordnung stärker zu regulieren. netzpolitik.org (Simon Rebiger) fasst die wesentlichen Punkte des geleakten Entwurfs zusammen.
Justiz
BGH zu Zusatzrente: Die Samstags-FAZ (Barbara Brandstetter) befasst sich mit einem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs, das die Berechnung der Zusatzversorgung von Beschäftigen des öffentlichen Dienstes nach der Systemumstellung im Jahr 2001 für unwirksam erklärt hat. Jetzt müssen die Tarifparteien neu verhandeln.
OLG Düsseldorf zur Übernahme von Kaiser’s Tengelmann: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat einen Antrag von Edeka-Anwälten, einige Sätze aus dem Eilbeschluss zu streichen, zurückgewiesen, berichtet die Montags-SZ (Michael Kläsgen). Unter anderem ging es um die gerichtliche Feststellung, dass es "Geheimgespräche" zwischen Wirtschaftsminister Gabriel und den Unternehmensleitungen gegeben hat. Außerdem hat das Gericht im Hauptsacheverfahren einen Hinweisbeschluss gefasst, der die wesentlichen Kritikpunkte an dem Vorgehen des Wirtschaftsministeriums wiederholt, schreibt die Samstags-BadZ (Christian Rath).
Der Rechtsanwalt und Wirtschaftsrechtsexperte Stephan Gerstner drückt in einem Gastbeitrag für den Focus seinen Wunsch aus, dass der BGH über den Fall entscheidet. Es gehe um die "auch verfassungsrechtlich abzuarbeitende Frage, wie die schwierige Balance zwischen der inhaltlichen Kontrolle komplexer Entscheidungen der Exekutive und der Gewährleistung der grundlegenden Verfahrensrechte aller Beteiligten gehalten werden kann".
BVerfG – Vergangenheitsbewältigung: Im Audio-Podcast von lto.de befasst sich Michael Reissenberger mit der Bewältigung der NS-Vergangenheit durch das Bundesverfassungsgericht. Dabei analysiert er die SRP-Verbots-Entscheidung, das 131er-Urteil, sowie die Lüth-Entscheidung, die heute zur "DNA der Bundesrepublik" gehören würden.
HVerfG zu Härtefallkomission: Die Hamburger AfD-Fraktion ist mit einem Antrag an das Hamburgische Verfassungsgericht gescheitert. Sie sah sich in ihren Rechten verletzt, weil ihre Mitglieder nicht in die Härtefallkommission gewählt wurden, die sich mit Härtefallersuchen ausreisepflichtiger Ausländer befasst. Das Gericht wies den Antrag als unzulässig ab, weil es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handele. Ronald Steiling (lto.de) analysiert die Entscheidung.
OLG Düsseldorf – Loveparade: Anlässlich des sechsten Jahrestages des Unglücks bei der Loveparade befasst sich Jost Müller-Neuhof (Montags-Tsp) mit der juristischen Aufarbeitung. Die Entscheidung, die mittlerweile das Oberlandesgericht Düsseldorf zu treffen habe, sei keine Frage des guten Willens, sondern eine Frage des Rechts.
LG Gießen zu Ecstasy-Party: Das Landgericht Gießen hat einen Narkosearzt wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Anästhesist hatte mit seiner Ex-Freundin Ecxtasy-Pillen geschluckt und trotz der daraus resultierenden lebensbedrohlichen Situation versucht, sie selbst zu behandeln, statt Hilfe zu holen. Der Spiegel (Julia Jüttner) schildert den Fall.
LG Potsdam – Silvio S.: Am morgigen Dienstag ergeht das Urteil im Verfahren gegen Silvio S., der wegen Mordes an zwei Kindern angeklagt ist. Die FAS (Julia Schaaf) und die Montags-SZ (Verena Mayer) lassen den Prozess Revue passieren.
StA Dresden zu Hasskommentar: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat laut Samstags-FAZ (Stefan Locke) und Samstags-taz (Michael Bartsch) das Verfahren gegen einen Internetnutzer eingestellt, der einen Bericht über mutmaßliche Diebe aus Rumänien auf Facebook mit dem Satz "gleich erschießen dieses dreckspack" kommentiert hatte. Der Kommentar erfülle nicht den Tatbestand der Volksverhetzung und stelle mangels Bestimmtheit auch keinen Aufruf zu Straftaten dar.
Kunst vor Gericht: Der Germanist Georges Felten schildert in der Samstags-FAZ die verschiedenen Verfahren, die in den Fünfzigerjahren wegen des damals erschienenen Romans "Seelandschaft mit Pocahontas" von Arno Schmidt geführt wurden. Dem Literaten wurde Gotteslästerung und Pornographie vorgeworfen.
Recht in der Welt
Frankreich – Lagarde: Der Oberste Gerichtshof in Frankreich hat entschieden, dass sich die IWF-Chefin Christine Lagarde wegen "Fahrlässigkeit im Amt" vor Gericht verantworten muss, berichtet die Samstags-SZ (Leo Klimm). Ihr wird vorgeworfen, als französische Finanzministerin auf Staatskosten Zahlungen an den Geschäftsmann Bernard Tapie gebilligt zu haben. In einem gesonderten Kommentar begrüßt Claus Hulverscheidt (Samstags-SZ) das Verfahren, meint jedoch, dass Lagarde das Amt nicht ruhen lassen solle.
Polen – Verfassungsgericht: Das polnische Parlament hat das Gesetz beschlossen, das die Macht des Verfassungsgerichts beschneidet. Das Gesetz wurde zwar überarbeitet, verstößt jedoch immer noch gegen die Vorgaben der Venedig-Kommission des Europarates, so die Samstags-SZ (Florian Hassel).
Türkei – Notstandsfall: Die Samstags-SZ (Detlef Esslinger) befasst sich mit der Möglichkeit im Notstandsfall die Europäische Menschenrechtskonvention auszusetzen. Dies setze voraus, dass der Europarat umfassend über die getroffenen Maßnahmen und deren Gründe informiert wird, was die Türkei bisher noch nicht getan habe.
USA – Starviolinist: Die Samstags-SZ (Peter Richter) bringt eine Reportage über den deutschen Geiger Stefan Arzberger, der ein Jahr und vier Monate in New York festsaß, weil ihm ein versuchter Mord vorgeworfen wurde.
USA – Raubkopien: Die bayerische Firma Bitmanagement verklagt die US-Regierung auf 600 Millionen Dollar Schadensersatz, weil die US-Marine unerlaubt Software kopiert haben soll, berichtet die Samstags-SZ (Sebastian Jannasch).
Sonstiges
Weltrechtsprinzip: Der syrische Rechtsanwalt Ibrahim Alkasem schildert auf zeit.de die Probleme und Herausforderungen bei der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes. Weil Prozesse vor syrischen oder internationalen Gerichte nicht in Aussicht sind, sei die Aktivierung europäischer Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip erforderlich.
Cornelius Gurlitt: Im Interview mit dem Spiegel (Ulrike Knöfel/Dietmar Hipp) spricht Christoph Edel über die Zeit mit Cornelius Gurlitt. Der Rechtsanwalt war Betreuer des verstorbenen Kunstsammlers und hat im Streit um dessen Erbe eine Schlüsselrolle.
Arbeitnehmer in der Türkei: Im Interview mit spiegel.de (Kristin Haug) erklärt der Rechtsanwalt Roland Czycholl, welche Rechte deutsche Arbeitnehmer haben, die in die Türkei entsendet wurden und sich dort nicht mehr sicher fühlen.
Germanwings-Absturz: Im Gespräch mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) erklärt der Strafverteidiger Hans Steffan, wann Angehörige und sonstige nahestehende Personen von Straftätern haftbar gemacht werden können. Anlass ist die Strafanzeige des Vaters eines Opfers vom Germanwings-Absturz gegen Eltern und Freundin des Piloten.
Juristische Ausbildung
Petra Hinz: Die FAS (Timo Steppat) schildert die Geschichte der Bundestagsabgeordneten Petra Hinz, deren Lüge über ein angeblich abgeschlossenes Jurastudium aufgeflogen ist. Laut WamS (Sascha Lehnartz) ist der Wunsch einen "Seriositätsnachweis mittels Fiktion eines Jurastudiums zu erbringen" spezifisch deutsch.
Das Letzte zum Schluss
Bierkrugprügelei: Wer mit einem Bierkrug auf den Schädel eines anderen Menschen einschlägt, wird in der Regel wegen gefährlicher Körperverletzung bestraft. Todesfälle sind jedoch überraschend selten.* Wie der Spiegel (Frank Thadeusz) berichtet, hat die Rechtsmedizin jetzt herausgefunden, woran das liegt. Beim Anstoßen bilden sich Mikrorisse, die das Gefäß brüchiger und damit weniger gefährlich machen. Na dann: Prost!
* Dieser Satz wurde auf Hinweis eines Lesers (s.u. bei Kommentare) korrigiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. Juli 2016: Reaktionen auf Amoklauf / Übernahme von Kaiser’s Tengelmann / Verfahren gegen Lagarde . In: Legal Tribune Online, 25.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20093/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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