Forenbetreiber haften für die Hasskommentare ihrer Nutzer je nach Einzelfall. Außerdem in der Presseschau: Die neuen EU-Abgastests sind beschlossene Sache, die MPU-Promillegrenze soll gesenkt werden und Erledigungsdruck in der Justiz.
Thema des Tages
EGMR zu Haftung für Hasskommentare: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass ungarische Gerichte die Meinungsfreiheit aus Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt haben, indem sie zwei Betreiber von Internetforen für die Hasskommentare ihrer Nutzer zu Lasten einer Immobilienmakler-Firma haften ließen. Damit begebe sich der EGMR jedoch nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung in der Rechtssache Delfi aus dem vergangenen Jahr, mit der die Haftung eines Forenbetreibers bestätigt worden war, schreibt der Rechtsanwalt David Ziegelmayer auf lto.de. Vielmehr habe der Gerichtshof deutlich gemacht, dass es auf den Einzelfall ankomme. Im aktuellen Fall seien die Kommentare der Nutzer nicht eindeutig rechtswidrig und gegen ein Unternehmen gerichtet gewesen, dessen Persönlichkeitsrecht von gerigerem Gewicht als das natürlicher Personen sei. In der Rechtssache Delfi sei es dagegen um den Aufruf zu Gewalt gegen eine individualisierbare natürliche Person gegangen.
Rechtspolitik
Privacy Shield: Zum von der EU und den USA neu ausgehandelten Datenschutzabkommen "Privacy Shield" merkt Christian Rath (taz) an, dass dessen Standards nicht ausreichen. So sei zwar zugesagt worden, dass es keine unterschiedslose Überwachung von europäischen Daten mehr geben solle und eine Ombudsstelle geschaffen werde. Diese Zusicherungen würden aber nur brieflich und nicht durch eine verbindliche Änderung von US-Gesetzen erfolgen. Von der Ombudsstelle sei derzeit nicht mehr als "ein machtloser Briefkasten-Onkel" zu erwarten. Für Heribert Prantl (SZ) ist das Abkommen alter Wein in neuen Schläuchen. Die superlaschen Regeln seien durch lasche ersetzt worden, welche Lichtjahre hinter dem von der Europäischen Grundrechtecharta geforderten Datenschutzniveau zurückblieben.
EU-Abgastests für Dieselfahrzeuge: Das Europaparlament hat sich auf neue Abgastests geeinigt. Die Emissionen von Dieselfahrzeugen werden künftig auf der Straße und nicht mehr im Labor überprüft; die bislang geltenden Grenzwerte dürfen dabei allerdings deutlich überschritten werden. Darüber berichten SZ (Alexander Mühlauer) und taz (Eric Bonse).
Bargeld-Limit: Zur von der Bundesregierung anvisierten Begrenzung von Bargeldgeschäften auf 5.000 Euro müsste das nationale Geldwäschegesetz geändert werden, das derzeit ohnehin überarbeitet wird, weil Deutschland die 4. EU-Geldwäscherichtlinie umsetzen muss, schreibt SZ (Cerstin Gammelin u.a.). Es sei jedoch zweifelhaft, ob eine solche Obergrenze national gesetzt werden dürfe, da die Euro-Ausgabe als Zahlungsmittel europarechtlich geregelt sei, was für die Verwendung der Währung womöglich auch gelte. Nach Ansicht von Marc Beise (SZ) geht es bei dem Vorhaben vor allem um Kontrolle. Bargeld sei "geprägte Freiheit" und wenn es abgeschafft werde, sei Big Brother nicht mehr weit.
Asylpaket II: Das Bundeskabinett hat das sogenannte Asylpaket II beschlossen. Kernpunkte sind die beschleunigte Abwicklung von Asylverfahren und Abschiebungen sowie die Einschränkung des Familiennachzugs. Die Neuregelungen im Einzelnen stellen spiegel.de (cht) und taz (Christina Schmidt) vor.
Kulturschutzgesetz: Der Rechtsanwalt Carl-Heinz Heuer kritisiert in der FAZ, dass die im Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kulturschutzgesetzes vorgesehene Exportgenehmigung den aus Art. 14 Grundgesetz fließenden Anforderungen an Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums nicht genüge. Aufgrund der Eingriffsintensität von Veräußerungsverboten unterlägen diese strengsten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei daher geboten, dass Wesentliches vom Gesetzgeber selbst festgelegt werde. Dem werde der Verweis auf ein Überwiegen von wesentlichen Belangen des deutschen Kulturgutbesitzes nicht gerecht.
Buchpreisbindung für E-Books: Wie die taz meldet, soll sich nach einem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf die gesetzliche Buchpreisbindung künftig auch auf E-Books erstrecken.
Promillegrenze für MPU: Der Verkehrsgerichtstag in Goslar empfiehlt eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung gemäß § 13 Fahrerlaubnisverordnung künftig schon bei Trunkenheit am Steuer ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille und nicht mehr wie bisher 1,6 Promille anzuordnen. Über den Vorschlag berichtet die Fachanwältin für Verkehrsrecht Ulrike Dronkovic im Interview mit lto.de (Marcel Schneider).
Justiz
BVerfG – Vorratsdatenspeicherung: Die Informatikerin Constanze Kurz gibt auf netzpolitik.org die Erklärung zur Vorratsdatenspeicherung wieder, welche von Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheuser-Schnarrenberger anlässlich ihres dagegen angestrengten Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht abgegeben wurde.
BGH zu Preisangabe bei Bezahlnummern: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Preisangabe für eine kostenpflichtige Servicerufnummer im Rahmen eines sogenannten Sternchenhinweises auch bei relativ kleiner Schriftgröße dem Erfordernis der deutlichen Sichtbarkeit aus § 66a S. 2 Telekommunikationsgesetz genügt, wenn das Schreiben sehr übersichtlich gestaltet und der Text der Fußnote deutlich abgesetzt ist. Darüber berichtet internet-law.de (Thomas Stadler).
OLG Stuttgart – Schrempp: Das Oberlandesgericht Stuttgart wird sich in dieser Woche zum dritten Mal mit der Frage befassen, ob es sich beim Rücktritt Jürgen Schrempps vom Vorstandsvorsitz der Daimler AG schon vor dem darüber gefassten Aufsichtsratsbeschluss um eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation handelte. Die Frage wurde erneut relevant, nachdem der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren die Rechtsauffassung kundgetan hatte, dass auch schon die Weichen für die Verwirklichung eines Ereignisses stellende Zwischenschritte, wie die Information des Aufsichtsratsvorsitzenden über den beabsichtigten Rücktritt, veröffentlichungspflichtig sind. Über das Verfahren berichten der Rechtsanwalt Thomas Gennert auf lto.de und die FAZ (Susanne Preuß).
OLG Hamm zu Volksverhetzung durch "U-Bahn-Lied": Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass das sogenannte "U-Bahn-Lied", mit welchem zum Ausdruck gebracht wird, eine U-Bahn von Jerusalem nach Auschwitz bauen zu wollen, den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch erfüllen kann und damit die Verurteilung zweier Anhänger des Fußballclubs Borussia Dortmund durch das Amtsgericht Dortmund bestätigt. Die Entscheidung gibt lto.de wieder.
LG Münster – Betonmischer als Mordwaffe: Wie die FAZ (Reiner Burger) meldet, hat vor dem Landgericht Dortmund ein Prozess gegen einen 57 Jahre alten Mann begonnen, der seinen früheren Arbeitskollegen aus Eifersucht heimtückisch mit einem Betonmischer ermordet haben soll.
LG Berlin zu Facebook-Zugang der Erben: Nun berichtet auch internet-law.de (Thomas Stadler) über die Entscheidung des Landgerichts Berlin nach der die Erben gegenüber Facebook grundsätzlich Anspruch auf Zugang zum Facebook-Account des verstorbenen Erblassers haben.
LAG Nürnberg zu Raucherpausen: Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 5. August 2015 ensteht kein Anspruch auf vergütete Raucherpausen, wenn diese von den Arbeitnehmern in unterschiedlicher Länge eingelegt werden. Insofern fehle es nämlich an einer gleichförmigen Wiederholung, berichtet der Rechtsanwalt Ali Machdi-Ghazvini auf Handelsblatt-Rechtsboard.
StA Berlin – Autorennen KuDamm: Anlässlich der Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Totschlags gegen die Beteiligten eines illegalen Autorennens auf dem KuDamm, bei dem ein Mensch gestorben war, befasst sich der Rechtsprofessor Henning Ernst Müller auf blog.beck.de mit der Frage, ob die Beteiligung an einem Autorennen ein Totschlagsversuch ist.
Erledigungsdruck: Die Zeit (Constantin van Lijnden) portraitiert den Richter am Oberlandesgericht Schulte-Kellinghaus, der sich – nach Niederlagen in den Vorinstanzen – derzeit am Bundesgerichtshof gegen eine Ermahnung durch seine frühere Gerichtspräsidentin Christine Hügel wegen seiner 32 Prozent unter dem Durchschnitt liegenden Erledigungsrate wehrt.
Recht in der Welt
Großbritannien – Brexit: Auf verfassungsblog.de spricht sich der Autor Federico Fabbrini in englischer Sprache dafür aus, den britischen Forderungen nach einer Sonderrolle innerhalb der EU nicht nachzugeben und stattdessen darauf zu pochen, dass es die EU nur als Gesamtpaket gebe. Die berechtigten Forderungen Großbritanniens nach Reformen sollten zum Anlass für eine umfassende Verfassungsreform genommen und der Brexit so zum Anlass für eine Stärkung der Union genommen werden.
Frankreich – Sicherheitsgesetz: Wie die SZ (Christian Wernicke) schreibt, hat Frankreich den seit November geltenden Ausnahmezustand bis Ende Mai verlängert und will durch ein Gesetz, das schnellere Festnahmen sowie Abhörmaßnahmen und Kontrollen von Reisenden ohne richterliche Überprüfung erlaubt, die Notstandsmaßnahmen auch darüber hinaus festschreiben.
Marokko – EU-Handelsabkommen: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Herwig Wutscher bespricht auf juwiss.de die Entscheidung des Europäischen Gerichts mit welcher der Ratsbeschluss zum Abschluss eines Handelsabkommens zwischen der EU und Marokko teilweise aufgehoben wurde, weil die EU seiner extraterritorialen Pflicht zur Berücksichtigung von Grundrechten beim Abschluss von Freihandelsabkommen nicht hinreichend nachgekommen ist.
Sonstiges
Soziale Forderungen: In der FAZ sinniert Rechtsprofessor Josef Isensee über die Frage, was von Flüchtlingen in Deutschland erwartet werden kann. Die erste Regel sei die Beachtung des geltenden Rechts, insbesondere des Strafrechts. Zudem enthalte das Grundgesetz die ungeschriebene Grundpflicht, die Zumutungen der Freiheit des anderen auszuhalten.
Schulbesuche des Verfassungsschutzes: Wie der Journalist Matthias Monroy auf netzpolitik.org konstatiert, hat der Berliner Verfassungsschutz seine Schulbesuche im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Es würden Informationsveranstaltungen über extremistische Bestrebungen abgehalten, wofür es dem Verfassungsschutz am Mandat fehle. Denn damit werde politische Bildung betrieben, wofür die Landes- oder Bundeszentrale für politische Bildung zuständig sei und nicht der Verfassungsschutz, dessen gesetzlicher Auftrag das Sammeln und Auswerten von Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sei.
Fitness-Daten: Nach einem Bericht der Studentin Andrea Jonjic auf netzpolitik.org schützen die Hersteller sogenannter Fitness-Tracker die Daten ihrer Nutzer nur unzureichend und verwenden sie zum Teil kommerziell für Analysen oder zur Weitergabe an staatliche Behörden. Der Europäische Datenschutzbeauftragte Giovanni Buttarelli habe diese Art von Daten im Mai 2015 als persönliche Daten definiert, sofern sie Rückschlüsse über die Gesundheit einer Person zulassen.
Unfreiwillige Helfer: In einem Gastbeitrag in der SZ merkt der Internetkritiker Evgeny Morozov an, wie Millionen Internetnutzer von Konzernen wie Google als unfreiwillige Helfer für das Training Künstlicher-Intelligenz-Software benutzt werden und wirft die Frage auf, wie ein vollständig demokratischer Zugang zu diesen Daten aussähe.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. Februar 2016: EGMR zu Hasskommentaren / Neue Abgastests / Erledigungsdruck . In: Legal Tribune Online, 04.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18367/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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