Nach einem Grundsatzurteil des BGH sind Raucher auch auf dem eigenen Balkon nicht mehr frei, sich dem Qualmen unbeschränkt zu widmen. Außerdem in der Presseschau: verfassungswidrige Schiedsgerichtsklauseln, Whistleblower in der Schmuddelecke, Atommüll in Brunsbüttel jetzt ohne Genehmigung, Özdemir und die Cannabispflanze, Demonstrationsverbot in Dresden und ein Bankraub, der vielleicht doch Kunst war.
Thema des Tages
BGH zu Balkonrauchen: Der Bundesgerichtshof hat am Freitag entschieden, dass nicht jeder auf seinem Balkon rauchen darf so viel und wann er will. Die Kläger fühlten sich durch die unter ihnen auf dem Balkon rauchenden Nachbarn belästigt. In erster Instanz wies man sie ab, weil den Rauch von 12 bis 20 Zigaretten zu ertragen nicht unzumutbar sei. In zweiter Instanz hieß es, das Rauchen gehöre zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung. Der BGH jedoch forderte eine Abwägung der beiderseitigen Interessen und verwies auf das Gebot der Rücksichtnahme, der Mietvertrag regele nur das Verhältnis zum Vermieter. Im Einzelfall könne das Rauchen durchaus das zulässige Maß übersteigen, wenn ein "verständiger durchschnittlicher Mensch" es für eine "wesentliche Beeinträchtigung" halte. Feste Zeiten fürs Rauchen können laut BGH die beiderseitigen Interessen am besten in Einklang bringen. Welche Zeiten das in diesem Fall sein werden, muss nun das Landgericht Potsdam klären. Es berichten unter andem Samstags-FAZ (Helene Bubrowski), Badische Zeitung (Christian Rath), SZ am Wochenende (Wolfgang Janisch), Samstags-Welt (Norbert Schwalb) und Rechtsanwalt Dominik Schüller auf lto.de.
Rechtspolitik
Schiedsgerichtsklausel verfassungswidrig: Laut Bericht der Montags-SZ (Silvia Liebrich) hat der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Siegfried Broß ein Gutachten zu den Schiedsgerichtsklauseln internationaler Abkommen wie Ceta und TTIP erstellt, welches diese Woche veröffentlicht wird. Danach gebe der Staat mit den Klauseln in einer Weise Souveränität ab, für die es in der Verfassung keine Legitimationsgrundlage gebe. Staatliche Schiedsgerichte hält Broß für eine gangbare Alternative.
Whistleblower: Über die rechtlichen und tatsächliche Situation von Whistleblowern in Unternehmen schreibt die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski). Sie stünden in Deutschland bisher noch in der Schmuddelecke und müssten Konsequenzen fürchten. Lediglich etwa 40 Prozent der Unternehmen hätten Whistleblowing-Programme. Die Erkenntnis, dass frühzeitige interne Meldung dem Unternehmen nutze, werde letztlich den derzeitigen Missstand beenden, selbst wenn ein gesetzgeberischer Eingriff weiterhin nicht erfolge.
Der Spiegel (Martin Hesse/Michael Rosenbach) schreibt über die "Whistleblower-Richtlinie" der deutschen Bank, die eine umfassende Meldeverpflichtung unter Sanktionsandrohung statuiert und als zu einseitige Belastung der Mitarbeiter kritisiert wird.
Bekenntnisbeschimpfung: Auch die Samstags-taz (Christian Rath) gibt nun einen Überblick über die Geschichte des § 166 des Strafgesetzbuches – das "Blasphemieverbot", dass den öffentlichen Frieden schützt – und die ihn umgebenden rechtspolitischen Positionen. Markus Günther (FAS) befürwortet eine Abschaffung, ein Blick auf die eigenen Empfindlichkeiten könne jedoch zu freiwilliger Rücksichtnahme motivieren. Auch Heribert Prantl (Montags-SZ) meint, Respekt ließe sich nicht mit Strafnormen durchsetzen. Äußerung von Hass und Hetze würden als Volksverhetzung erfasst. Jürgen Kaube (FAZ) hält es für wichtig zu betonen, dass Menschen Respekt geschuldet ist, nicht aber Religionen oder Ansichten als solchen.
Staat und Religion: Christiane Hoffmann (Der Spiegel) meint, dass eine Weiterentwicklung des Verhältnisses von Staat und Religionen erforderlich sei. Der Islam gehöre zu Deutschland, deshalb müsse das säkulare System einer multikulturellen Gesellschaft angemessen gestaltet werden. Eine Entwicklung hin zum Laizismus entspreche den Deutschen nach ihren Überzeugungen und der historischen Tradition jedoch nicht.
Vorratsdatenspeicherung: Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung Mindestvorgaben gemacht, die besser noch strenger erfüllt werden sollten, meint der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier laut Spiegel. Der Vize-Vorsitzende der FDP Wolfgang Kubicki spricht sich in der Montags-Welt für das Quick-Freeze-Verfahren – Einfrieren von Kommunikationsdaten nach einer Straftat – aus, sowie für mehr Personal bei den Sicherheitsbehörden. Die Welt (Thorsten Jungholt) weist darauf hin, dass im Spannungsfeld der juristischen Ansichten die Politik über "ob, wann und wie" nach ihren Maßstäben entscheiden werde.
Justiz
BVerwG zu Brunsbüttel: Das Oberverwaltungsgerichts Schleswig hat im Jahr 2013 die Genehmigung zur Lagerung hoch radioaktiven Mülls im Zwischenlager Brunsbüttel aufgehoben, Sicherheitsrisiken waren nicht ausreichend ermittelt worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem nun veröffentlichten Beschluss vom 8. Januar die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundesamtes für Strahlenschutz gegen das Urteil des OVG abgewiesen. Der Müll wird vorerst in Brunsbüttel geduldet und ein neues Genehmigungsverfahren wird wohl eingeleitet, melden SZ am Wochenende (Michael Bauchmüller) und lto.de.
LG Köln zu Prominenten-Ausrastern: Prominente müssen die Dokumentation ihrer Existenz – etwa beim Warten mit der Familie am Flughafen – nicht unbedingt dulden. Dass auch ein eventueller Ausraster bei der Abwehr zudringlicher Reporter kein zeitgeschichtliches Ereignis ist, dessen Veröffentlichung zu dulden ist, entschied das Landgericht Köln, wie der Spiegel (Martin U. Müller) meldet, in einem Eilverfahren Herbert Grönemeyers gegen die Bild-Zeitung. Eine Bestätigung in der Hauptsache könnte von grundlegender Bedeutung sein.
LAG Düsseldorf – Schienenkartell: Am morgigen Dienstag findet vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Berufungsverhandlung im Schadensersatzprozess von Thyssen-Krupp gegen einen ehemaligen Manager des Unternehmens statt, meldet die Samstags-FAZ. Der Konzern wirft dem Beklagten – in der wohl höchsten Schadensersatzklage vor einem Arbeitsgericht – vor, zumindest von den Kartellabsprachen gewusst zu haben, die zum sogenannten Schienenkartell führten und eine Geldbuße von 191 Millionen Euro nach sich zogen, berichtet blog.beck.de (Markus Stoffels).
LG München I – Fitschen u.a.: Im Verfahren gegen Jürgen Fitschen und andere (ehemalige) Vorstände der deutschen Bank hat das Landgericht München I den Verteidigern eine letzte Frist bis Ende Januar gesetzt. Spätestens im Mai soll über die Zulassung der Anklage entschieden werden. Ob dies durch den aus dem Ecclestone-Prozess bekannten Vorsitzenden Peter Noll geschieht, ist jedoch noch nicht klar, er hat sich ans Oberlandesgericht beworben, berichtet das Handelsblatt (Kerstin Leitel).
StA-Berlin – Özdemirs Cannabis: Wie unter anderem die Montags-Welt (Claudia Kade/C.C. Mahlzahn) berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Berlin nun Ermittlungen gegen Grünen-Chef Özdemir eingeleitet, wegen der in seinem "Ice Bucket Challenge"-Video sichtbaren Hanfpflanze auf seinem Balkon. Das Verfahren wird wohl wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Özdemir nutzt die Situation zur Kritik an der "gesetzlich vorgesehenen Beschäftigungstherapie für die Staatsanwaltschaften in Sachen Cannabis" und zum Ruf nach Entkriminalisierung.
EuGH – OMT-Verfahren: Rechtsprofessor Fabian Amtenbrink und Rechtswissenschaftler Réné Repasi analysieren auf verfassungsblog.de die Schlussanträge des Generalanwalts Villalón zum OMT-Programm im Hinblick auf den "goldenen Mittelweg", den der Europäische Gerichtshof finden müsse, um keinen direkten Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht zu riskieren.
EGMR zum Umgangsrecht: Wolfgang Janisch (SZ am Wochenende) kommentiert – vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Umgangsrecht – die Machtlosigkeit des Rechts beim Versuch das Kindeswohl zu schützen, wenn das Fehlen von Verständigung und Verstand die alltägliche Praxis des Streites zwischen den Eltern bestimme.
Bettina Wulff vs. Google: Im Streit zwischen Bettina Wulff und Google wurde das Verfahren am Donnerstag – einen Tag vor Prozessbeginn – durch Vergleich beigelegt. Google hat die umstrittenen Ergänzungen des Sucheintrags zu Wulffs Namen, wie "Escort", die auf Gerüchten um ihre Person gründeten, entfernt und so eine gerichtliche Entscheidung über eine mögliche Löschpflicht verhindert, meldet die Samstags-FAZ.
Recht in der Welt
Belgien – Sterbehilfe in Haft: Rechtsprofessor Marten Breuer setzt sich auf lto.de mit dem Fall van den Bleeken auseinander, erläutert die Defizite im belgischen Straf- und Maßregelvollzug, die zum Todeswunsch des Gefangenen führten und warum es ein ungeheurer Skandal gewesen wäre, wenn ihm der Wunsch erfüllt worden wäre.
Sonstiges
CIA-Folterreport auf deutsch: Am heutigen Montag erscheint die knapp 600-seitige Zusammenfassung des CIA-Folterreports in deutscher Übersetzung. Im Interview mit der Montags-taz (Bernd Pickert) äußern sich Wolfgang Nescovic, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und Herausgeber des Berichts, und der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning (Ines Pohl). Die Montags-taz druckt Ausschnitte des Berichts und bringt ein Dossier mit zahlreichen Artikeln zum Thema Folter: zur aktuellen Stimmung in den USA (Dorothe Hahn); zur Notwendigkeit der Verfolgung und Ahndung von Folteranwendung (Selima Caliskan); zu Folter in georgischen Gefängnissen (David Jishkariani); zur Umfrage über die Haltung zur Folter unter Jurastudenten (Christian Rath) sowie zur Diskussion um den Fall Daschner (Jan Feddersen).
Der Spiegel (Britta Sandberg) berichtet über das Tagebuch eines Guantanamo-Gefangenen, dass ebenfalls als Buch erschien und druckt Auszüge ab.
Demoverbot in Dresden: Die Versammlungsbehörde in Dresden hat für den heutigen Montag jegliche Versammlung unter freiem Himmel untersagt, berichtet die SZ (Jan Bielicki – Onlinemeldung). Es habe einen Aufruf gegeben, "zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams der Pegida-Demonstrationen zu begehen". Für andere Städte wie etwa München, wird die Gefahr nicht als konkret eingestuft und die Demonstrationen können stattfinden.
Separat kommentiert Jan Bielicki (Montags-SZ), dass das Demonstrationsverbot alle angehe. Der (auch berechtigten) Angst vor dem Terror die Meinungsfreiheit zu opfern, könne keine dauerhafte Lösung sein. Was Pegida inhaltlich vertrete sei unerheblich. Auch Reinhard Veser (Montags-FAZ) meint, die richtige Reaktion auf die Drohungen gegen die Kundgebungen sei "Wir sind Dresden", während die (verbale) Auseinandersetzung mit Pegida-Ansichten weitergeführt werden müsse.
Papier im Interview: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier spricht im Interview mit der Samstags-Welt (Jochen Gaugele) unter anderem über den Ursprung der Werte des Grundgesetzes, die Meinungsfreiheit auch für irrige Meinungen, den möglichen Einfluss von Terrorismusgefahren auf die Rechtsprechung zu § 166 des Strafgesetzbuches und die Notwendigkeit eines Zuwanderungsgesetzes.
Pressefreiheit: Der ehemalige Chefredakteur der Zeit und Verleger der "Satanischen Verse" Michael Naumann spricht im Interview mit dem Tagesspiegel (Anna Sauerbrey/Jost Müller-Neuhof) über die Bedeutung der Pressefreiheit und die ihr begegnenden Gefahren. Die WamS (Ulli Kulke) beschreibt das Verhältnis Friedrichs des Großen zu Pressefreiheit und Zensur. Die Samstags-Welt (Hannes Stein) berichtet, wie John Milton 1644 die Pressefreiheit erfand, weil die Wahrheit nicht ohne Falschheit bestehen könne.
Veröffentlichung von geleakten Informationen: Im Sonderteil zum Deutschen Medienkongress 2015 setzt sich die WamS (Katharina Lehmann) mit den moralischen und rechtlichen Grenzen der Veröffentlichung von geleakten oder aus dubiosen Quellen stammenden, sensiblen Daten auseinander.
Firmeninternes Terroristenscreening: Die Wochenend-SZ (K. Bialdiga u.a.) setzt sich mit der Praxis von Unternehmen auseinander ihre Mitarbeiter mit den Daten auf Terrorlisten abzugleichen, um Haftungsrisiken – etwa wegen Finanzierung von Terroristen durch Lohnzahlung – zu vermeiden.
Schaar im NSA-Ausschuss: Von der Aussage Peter Schaars vor dem NSA-Untersuchungsausschuss am Freitag, berichtet die Wochenend-SZ (Thorsten Denkler). Der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz hatte die Aktion "Eikonal" kritisiert. netzpolitik.org veröffentlicht eine Mitschrift aus der Sitzung.
Das Letzte zum Schluss
Kriminelle Kunst: Die Samstags-Welt (Michael Remke) berichtet von einem ehemaligen Kunstprofessor, der in New York eine Bank ausgeraubt haben soll. Filmaufnahmen wie er sich selbst Heroin spritzt, seien bereits im Museum Guggenheim ausgestellt waren. Auch bei der Aktion in der Bank habe er sich gefilmt, es handele sich dabei um Kunst. Ob das Gericht das genauso sieht, wird sich zu Prozessbeginn im April zeigen. Da es sich aber schon um die zweite Bank handeln soll, sei er erst einmal nur auf Kaution frei.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. - 19. Januar 2015: Rauchen nach festen Zeiten – CIA-Folterbericht auf deutsch – keine Demo in Dresden . In: Legal Tribune Online, 19.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14407/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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