Ist Frankreich im völkerrechtlichen Sinn im Krieg gegen den Terrorismus? Außerdem in der Presseschau: Notstand im Nachbarland, berufliche Unterforderung als Motiv für Spionage und Konsequenzen mangelnder anwaltlicher Büroorganisation.
Thema des Tages
Krieg und Recht: spiegel.de (Thomas Darnstädt) befragt Rechtsprofessor Claus Kreß zu der vom französischen Präsidenten Francois Hollande abgegebenen Erklärung, sein Land befinde sich im Krieg mit dem IS. Der Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht der Universität Köln erinnert an die französische völkerrechtliche Argumentation vor den Luftschlägen auf IS-Stellungen gegenüber dem Sicherheitsrat der UNO. Die jetzigen Anschläge als kriegerischen Angriff im Sinne des Völkerrechts zu bezeichnen, sei nach den Anschlägen vom 11. September wohl immerhin möglich, auch in diesem Fall dürften weitere Militärschläge aber nicht als Vergeltungs-, sondern nur als Verteidigungshandlungen geführt werden. Hinsichtlich innerstaatlicher Maßnahmen wie Präventivhaft Verdächtiger müsste Frankreich von der Möglichkeit Gebrauch machen, "das Land im Notstand teilweise von der Europäischen Menschenrechtskonvention zu suspendieren".
Nach Reinhard Müller (FAZ) birgt die "umfassende Verwendung des Kriegsbegriffs" auch Gefahren. So würden "kranke Verbrecher" zu Kombattanten aufgewertet. Dabei ließe "sich jede Mobilmachung durch Kriegsrhetorik leichter rechtfertigen". Dass die Bundesregierung in ihrer diesbezüglichen Einschätzung andere Akzente als Frankreich oder die USA setze, sei ihr gutes Recht. Entscheidend sei ohnehin die Wirksamkeit veranlasster Maßnahmen.
Rechtspolitik
Terrorismus: Über die beim G 20-Gipfel in der Türkei vereinbarten Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus berichtet u.a. das HBl (Ozan Demircan). Unter Einbeziehung der Vereinten Nationen sowie bei Einhaltung des internationalen Rechts und der UNO-Konvention für Menschenrechte solle etwa die Bewegungsfreiheit von Terroristen eingeschränkt werden und ein besserer nachrichtendienstlicher Informationsaustausch erreicht werden.
Thomas Stadler (internet.law.de) legt dar, welche Schlussfolgerungen aus den Anschlägen von Paris nicht zu ziehen seien. Erwartbaren Forderungen nach mehr Überwachungsbefugnisse sei entgegenzuhalten, dass Frankreich nicht nur die Vorratsdatenspeicherung, sondern auch die "vielleicht schärfsten Überwachungs- und Antiterrorgesetze in Europa" besitze. Im Gegensatz zu Deutschland habe sich das Land zuletzt auch nicht durch eine "vergleichsweise liberale Flüchtlingspolitik" ausgezeichnet. Zu erinnern sei dagegen an die Reaktion des damaligen norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg, der nach dem Breivik-Attentat als Antwort auf Terrorismus "mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit" verkündete.
Flüchtlinge/Parlamentsrechte: Die Welt veröffentlicht einen offenen Brief Peter Gauweilers an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Der CSU-Abgeordnete beklagte eine faktische Außerkraftsetzung des gesetzlichen Verbots der Einreise ohne Aufenthaltstitel oder des Verbots der Einschleusung in großen Gruppen durch eine Richtlinienentscheidung der Bundeskanzlerin. Für derartige Entscheidungen sei das Parlament zuständig.
Erbschaftsteuer: Die verfassungsgerichtlich angemahnte Reform der Erbschaftsteuer steckt nach Bericht der SZ (Guido Bohsem) in einer Sackgasse. Während in der Regierungskoalition zumindest Einigkeit in der Unzufriedenheit über den von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgelegten Entwurf herrsche, hätten Berechnungen eines Professors für Steuerwirkungslehre ergeben, dass nach dem im Raum stehenden Modell Erben großer Betriebsvermögen in bestimmten Konstellationen von einer sogenannten konfiskatorischen Grenzbelastung bedroht würden.
Leiharbeit/Werkverträge: Ein von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegter Gesetzentwurf sieht schärfere Regeln zu Leiharbeit und Werkverträgen vor. Leiharbeit solle unter anderem auf 18 Monate begrenzt werden, schreibt die SZ (Thomas Öchsner). Der Bericht der FAZ (Dietrich Creutzburg) geht zudem auch auf die im Entwurf vorgesehene "wertende Gesamtbetrachtung" ein, aufgrund derer bestimmt werden solle, wann unzulässige Werkverträge vorliegen.
Steuervermeidung: Die G 20-Staaten haben auf Maßnahmen gegen Steuerflucht internationaler Unternehmen verständigt. Einzelheiten berichtet die FAZ (Manfred Schäfers). Dem Beitrag ist eine weitere Meldung (Hendrick Kafsack) beigefügt, derzufolge sich zahlreiche Unternehmen, die mutmaßlich von Steuerabsprachen mit Luxemburg profitiert hatten, nun doch den Fragen des Luxleaks-Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments gestellt hätten.
Steuerhinterziehung: In einem Gastbeitrag für das HBl fragt Johanna Hey, Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Universität Köln, ob der nun schon neunte Ankauf einer CD mit Steuerdaten durch das nordrhein-westfälische Finanzministerium legal und "mit einem rechtsstaatlichen Besteuerungsverfahren vereinbar" ist. Das Bundesverfassungsgericht habe die Praxis 2011 zwar für zulässig erklärt. Der "wiederholte Ankauf und dessen öffentlichkeitswirksame Bekanntgabe" komme jedoch einer "Aufforderung zu den mit der Datenbeschaffung einhergehenden Straftaten gleich". Angesichts der Strafbewehrung von Geheimnisbruch und Ausspähen von Daten sei fraglich, ob nun noch die gebotene Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gegeben sei. Es wäre Zeit für eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung.
Justiz in Hamburg: Aufgrund eines Berichts der Hamburger Justizverwaltung zur wachsenden Arbeitsbelastung von Gerichten und Staatsanwaltschaften in der Hansestadt stellt Frank Drieschner (zeit.de) fest, dass die wachsende Stadt "nun auch eine wachsende Justiz" brauche. Die zunehmende Spezialisierung von Anwälten bewirke trotz insgesamt sinkender Fallzahlen "aufwendigere Verfahren".
Justiz
BVerwG zu Abschiebung Minderjähriger: Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts können unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auch dann nicht in andere EU-Staaten abgeschoben werden, wenn sie bereits in diesen Staaten Asylanträge gestellt haben. Im Unterschied zu volljährigen Flüchtlingen sei bei Minderjährigen allein der Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, in dem sich der Betroffenen aktuell aufhalte, schreibt welt.de (Sven Eichstädt). Die Entscheidung folge einer entsprechenden Auslegung der Dublin-Bestimmungen durch den Europäischen Gerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 2013.
OLG München – Spionage: Die Berichte von zeit.de (Tom Sundermann) und SZ (Hans Holzhaider) zum Prozessauftakt des wegen Spionagetätigkeit angeklagten ehemaligen BND-Mitarbeiters vor dem Oberlandesgericht München behandeln den beruflichen Werdegang des Angeklagten. Der 32-Jährige sei eher zufällig beim Geheimdienst gelandet und dort nach eigener Aussage unterfordert gewesen. Durch den Kontakt mit der US-amerikanischen CIA habe er die erhoffte Bestätigung erfahren.
LG Würzburg – Bandidos/LKA: Über die nach einer erfolgreichen Revision beim Bundesgerichtshof erneut vor dem Landgericht Würzburg gestartete Verhandlung gegen einen Bandidos-Rocker berichtet die SZ (Olaf Przybilla). Seit der ersten Verurteilung in dieser Sache vor zwei Jahren hätten sich Hinweise verdichtet, dass der auch als V-Mann für das bayerische Landeskriminalamt tätige Angeklagte zahlreiche Straftaten mit Wissen und womöglich sogar auf Veranlassung der Behörde begangen hatte. Die Verteidigung beantragte die Einführung entsprechender Erkenntnisse der Nürnberger Kriminalpolizei in den Prozess, der im Dezember fortgesetzt wird.
LG Dresden – Infinus: Zu Beginn des Verfahrens gegen sechs frühere Manager des Finanzkonzerns Infinus am Landgericht Dresden wurde von der Verteidigung eine Besetzungsrüge erhoben und schließlich abgewiesen. Die Angeklagten müssen sich gegen den Vorwurf gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und Kapitalanlagebetrugs verteidigen, sie sollen durch ein Schneeballsystem Anleger um gut 300 Millionen Euro betrogen haben. Wie sz.de schreibt, behauptet die Verteidigung dagegen, dass der Finanzanbieter ein "tragfähiges Geschäftsmodell" besessen habe und die letztlich eingetretene Insolvenz nur auf den staatlichen Ermittlungen beruhe.
LG Stuttgart – SMS am Steuer: Im Verfahren gegen eine des versuchten Mordes und der fahrlässigen Tötung angeklagte Autofahrerin vor dem Landgericht Stuttgart hielten die Prozessbeteiligten ihre Plädoyers. Für die Staatsanwaltschaft sei es "die einzige logische Erklärung", dass die 19-jährige Angeklagte durch das Schreiben von Kurznachrichten abgelenkt war und daher zwei Radfahrer anfuhr, von denen einer starb, schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt). Weil sie nach dem Unfall einige Kilometer weiterfuhr, liege auch eine Verdeckungsabsicht vor. Dies habe die Verteidugung bestritten.
AG Nördlingen – Zwölf Stämme: Vor dem Amtsgericht Nördlingen hat ein Strafprozess gegen einen 54-Jährigen begonnen, dem vorgeworfen wird, als Lehrer der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme vor neun Jahren ein Kind geschlagen zu haben. Der Angeklagte wies zum Auftakt den Vorwurf zurück. Der Bericht von spiegel.de geht auch auf familiengerichtliche Auseinandersetzungen mit der umstrittenen Gruppe ein.
Steuerfahndung NRW – Cum-Ex-Geschäfte: Nach Informationen des HBl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) ergibt sich aus jüngst vom Land Nordrhein-Westfalen angekauften Steuerdaten, dass die ehemalige Landesbank WestLB zwischen 2006 und 2008 "in ungeheuren Ausmaßen" Cum-Ex-Geschäfte betrieb. Hierzu bereits existierende Gerüchte seien bislang immer dementiert worden.
Recht in der Welt
Frankreich – Notstand: Auch zeit.de stellt nun die erweiterten exekutiven Befugnisse nach dem am Samstag in Frankreich erklärten Notstand dar. Das Notstandsgesetz von 1955 sei bislang nur während der Vorstadtunruhen von 2005 zum Einsatz gekommen. Die jetzigen Festnahmen und Durchsuchungen seien auf Grundlage des verfügten Notstands erfolgt, schreibt die FAZ (Helene Bubrowski) in ihrem Bericht zur Lage im Nachbarland. Das HBl (Tanja Kuchenbecker) stellt Francois Molins vor, der als Pariser Staatsanwalt die Ermittlungen zu den Anschlägen vom vergangenen Freitag leitet.
Großbritannien – Ausbeutung: Das HBl (Heike Anger/Matthias Thibaut) stellt den jüngst in Großbritannien in Kraft getretenen "Modern Slavery Act" vor, durch den sklavereiähnliche Beschäftigungsverhältnisse vermieden werden sollen. Das Gesetz verpflichte Betriebe ab einer bestimmten Umsatzhöhe zu umfassenden Dokumentationspflichten zu den Arbeitsbedingungen im Unternehmen.
Sonstiges
Gefährder: Die "leidlich präzise" Definition des polizeirechtlichen Gefährderbegriffs und hieran anknüpfende Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse erläutert die FAZ (Eckart Lohse). Das Innenministerium gehe im Bereich des islamistischen Terrors derzeit von etwa 420 Gefährdern aus.
NSA-Ausschuss: Nach Informationen von sz.de (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) wird die bislang geheimgehaltene Selektorenliste des Bundesnachrichtendienstes in der kommenden Woche dem Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsauschusses und dessen Obleuten im Kanzleramt nun doch zur Einsicht bereitgestellt.
Kollateralopfer: Für die Rubrik "Politische Bücher" der FAZ bespricht Rechtsprofessor Christian Hillgruber das von Matthias Gillner und Volker Stümke herausgegebene "Kollateralopfer. Die Tötung von Unschuldigen als rechtliches und moralisches Problem." Die Herausgeber lehren als Theologen katholische beziehungsweise evangelische Sozialethik an der Führungsakademie der Bundeswehr und veranstalteten in dieser Funktion ein Symposium, dessen Ergebnisse nun veröffentlicht werden.
Benjamin Ferencz: Die taz (Fabian Tietke) bespricht "A Man Can Make a Difference", einen Dokumentarfilm über Benjamin Ferencz. Der US-amerikanische Jurist war als Mitarbeiter des Chefanklägers Telford Taylor an der Vorbereitung des Nürnberger Kriegsverbrecher beteiligt und vertrat selbst die Anklage im Einsatzgruppen-Prozess, einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse. Später setzte er sich für die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs ein.
Das Letzte zum Schluss
Büroorganisation: Ein von blog.burhoff.de (Detlef Burhoff) mitgeteilter Beschluss des Kammergerichts behandelt den zurückgewiesenen Versuch der Berliner Staatsanwaltschaft, einen Verteidiger wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung von einem Verfahren ausschließen zu lassen. Der Anwalt hatte sich offenbar mit einer Aktenrückgabe verspätet. Dass hierbei das "voluntative Element der Strafvereitelung" eine Rolle spielte, mochte das KG im Gegensatz zur Anklagebehörde aber nicht erkennen. Vielmehr ließen die Umstände, etwa der von Polizisten "geschilderte Zustand des Arbeitszimmers", erkennen, dass berufliche und private Überlastung zur versäumten Rückgabe geführt hatten. Im zugrundeliegenden Verfahren stand eine Geldstrafe gegen die Mandantin des überlasteten Anwalts im Raum.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. November 2015: Krieg und Recht / Unterforderter Spion / Notstand in Frankreich . In: Legal Tribune Online, 17.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17558/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
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