Das BVerwG wies am Mittwoch die Klage einer Mutter auf Einrichtung eines Ethikunterrichts ab der ersten Klasse ab. Außerdem in der Presseschau: umstrittene Änderungen des Sexualstrafrechts, Ex-Minister Deubel muss wegen Untreue ins Gefängnis, Anzeigen wegen Vergewaltigung führen zu weniger Verurteilungen und warum ein Agent Sozialleistungen zurückzahlen muss.
Thema des Tages
BVerwG zum Ethikunterricht: Eltern von konfessionslosen Kindern haben keinen Anspruch auf Ethikunterricht ab der Grundschule, entschied am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht. Geklagt hatte eine Mutter dreier konfessionsloser Kinder aus Baden-Württemberg, wo Ethik als Ersatzfach zum Religionsunterricht erst ab der siebten Klasse angeboten wird. Die Klägerin sah darin eine ungerechtfertigte Benachteiligung und forderte die Einführung eines Ethikunterrichts ab der ersten Klasse. Das Bundesverwaltungsgericht wies ihre Klage mit der Begründung ab, der Religionsunterricht dürfe aufgrund seiner Verankerung im Grundgesetz privilegiert werden. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Staates bei der Einrichtung von Schulfächern sei nicht überschritten worden. Die Klägerin erwägt die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Religionsfreiheit. Es berichten unter anderem SZ (Matthias Drobinski) und Die Welt (Sven Eichstädt).
Matthias Drobinski (SZ) hält die Entscheidung zwar für nachvollziehbar, sie werde der gegenwärtigen Situation jedoch nicht gerecht, in der es immer mehr konfessionslose Kinder gebe. Heike Schmoll (FAZ) kritisiert das verkürzte Religionsverständnis der Klägerin, die glaube, im Religionsunterricht gehe es um die Vermittlung von Werten und Moral.
Rechtspolitik
Kinderpornografie: In einem Interview mit lto.de (Claudia Kornmeier) kritisiert Professor Sebastian Scheerer den Gesetzesentwurf des Justizministeriums zur schärferen Verfolgung von Kinderpornografie. Der Entwurf sei "eine punktuelle, unsystematische und sehr risikoreiche Ad-Hoc-Reaktion". Stattdessen bedürfe es einer strukturierten Neuordnung des gesamten Sexualstrafrechts und der Stärkung außerstrafrechtlicher Instrumente.
Mindestlohn: Der Gesetzesentwurf zum Mindestlohn wurde vom Nationalen Normenkontrollrat nach einer Überprüfung kritisiert, schildert die FAZ (Dietrich Creutzburg/Heike Göbel). Das Gremium unterstützt seit 2006 die Regierung beim Bürokratieabbau und bemängelte am Gesetzesentwurf eine lückenhafte Darstellung der Kostenfolgen und Regelungsalternativen.
Freihandelsabkommen TTIP: Professor Hans-Georg Dederer analysiert auf dem Verfassungsblog das Verhältnis von Investitionsschutz, internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und des "right to regulate", des Rechts des Gaststaates, abstrakt-generelle Regeln im Allgemeininteresse zu erlassen. Die von der Europäischen Kommission beabsichtigte Stärkung dieses Rechts im neuen Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU, verschiebe das Spannungsverhältnis zulasten des Investorenschutzes.
Europa: Heribert Prantl (SZ) nimmt die bevorstehenden EU-Wahlen und die Unruhen in der Ukraine zum Anlass, in einem großen Beitrag die Zielsetzung einer zukünftigen europäischen Politik zu überdenken. Gestärkt werden sollten die in der Grundrechte-Charta festgelegten sozialen Grundrechte, damit die Bevölkerung wieder Vertrauen in die EU gewinnen und sie als ihre Heimat betrachten könne.
Justiz
LG Koblenz zum Nürburgring-Prozess: Der Ex-Finanzminister von Rheinland-Pfalz Ingolf Deubel (SPD) ist vom Landgericht Koblenz wegen Untreue in 14 Fällen und wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Im Verfahren ging es um die gescheiterte Privatfinanzierung des Freizeitparkbaus auf dem Gelände des Nürburgrings. Weil der Deal mit einem privater Investor platzte, musste das Land die Baukosten von 330 Millionen tragen, berichtet die FAZ (Thomas Holl). Deubel habe eigenmächtig Zahlungen vorgenommen und Steuergelder in Millionenhöhe gefährdet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Detlef Esslinger (SZ) hält Deubel zugute, dass er sich - im Unterschied zu vielen anderen Untreue-Tätern - nicht bereichert hat und nur an Selbstüberschätzung gescheitert ist. Arno Frank (taz) begrüßt das Urteil als harte Strafe, die zeige, dass sich "Verantwortung für finanzielle Debakel nicht einfach in Luft auflöst". Für Hannelore Crolly (Die Welt) lässt das Urteil moralisch ein "bitteres Gefühl zurück", weil Deubels damaliger Regierungschef, der ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), unbeschadet davongekommen sei.
BFH zur Konzernbesteuerung im Insolvenzfall: lto.de stellt einen Beschluss des Bundesfinanzhofs im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor, wonach die umsatzsteuerrechtliche Organschaft ende, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Obergesellschaft und der angegliederten Gesellschaften eröffnet werde, weil ein Ausgleichsanspruch der Obergesellschaft nicht mehr durchgesetzt werden könne.
BFH zu Cum-Ex-Geschäften: Wie die SZ meldet, hat der Bundesfinanzhof in einem lange erwarteten Musterfall ein Urteil des Hamburger Finanzgerichts aufgehoben und den Fall zu erneuter Entscheidung zurückverwiesen. Die Begründung ist noch nicht bekannt. Es geht dabei um zweifelhafte Steuererstattungsgeschäfte mit Aktien.
OLG Hamm zum faktischen Überholverbot: Wer beim Überholen die zulässige Geschwindigkeit überschreitet, muss sich nicht automatisch einen Verstoß gegen das "faktische Überholverbot" vorhalten lassen, entschied das Oberlandesgericht Hamm. Laut lawblog.de (Udo Vetter) hatte ein Motorradfahrer geklagt, der bei überhöhter Geschwindigkeit einen Pkw überholt hatte und dabei von einem anderen erfasst worden war. Ein Verstoß gegen das faktische Überholverbot sei nur anzunehmen, wenn der Unfall bei Einhaltung der Geschwindigkeit hätte vermieden werden können.
OLG München – NSU-Prozess: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet von der Vernehmung der Zeugin Jana J. im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Sie bewegte sich Ende der 90er-Jahre im Umfeld der Angeklagten und habe das Bild einer "geradezu unheimlich und unglaublich heilen rechten Welt" gezeichnet.
Die Zeit (Özlem Töpcu) bringt ein ausführliches Portrait der Strafverteidigerin Anja Sturm, die im NSU-Verfahren die Angeklagte und mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe vertritt. Die Autorin geht der Frage nach, welche Auswirkungen der Prozess nach knapp einem Jahr Verfahrensdauer auf die Anwältin gehabt hat.
LG München - Bernie Ecclestone: Am 24. April beginnt der Prozess gegen den Formel-1-Boss Bernie Ecclestone wegen Bestechung eines Amtsträgers und besonders schwerer Untreue. Die SZ (Christoph Giesen/Uwe Melichar) stellt den Hintergrund der Vorwürfe vor. Die Anklage gehe auf das Geständnis des früheren Bayern LB-Chefs Gribkowsky zurück, der angab, von Ecclestone 44 Millionen Euro Schmiergelder für den Verkauf von Landesbank-Anteile an der Formel I erhalten zu haben.
EuGH: Aus Anlass der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung widmet sich Heinrich Wefing (Die Zeit) in einer ausführlichen Darstellung der wachsenden Rolle des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Er stellt die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Gerichts vor und verweist auf die potenziellen Kompetenzverschiebungen im Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht.
Selbstanzeigen: Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet über eine gestiegene Zahl von Selbstanzeigen. Die von den Finanzministerien veröffentlichten Zahlen wiesen für das erste Quartal dreimal so viele Selbstanzeigen auf, als noch im Vorjahr. Das Strafverfahren gegen Ulli Hoeneß könne als Auslöser gesehen werden, jedoch werde auch der Druck von Seiten der Kreditinstitute höher.
Paralleljustiz: Die FAZ (Eckard Lohse, Zusammenfassung) beschreibt, wie CDU-Politiker und das Bundesjustizministerium versuchen, die von so genannten Friedensrichtern ausgeübte Paralleljustiz unter Einwanderern zu erforschen.
Recht in der Welt
Südafrika - Pistorius: Am Mittwoch fand der 24. Verhandlungstag im Prozess gegen den Sportler Oscar Pistorius in Südafrika statt, dem Mord an seiner Lebensgefährtin Reeva Steenkamp vorgeworfen wird. Im Mittelpunkt des Verhandlungstermins stand die Vernehmung des Forensik-Experten Roger Dixon, der von der Verteidigung zur Rekonstruktion des Unfallhergangs beauftragt worden war. Es seien erhebliche Zweifel an der Behauptung geblieben, dass es sich um einen Unfall gehandelt haben soll, berichtet spiegel.de (Frank Patalong).
Krim – Anschluss an Russland: In einem Gastbeitrag in der FAZ unterzieht der Rechtsprofessor Otto Luchterhandt das Referendum und den Anschluss der Krim an Russland einer umfassenden völkerrechtlichen Überprüfung. Russland habe gegen das allgemeine Gewaltverbot verstoßen, so dass die Unabhängigkeitserklärung, das Referendum und der Vertrag über die Aufnahme in die Russische Föderation völkerrechtswidrig gewesen seien. Aus diesem Grund habe das russische Parlament und die Regierung auch gegen die eigene Verfassung verstoßen, die die Einhaltung von Völkerrechtsnormen gebiete.
USA – Überwachung von Muslimen: Wie zeit.de meldet, wird eine Einheit der New Yorker Polizei aufgelöst, die nach dem 11. September 2001 dafür zuständig war, Personen muslimischen Glaubens durch verdeckte Ermittler zu überwachen. Das Ermittlungsziel könne ebenso durch einen direkten Kontakt zu den Gruppen erreicht werden.
Sonstiges
Vergewaltigung: Die SZ (Roland Preuß) stellt eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen vor. Danach sank die Verurteilungsquote nach angezeigten Vergewaltigungen binnen zwanzig Jahren von 21,6 Prozent auf 8,4 Prozent. Grund sei, dass häufiger Täter im Nahbereich angezeigt werden, die sexuelle Kontakte nicht bestreiten, aber Einvernehmlichkeit behaupten.
Das Letzte zum Schluss
Keine Sozialleistungen für Agenten: Ein taiwanesischer Agent hat in Deutschland als Asylbewerber jahrelang Sozialleistungen kassiert - obwohl er aus dem Heimatland Überweisungen von über 100.000 Euro erhalten hat. Angeblich sollte er damit weitere Agenten anwerben, sagte der Mann. Entsprechende Ausgaben konnte er aber nicht belegen. Nun entschied das Landessozialgericht Celle, dass er die Sozialleistungen zurückzahlen muss, berichtet der Blog kanzlei-blaufelder.com.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. April 2014: Kein Anspruch auf Ethik in der Grundschule – Ex-Minister Deubel verurteilt – Weniger Verurteilungen wegen Vergewaltigung . In: Legal Tribune Online, 17.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11731/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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