Gehen der Justiz die Juristen aus? Eine Maßnahme im OLG-Bezirk Hamm lässt dies befürchten. Außerdem in der Presseschau: Dispo-Gebühren der Deutschen Bank sittenwidrig, Musterprozess wegen Beratungsfehlern, NSU-Ausschuss in Baden-Württemberg, Praxis von Urheberrechts-Abmahnungen, geschützte Marke Olympia und Rechtsunsicherheit für Duellanten, die in Idaho sterben.
Thema des Tages
Juristischer Nachwuchs: Die Justiz steht nach Bericht der FAZ (Joachim Jahn) vor einem Nachwuchsproblem. So habe der Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts Hamm seine Einstellungshürde auf ein glattes Befriedigend herabsetzen müssen. Gründe für den festgestellten Mangel geeigneter Bewerber macht der Beitrag in höheren Einstiegsgehältern bei Top-Kanzleien gegenüber jenen für Richter aus. Zur Frage der Angemessenheit der Besoldung von Richtern entscheide das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr. Gleichzeitig beschreibt der Artikel aber auch ein Gegenbeispiel: Nach drei Jahren bei einer internationalen Sozietät habe sich ein Jungjurist wegen der größeren Unabhängigkeit für eine Arbeit auf der Richterbank entschieden. Bei der vorherigen Tätigkeit hätten statt juristischer oft wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt gestanden.
Rechtspolitik
V-Leute: In einem Kommentar bezeichnet Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) das Vorhaben, verdeckt arbeitenden Ermittlern durch Gesetz die Begehung von Straftaten zu erlauben, als "bestenfalls naiv. Wer Straftaten erlaubt, fordere dazu auf, sie zu begehen." Dass bereits die bestehenden Grenzen von den Betroffenen nicht eingehalten würden, bewiese der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu einem Fall aus Bremerhaven.
Bürgerentscheide: In der letzten Woche hat die baden-württembergische Landesregierung einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Durchführung von Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene erleichtert. Rüdiger Soldt (FAZ) fasst Kritik von Lokalpolitikern an dem Vorhaben zusammen. So hätten jüngste Entscheide im Land bestehende Spaltungen unter den Bürgern eher noch vertieft anstatt befriedigt.
Justiz
BAG zu sexueller Belästigung: Auch beck.blog.de (Christian Rolfs) schreibt nun über die in der letzten Woche veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom letzten November zur Unwirksamkeit einer Kündigung nach einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Der Autor betont, dass der Fall, der durch das Stichwort "Busengrapschen" Aufsehen erregte, wegen zahlreicher Besonderheiten keineswegs als "Freibrief für sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz missverstanden" werden dürfe.
OLG Frankfurt zu Dispo-Gebühren: Die von der Deutschen Bank gegenüber ihren Kunden für die Überziehung des Dispolimits von Girokonten erhobene Pauschalgebühr ist nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt sittenwidrig. Gerade bei geringfügigen Überziehungen erreiche die Gebühr eine "exorbitante Höhe" und benachteilige somit Kunden unangemessen, meldet die FAZ (Joachim Jahn).
OVG Berlin-Brandenburg – Transparenz PKW-Maut: Nach Darstellung des Tagesspiegels (Albert Funk/Jost Müller-Neuhof) hat das Bundesverkehrsministerium Beschwerde gegen einen Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts von Ende Januar eingelegt. Nach dem Beschluss wäre das Ministerium verpflichtet gewesen, prognostizierte Einnahmen der PKW-Maut aufgeschlüsselt offenzulegen.
LG Oldenburg – Krankenpfleger: Als eine Geschichte von "Versagen von Justiz und Klinikaufsicht" erzählt die SZ (Annette Ramelsberger/Elena Adam) in einer Seite Drei-Reportage von den zahlreichen, anscheinend unbeachteten Verdachtsmomenten gegen den Krankenpfleger Niels H., der sich vor dem Landgericht Oldenburg wegen der Tötung von Patienten verantworten muss.
LG Detmold – KZ-Wachmann: Vor dem Landgericht Detmold hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen einen 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen erhoben. Der Mann soll nach der Anklageschrift, über die welt.de berichtet, zwischen Januar 1943 und Juni 1944 als Mitglied der Wachmannschaft des KZ Auschwitz tätig gewesen sein und in dieser Eigenschaft über die zahlreichen Tötungen von Neuankömmlingen orientiert gewesen sein. Das Gericht entscheide demnächst über die Zulassung der Anklage.
KapMuG-Prozesse - Fondsvertriebe: Nach Darstellung des Handelsblatts (Reiner Reichel) bereitet eine Berliner Kanzlei Musterschadensersatzprozesse gegen die Deutsche Bank und die Commerzbank wegen fehlerhafter Beratung beim Vertrieb eines geschlossenen Immobilienfonds vor. Sie macht damit erstmals in großem Stil von einer 2012 erfolgten Änderung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Gebrauch, die auch Klagen gegen Vermittler erleichtert. Das KapMuG und das darauf beruhende Musterverfahren stellt ein weiterer Beitrag (Reiner Reichel) vor.
Fitnessstudio-Verträge: Der Abschluss häufig langfristiger und nur schwer zu kündigender Nutzungsverträge gehört zum Geschäftsmodell der gerade zu Jahresbeginn populären Fitnessstudios. Die SZ (Berrit Gräber) erläutert, unter welchen Bedingungen der nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2012 für eine Kündigung notwendige "wichtige Grund" vorliegt und stellt auch weitere Rechtsprechung zum Thema vor.
Recht in der Welt
USA – Lance Armstrong: Der frühere Radsportprofi und geständige Doper Lance Armstrong muss nach einer Meldung von focus.de einem ehemaligen Sponsor zehn Millionen US-Dollar Schadensersatz zahlen. Die Summe hatte Armstrong als Bonus für einen seiner insgesamt sieben, mittlerweile aberkannten Siege bei der Tour de France erhalten.
Sonstiges
NSU-Untersuchungsausschuss: Der "rätselhafteste Fall in der Serie der NSU-Verbrechen", der Polizistenmord von Heilbronn, soll in einem neuen Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags untersucht werden. Nach dem Bericht der SZ (Josef Kelnberger) hielt der als Zeuge vernommene ARD-Terrorismus-Experte Holger Schmidt aufgrund seiner Beobachtung des NSU-Prozesses am Oberlandesgericht München die These von der Tat als Angriff auf die Staatsmacht mit zufällig ausgewählten Opfern "durchaus für plausibel". Für den ebenfalls vernommenen Journalisten Stefan Aust sei die Tat dagegen "nur mit sehr viel Fantasie ein Zufall", so die taz (Lena Müssigmann)in ihrem Bericht.
Abmahnungen: Das im Oktober 2013 in Kraft getretene Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken sollte vor allem die Kosten von Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begrenzen. Ein Zwischenfazit von zeit.de (Claus Hesseling) fällt gemischt aus: So seien weniger Kanzleien mit Massen-Abmahnungen befasst, diese dafür aber umso intensiver. Daneben beobachteten Vertreter von Betroffenen eine inhaltliche Verlagerung. Nach Zunahme legaler und kostengünstiger Angebote zum Download von Musik hätten Abmahnungen in diesem Bereich spürbar nachgelassen.
Resozialisierung I: Wegen fünffachen Mordes wurde Klaus G. in den 1960er Jahren zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg wird die Haft nun zur Bewährung ausgesetzt, die SZ (Olaf Przybilla) beschreibt im Bayern-Teil, welche Schwierigkeiten auf den als "Mittagsmörder" bekannt gewordenen, mittlerweile 74-Jährigen in der Freiheit warten.
Resozialisierung II: In der JVA Bremen ist eine neue sozialtherapeutische Anstalt eröffnet worden. Das Projekt, in dem Häftlinge mit besonderer psychischer Disposition auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden sollen, stellt die taz-Nord (Jean-Philipp Baeck) vor.
"Olympia": Aus aktuellem Anlass stellt Thomas Stadler (internet-law.de) das Gesetz zum Schutz des olympischen Emblems und der olympischen Bezeichnungen (OlympSchG) vor, nach dessen § 2 das ausschließliche Recht zur Verwendung und Verwertung des olympischen Emblems dem Nationalen und dem Internationalen Olympischen Komitee vorbehalten. Das auf dieser Grundlage der Fluggesellschaft Air Berlin die Verwendung des Begriffs "Olympia" im Zusammenhang mit einer Stellungnahme für die Bewerbung Berlins als Ausrichtungsort untersagt wurde, hält der Autor dennoch für problematisch. Denn das ausschließliche Verwendungsrecht beziehe sich ausweislich des § 3 OlympSchG nur auf die Verwendung bei einer Werbung für Waren, Dienstleistungen oder ein Unternehmen.
Versammlungsverbot: Aus Anlass des aus Sicherheitsgründen abgesagten Braunschweiger Karnevalsumzuges erläutert zeit.de (Kai Biermann/Christian Bangel) in einem ausführlichen Beitrag die Voraussetzungen von Versammlungsverboten und einschlägige Begrifflichkeiten.
Das Letzte zum Schluss
Eine Frage der Ehre: Im US-Bundesstaat Idaho ist man auf der Suche nach unzeitgemäßen und überflüssigen Gesetzen fündig geworden: Wie spiegel.de schreibt, soll demnächst eine Bestimmung aus dem Jahr 1864 aufgehoben werden. Sie eröffnete die Zuständigkeit des Staates für Todesfälle aufgrund von Duellen außerhalb Idahos.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Februar 2015: Fehlender Juristen-Nachwuchs – Sittenwidrige Dispo-Gebühren – Fazit zu Abmahn-Gesetz . In: Legal Tribune Online, 17.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14702/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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