Bei der Anhörung anlässlich des Organstreitverfahrens gegen Rüstungsexporte ohne parlamentarische Kontrolle stellt die Regierung dem Bundestag mehr Rechte in Aussicht. Außerdem in der Presseschau: Bankenunion beschlossen, Girokonto für alle, FDJ-Hemden nicht verboten, die Anwältin des Boston-Bombers, die ADAC-Satzung, und die zweite Instanz der Formel Eins.
Thema des Tages
BVerfG - Rüstungsexporte: Vor dem Bundesverfassungsgericht wird das Organstreitverfahren* der drei Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul (alle Grüne) wegen der Informierung des Parlaments über Rüstungsgeschäfte verhandelt. Der Ex-Verteidigungs- und derzeitige Innenminister** de Maizière meint, Rüstungsexporte seien Angelegenheit der Exekutive, eine Informierung des Parlaments Jahre nach der Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit eines Waffenexports reiche aus. Die Sachverständige Sibylle Bauer vom Stockholmer Friedensinstitut Sipri vertritt die Auffassung, eine frühzeitige Offenlegung geplanter Exporte schwäche die Rüstungsindustrie keineswegs. Dazu berichten SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), FAZ (Helene Bubrowski) und Die Welt (Thorsten Jungholt). lto.de bringt eine kurze Zusammenfassung.
Christian Rath (Badische Zeitung) schreibt im Leitartikel, parlamentarische Kontrolle der Regierung müsse mehr sein als "einflussloses Hinterhermeckern", nachdem die relevante Vorabentscheidung bereits gefallen sei. Rüdiger Scheidges (Handelsblatt) kommentiert, es gebe keinen vernünftigen Grund, warum sich eine demokratische Regierung in diesen heiklen Fragen dem demokratischen Begründungszwang entziehen solle.
Rechtspolitik
Bankenunion: Das Europaparlament hat in seiner letzten Sitzungswoche vor den Wahlen am 25. Mai die Bankenunion verabschiedet. Durch die Schaffung eines Fonds mit 55 Milliarden Euro innerhalb der nächsten acht Jahre sollen die Kosten von Bankpleiten in Zukunft nicht mehr auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Es berichten SZ (Cerstin Gammelin), taz (Eric Bonse), FAZ (Werner Mussler), Handelsblatt (Ruth Berschens) und Die Welt (Florian Eder).
SZ (Cerstin Gammelin) und FAZ (Hendrik Kafsack/Werner Mussler) bringen weitere Beiträge und erörtern unter anderem die Frage, ob das Parlament in der ablaufenden Legislaturperiode zum gleichberechtigten Gesetzgebungsorgan neben dem Ministerrat geworden ist.
Ulrike Herrmann (taz) meint, diese Bankenunion sei für die Banken wie eine Lizenz zum Gelddrucken. "Die lukrativen Spekulationsgeschäfte werden kein bisschen eingeschränkt."
Recht auf Girokonto: Das Europaparlament hat eine Richtlinie verabschiedet, die allen EU-Bürgern ein Recht auf Einrichtung eines Girokontos gibt, berichtet die FAZ (Hendrik Kasack).
In einem Gespräch mit zeit.de (Axel Hansen) zeigt sich der Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer, zugleich politischer Sprecher des Obdachlosenmagazins "Hinz und Kunzt", zufrieden. Vor allem der Wegfall der Gebühren für Bareinzahlungen und das Einlösen von Schecks seien ein großer praktischer Fortschritt
Kinderpornographie: Die FR (Timur Tinç) bringt ein Interview mit Ingo Fock, dem Vorsitzenden des Vereins "Gegen Missbrauch". Fock meint, Justizminister Maas habe mit seinem Gesetzentwurf gegen Kinderpornographie eine Chance verschenkt. So bleibe § 176 des Strafgesetzbuches, der "einfache sexuelle Missbrauch von Kindern", weiterhin ein Vergehen, was Verjährungsfristen von lediglich zehn Jahren bedeute.
Vorratsdatenspeicherung: "Nachruf auf ein Hirngespinst" hat Christian Bommarius (FR) seinen Kommentar zur Vorratsdatenspeicherung überschrieben. Sie sei spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts tot gewesen und habe bei der Verhütung von Straftaten keinerlei praktische Rolle gespielt.
*Anm. d. Red. 16.04.2014: Hier stand zunächst fälschlich Verfassungsbeschwerde.
** Anm. d. Red. 16.04.2014: Hier stand zunächst fälschlich lediglich Verteidigungsminister.
Justiz
Verfassungsgericht und Regierung: Reinhard Müller (FAZ) setzt sich im Leitartikel mit dem Verhältnis von Regierung, Parlament und Bundesverfassungsgericht auseinander. Die bisher gemachten Vorschläge für das Richterwahlverfahren änderten wenig daran, dass jeder Richter sein Amt zunächst einer bestimmten Partei verdanke, politisiert seien die Richterwahlen in jedem Fall: "Das Problem: Dumme Richter will niemand, allenfalls willfährige."
BGH zu Vertragsstrafen: internet-law.de (Thomas Stadler) stellt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem November 2013 vor. Demnach sei eine Unterlassungserklärung mit einem Vertragsstrafeversprechen in Höhe von 25.000 Euro im Wettbewerbsrecht nicht von vorneherein unangemessen. Die vorformulierte Vereinbarung einer Vertragsstrafe unterliege zwar der Inhaltskontrolle des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Vertragsparteien sei aber ein großzügiger Beurteilungsspielraum zu gewähren.
BSG zu Syndikusanwälten: Auch die FAZ (Joachim Jahn) beschäftigt sich jetzt mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts, derzufolge Syndikusanwälte als abhängig Beschäftigte rentenversicherungspflichtig sind.
In einem Interview mit lto.de (Pia Lorenz/Claudia Kornmeier) hält Martin Schafhausen, der dem Vorstand des Deutschen Anwaltvereins angehört, die Entscheidung für falsch. Das Bundessozialgericht stelle darauf ab, wie die Allgemeinheit den Anwaltsberuf wahrnehme, und ein Unternehmensjurist werde nicht als Anwalt gesehen. Es komme aber nicht darauf an, wie die Allgemeinheit den Anwaltsberuf wahrnehme.
BFH – Cum-Ex-Geschäfte: Der Bundesfinanzhof (BFH) verhandelt über die seit 2007 nicht mehr zulässigen Cum-Ex-Geschäfte. Beim sogenannten Dividendenstripping erhielten Investoren für einmal gezahlte Kapitalertragsteuer doppelt Geld zurück. Fraglich ist, welche Rolle die Banken spielten, die ihren Kunden diese Vorgehensweise empfahlen. Der BFH verhandelt nichtöffentlich. Eine Entscheidung ist nicht absehbar. Es berichten taz (Hermannus Pfeiffer) und FAZ (ols/Henning Peitsmeier/Joachim Jahn) in ihrem Finanzteil.
Das Handelsblatt (Holger Alich/Elisabeth Atzler/Kerstin Leitel/Donata Riedel) widmet sich in diesem Zusammenhang der Klage von Holger Maschmeyer gegen den Schweizer Investmentbanker Eric Sarasin. In einem Interview mit dem Handelsblatt (Peter Köhler) sagt der Rechtsanwalt Bernulph von Crailsheim, wenn der BFH bei der Auffassung bleibe, die er in seinem Gerichtsbescheid*** vertreten habe, werde die Finanzverwaltung eine Niederlage erleiden.
Joachim Jahn (FAZ) meint, die Leerverkäufe und die Steuerrückerstattung könnten sich wegen der verworrenen Gesetzeslage als legal erweisen. Auch Holger Alich (Handelsblatt) betont in diesem Fall die Mitverantwortung des Gesetzgebers, die Alleinschuld treffe nicht nur "gierige Banken und ihre einfallsreichen Berater."
BAG zu Nachtdiensten bei Krankenschwestern: Rechtsprofessor Christian Rohlfs (blog.beck.de) sieht in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur teilweisen Arbeitsunfähigkeit einer Krankenschwester eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung. Das BAG habe eine teilweise Arbeitsunfähigkeit stets abgelehnt. Ein weiterer Einwand: Wenn die klagende Krankenschwester einen Anspruch darauf habe, nicht mehr in der Nachtschicht arbeiten zu müssen, bedeute dies vor allem konkrete Mehrbelastung für ihre Kolleginnen. Dem Arbeitgeber werde nur der zusätzliche Organisationsaufwand bei der Gestaltung der Dienstpläne aufgebürdet.
BAG zu Festanstellung: welt.de stellt eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vor. Eine nordrhein-westfälische Lehrerin hat nach 13 befristeten Arbeitsverträgen eine Festanstellung erstritten. Bereits im Herbst 2013 habe das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf dem beklagten Land attestiert, seinen Gestaltungsspielraum bei der Befristung von Arbeitsverträgen missbraucht zu haben. Die Entscheidung, eine Revision nicht zuzulassen, wurde jetzt vom Bundesarbeitsgericht bestätigt. Damit ist das Düsseldorfer Urteil rechtskräftig. In Nordrhein-Westfalen sind etwa 15.000 Beschäftigte mit zeitlich befristeten Verträgen ausgestattet.
OLG München – NSU: spiegel.de (Björn Hengst) berichtet über die Befragung des hessischen V-Manns Andreas T. durch Ismail Yozgat. Der Vater des in Kassel in seinem Internet-Café ermordeten Halit Yozgat tritt in dem Verfahren als Nebenkläger auf. Sein Auftritt habe ein weiteres Mal erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas T. geweckt.
zeit.de (Tom Sundermann) fasst die Berichterstattung zum Ende März verstorbenen V-Mann Thomas R. (Deckname Corelli) zusammen.
LG Essen zu kostenloser anwaltlicher Beratung: Das Landgericht Essen hat entschieden, dass eine kostenlose Erstberatung durch eine Anwaltskanzlei weder standes- noch wettbewerbswidrig ist. lawblog.de (Udo Vetter) stellt das Urteil vor.
LG Koblenz – Nürburgring/Ingolf Deubel: Das Landgericht Koblenz spricht am heutigen Mittwoch das Urteil im Nürburgring-Prozess. Der Hauptangeklagte Ingolf Deubel, früher Finanzminister von Rheinland-Pfalz, beharrt auf seiner Unschuld. Die Staatsanwaltschaft wirft Deubel Untreue vor und fordert vier Jahre Haft. Deubel habe sich nicht persönlich bereichert, das Land sei aber Zahlungen, Zahlungsverpflichtungen und Bürgschaften in seinem Namen eingegangen, ohne die Bonität der Begünstigten ausreichend geprüft zu haben. Es berichten taz (Arno Frank) und FAZ (Timo Frasch).
LG Wiesbaden – Christopher Jahns/European Business School: Das Verfahren gegen Christopher Jahns wird noch bis Juli 2014 dauern. Das Landgericht Wiesbaden hat weitere Verhandlungstage anberaumt, berichtet das Handelsblatt. Dem früheren Präsidenten der European Business School wird Untreue zur Last gelegt. Das Handelsblatt berichtet.
StA Stade – Kai Schmidt/Toiletten: spiegel.de (Philipp Alvares de Souza Soares) berichtet über das Vorhaben der Staatsanwaltschaft Stade, Kai Schmidt, einen der größten Betreiber von Pachttoiletten, anzuklagen. Der Geschäftsführer der Service-Team Schmidt GmbH soll in den Jahren 2005 bis 2010 etwa 4,7 Millionen Euro an Sozialversicherungsbeiträgen und 1,1 Millionen Euro an Steuern nicht bezahlt haben.
AG Fürth zu Asylheimbeschäftigten: Drei Mitarbeiter des Aufnahmelagers für Asylbewerber in Zirndorf sind vom Amtsgericht Fürth wegen fahrlässiger Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen verurteilt worden, berichtet die taz (Tobias Schulze). Sie hatten sich geweigert, einen Notarzt zu rufen, als zwei Asylbewerber für ihr an Meningokokken lebensgefährlich erkranktes Kind darum baten. Die Familie habe sich erst bei der Lagerverwaltung einen Krankenschein ausstellen lassen und danach zwei Kilometer zu Fuß zu einem Arzt laufen müssen. Das Kind werde bleibende Schäden behalten.
AG Berlin-Tiergarten zu FDJ: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat zwei Männer freigesprochen, die auf einer Veranstaltung die blauen Hemden mit Abzeichen und aufgehender Sonne der Freien Deutschen Jugend (FDJ) getragen hatten. Auch wenn die FDJ seit 1951 in Westdeutschland verboten sei, verstoße das öffentliche Zeigen ihrer Symbole nicht gegen geltendes Recht. Es berichtet die SZ (Jens Schneider).
Mehr Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung: Wie die SZ (Guido Bohsem) berichtet, hat die Zahl der Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung nach dem Urteil gegen Uli Hoeneß stark zugenommen. Bis zu fünfmal mehr Steuerbürger offenbarten sich den Finanzämtern als vor einem Jahr.
In seinem Kommentar betont Guido Bohsem (SZ Wirtschaft) die Wichtigkeit des Instruments der Selbstanzeige, die juristisch so gestaltet bleiben müssen, dass man sich "unfallfrei" selbst anzeigen könne.
*** Anm. d. Red.: Hier stand zunächst fälschlich "Rechtsbescheid". Der BFH kann jedoch tatsächlich ohne mündliche Verhandlung zunächst durch Gerichtsbescheid entscheiden (§ 90 FGO). Dieser wirkt als Urteil, wenn die Beteiligten nicht innerhalb eines Monats eine mündliche Verhandlung beantragen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Recht in der Welt
Italien – Berlusconi: Der 77-jährige Silvio Berlusconi darf seine Haftstrafe durch Sozialarbeit in einem Altenheim am Stadtrand von Mailand ableisten. Ein Hausarrest hätte es ihm unmöglich gemacht, Wahlkampf für die Europawahl zu machen. Über die Entscheidung des Mailänder Gerichts berichten FAZ (Jörg Bremer), Handelsblatt (Regina Krieger) und FR (Regina Kerner).
Hans-Jürgen Schlamp (spiegel.de) meint, Berlusconi habe sich wieder einmal aus der Affäre gezogen. Andrea Bachstein (SZ) hofft, die Beschäftigung mit alten Menschen werde Berlusconi dazu bringen, seinen Lebensabend fernab von Politik zu verbringen. Rainer Blasius (FAZ) mutmaßt, der ehemalige italienische Ministerpräsident werde auch im Altenheim den "ewigen Unterhaltungskünstler mimen".
USA – Anwältin Boston-Bomber: focus.de (Paul-Nikolas Hinz) bringt ein Porträt der Rechtsanwältin Judy Clarke. Sie verteidigt Dschochar Zarnajew, der sich wegen des Bombenanschlags auf den Boston Marathon im April 2013 verantworten muss. Clarke vertrat bereits den "Una-Bomber" Ted Kaczyinski und den 9/11-Mitverschwörer Zacarias Moussaoui. Der Prozess gegen Zarnajew soll am 3. November 2014 beginnen.
Indien – Transgender: Das oberste Gericht Indiens hat Transgender als drittes Geschlecht anerkannt und die rechtliche Gleichstellung von Menschen dieses Geschlechts gefordert. Am Verbot der Homosexualität hält das Gericht weiterhin fest. Es berichten taz (Sven Hansen) und Die Welt (Sophie Mühlmann).
Sonstiges
ADAC-Satzung: Der wissenschaftliche Assistent Ulrich Segna beschäftigt sich in der FAZ mit der Satzung des ADAC und meint, es sei ein Missverständnis, wenn man den ADAC für einen demokratisch strukturierten Verein halte. Es gebe verschiedene Vorkehrungen in den Satzungen des Gesamtvereins und seiner 18 regionalen Gaue, durch die die Vereinsfunktionäre unter sich blieben. Verstärkt werde die mangelnde Kontrolle durch das Phänomen der "selektiven Beitrittsanreize": die Entscheidung für eine Mitgliedschaft werde aufgrund der Leistungsangebote, nicht wegen der Mitbestimmungsmöglichkeiten getroffen.
Das Letzte zum Schluss
Formel Eins: Das Berufungsgericht des Automobilweltverbandes bestätigt den Ausschluss von Sebastian Vettels Teamkollegen Daniel Ricciardo beim Großen Preis von Australien. Die SZ (René Hofmann) stellt die Entscheidung im Sportteil vor und schreibt, der erneute Erfolg für Mercedes mache die Titelverteidigung für Vettel noch schwerer. Anno Hecker (FAZ Sport) zeigt sich erfreut über die Einblicke, die man durch die öffentlichen Verhandlungen in die Welt des Motorsports erhalte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ro
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. April 2014: Rüstungsexporte vor dem BVerfG – Anwaltliche Beratung gratis – Mehr Steuer-Selbstanzeigen . In: Legal Tribune Online, 16.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11716/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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