Banken müssen Anleger nach einer Entscheidung des BGH ungefragt über Provisionen aufklären, sonst können sie sich schadensersatzpflichtig machen. Außerdem in der Presseschau: Plädoyer für wirksamen Datenschutz, Tino Brandt als Zeuge im NSU-Prozess, deutscher Demonstrant vor Gericht in Wien, Völkerrecht und Gaza-Konflikt und Regulierungswut in Russland.
Thema des Tages
BGH zu Aufklärungspflichten: Die bislang nur unter bestimmten Voraussetzungen geltende Pflicht von Banken gegenüber privaten Anlegern eigene Provisionen für den Verkauf von Kapitalanlagen offenzulegen, ist vom Bundesgerichtshof in einem jetzt veröffentlichten Urteil erheblich ausgeweitet worden. Wie die FAZ (Joachim Jahn) schreibt, habe das Gericht in einer Übertragung von Bestimmungen des Aufsichtsrechts bestimmt, dass Anleger ab dem 1. August Schadensersatz geltend machen können, wenn ihnen derartige Vergütungen verschwiegen werden. Im öffentlich-rechtlichen Kapitalanlagerecht sei nach Ansicht des Gerichts der Transparenzgedanke mittlerweile so weit verwirklicht, dass auch Anleger entsprechende Aufklärung erwarten dürften. Die Entscheidung beende eine praxisrelevante Rechtsunsicherheit mit zahlreichen widersprüchlichen Gerichtsentscheidungen.
In einem separaten Kommentar begrüßt Joachim Jahn (FAZ) das Urteil als eine "Revolution auf leisen Sohlen", die durch mögliche Interessenkonflikte der Bankberater gerechtfertigt sei. Die ungewöhnliche Form der Veröffentlichung ohne Presseerklärung sei vermutlich der "Verlegenheit" des Karlsruher Bankensenats geschuldet. Dessen bisher unternommene Unterscheidungen zwischen "Rückvergütungen" und "Innenprovisionen" seien auch für Fachleute nicht mehr verständlich gewesen.
Rechtspolitik
Datenschutz: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ fordert der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) politische Konsequenzen aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zu Google und der Vorratsdatenspeicherung. Noch immer erfahre das "Jahrhundertthema" Massenüberwachung nicht die ihm zukommende Bedeutung seitens der Politik, wie etwa die "völlig unzureichende" Reaktion der Bundesregierung auf die Massenüberwachung der NSA belege. Letztlich ginge es darum, den grundgesetzlich garantierten Freiheitsschutz gegenüber globalen Entwicklungen zu bewahren, auf europäischer Ebene ließe sich dieses Ziel durch die Datenschutz-Grundverordnung erreichen.
eCall: Ab dem kommenden Jahr ist das europaweite Notrufsystem eCall, das nach einem Verkehrsunfall automatisch Informationen an eine Notrufstelle übermittelt, für die meisten Neuwagen verbindlich. Rechtsanwalt Michael Kamps erläutert für lto.de die relevanten datenschutzrechtlichen Probleme. So müssten künftig nicht nur Autokäufer in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auf der Grundlage transparenter und vollständiger Informationen einwilligen, sondern auch jeder Fahrer eines betroffenen Fahrzeugs.
Verfassungsrichter: Die FAZ (Reinhard Müller) meldet die am heutigen Dienstag erfolgende Ernennung Ulrich Maidowskis zum Richter am Bundesverfassungsgericht.
Justiz
EuGH zu kartellrechtlichem Schadensersatz: Im Juni hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass jedermann Ersatz des ihm durch ein Kartell entstandenen Schadens verlangen kann. Die im Urteil genannten Voraussetzungen eines derartigen Anspruchs erläutern die Rechtsanwälte Ulrich Schnelle und Volker Soyez (handelsblatt-rechtsboard).
BGH zu EEG-Umlage: Nach einer jetzt veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs verstößt die von Unternehmen erhobene Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht gegen die im Grundgesetz festgelegten Grundsätze der Finanzverfassung. Die Umlage sei nach Ansicht des Gerichts keine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion, vielmehr eine gesetzliche Preisregelung, meldet lto.de.
BSG zu Elterngeld: Der Angehörigen eines NATO-Truppenmitglieds stehen keine Leistungen nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zu. Dies entschied das Bundessozialgericht. Eine von der Vorinstanz gezogene Analogie zur Anspruchsberechtigung nach § 1 Abs. 7 BEEG sei unzulässig, weil der durch das NATO-Truppenstatut geregelte Aufenthalt der Klägerin nicht mit den in der Norm genannten Titeln vergleichbar sei, berichtet Liz Collet (jusatpublicum.com).
BVerwG – Elbvertiefung: Auch die taz (Sven-Michael Veit) berichtet nun über das ab dem heutigen Dienstag am Bundesverwaltungsgericht beginnende Verfahren zur geplanten Elbvertiefung. Die klagenden Umweltverbände schöpften insbesondere aus dem 2012 auf ihren Antrag hin verfügten vorläufigen Baustopp Hoffnung auf Erfolg.
OLG München – NSU-Prozess: SZ (Annette Ramelsberger) und taz (Andreas Speit) bringen Vorberichte zu der auf drei Tage angesetzten Vernehmung von Tino Brandt im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München. Der Mitbegründer des "Thüringer Heimatschutzes" und V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes befindet sich aktuell wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in Untersuchungshaft in Gera und wird zum Münchner Verfahren vorgeführt.
LG Regensburg – Gustl Mollath: Spiegel.de (Beate Lakotta) berichtet über die Fortsetzung des Wiederaufnahmeverfahrens gegen Gustl Mollath vor dem Landgericht Regensburg. Eine Zeugin habe bekundet, als damalige Freundin der jetzigen Ex-Ehefrau des Angeklagten vor 30 Jahren selbst von diesem angegriffen worden zu sein.
VG Hannover zu Polizeibefugnissen: Das durch einen Kamerawagen der Polizei bei Demonstrationsteilnehmern ausgelöste Gefühl des Beobachtetwerdens schränkt nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover die Versammlungsfreiheit der Betroffenen ein. Im entschiedenen Fall sei die Vorrichtung nur vorsorglich in Position gebracht worden, meldet die FAZ (Robert von Lucius).
StA Berlin – Michael Hartmann: Aus Anlass des gegen den Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann (SPD) eingeleiteten Ermittlungsverfahrens fragt Christoph Hickmann (SZ) nach den Grenzen des öffentlichen Interesses an den Einzelheiten des Falls. Zwar hätten auch Politiker "das Recht, private Dinge privat zu halten." Dieses Recht ende jedoch bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Wer Gesetze mache, "sollte nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen."
Recht in der Welt
Großbritannien – Überwachung: Ein aus fünf britischen Richtern bestehendes Tribunal verhandelt seit dem gestrigen Montag zur Beschwerde von Bürgerrechtsorganisationen gegen die Überwachungsmaßnahmen des Geheimdienstes GCHQ. Die Beschwerdeführer sähen durch dessen Aktivitäten das Recht auf Privatsphäre nach den Artikeln 8 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt, schreibt die FAZ (Jochen Buchsteiner) und kontrastiert ihren Bericht mit der nun bekanntgegebenen Absicht von Premierminister David Cameron, durch ein "emergency law" den Zugriff von Geheimdiensten auf Telekommunikationsdaten sicherzustellen. Die Neuregelung sei nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung erforderlich.
Österreich – Akademikerball: In einem ausführlichen Beitrag berichtet zeit.de (Florian Klenk) über den in Wien wegen Landfriedensbruch angeklagten Deutschen und "kafkaeske Strafverfolgung" in Österreich. Der Student hatte im Januar an Protesten gegen den von der FPÖ veranstalteten Akademikerball teilgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Er vermute, dass er in Ermangelung anderer Verdächtiger zu einem Sündenbock für die erheblichen Ausschreitungen gemacht werde und rechne trotz widersprüchlicher Zeugenaussagen mit seiner Verurteilung. Nach einer Vertagung der Hauptverhandlung werde das Verfahren Ende Juli fortgesetzt.
Israel – Gaza: Nun berichtet auch die SZ (Ronen Steinke) über die von der UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay geäußerten "ernsten Zweifel" an der völkerrechtlichen Vereinbarkeit der israelischen Militärschläge im Gazastreifen. Unter Berufung auf Experten sammelt der Beitrag Argumente für und wider diese Ansicht.
Sonstiges
Rückfallraten: Eine bundesweite Studie hat ergeben, dass ein Drittel aller Verurteilten und damit weniger, als gemeinhin angenommen, rückfällig werden. Die SZ (Joachim Käppner) befragt einen der Mitautoren der Studie, den Kriminologen Jörg-Martin Jehle, zu den möglichen Gründen für diese Diskrepanz.
Das Letzte zum Schluss
Regulierungswut: Mutmaßlich in Ermangelung tatsächlicher Entscheidungsbefugnisse erfinden Parlamentarier der russischen Duma absurde Gesetzentwürfe, von denen die SZ (Julian Hans) unter der Überschrift "Straps-Ideen" einige vorstellt. So wollte ein Abgeordneter Ober- und Untergrenze für Absätze von Schuhen festgelegt haben, ein anderer synthetische Unterwäsche verbieten lassen, weil diese nicht genügend Schweiß aufnehme. Ein weiterer regte an, Frauen unter 40 Jahren das Rauchen verbieten zu lassen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. Juli 2014: BGH sorgt für Aufklärung – Gerhart Baum zum Datenschutz – Kafkaeskes aus Wien . In: Legal Tribune Online, 15.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12558/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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