Die Reform ist gescheitert: Rechtsanwälte müssen sich nicht fortbilden. Außerdem in der Presseschau: Bewährungsstrafe nach dramatischem Missbrauchsfall in Berlin und Polens Zivilgerichte mischen im Verfassungsstreit mit.
Thema des Tages
Keine Fortbildungspflicht für Anwälte: Die Umsetzung der EU-Berufsanerkennungs-Richtlinie ist am heutigen Mittwoch Thema im Rechtsausschuss des Bundestags und wird am morgigen Donnerstag im Bundestags-Plenum beschlossen. Die ursprünglich vorgesehene Fortbildungspflicht für Rechtsanwälte ist darin nicht mehr enthalten. Die Berichterstatter der großen Koalition, die MdB Detlef Seif (CDU) und Christian Flisek (SPD), wollten eine Zusatzbelastung für Anwälte vermeiden. Ein Kompromissvorschlag des rechtspolitischen Sprechers der SPD, Johannes Fechner, scheiterte am Widerstand der Union. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) schildert die Diskussionen und erwähnt auch den Vorwurf, dass u.a. kommerzielle Interessen der Anwaltsorganisationen DAV und BRAK hinter der Idee mit der Fortbildungspflicht gestanden hätten.
Rechtspolitik
Ceta und Investitionsgerichtshof: Am heutigen Mittwoch wird das Europäische Parlament voraussichtlich dem EU-Freihandelsvertrag mit Kanada zustimmen. Die taz (Ingo Arzt) gibt die aktuelle Kritik am geplanten Investitionsgerichtshof wieder. Für Greenpeace habe die Anwältin Roda Verheyen in einem Kurzgutachten die Bevorzugung kanadischer gegenüber europäischen Investoren herausgearbeitet. Der Deutsche Richterbund lehne das Investitionsgericht ebenfalls ab, weil der Gesetzgeber nicht eingreifen könne, falls das Gericht zu investorenfreundlich urteile.
Parteien-Diskriminierung: Im Interview mit der taz (Christian Rath) kritisiert Rechtsprofessor Christoph Möllers den Vorschlag des Bundesrats, verfassungswidrige Parteien von staatlichen Zuschüssen auszuschließen. Ein Zwei-Klassen-Recht im Parteienrecht werde diejenigen in ihren Vorurteilen bestätigen, die ohnehin am demokratischen System zweifelten. Möllers glaubt nicht, dass das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Grundgesetzänderung anregen wollte.
Insolvenzordnung: Der Bundestag wird die Änderung der Insolvenzordnung an diesem Mittwoch im Rechtsausschuss beraten und an diesem Donnerstag beschließen, heißt es in einer Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn) und in einer Meldung der FAZ (Hendrik Wieduwilt). Insovenzverwalter sollen von Lieferanten nicht mehr Beträge zurückverlangen können, wenn einst Ratenzahlung vereinbart wurde.
Kinderehen: Nach Angaben von zeit.de haben sich Union und SPD auf einen Gesetzentwurf gegen Kinderehen geeinigt. Ehen sollen künftig als nichtig gelten, wenn beim Eheschluss einer der Partner unter 16 Jahre alt war. Offen ist noch, ob Ehen in der Altersgruppe von 16 bis 18 Jahren immer "aufgehoben" werden, so die Union, oder ob hier Härtefall-Regelungen möglich sein sollen, so das Bundesjustizministerium.
Managergehälter: Manfred Schäfers (FAZ) kritisiert die Bereitschaft der CDU/CSU, die von der SPD vorgeschlagene beschränkte steuerliche Absetzbarkeit von Managergehältern mitzutragen. "Es ist unfassbar. Die Union lässt einen der wichtigen Grundsätze im Steuerrecht fallen wie eine heiße Kartoffel: das Nettoprinzip." Mit freier Wirtschaft habe das nicht mehr viel zu tun.
Mitbestimmung: Der Bundesrat hat am 10. Februar in einer Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, das Recht der betrieblichen und Unternehmens-Mitbestimmung zu reformieren. In einer Bewertung kommt Anwalt Thomas Gennert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard zum Schluss, dass nur die Forderung nach Schließung von Lücken bei der Unternehmensmitbestimmung Substanz habe.
Gemeinsamer Bundesausschuss: Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat drei verfassungsrechtliche Gutachten in Auftrag gegeben, die untersuchen sollen, wie die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken gestärkt werden kann. Die Gutachten sollen im Sommer vorliegen, berichtet die FAZ (Andreas Mihm). Gröhe reagiert damit auf kritische Andeutungen des Bundesverfassungsgerichts und seines Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof.
Justiz
AG Berlin-Tiergarten zu Missbrauch in Flüchtlingsheim: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat einen pakistanischen Asyl-Antragsteller, der ein sechsjähriges irakisches Mädchen sexuell missbraucht hat, zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, berichtet welt.de. Der Fall war besonders tragisch, weil die Polizei den Vater des Mädchens erschoss, als dieser den Täter mit einem Messer angriff.
AG Berlin-Tiergarten zu Politiker-Beleidigung: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat einen Mann wegen Beleidigung verurteilt, der die Grünen-Politikerin Claudia Roth auf Facebook als "linksfaschistische Sau" bezeichnete, die man "aufhängen" sollte. Laut spiegel.de muss er 160 Tagessätze à 12 Euro (1.920 Euro) Geldstrafe bezahlen.
AG Hannover – Tuifly: An diesem Mittwoch will das Amtsgericht Hannover entscheiden, ob Reisende Schadensersatz erhalten, nachdem sich Tuifly-Beschäftige im vergangenen Herbst im Kontext eines Umstrukturierungskonflikts reihenweise krank meldeten und die Reisenden ihre Reise nicht oder nur verspätet antreten konnten. Die SZ (Angelika Slavik) schildert den Streit im Rahmen eines Berichts über die TUI-Hauptversammmlung.
BGH – Speicherung von IP-Adressen: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Klage des Piraten-Politikers Patrick Breyer, der verhindern will, dass Webseitenbetreiber IP-Adressen von Webseitenbesuchern speichern. Wie es weitergeht, will der BGH am 16. Mai verkünden.
Die taz (Christian Rath) vermutet, dass der BGH das Verfahren an das Landgericht Berlin zurückverweist, damit dort die Sachfrage geklärt wird, ob die Speicherung der IP-Adressen für die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Webseiten erforderlich ist.
LG Heilbronn – religiös motivierter Raubmord: Nun berichtet auch die taz (Benno Stieber) über den Strafprozess gegen einen illegal eingereisten Ausländer unklarer Identität, der bei einem Einbruch eine Rentnerin erdrosselt und mit Filzstift Koran-Suren hinterlassen haben soll. Der Mann bestreitet trotz vieler Indizien die Tat, sein psychischer Zustand werde noch geprüft.
LG Neubrandenburg zu Auschwitz-Nebenklägern: Im Prozess gegen den Auschwitz-Sanitäter Hubert Zafke hat das Landgericht Neubrandenburg die Zulassung von zwei Nebenklägern widerrufen, so die taz (Klaus Hillenbrand), weil ihre in Auschwitz ermordete Mutter nicht mit einem der 14 Deportationszüge in Auschwitz angekommen war, die in der Anklage aufgeführt sind. Mit einer Korrektur des Beschlusses durch das OLG Rostock sei zu rechnen.
VGH Mannheim zu Kachelmann/Staatsanwaltschaft: Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat Ende Januar die Berufung des vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochenen Wettermoderators Jörg Kachelmann gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zugelassen. Das VG Karlsruhe hatte Kachelmanns Klage, die Mannheimer Staatsanwaltschaft möge bestimmte, ihn vermeintlich belastende Aussagen nicht wiederholen, mangels Wiederholungsgefahr abgelehnt. Der VGH sah nun aber durchaus Wiederholungsgefahr, so lto.de (Tanja Podolski), und wird die Klage nun inhaltlich prüfen.
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Samir Buhl und Matthias Münder befassen sich auf juwiss.de mit dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zum Tarifeinheitsgesetz. Im ersten Teil eines zweiteiligen Aufsatzes beschreiben sie Vorgeschichte und Inhalt des Gesetzes und die Auslegung des Gesetzes am ersten Karlsruher Verhandlungstag am 24. Januar.
Recht in der Welt
USA – VW/Bosch: Der US-Richter Charles Breyer hat einen weiteren Vergleich von VW mit VW-Käufern in den USA vorläufig genehmigt. Diesmal sollen 80.000 Käufer großer Dieselautos mit 3,0-Liter-Motoren mindestens 1,22 Mrd. Dollar erhalten. In einem zusätzlichen Vergleich, den Breyer ebenfalls vorläufig genehmigte, verpflichtet sich der VW-Lieferant Bosch auf eine Zahlung von 327,5 Millionen Dollar an 554.000 Autobesitzer, so spiegel.de.
USA – Etan Patz: Ein Jury in New York hat einen Mann wegen Mordes an dem 1979 verschwundenen sechsjährigen Jungen Etan Patz für schuldig erklärt. Der Fall hatte damals in den USA gewaltige Aufmerksamkeit erfahren. Der mutmaßliche Täter hat die Tat gestanden, das Geständnis inzwischen aber widerrufen. Die Verteidigung kündigte Revision an, meldet spiegel.de.
USA – Lance Armstrong: Im Schadensersatzprozess gegen den ehemaligen US-Radprofi Lance Armstrong hat ein Richter in Washington das Vorverfahren beendet und die Klage des Ex-Sponsors US-Postal zugelassen. Dieser verlangt von Armstrong, der Doping zugegeben hatte, das Dreifache der investierten 32,3 Mio. Dollar zurück. Armstrongs Anwälte bestreiten, dass der Sponsor einen Schaden erlitt, so die FAZ (Jürgen Kalwa).
EGMR – Russland/Syrien: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab einem in Russland lebenden Syrer Recht, der sich gegen seine Abschiebung nach Syrien gewehrt hatte, meldet zeit.de. Die russische Regierung habe nicht ausreichend begründet, dass die Sicherheit des Klägers nach einer Abschiebung gewährleistet sei.
Polen – Verfassungsgericht: Rechtsprofessor Marcin Matczak beschreibt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) einen Rechtsstreit, den der Ex-Präsident des polnischen Verfassungsgerichts vor polnischen Zivilgerichten führt und in dem er die Feststellung begehrt, dass seine von der Regierungspartei PiS installierte Nachfolgerin nicht ordnungsgemäß ins Amt kam. Der Streit habe, da er vor Zivilgerichten geführt wird, vor allem symbolische Bedeutung.
Spanien – Immobilienkredite: Die SZ (Thomas Urban) gibt einen Überblick über Urteile spanischer Gerichte und des EuGH zur Abwicklung der geplatzten Immobilienblase. Viele Spanier konnten sich ihre Immobilienkredite für im Zuge der Immobilien-Hausse angeschaffte Zweitwohnungen nicht mehr leisten.
Sonstiges
Thomas Fischer kritisiert Journalisten: Bundesrichter Thomas Fischer kritisiert in seiner zeit.de-Kolumne erneut Journalisten. Thomas Darnstädt (Spiegel) habe ihm fälschlicherweise unterstellt, er würde heute noch heimlich Charles Bukowski lesen. Alice Schwarzer (Emma) habe Statistiken zur Straflosigkeit von Vergewaltigungen falsch interpretiert. Ron Steinke (SZ) habe die geplante Strafvorschrift zu Gewalt gegen Polizisten falsch erklärt und der Deutschlandfunk habe beim Versuch, die neue Rechtslage beim Stalking zu erläutern, die alte Rechtslage dargestellt.
VW-Abgasskandal: Der SWR-Radioreport Recht (Max Bauer) spricht mit der Journalistin Karin Matussek über die Erfolgsaussichten der Klagen von VW-Käufern, mögliche Reformen bei Musterklagen und den Aufklärungswillen von VW.
Das Letzte zum Schluss
"Sexy Gangster": Der Kleinkriminelle Jeremy Meeks, der durch sein attraktives Polizeifoto bekannt wurde, absolvierte nun einen Einsatz als Model bei der New York Fashion Week, berichtet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. Februar 2017: Keine Fortbildungspflicht für Anwälte / Missbrauch in Flüchtlingsheim / Prozess um Polens Verfassungsgericht . In: Legal Tribune Online, 15.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22101/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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