Helmut Kohl siegt im Zitate-Streit mit seinem Ghostwriter. Außerdem in der Presseschau: Der Bundestag führt eine Orientierungsdebatte zur Sterbebegleitung, das OLG Düsseldorf verurteilt eine Terrorzelle, Termin-Stress für Thomas Middelhoff, die FIFA erklärt sich - nicht unwidersprochen - für korruptionsfrei und ein überkorrekter Bundesjustizminister.
Thema des Tages
LG Köln zu Helmut Kohl: Das Landgericht Köln hat den Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens sowie dem Verlag ihres Buches "Vermächtnis – die Kohl-Protokolle" die Veröffentlichung des weitaus größten Teils der dortigen Zitate Helmut Kohls verboten. Schwan hat nach Ansicht des Gerichts gegen eine "Geheimhaltungsabrede" verstoßen, schreibt tagesspiegel.de (Jost Müller-Neuhof), der Co-Autor Jens sowie der Verlag hätten dagegen Persönlichkeitsrechte des Altkanzlers verletzt. Der Bericht der taz (Christian Rath) macht vor allem ein geschicktes Manöver von Kohls Anwälten für den jetzigen Erfolg verantwortlich. Durch die Verbindung mit einer Klage auf Herausgabe von Kopien der zu den Gesprächen angefertigten Tonbänder sei eine Entscheidung durch jene Kammer erreicht worden, die dem Altkanzler schon die Herausgabe der Orginalbänder zuerkannt hatte. Laut FAZ (Reiner Burger) plant Kohl eine Klage auf Gewinnabschöpfung und Schadensersatz.
Nach Heribert Prantl (SZ) ist das Urteil "wichtig, richtig und wegweisend". Kohls Erinnerungen gehörten nur ihm, das in Frage stehende Werk sei damit ein "Produkt eines ziemlich dreisten Diebstahls". Dessen Autor habe "nicht nur rechtswidrig, sondern unanständig" gehandelt. Es sei zu hoffen, dass mit der Entscheidung einer "gewissen Verirrung und Verrohung im publizistischen Geschäft" Einhalt geboten werde. Auch Torsten Krauel (Welt) meint, dass der Altkanzler "zu Recht gewonnen" habe. Die fraglichen Gespräche seien "private Einschätzungen des Privatmanns" und eben keine Amtshandlungen. Daher gelten für den früheren Kanzler "die gleichen Schutzgrenzen wie für jeden anderen Deutschen".
"Zum Glück gibt es noch Richter in Deutschland" erklärt Alan Posener (Welt) im Feuilleton des Blatts. Ein solcher habe nun einen Journalisten, der "Grundprinzipien seines Fachs nicht begreift" und ein Verlagswesen, das seine "vornehmste Aufgabe vernachlässigt", nämlich "Autoren vor sich selbst zu retten", entlarvt. Dabei sei es unzweifelhaft, dass die fraglichen Tonbänder in ein Archiv gehörten. Denn Kohl habe mit seiner Verteidigung des Prinzips "des Ehrenwortes gegenüber den Ermittlungsbehörden der Republik" ungeachtet seiner geschichtlichen Verdienste "sich des moralischen Rechts begeben, die Deutungshoheit über sein Charakterbild zu behalten."
Rechtspolitik
Sterbebegleitung: In einer ungewöhnlich ernsthaften und emotionalen Aussprache ohne Koalitionszwang haben sich die Abgeordneten des Bundestags in einer Orientierungsdebatte über Positionen zu einer gesetzlichen Regelung einer ärztlichen Sterbebegleitung oder organisierter Suizidhilfe verständigt. In ausführlichen Artikeln berichten Berliner Zeitung (Mira Gajevic), FAZ (Heike Schmoll), zeit.de (Ludwig Greven), SZ (Nina von Hardenberg) und taz (Heike Haarhoff) über die Debatte zum - in den Worten von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) - "anspruchsvollsten Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode", für das ein Entwurf Ende des kommenden Jahres vorliegen soll. Einig sei man sichhinsichtlich eines Ausbaus der Palliativ- und Hospizversorgung.
In einer Kolumne warnt Jakob Augstein (spiegel.de) davor, durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung "Sterbehilfe als übliche Behandlungsmethode" zu etablieren. Dies berge die Gefahr, nicht nur "das Altern zu verlernen" sondern auch den Tod dem "Geist des Zwecks" zu unterwerfen. Ähnlich argumentiert Heike Schmoll (FAZ) im Leitartikel der Zeitung. Die "Grauzone, in der Ärzte in besonders tragischen Grenzfällen agieren", müsse erhalten erhalten bleiben, allenfalls sei der Gesetzgeber berufen, diese Ärzte angesichts einer "rigiden Haltung" nicht allein zu lassen. Auch Matthias Drobinski (SZ) stellt auf die Schwierigkeit ab, "dass hier ein Rechtsstaat Normen finden muss in einem Bereich, der individuell ist wie kein anderer." Es liege nun an den Abgeordneten, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des zu schaffenden Gesetzes dazu beizutragen, "ein anderes Verhältnis zum schwachen, hilfsbedürftigen, leistungsunfähigen Menschen" zu schaffen.
Einen rechtsvergleichenden Blick auf Regelungen des europäischen Auslandes wirft die taz (Heike Haarhoff).
Bundespräsident: Ein vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstelltes Gutachten zu außenpolitischen Äußerungsbefugnissen des Bundespräsidenten kommt zu einem abwägenden Ergebnis. Eine gänzliche Freiheit bestehe nicht, vielmehr sei das Staatsoberhaupt wegen der Verfassungsorgantreue dazu verpflichtet, keine "Nebenaußenpolitik" zur Bundesregierung zu betreiben. Dies berichtet die SZ (Robert Roßmann) und nennt als Auftraggeber den Abgeordneten Peter Gauweiler (CSU). Christian Bommarius (Berliner Zeitung) kommentiert, dass Joachim Gauck mit seiner Äußerung, Deutschland müsse die Erhaltung der "offenen internationalen Ordnung" notfalls auch militärisch sichern, tatsächlich die "Avantgarde schwarz-roter Außenpolitik" bilde.
Frauenquote: Innerhalb der Regierungskoalition meldet nach einem Bericht der SZ (Constanze von Bullion) die CSU verfassungsrechtliche Bedenken gegen das geplante Gleichstellungsgesetz an. So gefährde die im Entwurf vorgesehene Frauenquote in Firmenvorständen die grundrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit von Anteilseignern.
Mietpreisbremse: Ein im Auftrag des Immobilieneignerverbandes Haus & Grund unter anderem von Rechtsprofessor Alexander Blankenagel erstelltes Rechtsgutachten bezeichnet die geplante Mietpreisbremse als verfassungswidrig. So sei der Entwurf schon nicht geeignet, Wohnungsknappheit zu beheben. Der Eingriff in das Eigentumsrecht der Vermieter sei auch nicht erforderlich, denn mit einer Erhöhung des Wohngeldes stünde ein milderes Mittel zur Verfügung, zitiert die FAZ (Joachim Jahn/Michael Psotta) die Gutachter.
Eine mögliche Verfassungsbeschwerde hätte so durchaus Chancen, meint Joachim Jahn (FAZ) in einem Kommentar. Denn "schließlich gibt es kein Grundrecht darauf, in einem besonders hippen Stadtteil zu wohnen." Was not tue, seien neue Wohnungen.
Justiz
BVerfG zu Heimunterricht: Aus Anlass des jüngsten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes zum Heimunterricht unterzieht Georg Neureither (verfassungsblog.de) die Verfassungsrechtsprechung zum Thema einer kritischen Würdigung. Der Kirchenrechtler hält die auch jetzt in Stellung gebrachten Argumente – der staatliche Erziehungsauftrag sei jenem der Eltern gleichgeordnet, zudem bestehe ein Interesse, "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken – für keineswegs zwingend. Stattdessen sei es ein Kennzeichen einer differenzierten Gesellschaft, "Vielfalt und Unterscheidung" auch rechtlich zuzulassen.
BVerfG zu Gorch Fock-Unglück: Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen einen Schiffsarzt wegen des Todes einer Kadettin auf dem Schulschiff verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Eine Verfassungsbeschwerde der Eltern der Verunglückten wurde nicht zur Entscheidung angenommen, meldet die taz-Nord.
BGH zu notwendiger Verteidigung: Detleff Burhoff (strafrecht.jurion.de) macht auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Oktober zur notwendigen Verteidigung aufmerksam. Nach diesem gebiete auch die Neuregelung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 Strafprozessordnung selbst dann nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für einen ergriffenen Beschuldigten vor dessen verantwortlicher Vernehmung, wenn ein Kapitaldelikt im Raum steht.
OLG Düsseldorf zu Terrorzelle: Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat hat das Oberlandesgericht Düsseldorf zwei Mitglieder der sogenannten Düsseldorfer Terrorzelle zu neun bzw. sieben Jahren Haft verurteilt. Zwei weitere Angeklagte wurden ebenfalls zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, sie kommen jedoch nach dem Bericht der SZ (Jannis Brühl, erweiterte Online-Fassung) unter strengen Auflagen frei, weil bereits knapp zwei Drittel der Strafe durch Untersuchungshaft abgegolten sind. Die Verurteilten hätten nach Ansicht des Gerichts aus dem Umfeld Osama bin Ladens den Befehl bekommen, in Deutschland einen Anschlag zu verüben. Welt (Kristian Frigelj) und taz (Anja Krüger) berichten ebenfalls.
OLG Stuttgart - IS: In einer ausführlichen Darstellung berichtet Holger Schmidt (SWR-Terror-Blog) über einen Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart vom Anfang des Monats. An "legendärem Standort" in Stammheim wird gegen drei Angeklagte wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der Terrormiliz "Islamischer Staat" verhandelt.
OLG München – NSU-Prozess: Am 159. Verhandlungstag wurde im Prozess gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München die damalige Freundin eines Schweizers vernommen, der die mutmaßliche Tatwaffe des Terror-Trios nach Deutschland verbracht haben soll. Der Mann entzieht sich nach Darstellung von spiegel.de (Gisela Friedrichsen) nach wie vor einer Vernehmung durch das Münchner Gericht.
LG Hamburg – Yagmur: Die vor dem Landgericht Hamburg des Mordes der dreijährigen Yagmur angeklagte Mutter des Opfers ist nach Einschätzung des psychiatrischen Gutachters voll schuldfähig. Spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
LG Essen – Thomas Middelhoff: Am heutigen Freitag wird das Urteil des Landgerichts Essen im Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff erwartet. Nach Darstellung der FAZ (Joachim Jahn) sind damit die Gerichtstermine des Managers aber keineswegs beendet. Vor dem Landgericht Köln klage Middelhoff gegen die Einfrierung seiner Konten durch die Privatbank Sal. Oppenheim, der Prozess werde am kommenden Dienstag eröffnet. Nächsten Monat stehe dann eine Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Hamm an. In dieser fordere der Insolvenzverwalter des Arcandor-Konzerns Bonuszahlungen in Millionenhöhe zurück. Im jetzigen Strafverfahren sei zudem mit einer Revision zu rechnen.
VG Hannover zu Hooligan-Demo: Eine für den kommenden Samstag geplante Demonstration der Gruppe "Hooligans gegen Salafisten" darf nach Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover stattfinden. Durch eine Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung sei nach Ansicht des Gerichts das Risiko eines unfriedlichen Verlaufs ausreichend verringert, schreibt die taz (Andreas Speit).
AG Dessau-Roßlau – König von Deutschland: Wegen Verstoßes gegen das Versicherungsaufsichtsgesetz muss sich vor dem Amtsgericht Dessau-Roßlau ein selbsternannter "König von Deutschland" verantworten. Der Angeklagte soll eine illegale Krankenversicherung betrieben haben, zum Prozessauftakt stellte er die Zuständigkeit des Gerichts in Frage, berichtet spiegel.de.
Uli Hoeneß: Im Interview mit focus.de erläutert Rechtsanwalt Christian Steinpichler den möglichen Freilassungszeitpunkt für Uli Hoeneß und weitere mögliche Haftlockerungen.
Erwin Müller: Die SZ (Klaus Ott) bringt eine längere Reportage über den Ulmer Drogerieketten-Betreiber Erwin Müller und dessen zahlreiche rechtliche Auseinandersetzungen. Als ehemaliger Kunde der Schweizer Privatbank Sarasin soll Müller ein von der Staatsanwaltschaft Köln betriebenes Ermittlungsverfahren gegen die Bank wegen umstrittener Cum-Ex-Geschäfte mit ausgelöst haben. Hanno Berger, ein früherer Regierungsdirektor beim hessischen Fiskus und späterer Steueranwalt, habe nun Anzeige gegen den Unternehmer wegen falscher Verdächtigung erstattet. Er werfe Müller vor, über die Cum-Ex-Geschäfte voll orientiert gewesen zu sein und nun zu versuchen, die Justiz zu täuschen.
Recht in der Welt
EGMR zu Lebenslänglich: Eine französische Strafbestimmung, nach der zu lebenslänglicher Haft Verurteilte frühestens und nur unter bestimmten Bedingungen nach 30 Jahren entlassen werden können, verstößt nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht gegen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) fragt sich in seinem Bericht, ob diese Entscheidung, die frühere zum Thema fortschreibe, den britischen Konservativen angesichts deren Kritik an der "angeblich übergriffigen Rechtsprechung des EGMR" bekannt sei.
FIFA: Eine unter dem Vorsitz des Deutschen Hans-Joachim Eckert arbeitende Ethikkommission des Weltfußballverbandes FIFA hat bei ihrer Untersuchung möglicher Korruption anlässlich der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 neben Verstößen Einzelner keine gravierenden Vergehen festgestellt. Demgegenüber habe der Chefermittler der Kommission, Michael Garcia, "zahlreiche materiell unvollständige und fehlerhafte Darstellungen der Tatsachen und Schlussfolgerungen" des Berichts bemängelt und eine Anfechtung bei der FIFA-Berufungskommission angekündigt, schreibt die SZ (Thomas Kistner). Dem Bericht der FAZ (Michael Ashelm) zu der "bizarren Wendung" kann entnommen werden, dass Eckert Vorsitzender Richter am Landgericht ist und vorher lange Jahre "Korruptionsjäger bei den Ermittlungsbehörden" war. Zeit.de (Oliver Fritsch) berichtet ebenfalls und stellt neben Eckert auch Garcia, einen US-amerikanischen Staatsanwalt, vor.
In einem Kommentar gibt Michael Ashelm (FAZ) zu bedenken, dass es schwierig sei, Korruptionsfälle, die sich gerade dadurch auszeichneten, im Verborgenen begangen zu werden, "vor Gericht zu bringen". Die FIFA müsse, um dem nächsten Glaubwürdigkeitsverlust zu entgehen, nun den bislang unter Verschluss gehaltenen vollständigen Ermittlungsbericht Garcias veröffentlichen.
Sonstiges
Versicherer: Die Mehrheit der Anwälte ist davon überzeugt, dass sich das Regulierungsverhalten von Versicherungsunternehmen in den letzten fünf Jahren "deutlich" oder "etwas" verschlechtert hat. Dies ist nach Bericht der SZ (Thomas Öchsner) das Ergebnis einer im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein erstellten Umfrage. Besonders zeitraubend seien Streitigkeiten zu Berufsunfähigkeitsversicherungen.
NSU-Sonderermittler: Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages hat angekündigt, dass der als Sonderermittler eingesetzte frühere Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag (Grüne) seinen Bericht bis Mai 2015 vorlegen wird. Montag solle die Tätigkeit des jahrelangen als V-Mann tätigen "Corelli" und die Umstände seines Todes untersuchen. Dies berichtet die taz (Sabine am Orde).
Das Letzte zum Schluss
Vorauseilender Gehorsam: In Berlin betreibt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die gesetzliche Verankerung des Bestellerprinzips, nach dem Wohnungsmakler von jenen bezahlt werden, die ihre Dienste beauftragen. In seiner Heimat Saarlouis profitierte er jedoch von der immer noch gängigen Praxis, als er die Gebühren des von ihm beauftragten Maklers vom Mieter seines dortigen Hauses entrichten ließ. Wie lawblog.de (Udo Vetter) schreibt, erstattete der Minister dem Mieter nun diese Kosten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. November 2014: Kohl-Zitate untersagt - Sterbehilfe debattiert - Mietpreisbremse kritisiert . In: Legal Tribune Online, 14.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13806/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag