Das Internet ist nach wie vor für viele Neuland. Wer haftet für Äußerungen in der virtuellen Sphäre? Außerdem in der Presseschau: das BVerfG vor der Anhörung zum Betreuungsgeld, Fortsetzung im NSU-Verfahren, vorformuliertes Urteil am FG Köln, staatliche Kostenübernahme bei strafrechtlicher Verfahrenseinstellung und ein Unterbringungs-Führer der besonderen Art.
Thema des Tages
Provider-Haftung: In Berlin tagte der Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit zur "Haftung für Äußerungen im Internet". Nach dem Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) seien Juristen "längst dabei, die Regeln des Medienrechts für das Internet passend zu machen." Die Google-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem vergangenen Jahr weise dabei den Weg. Sie habe aufgezeigt, dass nicht nur der Urheber einer Nachricht, sondern auch die zu ihrer Verbreitung verwendete Suchmaschine in Haftung genommen werden könne. Ob der nun von Google verwendete Kriterienkatalog für die Bearbeitung von Löschanträgen bei "unflätigen Kommentaren oder inkriminierenden Halbwahrheiten" auch die Rechte der Urheber ausreichend berücksichtige, müsse noch gerichtlich geklärt werden.
Die Kritik mehrerer Tagungsteilnehmer an dieser Haftung für "Intermediäre" rückt Rechtsanwalt Martin W. Huff auf lto.de in den Mittelpunkt. So bestehe nach Einschätzung des Medienrechtlers Karl-Nikolaus Peifer die Gefahr des Ausfalls einer notwendigen Interessenabwägung zugunsten eines "starren Datenschutzes." Zum gegenwärtigen Gesetzentwurf zur Störerhaftung im Telemediengesetz hätten sich die Medienexperten kritisch geäußert.
Reinhard Müller (FAZ) meint dagegen, dass Rechtsverletzungen im Internet bekämpft werden müssten. Gerade die Gleichgültigkeit des Netzes gegenüber nationalen Grenzen "darf nicht dazu führen, dass Deutschland, dass Europa seinen Anspruch aufgibt, auf dem eigenen Territorium für das, was hierzulande aufrufbar ist, verbindlich Recht zu setzen und die eigenen Vorstellungen durchzusetzen."
Rechtspolitik
TTIP: Thomas Stadler (internet-law.de) kritisiert in einem ersten von mehreren geplanten Beiträgen zum Freihandelsabkommen TTIP das bei den Verhandlungen zur Anwendung kommende Verfahren. Zwar sei es nicht ungewöhnlich, dass Lobbyvertretungen Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse nähmen. Bei den Verhandlungen zum Handelsabkommen fehlten aber die sonstigen "Gegenspieler" der hier beteiligten Wirtschaftslobbyisten. Die Formulierungen der Handelsverträge würden unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Parlamentsbeteiligung erarbeitet. Dieser Verfahrensmangel wirke so schwer, dass "ganz unabhängig von inhaltlichen Aspekten" das TTIP "unbedingt abzulehnen" sei.
Justiz
BVerfG – Betreuungsgeld: Vor der am heutigen Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht anstehenden mündlichen Anhörung zur Verfassungsmäßigkeit des 2013 eingeführten Betreuungsgeldes fassen Beiträge der SZ (Wolfgang Janisch) und der FAZ (Dietrich Creutzburg/Joachim Jahn) die Argumente des klagenden Hamburger Senates zusammen. Gerügt werde zum einen die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes, der sich auf eine Maßnahme der öffentlichen Fürsorge berufe. In materieller Hinsicht verstoße das Gesetz gegen den Gleichberechtigungs-Grundsatz. Die Bezieher seien fast ausschließlich weiblich. Faktisch würde so eine traditionelle Rollenverteilung verfestigt.
Die SZ (Constanze von Bullion) porträtiert zudem Ralf Kleindiek (SPD), Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Als Staatsrat in Hamburg hatte der Jurist die Verfassungsklage maßgeblich vorangetrieben, in seinem Amt falle ihm nun die Vertretung der beklagten Bundesregierung zu.
BGH zu Piraterie: Der Bundesgerichtshof hat die von einem verurteilten Piraten gegen seine Verurteilung durch das Landgericht Osnabrück eingelegte Revision verworfen. Die Verurteilung des Somaliers zu zwölf Jahren Haft wegen erpresserischen Menschenraubs und besonders schwerer räuberischer Erpressung bei dem Überfall auf den Tanker "Marida Marguerite" im Jahr 2010 ist damit rechtskräftig, meldet taz.de.
OLG München – NSU: Am heutigen Dienstag wird das Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München fortgesetzt, thematischer Schwerpunkt werden dabei die mutmaßlich von den männlichen Mitgliedern verübten Banküberfälle sein. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) fasst bisherige Zeugenaussagen zum Komplex zusammen. Das Gericht müsse zudem zu einem von der Verteidigung Zsschäpes erhobenen Widerspruch gegen eine Beweisverwertung entscheiden. Unter Umgehung des informationellen Trennungsgebotes habe der thüringische Verfassungsschutz unmittelbar vor dem Untertauchen des Trios dem Landeskriminalamt Amtshilfe geleistet, die bei einer Durchsuchung sichergestellten Schriftstücke dürften somit nicht verwertet werden.
LG Hamburg – Heinrich Maria Schulte: Das Handelsblatt (Gertrud Hussla) berichtet zum Plädoyer der Verteidigung im Verfahren gegen den früheren Chef des Investitionshauses Wölbern, Heinrich Maria Schulte, vor dem Landgericht Hamburg. Die Vertreter des wegen Veruntreuung von fast 150 Millionen Euro an Einlagen Angeklagten hätten dem Gericht unterstellt, an einer Wahrheitsfindung nicht interessiert gewesen zu sein, was sich etwa darin geäußert habe, dass dem Angeklagten keine einzige Frage gestellt worden sei. Die Staatsanwaltschaft habe eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren beantragt.
LG Bonn – Teldafax: Im Verfahren gegen ehemalige Vorstände des insolventen Energieanbieters Teldafax belastete ein nur kurz im Unternehmen tätiger ehemaliger Finanzvorstand seine früheren Kollegen schwer. Diese seien nach Darstellung des Zeugen "spätestens Anfang Oktober 2009" über die drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens informiert gewesen, der Insolvenzantrag erging jedoch erst zwei Jahre später. Das Handelsblatt (Sönke Iwersen) berichtet.
FG Köln – vorgefertigtes Urteil: Über "Merkwürdigkeiten" in einem beim Finanzgericht Köln anhängigen Verfahren zu einer finanzamtlichen Festlegung der Grunderwerbssteuer für ein erworbenes Grundstück schreibt die SZ (Uwe Ritzer). Anwälte des Klägers hätten beim Studium der Gerichtsakten ein vorgefertigtes und weitgehend ausformuliertes Urteil gefunden, nach dem die Klage abgewiesen würde. Eine mündliche Verhandlung sei bislang noch nicht durchgeführt worden. Der umgehend gestellte Befangenheitsantrag sei abgewiesen worden. Nach Darstellung der mit dem Fall befassten Vorsitzenden Richterin habe diese – unter Verwendung einer entsprechenden Urteils-Vorlage des gerichtlichen EDV-Systems – den Sachverhalt nach Aktenlage lediglich zusammengefasst.
StA Karlsruhe – JVA-Tod: Ein von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe in Auftrag gegebenes medizinisches Gutachten ist zu dem Schluss gelangt, dass der Hungertod eines Häftlings der JVA Bruchsal im vergangenen Jahr durch Behandlung mit Psychopharmaka und gegebenenfalls eine Zwangsernährung hätte verhindert werden können. Die Anklagebehörde ermittle weiterhin gegen den suspendierten JVA-Leiter, schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt). Könne ihm nachgewiesen werden, dass er die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung des psychisch gestörten Verstorbenen erkennen hätte müssen, sei eine Verurteilung wegen Tötung durch Unterlassen denkbar.
Kostenübernahme im Strafrecht: Aus Anlass der jüngst erfolgten Verfahrenseinstellung des Amtsgerichts Dresden im Fall des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) weist Udo Vetter (lawblog.de) darauf hin, dass die dort entschiedene Kostenübernahme durch die Staatskasse nach § 467 Abs. 4 Strafprozessordnung der Regelfall sei. Die negative Kostenfolge für den Angeschuldigten, dessen Verfahren eingestellt worden sei, bedürfe dagegen besonderer Gründe.
Recht in der Welt
Frankreich – Terrorismusbekämpfung: Ein französisches Gesetz vom November des vergangenen Jahres hat die Strafen für "Verherrlichung des Terrorismus" verschärft. Der Rechtswissenschaftler Robin Caballero (verfassungsblog.de) zählt Beispiele für Strafverfolgungen aufgrund der Neufassung auf und bezweifelt in seinem Beitrag, dass die Maßnahme zur Erreichung ihres Zwecks, der Verhinderung von Terrorismus, geeignet ist.
USA – Journalisten-Festnahme: Drei deutsche Journalisten, die im vergangenen August während ihrer Recherche zu den Unruhen in Ferguson/USA von der örtlichen Polizei festgenommen worden sind, klagen nun gegen die Maßnahme. Sie machen Körperverletzungen, ungerechtfertigte Festnahmen sowie eine Behinderung ihrer Arbeit und der Pressefreiheit geltend, schreibt die taz (Dorothea Hahn).
Sonstiges
Private Sicherheit: Eine Initiative der Bundesregierung will im Bürgerdialog "Gut leben" das Verständnis von Lebensqualität ergründen. Für Reinhard Müller (FAZ) gehört hierzu angesichts der jüngsten Einbruchstatistik die Wahrnehmung der "staatlichen Kernaufgabe der Sicherung von Freiheit." Bürger könnten erwarten, hierbei vom Staat "nicht allein gelassen" zu werden. Dies sei durch wirksame Prävention, aber auch den gewissenhaften Einsatz "elektronischer Mittel" bei der Verfolgung von "Verbrecherbanden" zu bewerkstelligen.
NSU-Ausschuss B-W: Der NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtages setzte seine Arbeit am Montag in einer nicht-öffentlichen Sitzung fort. Nach Bericht von SZ.de (Josef Kelnberger) beharrte eine vernommene Zeugin, die gut mit dem mutmaßlich durch Suizid verstorbenen Florian H. befreundet war, darauf, dass dieser ihr gegenüber bereits ein halbes Jahr vor der öffentlichen Enttarnung den NSU als Urheber der Tötung der Polizisten Michele Kiesewetter benannte.
Das Letzte zum Schluss
Bewertungsportal: Den Anwälten des verurteilten Managers Thomas Middelhoff ist es gelungen, die Lebenssituation von Häftlingen in das Bewusstsein des öffentlichen Interesses zu rücken. Für focus.de (Michael Becker) ein Anlass, auf die von den Betreibern ironisch als "Hotelführer" bezeichnete Webseite knast.net hinzuweisen, auf der Insassen, deren Angehörige sowie Mitarbeiter Justizvollzugsanstalten beschreiben und bewerten können. Die gegenwärtig von Middelhoff bewohnte JVA Essen kommt nach Einschätzung des Autors "schlecht weg", "recht glimpflich" stellten sich dagegen die Eintragungen zur JVA Landsberg dar.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. April 2015: Haftung im Internet – Fortsetzung im NSU-Verfahren – Vor-Urteil am FG Köln . In: Legal Tribune Online, 14.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15222/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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