Eine Expertenkommission stellt heute Änderungsvorschläge zur StPO vor. Außerdem in der Presseschau: Transitzonen für Asylbewerber, Staatsziel Integration, BAG-Präsidentin Schmidt und ziviler Ungehorsam auf schlüpfrige Art.
Thema des Tages
Strafprozessrecht: Im Juli des vergangenen Jahres berief Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine Expertenkommission ein, die Vorschläge entwickeln sollte, um das Strafverfahren effektiver und praxistauglicher zu gestalten. Der knapp 180-seitige Bericht des Gremiums wird am heutigen Dienstag vorgestellt. Die taz (Christian Rath) gibt einen Überblick zu den wichtigsten der "Dutzenden Empfehlungen". So solle der Einsatz polizeilicher Lockspitzel ausdrücklich verboten werden, der Einsatz von Trojanern zur Telefonüberwachung dagegen erlaubt werden. In Großverfahren wie dem NSU-Prozess sollen Nebenkläger zu Gruppen zusammengefasst werden dürfen. Einer Änderung der Vorschriften zur Wiederaufnahme eines Verfahrens widersetzte sich die Kommission jedoch. Der Bericht der FAZ (Helene Bubrowski) rückt technische Neuerungen in den Mittelpunkt. So sollten richterliche und polizeiliche Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen nach den Vorstellungen der Kommission videotechnisch aufgezeichnet und in der Hauptverhandlung unter Wahrung etwaig bestehender Zeugnisverweigerungsrechte abgespielt werden dürfen. Zur besseren Dokumentation sollten künftig Hauptverhandlungen auf Video aufgezeichnet werden.
Rechtspolitik
Transitzonen für Flüchtlinge: Den aktuell diskutierten Vorschlag, die Asylberechtigung von Flüchtlingen in sogenannten Transitzonen an der Grenze zu prüfen, stellen Tsp (Jost Müller-Neuhof u.a.) und spiegel.de (Annett Meiritz/Anna Reimann) auch im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit EU-Recht dar. Obwohl der Begriff in der EU-Asylrechtsrichtlinie erwähnt wird, sei eine Transitzone nach den Worten des von der SZ (Wolfgang Janisch) zitierten Rechtsprofessors Jürgen Bast nur an den EU-Außengrenzen "denkbar". Bei einer immerhin theoretisch möglichen vorläufigen Einrichtung an deutschen Grenzen hingegen sei zu bezweifeln, dass eine in jedem Fall notwendige sorgfältige Prüfung des Einzelfalls gewährleistet werden kann.
Ähnlich argumentiert Jan Bielicki (SZ) in einem Kommentar. Das als Vorbild bemühte, sogenannte Flughafenverfahren, bei dem binnen zwei Tagen über ein Asylgesuch entschieden werde, laufe bereits dort "weitgehend ins Leere". Die weit überwiegende Zahl der Betroffenen werde in die "ordentliche Erstaufnahme" geschickt, "weil die Bearbeitung eben doch nicht so schnell läuft".
Asylpolitik: Die BerlZ (Christian Bommarius) zieht Parallelen zwischen den juristisch verbrämten Wortmeldungen von CSU und AfD zur Asylpolitik. Sowohl der Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), eine Verfassungsklage einreichen zu wollen, als auch der Anzeigenerstattung des stellvertretenden AfD-Sprechers Alexander Gauland gegen die Bundeskanzlerin fehlten juristische Grundlagen. Der mit der Anzeige erhobene Vorwurf, Angela Merkel (CDU) habe sich mit ihrer Anfang September getroffenen Entscheidung, das Weiterreiseverbot für Flüchtlinge außer Kraft zu setzen, als "Schleuserin" betätigt, werde auch durch Hilfestellung des Rechtsprofessors Holm Putzke nicht sinnvoller. Denn ignoriere der Vorwurf die tatsächliche Hilfebedürftigkeit von Flüchtlingen in Ungarn und im Mittelmeer.
Staatsziele Teilhabe und Integration: In einem Gastbeitrag für die SZ spricht sich Farhad Dilmaghani, ehemaliger Staatssekretär für Arbeit und Integration in Berlin, für "einen neuen verfassungsrechtlichen Kompass für die Einwanderungsgesellschaft" aus. Ein neuer Art. 20b des Grundgesetzes könnte den Charakter Deutschlands als "vielfältiges Einwanderungsland" und "gleichberechtigte Teilhabe und Integration" als förderungswürdiges Staatsziel festlegen.
Erbschaftsteuer: Nach der Sachverständigenanhörung zur Reform der Erbschaftsteuer droht sich das Vorhaben bis zum kommenden Jahr hinzuziehen. Wie die FAZ (Manfred Schäfers) schreibt, mache die SPD vor allem verfassungsrechtliche Bedenken geltend, die CDU empfinde dagegen die hohe Belastung von Familienunternehmern als problematisch. Angehörte Experten sähen im gegenwärtigen Entwurf die Vorgaben des Bundesverfassungsgericht nur ungenügend umgesetzt.
Syndikusanwälte: Zu Schwierigkeiten bei der Neuregelung des Rechts der Unternehmensjuristen schreibt lto.de (Anne-Christine Herr). Nach wie vor herrsche Uneinigkeit im Rechtsausschuss des Bundestages bezüglich der vom Bundesjustizministerium geplanten Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. Kritiker empfänden dies als Schlechterstellung gegenüber angestellten Anwälten in Kanzleien.
Arbeitsrecht: In einem Gastkommentar für das Handelsblatt fordert Rechtsanwalt David Plitt ein neu zu schreibendes Arbeitsrecht für das digitale Zeitalter. Denn würden die Auswirkungen der digitalen Transformation in der Arbeitswelt durch das geltende Recht "einschließlich der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern" nicht mehr zutreffend abgebildet.
Justiz
BVerfG zu Tarifeinheitsgesetz: Die vom Bundesverfassungsgericht am vergangenen Freitag ergangenen Beschlüsse zur Ablehnung der beantragten Aussetzung des Tarifeinheitsgesetzes unterzieht nun Rechtsanwalt Manfred Löwisch (Handelsblatt-Rechtsboard) einer Analyse.
BGH zu Digitalisierung von Bibliotheksbeständen: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ kritisiert der Editionsphilologe Roland Reuß das nun veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs vom April zur Digitalisierung von Bibliotheksbeständen als "Kriegserklärung an das Buch". Der Initiator des Heidelberger Appells bemängelt vor allem eine zu Lasten von Produzenten einseitig an Nutzerinteressen orientierte Entscheidung. Die zur Begründung angeführten §§ 52a, 52b des Urheberrechtsgesetzes bildeten hierfür keine tragfähige Grundlage, eine Verfassungsbeschwerde sei "unbedingt notwendig".
BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt: Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, äußert sich gegenüber der FAZ (Joachim Jahn) zu zahlreichen anstehenden Entscheidungen ihres Gerichts. So sei zu erwarten, dass das BAG bis zum Ende des kommenden Jahres die grundlegenden Fragen zum Mindestlohngesetz geklärt habe. Dagegen sei sie skeptisch gegenüber der Forderung nach einer gesetzlichen Festschreibung des Rechts des Arbeitskampfes. Im Hinblick auf häufig unterschiedliche verwaltungsgerichtliche Vorgaben in Eilverfahren zu Konkurrentenklagen bei Bundesrichterstellen wäre es nach Schmidt sinnvoll, wenn dem Bundesverwaltungsgericht durch den Gesetzgeber das Letztentscheidungsrecht zu Beurteilungsmaßstäben erteilt werde.
BayVGH – Rechtspopulist: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof setzt sich der Bundesvorsitzende der Partei "Die Freiheit", Michael Stürzenberger, in einer Berufungsverhandlung gegen seine Einordnung als Rechtspopulist im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2013 zur Wehr. Über den Fall berichtet die SZ (Ekkehard Müller-Jentsch).
LG Köln zu Jörg Kachelmann: Nach der Volltextveröffentlichung der Urteile des Landgerichts Köln zu Schmerzensgeldansprüchen Jörg Kachelmanns gegen die Bild-Zeitung und bild.de weist internet.law.de (Thomas Stadler) darauf hin, dass ein noch höheres Schmerzensgeld am fehlenden Unterlassungsverlangen Kachelmanns gegenüber weiteren Artikeln gescheitert sei. Die hierzu vom Gericht abgegebene Begründung sei "zumindest diskutabel", erhöhe aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Berufung.
SG Berlin – Leistungsbezug für Asylbewerber: Nach Meldung der taz-Berlin haben rund 20 Asylbewerber beim Sozialgericht Bericht Eilanträge gegen das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales eingereicht. Die Antragsteller wollen von der Landesbehörde die umgehende Zahlung von Leistungen erzwingen.
VG Lüneburg zu Immobilienbeschlagnahme: In einem vom Immobilieneigentümer angestrengten Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Lüneburg der Stadt die geplante Beschlagnahme zugunsten der Unterbringung von Flüchtlingen untersagt. Wie lto.de schreibt, lägen nach Ansicht des Gerichts die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstandes nicht vor. Vielmehr hätten wegen des erheblichen Eingriffs in das grundrechtlich garantierte Eigentumsrecht vorrangig städtische Unterbringungsmöglichkeiten geprüft werden müssen.
GBA – CIA-Agentin: Die SZ (Hans Leyendecker/Nicolas Richter) berichtet zu einem auf Betreiben des ECCHR beim Generalbundesanwalt angelegten Prüfvorgang wegen der Entführung Khaled el-Masris. Nach dem im vergangenen Dezember im US-Senat veröffentlichten Bericht zu Folterpraktiken des CIA sei zu vermuten, dass die Entführung auf eine als "Folterkönigin" bezeichnete CIA-Agentin, deren Name "Insidern bekannt" sei, zurückzuführen sei. Die tatsächliche Eröffnung von Ermittlungen sei dagegen zweifelhaft.
StA Aachen – Phantom-Nebenklägerin: Nach Meldung von spiegel.de hat die Staatsanwaltschaft Aachen gegen Rechtsanwalt Ralph Willms ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Betruges eingeleitet. Der Anwalt hatte bis vor kurzem die offenbar nicht existierende Nebenklägerin Meral Keskin im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München vertreten. Die für die Mandatsübernahme mutmaßlich geleistete Provision sei zudem Gegenstand eines von der Kölner Anwaltskammer beantragten Ermittlungsverfahrens bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln.
StA Hagen – Brandanschlag: Dass die Staatsanwaltschaft Hagen bei dem geständigen Tatverdächtigen eines Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft im Sauerland keine Fluchtgefahr erkennen will, hält Annette Ramelsberger (SZ) für "juristisch nicht zu beanstanden und dennoch verheerend". In einer "politischen Naivität, die man im Osten über Jahrzehnte kritisiert hat", entpolitisiere die Anklagebehörde das Motiv des Täters, indem sie eine "dubiose Angst" vor Flüchtlingen und eben nicht rechtsradikale Ansichten erkennen wolle. Wer verkenne, wie tief sich Fremdenfeindlichkeit "in die Gesellschaft gefressen" habe, "schützt den Rechtsstaat nicht, er gefährdet ihn".
StA Traunstein – Ermittlungen gegen Polizei: Im Juli des vergangenen Jahres erschoss ein Polizist in Burghausen/Bayern einen Flüchtenden. Die SZ (Heiner Effern) gibt nun ausführlich die Kritik des Anwalts der Mutter des Opfers an der Dauer der nach wie vor laufenden Ermittlungen wieder. Der Schusswaffeneinsatz gegen den eines Drogendelikts Verdächtigen in einem Wohngebiet sei unter allen Gesichtspunkten unverhältnismäßig gewesen. Dass die Staatsanwaltschaft den Schützen unmittelbar nach der Tat als Zeuge und nicht als Beschuldigten vernommen habe, belege deren Absicht, "mit allen Mitteln einen Prozess gegen den Beamten vermeiden" zu wollen, wird der Anwalt zitiert.
Recht in der Welt
Spanien – Stierkampf/Kunst: Zu einem Streit über eine untersagte Werbeaktion in Barcelona berichtet die SZ (Thomas Urban). Ein landesweit bekannter Torero beabsichtigte, eine Corrida in der benachbarten Provinz Aragon mit einem Plakat zu bewerben, dass ihn als Salvador Dalí darstellt. In Katalonien ist der Stierkampf seit mehreren Jahren verboten, weswegen die Aufhängung des Werbebanners nun untersagt wurde. Der Torero berufe sich dagegen auf die Kunstfreiheit.
Brasilien – VW: Bei der Bundesanwaltschaft in Sao Paulo ist vor kurzer Zeit eine Anzeige gegen brasilianische Tochter des VW-Konzerns eingegangen. Deren Grundlage sei ein Bericht einer Wahrheitskommission zum Verhalten des Unternehmens während der Zeit der Militärdiktatur, schreibt die SZ (Boris Herrmann).
Kolumbien – Kindesmissbrauch: Über ein bahnbrechendes Urteil in Kolumbien berichtet die FAZ (Matthias Rüb). Zum ersten Mal habe das Oberste Gericht des Landes die zivilrechtliche Haftung der katholischen Kirche für den Schadensersatzanspruch zweier Missbrauchsopfer bestätigt. Der zuvor wegen des Missbrauchs verurteilte Priester habe den zuerkannten Zahlung nicht leisten können. Weil er "seine gesellschaftlich hervorgehobene Position als respektierte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens" zur Begehung der Tat ausgenutzt habe, hafte deshalb seine Diözese.
Thailand – Leihmutterschaft: Ein US-amerikanisches-spanisches schwules Paar kämpft vor einem thailändischen Gericht darum, ihre von einer Leihmutter geborene Tochter außer Landes bringen zu dürfen. Die Leihmutter verweigere ihre Zustimmung, schreibt die SZ (Laura Hertreiter). Die Väter beriefen sich dagegen darauf, dass die aktuelle Gesetzeslage, die Leihmütterschaften mit Ausländern verbietet, erst nach Geburt der Tochter verschärft worden sei.
Sonstiges
NSU-Konsequenzen in Hessen: Sicherheitsbehörden in Hessen haben aus den Ermittlungspannen bei der NSU-Mordserie "viele richtige Konsequenzen" gezogen. Zu diesem Schluss gelangt nach Bericht der FAZ (tifr) eine von der Landesregierung eingesetzte und vom früheren Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch geleitete Expertenkommission. Zu loben sei etwa, dass der Verfassungsschutz des Landes "sehr viel bereitwilliger und schneller" Erkenntnisse an die Polizei übermittle.
NS-Unrecht: In ihrer Rubrik Politische Bücher bespricht die FAZ (Hans-Jürgen Dörner) "Reflexionen einer Staatsanwältin. Nationalsozialistisches Unrecht und seine juristische Aufarbeitung" von Ursula Solf. Die Autorin, zwischen 1983 und 2003 bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg tätig, stelle in ihrem Buch die juristische Verfolgung von Tätern in beiden deutschen Staaten gegenüber.
Das Letzte zum Schluss
Ziviler Ungehorsam: Ein neues Gesetz erlaubt es Studenten in Texas/USA ab dem kommenden Jahr, Hörsäle und andere Orte an Universitäten bewaffnet aufzusuchen. Einzige Bedingung: die Schusswaffe muss verdeckt getragen werden. Weil gleichzeitig verwarnt werden kann, wer auf dem Campus mit Sexspielzeug angetroffen wird, ruft eine Gegnerin nun zum zivilen Widerstand auf. Am 1. August des kommenden Jahres, dem Einführungsdatum des neuen Gesetzes, sollen sich möglichst viele Studierende mit Dildos oder ähnlichen Gerätschaften bewaffnen, um ihren Unwillen zu demonstrieren. Auf Twitter ist die Aktion unter dem Hashtag "CocksNotGlocks" zu finden, schreibt die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Oktober 2015: Reform der StPO - Asylverfahren in der Transitzone - BAG-Präsidentin Schmidt . In: Legal Tribune Online, 13.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17180/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag