Vor dem EuGH geht die Auseinandersetzung um die Kompetenzen der EZB in die entscheidende Runde. Außerdem in der Presseschau: neue Gesetze gegen Terrorismus, Rekord bei Selbstanzeigen, Christoph Degenhart zur Meinungsfreiheit und die Polizei als Freund, Helfer und vielleicht auch Anstifter.
Thema des Tages
EuGH – EZB: Vor dem Europäischen Gerichtshof wird am Mittwoch mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Cruz Villalon die Auseinandersetzung um die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank ein vorläufiges Ende finden. In den Anträgen und dem für den Sommer erwarteten Urteil wird auf Vorlage des Bundesverfassungsgerichts entschieden, ob die von EZB-Chef Mario Draghi im Juli 2012 unternommene Ankündigung, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen, das Mandat der Zentralbank überschritten hat.
Der Bericht der Berliner Zeitung (Markus Sievers/Christian Bommarius) interpretiert den Rechtsstreit als Streit über angemessene Geldpolitik zwischen Draghi und dem Präsidenten der Bundesbank Jens Weidmann. Auf zeit.de (Carla Neuhaus/Rolf Obertreis) prognostizieren Experten eine Entscheidung im Sinne der EZB. Dies entspreche der Eigenschaft des EuGH als "Treiber der europäischen Integration". Allerdings stehe das Gericht auch vor der Aufgabe, dem BVerfG eine Gesichtswahrung zu ermöglichen.
Über verfassungsrechtliche Kritik an der aktuellen Tätigkeit der EZB berichtet die Welt (Sebastian Jost). So sei der Rechtsprofessor Dietrich Murswiek in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zentralbank mit ihrem vor einem halben Jahr gestarteten Aufkaufprogramm für bestimmte Kreditpakete, sogenannte "Asset-Backed Securities", die Grenzen ihres Mandats überschritten habe. Sie betreibe hierdurch "evident" Währungspolitik und nicht, wie behauptet, Deflationsprävention, so der Verfassungsrechtler.
Rechtspolitik
Terrorismus: Die SZ (Heribert Prantl) gibt einen Überblick zu Anti-Terror-Regelungen, die in zwei Wochen vom Bundeskabinett verabschiedet werden sollen. So werden etwa Personalausweis-Entzug und der neue § 89 c des Strafgesetzbuches, der die Finanzierung terroristischer Aktivitäten auch durch Kleinstbeträge bestrafen soll, vorgestellt. Die bereits aus dem vergangenen Herbst stammenden Vorschläge stellten sich im Vergleich zu jenen Neuregelungen nach den Anschlägen des 11. September 2001 nicht als "neues Anti-Terror-Gesetzespaket" oder "Päckchen" dar, sie seien vielmehr mit einem "dicken Brief" vergleichbar.
Auf europäischer Ebene wird derweil nach Bericht der taz (Christian Rath) die Einführung einer Fluggastdatenspeicherung erwogen. Das Vorhaben dürfte rechtswidrig sein, nachdem der Europäische Gerichtshof eine Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten als unverhältnismäßig bezeichnete. An die Entscheidung erinnert auch eine von lawblog.de (Udo Vetter) wiedergegebene Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins. Gerade nach den Anschlägen von Paris müssten Bürger- und Freiheitsrechte aktiv verteidigt werden.
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt dagegen im Leitartikel der Zeitung die teilweise auf einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates zurückgehenden Neuerungen in Deutschland als "folgerichtig". Auch die Vorratsdatenspeicherung könne "durchaus grundrechtskonform gestaltet werden". Wer in diesem Mittel im Kampf gegen schwere Kriminalität eine Totalüberwachung erkenne, mache "Propaganda im Sinne der Feinde einer offenen Gesellschaft". Hier sei eine "Gegenpropaganda" vonnöten.
Gotteslästerung: Über die Forderung des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner nach einer ersatzlosen Streichung des § 166 Strafgesetzbuch schreibt die Welt (Thorsten Jungholt).
In einem Kommentar kritisiert Daniel Deckers (FAZ) den Vorschlag mit einem Hinweis auf den Schutzzweck der Norm. Mitnichten sei dieser in einem Schutz des Bekenntnisses "an sich" zu finden, vielmehr in jenem des öffentlichen Friedens. Bei "gezielten Provokationen von Muslimen" sei dieser nicht nur abstrakt gefährdet.
Erbschaftsteuer: Die FAZ (Manfred Schäfers) schreibt zu Überlegungen des Bundesfinanzministeriums zur Umsetzung des Erbschaftsteuer-Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Ohne konkrete Beschlüsse sei bereits jetzt klar, dass die bis zum Urteil herrschende Freistellung von Kleinbetrieben beim Nachweis der Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern fallen werde.
PKW-Maut: Auch die Welt (Matthias Kamann) berichtet nun über das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur – verneinten – Vereinbarkeit der geplanten PKW-Maut mit europäischem Recht. Angesichts der "vorhersehbaren Meinungsvielfalt bei Juristen" sei es erstaunlich, dass sich das von Alexander Dobrindt (CSU) geleitete Bundesverkehrsministerium bei seiner Annahme einer europarechtlichen Konformität des Vorhabens nur auf ein von Rechtsprofessor Christian Hillgruber erstelltes Gutachten stütze.
Justiz
EuGH zu Fettleibigkeit: Der Europäische Gerichtshof urteilte unlängst, dass krankhafte Fettleibigkeit dann als Behinderung zu gelten habe, wenn sie deutlichen Einschränkungen der Teilhabe am Arbeitsleben führe. Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen dieses Urteils untersucht die SZ (Catrin Gesellensetter). So träfe Arbeitgeber eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber Arbeitnehmern, die wegen ihres Übergewichtes von Kollegen gemobbt würden. Einen absoluten Kündigungsschutz besäßen Beleibte gleichwohl nicht.
BVerfG zu Erbschaftsteuer: Die Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer bei Unternehmensübertragungen speziell für land- und forstwirtschaftliche Betriebe sind Thema eines Gastbeitrages der Anwälte Christian von Oertzen und Frank Hannes in der FAZ. Es stehe zu erwarten, dass betroffene Betriebe im neuen Recht "ähnlich großzügig verschont werden wie bisher". Sie hätten sich jedoch auf einen erhöhten Verwaltungsaufwand einzustellen.
OLG München – NSU-Prozess: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München wurde mit der Beweisaufnahme zum Anschlag in der Kölner Keupstraße im Juli 2004 fortgesetzt. Über die Erkenntnisse von Sachverständigen zu Bauart und Funktionsweise der bei dem Anschlag verwendeten Nagelbombe berichten SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz) und taz (Lisa Schnell).
Nach einem weiteren Bericht der taz (Andreas Speit) plant die rechtsextreme Partei "Die Rechte" im März eine Demonstration vor dem Münchner Gericht unter dem Motto "Schluss mit dem 'NSU'-Schauprozess – Freiheit für Ralf Wohlleben". Der Kreisverband der veranstaltenden Partei fordere die Einstellung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten Zschäpes.
StA Bremen – Korruption: Die SZ (Klaus Ott/Tasos Telloglou) beschreibt Erkenntnisse der Bremer Staatsanwaltschaft zu Korruption bei Waffengeschäften deutscher Rüstungshersteller in Griechenland. Im Verbund mit griechischen Ermittlern sei es gelungen, ein "weit verzweigtes Korruptionssystem zu knacken", bei dem Athener Beamte und Militärs bei Geschäften wie dem Kauf des Leopard 2-Panzers nach genau festgelegten Quoten Schmiergelder erhielten.
Selbstanzeigen: Nach Darstellung der Welt (Martin Greive) verzeichneten die Finanzbehörden im vergangenen Jahr die Rekordzahl von knapp 40.000 Selbstanzeigen.
In einem Kommentar beschreibt Sönke Iwersen (Handelsblatt) die Fälle prominenter Selbstanzeigender und deren jeweilige Verteidigungsstrategie. Erwin Müller hätte seine Bank, Uli Hoeneß seinen Steuerberater verantwortlich gemacht, Paul Schockemöhle dagegen sogar seinen Treuhänder auf Schadensersatz verklagt, weil ihn dieser nicht schnell genug vom Diebstahl einer Steuer-CD informiert habe. Dabei "ist jeder für sich selbst verantwortlich".
Recht in der Welt
Spanien – Eta: Wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sind in Spanien mehrere Menschen aus dem Umfeld der Eta, unter ihnen zwölf Anwälte, verhaftet worden. Wie die taz (Reiner Wandler) schreibt, musste wegen der Verhaftung der Anwälte ein vor dem Obersten Strafgerichtshof anhängiges Verfahren gegen baskische Politiker vertagt werden.
Ägypten – Badehaus-Prozess: In Ägypten sind 26 Männer vom Vorwurf "sexueller Ausschweifungen" freigesprochen, schreibt die SZ (Paul-Anton Krüger). Die Angeklagten waren unter reger medialer Anteilnahme in einem Badehaus festgenommen worden. Obwohl Homosexualität im Land nicht verboten ist, seien sie auf Grundlage eines Sittlichkeitsgesetzes aus dem Jahre 1961 angeklagt worden.
Die Regelung öffne "der Willkür von Polizei und Justiz Tür und Tor, um Schwule zu kriminalisieren", moniert Paul-Anton Krüger (SZ) in einem separaten Kommentar. Aktuelle Übergriffe seien Ausdruck eines von der Regierung geförderten Klimas, in dem jede Normabweichung, auch solche durch angebliche Atheisten, verdächtig sei.
Sonstiges
Meinungsfreiheit: Eine mittlerweile zurückgezogene Auflage der Stadt Leipzig wollte einer "Legida"-Demonstration in der Stadt das Zeigen sogenannter Mohammed-Karikaturen untersagen. Im Interview mit zeit.de (Lisa Caspari) erläutert Rechtsprofessor Christoph Degenhart, warum in diesem Fall der Meinungsfreiheit der Demonstranten Vorrang zu gewähren sei.
Mindestlohn: Die Auswirkungen des seit diesem Jahr geltenden Mindestlohnes für Tätigkeiten in unterklassigen Sportvereinen erläutert Rechtsanwalt Sebastian Scheffzek für lto.de. Zwar seien Ausnahmetatbestände wie jene für ehrenamtliche Tätigkeiten zu beachten. Vereine, die ihre Zahlungs- und Vertragspraxis nicht zeitnah an die geltende Gesetzeslage anpassen, setzten sich jedoch der Gefahr erheblicher Bußgelder aus.
Strafverfolgung von Soldaten: Für die FAZ bespricht Rechtsprofessor Christian Hillgruber "Strafverfolgung bei Straftaten von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz" von Fabian Stam. Die Dissertation setzt sich mit den Voraussetzungen der Verfolgung von ihm Rahmen von bewaffneten Konflikten begangenen Taten auseinander und macht Vorschläge, um deren Effektivität zu erhöhen. So sei die Zentralisierung der Strafverfolgung einer eigenständigen Wehrstrafgerichtsbarkeit vorzuziehen.
Sturmschäden: Unter welchen Voraussetzungen Baumeigentümer für Sturmschäden haftbar gemacht werden können, erläutert die Welt (Harald Czycholl/Michael Fabricius). Bei der Schadensersatzpflicht für derartige Schäden nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht gelte immer noch das Kastanienbaum-Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1965 als Maßstab. Nach diesem würden regelmäßige Beobachtungen von Bäumen genügen, solange diese keine offensichtlichen Anzeichen von Krankheit oder Schwächen aufwiesen.
Das Letzte zum Schluss
Freund, Helfer, Anstifter: Über eine ungewöhnliche und rechtlich bestenfalls fragwürdige Hilfestellung der Polizei berichtet Rechtsanwalt Joachim Müller (kanzleiundrecht.com). Dessen Mandant sah sich regelmäßigen, aber nur unter vier Augen getätigten Beschimpfungen eines Gegners ausgesetzt. Um seiner Beweisnot zu entkommen, plante der Mandant den Einsatz eines Tonbandes. Tipp und Gerät hatte er zuvor von der Polizei erhalten. Der dennoch zu Rate gezogene Anwalt machte ihn vor einem Einsatz auf die Regelung des § 201 Strafgesetzbuch aufmerksam.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2015: Endspiel im EZB-Streit – Gesetze gegen Terrorismus – Meinungsfreiheit und Provokation . In: Legal Tribune Online, 13.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14340/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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