Das LG Leipzig versucht sich an der juristischen Aufarbeitung der Finanzkrise. Außerdem in der Presseschau: Vorschlag zur Erhöhung der Wahlbeteiligung, Bewährungsstrafe für brandstiftenden Finanzbeamten, NSU-U-Ausschuss zu Telefonat des hessischen Verfassungsschutzes, Böckenförde zum Unrechtsstaat und überraschender Fund in bester City-Lage.
Thema des Tages
LG Leipzig - SachsenLB: Die frühere SachsenLB gilt in Deutschland als eines der prominentesten Opfer der weltweiten Finanzkrise. Sogenannte Verbriefungsgeschäfte mit US-amerikanischen Hypothekenmarktkrediten über eine irische Tochter bewirkten im Herbst 2007 eine akute Liquiditätskrise und schließlich die Übernahme durch die Landesbank Baden-Württemberg. Nach Bericht des Handelsblatts (Elisabeth Atzler/Volker Votsmeier) hat das Landgericht Leipzig nun ein Verfahren gegen den Geschäftskunden-Manager der Bank gegen eine Geldauflage eingestellt. Der frühere Bankchef Herbert Süß und zwei Vorstandskollegen müssen sich jedoch ab dem Herbst gegen den Vorwurf der Untreue in einem besonders schweren Fall durch die riskanten Geschäfte verteidigen. Die Verteidigung bestreite den Vorsatz. Zudem würde die Beteiligung des "hochkarätigen Bankanwalts" Thomas Ende bemängelt. Diesen beauftragte die Staatsanwaltschaft mit der Erstellung eines Gutachten, indem "eklatante Fehler" und "mangelnde Risikovorsorge" der Manager festgestellt worden sei. Den Angeklagten drohe die Auferlegung der Kosten des Gutachtens von 2,6 Millionen Euro.
Rechtspolitik
Wahlbeteiligung: Wegen der geringen Wahlbeteiligung in Bremen schlägt Daniel Delhaes (Handelsblatt) im Leitartikel des Blattes vor, Parteien durch ein "stärkeres Bonus-Malus-System" bei der Parteienfinanzierung zur Führung mobilisierender Wahlkämpfe zu mobilisieren. Das Parteiengesetz weise den Parteien explizit die Förderung der aktiven Teilnahme der Bürger am politischen Leben zu. Das gegenwärtige, bereits an die Wahlbeteiligung, aber auch an Mitgliedsbeiträge und Spenden gekoppelte System der Parteienfinanzierung biete jedoch keinen finanzielle Anreiz, diese Aufgabe zu erfüllen.
Suizidbeihilfe: Eine Äußerung des Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, es sei mit dem Berufsethos von Ärzten unvereinbar, schwerstkranke Patienten in den Tod zu begleiten, hat eine Gruppe von Medizinern in einer gemeinsamen Erklärung kritisiert. Die "wohlinformierte" Entscheidung für den Suizid verdiene Hilfe, es sei "hilfreich und human", wenn Ärzte diese anbieten könnten, zitiert spiegel.de aus dem Schreiben.
Als Debattenbeitrag veröffentlicht Henning Ernst Müller (beck.blog.de) eine Stellungnahme von Strafrechtslehrern, in der u.a. darauf abgestellt wird, dass das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Selbstbestimmung auch das eigene Sterben umfasse. Bestrebungen, den Anwendungsbereich des Strafrechts auch im Zusammenhang der Sterbehilfe auszuweiten, würden daher mit Sorge beobachtet.
Tarifeinheitsgesetz: Stellungnahmen der Rechtsexperten aus der in der vergangenen Woche stattgefundenen Sachverständigenanhörung zum Tarifeinheitsgesetz fasst Markus Stoffels (beck.blog.de) zusammen.
EU-Flüchtlingspolitik: Die Europäische Kommission stellt am morgigen Mittwoch eine "Migrationsagenda" vor. Als deren Kern sei eine gerechtere Verteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen anzusehen, schreibt die FAZ (Michael Stabenow). Daneben würde aber auch eine Überarbeitung des gesamten EU-Asylregelwerks angestrebt.
Dass die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in diesem Zusammenhang auch einen "robusten Militäreinsatz" gegen Schlepper unter UN-Mandat fordert, hält Andrea Bachstein (SZ) für kontraproduktiv. Abgesehen von praktischen Schwierigkeiten bei der Identifizierung derartiger Schiffe verbiete es das Völkerrecht, in Hoheitsgewässern anderer Staaten militärisch einzugreifen. Was Not tue, sei Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten und gegenüber den Flüchtlingen.
No Spy-Abkommen: In der Affäre um das vermeintliche Angebot zum Abschluss eines No Spy-Abkommens mit der USA hat die Bundeskanzlerin nun Vorwürfe einer Täuschung der Öffentlichkeit zurückgewiesen. Sie sei bereit, dem Untersuchungs-Ausschuss zur NSA-Affäre als Zeugin "gern auch Rede und Antwort" zu stehen, wird Angela Merkel (CDU) von der FAZ (Johannes Leithäuser) wiedergegeben.
Justiz
BGH zu Indiz für Zahlungsunfähigkeit: Rechtsanwalt Niels George begrüßt in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom April. Nach dem Beschluss aus dem vergangenen Monat ist die Bitte nach Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung zumindest dann kein Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält. Die "weise Entscheidung" wahre die unternehmerischen Dispositionen von Geschäftsführern.
BGH – Olympia-Nominierung: Der Bundesgerichtshof verhandelt im Juli zu dem vom früheren Dreispringer Charles Friedek verfolgten Schadensersatzbegehren gegen den Deutschen Olympischen Sportbund. Der Sportler fordert Entschädigung wegen seiner unterbliebenen Nominierung für die Olympischen Spiele in Beijing 2008. Dies meldet die Welt.
OLG München – NSU: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München setzt seine Verhandlung thematisch mit der mutmaßlich ersten Tat des Trios, einem Überfall auf eine Chemnitzer Kaufhalle im Dezember 1998 fort. Nach dem Bericht von zeit.de (Tom Sundermann) bestehen dabei Verfassungsschutz-Erkenntnisse, nach denen bereits zuvor ein Raub vom NSU verübt wurde.
LG Lübeck zu Brandanschlag: Wegen Brandstiftung ist ein Finanzbeamter vom Landgericht Lübeck zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Mann hatte durch den Brandanschlag verhindern wollen, dass Flüchtlinge in seinem Nachbarhaus untergebracht würden. Straferschwerend habe gewirkt, dass der geständige Täter keine "wirkliche Reue", sondern nur Bedauern über die schädlichen Folgen für ihn und seine Familie gezeigt habe, so taz-Nord (Andreas Speit) und Welt (Ulrich Exner) in ihren Berichten.
LG Ingolstadt zu Fall Franziska: Wegen Vergewaltigung und Tötung der zwölfjährigen Franziska hat das Landgericht Ingolstadt den Angeklagten zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zudem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, schreibt die SZ (Sophie Burfeind). Weil der Verurteilte noch im Gerichtssaal auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet habe, sei das Urteil rechtskräftig.
LG Frankfurt zu Selbstjustiz: Wegen Mordes zweier Landsleute ist ein Afghane vom Landgericht Frankfurt/M. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Die Tat vor dem Frankfurter Gerichtsgebäude im Januar 2014 hatte überregionales Aufsehen erregt, weil der Verurteilte die mutmaßlichen Mörder seines Bruders vor deren Prozess tötete. Er übte dabei eher "Lynchjustiz als Selbstjustiz", zitiert die FAZ (Denise Peikert) das Urteil.
ArbG Berlin – Hungerlohn: In einer Seite Drei-Reportage schildert die SZ (Laura Hertreiter) das Schicksal eines rumänischen Hilfsarbeiters. Für einen vereinbarten Stundenlohn von fünf Euro arbeitete der Mann an einem jüngst eröffneten Einkaufszentrum in der Hauptstadt und versucht nun vor dem Arbeitsgericht Berlin, ihm vorenthaltenen Lohn einzuklagen. Bislang sei es dem Gericht noch nicht gelungen, das durch eine Insolvenz weiter verkomplizierte Geflecht von Haupt- und Subunternehmern aufzulösen.
AG Charlottenburg zu Mietspiegel: In einem vor dem Amtsgericht Charlottenburg geführten Berliner Mietrechtsstreit hat das Gericht entschieden, dass der Berliner Mietspiegel 2013 nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden erstellt worden sei. Laut dem nicht rechtskräftigen, dem Handelsblatt (Massimo Bognanni/Simon Book) vorliegenden Urteil handele es sich nicht um einen qualifizierten Mietspiegel. Weil die Berliner Statistik Vorbild für viele andere Städte und in Metropolen und in seiner qualifizierten Form auch Grundlage der jüngst verabschiedeten Mietpreisbremse sei, drohe bei der Aufrechterhaltung der Entscheidung nun Rechtsunsicherheit.
Recht in der Welt
Schweden – Julian Assange: Nach Meldung von zeit.de hat es das Oberste Gericht Schwedens abgelehnt, den gegen Julian Assange verhängten Haftbefehl aufzuheben. Die Befragung des WikiLeaks-Gründers zu Vorwürfen wegen sexuellen Missbrauchs an seinem derzeitigen Domizil, der ecuadorianischen Botschaft in London, stehe nunmehr bevor.
Bank-Kosten: Zwischen 2009 und 2014 mussten Banken weltweit gut 170 Milliarden Euro an Bußgeldern und Vergleichszahlungen aufbringen. Diese Summe ermittelte nach Bericht der SZ (Meike Schreiber) die Unternehmensberatung Boston Consulting Group.
Sonstiges
NSU-U-Ausschuss Hessen: Der NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages befasste sich mit einem Telefonat, das der damalige Geheimschutzbeauftragte des Verfassungsschutzes des Landes nach der Ermordung Halit Yozgats mit dem Verfassungsschützer Andreas T. führte. Wegen der zum damaligen Zeitpunkt auch gegen T. laufenden Ermittlungen habe das Gespräch in der Einschätzung der FAZ (Timo Frasch) "an manchen Stellen schematisch, gestellt" gewirkt. Der mittlerweile pensionierte Geheimschutzbeauftragte habe in seiner Vernehmung vor dem Ausschuss jedoch darauf bestanden, T. geraten zu haben, gegenüber der Polizei wahrheitsgemäß auszusagen.
Die taz (Konrad Litschko) befragt Thomas Bliwier, Anwalt der Familie Yozgat, zu der von ihm vertretenen These, der Verfassungsschützer T. habe sich im dienstlichen Auftrag am Tatort aufgehalten. Weil T. Hinweise auf eine bevorstehende Tat erhalten habe, sei zu folgern, dass der NSU zumindest in Kassel lokale Unterstützer besessen habe.
NSA-Selektoren und Parlamentskontrolle: Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) versuchte, dem Anliegen nach Offenlegung der sogenannten NSA-BND-Selektoren durch persönliche Vorsprache beim BND Nachdruck zu verleihen. Wie spiegel.de (Matthias Gebauer) schreibt, wurden dem Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste beim Kaffee zwar Fragen beantwortet, die fragliche Liste habe er aber auch nicht einsehen können.
Unrechtsstaat: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ spricht sich der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Ernst-Wolfgang Böckenförde gegen die "globale Kennzeichnung der DDR als Unrechtsstaat" aus. Als "Verzerrung der Wirklichkeit in politischer Absicht" wolle eine solche Bezeichnung "umfassend delegitimieren und desavouieren".
Das Letzte zum Schluss
Großstadt-Dschungel: Der Berliner U-Bahnhof Kottbuser Tor im Herzen Kreuzbergs ist neben vielen anderen Dingen auch als Drogen-Umschlagplatz bekannt. Der gestrige Fund verblüffte aber auch Berliner Polizisten. Auf einer allgemein zugänglichen Grünanlage am U-Bahn-Eingang wucherten neben gewöhnlichem Unkraut 700 Cannabis-Pflanzen. Die Beamten machten sich nach bebilderter Darstellung von bild.de (Benjamin Jendro) an die Ernte und leiteten Ermittlungen wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln ein.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Mai 2015: Finanzkrise vor Gericht – Finanzbeamter verurteilt – Verfassungsschützer am Telefon . In: Legal Tribune Online, 12.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15511/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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