Das LG Hamburg hat im HSH-Prozess Dirk "Dr. No" Nonnenmacher und seine Vorstandskollegen überraschend freigesprochen. Ist das Strafrecht gegenüber Zockern machtlos? Außerdem in der Presseschau: EU verordnet Auto-Notruf, EuGH vor Deutsch-Test-Urteil, BVerwG zu Wetter-Wette, Bundesanwaltschaft ermittelt gegen weiteren Spion, und in den USA erhält ein Häftling einen Model-Vertrag.
Thema des Tages
LG Hamburg zu HSH-Nordbank: Das Untreue-Verfahren gegen Ex-Vorstandsmitglieder der HSH-Nordbank um den Ex-Vorstandsvorsitzenden Dirk Jens Nonnenmacher vor dem Landgericht Hamburg hat überraschend mit Freisprüchen für die Angeklagten geendet. Die Fehlentscheidungen der Angeklagten seien nicht so gravierend gewesen, dass die Grenze zur Strafbarkeit überschritten worden sei, zitiert die SZ (Kristina Läsker) die Begründung des Gerichts. Auch FAZ (Joachim Jahn/Christian Müßgens/Johannes Ritter) und Handelsblatt (E. Atzler/M. Lambrecht) berichten ausführlich, spiegel.de (Stefan Kaiser) und die taz (Gernot Knödler) etwas knapper.
Kristina Läsker (SZ) bezeichnet das Urteil als eine "Klatsche für die Staatsanwaltschaft" und einen "Freibrief für zockende Banker". Und fragt: "Was muss noch passieren, damit schwere Untreue vorliegt? Wie groß muss der Schaden sein und wie lax das Verhalten?". Das Urteil lasse daran zweifeln, "dass deutsches Recht dazu geeignet ist, Fehltritte der Finanzkrise zu ahnden." Auch Joachim Jahn (FAZ) meint: "Mit den Mitteln der Strafjustiz ist den Urhebern der Finanzkrise offenbar nicht beizukommen." Er kritisiert die einseitige, enge Auslegung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Untreue. Nach Hermannus Pfeiffer (taz) sind die Angeklagten "schuldig trotz Freispruch". Der Prozess habe "ein grelles Schlaglicht auf die globale Finanzkrise und ihre Verursacher" geworfen. Matthias Lambrecht (Handelsblatt) ist überzeugt, das Verfahren habe trotz der Freisprüche abschreckende Wirkung: Die Angeklagten hätten ein Jahr auf der Anklagebank gesessen und das Gericht an ihren Pflichtverletzungen keinen Zweifel gelassen. Ein Unternehmensstrafrecht lehnt Lambrecht ab; dies treffe mit den Aktionären meist die Falschen. Anne Kunz (Welt) findet das Urteil "empörend, aber richtig". Unternehmerisches Versagen sei "kein Fall für den Staatsanwalt, sondern den Insolvenzverwalter" – Banken müssten endlich pleite gehen können.
Rechtspolitik
Finanzdienstleistungen: Auf einer Themenseite stellt die SZ (Simone Boehringer) die gesetzgeberischen Bemühungen um einen größeren Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen vor. Dabei spiele die Einführung des Beratungsprotokolls eine zentrale Rolle und sei gleichzeitig auch umstritten. In Interviews kommen auch eine Aktienexpertin und eine Verbraucherschützerin zu Wort.
EU-Verordnung zu Auto-Notruf: EU-Parlament und Rat haben einer Verordnung zugestimmt, die Automobilhersteller bald dazu verpflichtet, das automatische Notrufsystem "eCall" in ihre Neuwagen einzubauen. Die Zeit (Marcus Rohwetter) berichtet und hebt die Datenschutzbedenken hervor, die mit den neben dem Notrufsystem ebenfalls vorgesehen "Zusatzdiensten" einhergingen.
Erbschaftsteuerreform: Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zur Erbschaftsteuer halten Regierung und Opposition eine Reform der Erbschaftsteuer für notwendig. Finanzministerium und Regierungskoalition wollten aber die "Vorgaben aus Karlsruhe" abwarten, so das Handelsblatt (Donata Riedel). Die FAZ (Manfred Schäfers/Joachim Jahn) stellt die Haltung der Bundesregierung etwas anders dar – demnach sei man "weiterhin überzeugt, dass das Gericht [dem Gesetz] seinen Segen geben wird" und rechne allenfalls mit "gewissen Auflagen", dem Anziehen von "Stellschrauben".
Justiz
EuGH – Deutsch-Test für Ehegatten: Am heutigen Donnerstag entscheidet der Europäische Gerichtshof, ob der verpflichtende Deutsch-Test für nachziehende Ehegatten gegen ein Abkommen zwischen der EU und der Türkei oder die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung verstößt. Die SZ (Roland Preuß) berichtet; auf sueddeutsche.de findet sich zudem ein Interview mit der Rechtsanwältin Seyran Ateş, die die Sprachtests als Integrationshilfe befürwortet.
BVerwG zu Wetter-Wette: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein Unternehmen mit Wetten auf das Wetter werben darf. Die Werbung eines Möbelhauses "Bei Regen Geld zurück" stelle kein illegales Glücksspiel dar. Laut SZ (Roman Deininger) hatte das Möbelhaus seinen Kunden versprochen, ihnen das Geld für ihren Einkauf zurückzuerstatten, wenn es genau drei Wochen nach dem Einkauf zwischen zwölf und 13 Uhr am Flughafen Stuttgart regne. Mit der Begründung, dass bei der Aktion der Einkauf und nicht das Glücksspiel im Vordergrund stehe, habe sich das Gericht den Vorinstanzen angeschlossen.
BGH zu Teilgewerbe-Mietern: Der Bundesgerichtshof hat einem Bericht der Welt (Norbert Schwaldt) zufolge die Rechte von Mietern gestärkt, die ihre Wohnräume ohne dass dies im Mietvertrag geregelt ist auch zum Arbeiten nutzen. Für sie gelte der bessere Kündigungsschutz des Wohnraummietrechts, wenn sich die Hauptnutzung vor Gericht nicht feststellen lasse.
Bundesanwaltschaft – US-Spion im Verteidigungsministerium: Nach einem Bericht von spiegel.de ermittelt die Bundesanwaltschaft nun auch gegen einen mutmaßlichen US-Spion im Verteidigungsministerium.
OLG München – NSU-Prozess: Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet von der Vernehmung von Jan Böhnhardt, dem älteren Bruder des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Er wolle nicht gewusst haben, wie tief sein Bruder in der rechten Szene gesteckt habe. Auch die FAZ (Karin Truscheit) berichtet und geht auch auf die Aussage eines weiteren Zeugen ein, die in den Augen der Verteidigung die von der Staatsanwaltschaft behauptete Rolle der Hauptangeklagten Beate Zschäpe als Finanzverwalterin des NSU in Frage stelle.
LG München – ACE gegen ADAC: Vor dem Landgericht München klagt der "Auto Club Europa" (ACE) wegen einer Werbeanzeige gegen den ADAC und hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Wie die SZ (Bastian Obermayer/Uwe Ritzer) berichtet, wirft der ACE dem ADAC einen Wettbewerbsverstoß vor, weil er sich in der Anzeige neben Einsatzwagen von Polizei und Rettungskräften zeige und sich wie deren "geborener Partner" geriere.
LG Frankfurt zu Zwangsmediation: Das Landgericht Frankfurt hat die Klauseln einer Rechtsschutzversicherung für unwirksam erklärt, die in bestimmten Fällen die Pflicht zur Durchführung eines außergerichtlichen Mediationsverfahrens vorsahen. Das berichtet blog.beck.de (Hans-Jochem Mayer).
StA Köln – Nackt im Weihnachtsgottesdienst: Die Staatsanwaltschaft Köln hat einer Meldung der SZ zufolge gegen die Femen-Aktivistin, die während des Weihnachtsgottesdiensts ihren mit dem Spruch "I am God" bemalten Oberkörper entblößt hatte, Anklage wegen Störung der Religionsausübung erhoben.
Udo Vetter (lawblog.de) kritisiert den "Befindlichkeitsparagrafen", der dieser Anklage zugrunde liegt. Und diejenigen, die ihn einerseits verteidigen, andererseits aber auf eine entsprechende Rechtspraxis beispielsweise in Russland schimpfen.
StA Saarbrücken/Hamburg – Praktiker-Insolvenz: Die Staatsanwaltschaften Saarbrücken und Hamburg ermitteln wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung gegen fünf ehemalige Vorstandsmitglieder der vor einem Jahr insolvent gegangenen Baumarktkette "Praktiker". Die SZ (Kristina Läsker) berichtet.
StA Berlin – Crystal Meth-Ermittlungen: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann hat laut SZ und taz (Ulrich Schulte) gegenüber der Staatsanwaltschaft Berlin eingeräumt, im Herbst 2013 in geringen Mengen das als Crystal Meth bekannte Rauschgift Mephamphetamin erworben und konsumiert zu haben. Ein Gutachten bestätige, dass er nicht abhängig sei.
AG Neukölln/Lichtenberg – Freifunker: Nach einem Bericht von netzpolitik.org (@vieuxrenard) haben zwei "Freifunker" vor den Berliner Amtsgerichten Neukölln und Lichtenberg Klage erhoben, um feststellen zu lassen, dass sie nicht für eventuelle Filesharer und den Nutzern ihrer frei zugänglichen WLAN-Netze haften.
LG Regensburg – Mollath: Im "München"-Teil berichtet die SZ (Hans Holzhaider) vom dritten Prozesstag des Wiederaufnahmeverfahrens im Fall Mollath vor dem Landgericht Regensburg. Im Mittelpunkt hätten die Aussagen der Schwägerin des neuen Mannes von Mollaths Ex-Frau sowie des die Verletzungen der Ex-Frau attestierenden Arztes gestanden.
VG Hannover zu "Super Nanny": lto.de (Philip Lüghausen) und internet-law.de (Thomas Stadler) berichten über das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover, mit dem es die Klage des Senders RTL gegen eine Beanstandung der Sendung "Super Nanny" abgewiesen hatte.
BGH zu anonymer Bewertung: Gunhild Lütge (Zeit) ist vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesgerichtshofs zur Anonymität auf Bewertungsportalen der Ansicht, dass dem "Missbrauch anonymer Bewertungen" Einhalt geboten werden müsse und fordert den Gesetzgeber auf, "auszuloten" wie das Recht auf Anonymität mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte in Einklang zu bringen sei. Auch Rolf Schwartmann fordert in seiner Auseinandersetzung mit den Schlupflöchern des Internets auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ ein staatliches Einschreiten.
Recht in der Welt
Frankreich – Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze: Frankreich will einem Bericht der FAZ (Michaela Wiegel) zufolge seine Anti-Terror-Gesetze verschärfen. Innenminister Bernard Cazeneuve habe einen Gesetzentwurf vorgestellt, der den Straftatbestand eines "individuellen terroristischen Unterfangens" schaffe, um auch Einzeltäter besser verfolgen zu können. Auch solle schon der "allgemeine Verdacht einer terroristischen Verschwörung" geahndet werden können, zum Beispiel durch das Verbot von Auslandsreisen. Daneben sei die Möglichkeit der Sperrung von Internetseiten ohne richterlichen Beschluss vorgesehen.
Frankreich – Abhängige Justiz: Die FAZ (Michaela Wiegel) setzt sich anlässlich der vom französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy angesichts des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens durch Vorwürfe einer politischen Justiz ausgelösten Debatte mit dem Einfluss der Politik auf die französische Justiz auseinander. Dass die Rechtsprechung nach dem Willen der französischen Verfassung nicht gänzlich unabhängig sei, entstamme einem historisch gewachsenen Misstrauen gegenüber der rechtsprechenden Gewalt.
EGMR zu Burka-Verbot: Auf juwiss.de setzt sich Sarah Schadendorf mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Burka-Verbot in Frankreich auseinander und begründet, warum das Gericht auch das Diskriminierungsverbot hätte beachten und wegen der mit dem Verbot verbundenen mittelbaren Diskriminierung jedenfalls zu einem engeren Prüfungsmaßstab hätte kommen müssen. Auch Khola Maryam Hübsch (Welt) kritisiert das Urteil. Das Burka-Verbot schütze nicht, wie der Gerichtshof meine, das friedliche Miteinander, sondern gefährde es vielmehr – als ein Stück islamfeindlicher Symbolpolitik in Frankreich.
Sonstiges
Spionage-Strafbarkeit: Die FAZ (Helene Bubrowski) erläutert, welche Straftatbestände von den mutmaßlichen CIA-Spionen erfüllt worden sein könnten. Neben der geheimdienstlichen Tätigkeit für einen fremden Staat käme dabei auch Landesverrat in Betracht, wenn Staatsgeheimnisse weitergegeben worden seien. Hochverrat sei dagegen ausgeschlossen, weil diese Straftat gewaltsame Taten voraussetze.
Spionage und Recht: Die FAZ (Reinhard Müller) berichtet auf ihrer "Staat und Recht"-Seite von einem Kongress des "Kompetenznetzwerks für das Recht der zivilen Sicherheit in Europa" in Freiburg, auf dem es auch um die Spionagetätigkeit der US-Geheimdienste in Deutschland gehe. Deutschland müsse einerseits "endlich erwachsen" werden und Spionage – auch unter Freunden – als Realität akzeptierten. Andererseits verlaufe auch die Tätigkeit der US-Dienste keineswegs im rechtsfreien Raum.
Drohnenpflicht: Die Menschenrechtskonvention fordere, dass Deutschland seine Soldaten im Einsatz durch angemessene Ausrüstung schütze. Aus dieser Prämisse, abgeleitet aus einer britischen Gerichtsentscheidung zur Panzerung von Fahrzeugen und der Schutzpflichtdoktrin, destilliert der Rechtsprofessor Stefan Talmon für die "Staat und Recht"-Seite der FAZ eine Pflicht zur Beschaffung von Drohnen.
Das Letzte zum Schluss
Häftling mit Model-Vertrag: Der Hashtag sagt eigentlich alles: "#hottiethug" Jeremy Meeks steht in den USA wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht, hat aber wegen seines attraktiven Äußeren schon eine so große (weibliche) Fangemeinde, dass er bereits einen Model-Vertrag unterschrieben hat. Dumm nur: Vor dem jetzt zuständigen Bundesgericht sind weder Foto- noch Filmaufnahmen erlaubt, weiß spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Juli 2014: "Dr. No" kommt straflos davon – Wetter-Wette zulässig – Angeklagter mit Model-Vertrag . In: Legal Tribune Online, 10.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12516/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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