Ein Strafbefehl wegen einer verkehrsgefährdenden Einsatzfahrt eines Notarztes wird zurückgezogen. Aufgrund einer Online-Petition? Außerdem in der Presseschau: BVerfG zu Auskunftspflicht der Bundesregierung, Gutachten zu RWE-Forderung, Prozess zum Fall Franziska, Urteil gegen Drogenfahnder und ein Plädoyer für Zurückhaltung gegenüber elektronischen Zahlungsaufforderungen.
Thema des Tages
Einsatzfahrt: In der vergangenen Woche erregte eine Meldung Aufsehen, nach der ein Notarzt wegen Verkehrsgefährdung bei einer Einsatzfahrt zu Führerscheinentzug und Geldstrafe verurteilt wurde. Wie unter anderem SZ (Wolfgang Wittl) im Bayern-Teil, FAZ (Julian Trauthig) und spiegel.de berichten, hat die zuständige Staatsanwaltschaft Ingolstadt nun den beim Amtsgericht Neuburg a. d. Donau erwirkten Strafbefehl zurückgezogen. Die Generalstaatsanwaltschaft München habe mitgeteilt, dass nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts eine Verurteilung des Arztes wegen der ursprünglich angeklagten Straßenverkehrsgefährdung unwahrscheinlich sei.
Regierungsamtsrat Adolf Rebler erläutert für lto.de die Rechtslage und gibt zu bedenken, dass die verkehrsrechtlichen Sonderrechte für Fahrzeuge im medizinischen Notdienst deren Fahrer nicht von der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht entbinden. Gleichwohl mache das für die Tatbestandsmäßigkeit von § 315c Strafgesetzbuch notwendige Bewusstsein eigenen rücksichtslosen Verhaltens eine Verurteilung von Nothelfern unwahrscheinlich.
Liz Collet (jus@publicum.com) mutmaßt, dass bei der jetzigen Entscheidung nicht zuletzt der öffentliche Druck einer zwischenzeitlich gestarteten Online-Petition eine Rolle spielte. Dieser Weg müsse "nachdenklich stimmen." Denn die Urheber der Petition mit über 200.000 Unterstützern hätten sich angemaßt, noch vor der anzuberaumenden Verhandlung "im Vorgriff vor der Justiz" eigenmächtig "Recht zu sprechen." Bei aller Berechtigung von Kritik an Entscheidungen rechtsstaatlicher Organe sei "Social Media nicht dazu da, Justiz zu ersetzen."
Rechtspolitik
Tarifeinheit: Das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) initiierte Gesetz zur Tarifeinheit greift nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages in die kollektive Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes ein. Die in der bisherigen Entwurfsfassung enthaltenen Begründungen vermögen nach Ansicht der Verfasser diesen Eingriff nicht zu rechtfertigen, schreibt die Welt (Flora Wisdorff).
Anti-Doping-Gesetz: Zu der Kritik von Funktionären des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an der gegenwärtigen Fassung des Entwurfs zu einem Anti-Doping-Gesetz kommentiert Christoph Becker (FAZ), dass die Politik gut beraten wäre, "DOSB-Ratschläge zur Sache freundlich zu ignorieren." Der Wunsch nach einem vom Steuerzahler finanzierten "Dreiklang von weiter, wie und bisher", der Grundrechte der Sportler nur vordergründig bemühe, lasse die anhaltende Kritik der betroffenen Sportler außer Acht. Nicht zuletzt das von Claudia Pechstein vor dem Oberlandesgericht München angestrengte Verfahren hätte bewiesen, dass Sportler in Streitfällen staatliche und damit unabhängige Gerichte gegenüber den mit Funktionären besetzten Spruchkammern der Sportgerichtsbarkeit bevorzugten.
Psychisch auffällige Häftlinge: Eine Expertenkommission in Baden-Württemberg arbeitet aktuell an Reformvorschlägen zum Umgang mit psychisch auffälligen Häftlingen. Anlass hierfür ist der Hungertod eines in Isolationshaft gehaltenen Häftlings im vorigen Jahr in der JVA Bruchsal. Die taz (Christian Rath) stellt den Fall vor und interviewt in einem weiteren Beitrag den baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) zu den diesbezüglichen Ermittlungen und der Notwendigkeit einer "neuen Aufsichtskultur" einschließlich psychiatrischer Betreuung von Häftlingen sowie entsprechender Schulungen für Vollzugsbeamte.
Verdeckte Ermittler: Der Einsatz von verdeckten Ermittlern und V-Leuten bewegt sich nach der in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt von Rechtsprofessor Klaus Volk geäußerten Ansicht "am Rande der Legalität." Gleichwohl sei es "sinnlos", regeln zu wollen, was diese Ermittlungspersonen "maximal" dürften.
Justiz
EGMR zu Akten-Leaks: Die Weitergabe von Inhalten einer Ermittlungsakte an die Presse vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens ist nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Verstoß gegen Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention, der das Familien- und Privatleben schützt, zu bewerten. Dies meldet Thomas Stadler (internet.law.de).
BVerfG – Bundespolizei: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am heutigen Dienstag über eine Auskunftspflicht der Bundesregierung zu sogenannten Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei. Als Klägerin tritt die Bundestags-Fraktion der Linkspartei auf. Sie gebe sich nicht mit den ihr erteilten Antworten, die nur die Anzahl eingesetzter Beamter enthielten, zufrieden, schreibt die taz (Christian Rath).
BGH – Lebensversicherungen: Nach Bericht der Welt verhandelt der Bundesgerichtshof am Mittwoch zur Frage der Rechtmäßigkeit von Berechnungsmethoden der Allianz bei Überschussbeteiligungen an Lebensversicherungen. In der Vorinstanz sei die Klage eines früheren Kunden abgewiesen worden.
LG Ingolstadt – Fall Franziska: Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen wurde vor dem Landgericht Ingolstadt der Prozess wegen dem Vergewaltigung und Ermordung der zwölfjährigen Franziska im Februar 2014 eröffnet. Der Prozessbeginn hatte sich wegen eines tätlichen Angriffs gegen den in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten verzögert, schreiben FAZ (Karin Truscheit), spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und Welt (Jörg Völkerling) in ausführlichen Berichten. Weil nach dem Angriff neue, der Verteidigung bislang unbekannte Aussagen von Mithäftlingen des Angeklagten aufgetaucht seien, wurde der Prozess nach Verlesung der Anklageschrift bis zum 25. Februar unterbrochen.
LG Essen – RWE: Vor dem Landgericht Essen macht der Energieversorger RWE gegenüber dem Land Hessen und dem Bund Schadensersatz von mehreren hundert Millionen Euro wegen der Stilllegung des AKW Biblis geltend. Die hessische CDU-Fraktion präsentierte nach Bericht der SZ (Susanne Höll) nun ein Gutachten des Rechtsprofessors Bernd Grzeszick, nach dem ein Schreiben von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) an den damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann als Rechtsgrundlage der Klageforderung ausscheide. Der Politiker hatte in dem Schreiben aus dem Jahr 2011 bestätigt, dass sein Land gegen ein Wiederanfahren von Biblis vorgehen. Diese Auskunft habe nach den gutachterlichen Feststellungen "informatorisch-politischen Charakter" und sei nicht als verwaltungsrechtliche Verfügung zu verstehen.
LG München I – Deutsche Bank: Gegenwärtig befindet das Landgericht München I über die Zulassung einer Anklage gegen ehemalige und aktuelle Vorstände der Deutschen Bank wegen versuchtem Prozessbetrugs im Zusammenhang der jahrelangen Auseinandersetzung mit den Erben Leo Kirchs. Die SZ (Klaus Ott) fasst die Vorwürfe zusammen und berichtet aus nun bei Gericht eingegangen Schriftsätzen der Verteidiger der Angeschuldigten. Als deren Hauptargument wird dargestellt, dass entgegen den Erkenntnissen des durch Vergleich rechtskräftig abgeschlossenen zivilrechtlichen Verfahrens ein Schadensersatzanspruch Kirchs tatsächlich nicht bestanden habe.
LG Halle zu OB: Vor dem Landgericht Halle ist der Oberbürgermeister der Stadt, Bernd Wiegand (parteilos), vom Vorwurf der Untreue freigesprochen worden. Wie lto.de schreibt, sei die vom Verwaltungsfachmann durchgesetzte übertarifliche Bezahlung neu angeworbener Mitarbeiter nach Auffassung des Gerichts zwar unüblich, aber nicht rechtswidrig gewesen.
LG Bielefeld – Tönnies: Das Landgericht Bielefeld hat Robert Tönnies aufgefordert, die Klage gegen seinen Onkel Clemens Tönnies um Rückgabe geschenkter Firmenanteile des von beiden geleiteten fleischverarbeitenden Unternehmens umfangreicher zu begründen. Dies schreibt die FAZ (Jan Grossarth) in einem ausführlichen Porträt des auf mehreren Geschäftsfeldern umtriebigen Clemens Tönnies.
LG Mannheim – Zinswette: Vor dem Landgericht Mannheim hat die Staatsanwaltschaft zwei Mitarbeiter der Investmentbank JP Morgan wegen Beihilfe zur schweren Untreue angeklagt. Den Bankern wird vorgeworfen, die Stadt Pforzheim beim Verkauf hochriskanter Zinsanlagepapiere unzureichend über Risiken aufgeklärt zu haben, schreibt die FAZ (Henning Peitsmeier). Es sei denkbar, dass das jetzige Verfahren mit jenem in der gleichen Angelegenheit noch nicht eröffneten gegen die damalige Oberbürgermeisterin verbunden wird.
LG Kempten zu Drogenfahnder: Vor dem Landgericht Kempten ist der ehemalige Leiter des örtlichen Rauschgiftdezernats wegen Besitzes von fast zwei Kilo Kokain und der Vergewaltigung seiner Ehefrau zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht ordnete zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ab, berichtet spiegel.de (Julia Jüttner).
VG Minden zu Tötungsverbot: Ein Erlass des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums, nach dem die Tötung von männlichen, für die Eier-Erzeugung nutzlosen Küken untersagt wurde, ist nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden rechtswidrig. Der nach dem Tierschutzgesetz notwendige vernünftige Grund der Tötung sei nach Ansicht des Gerichts in der wirtschaftlichen Alternativlösung des Verfahrens zu erkennen, schreibt die FAZ (Jan Grossarth).
Pflichtverteidigung: Udo Vetter (lawblog.de) weist auf einen Artikel des Anwalt Adam Ahmed in der Zeitschrift "Strafverteidiger" hin. Der prominente Verteidiger zählt in diesem Probleme auf, die mit der Bestellung einer vom Gericht beauftragten Pflichtverteidigung verbunden seien. Üblicherweise kämen so vor allem wenig konfrontative "Urteilsbegleiter" zum Zug.
Recht in der Welt
Schweiz – Herve Falciani: Nun bringt auch die FAZ (Johannes Ritter/Leo Wieland) ein Porträt des mutmaßlichen Enthüllers der sogenannten Swiss Leaks, Herve Falciani. Wegen Verletzung von Geschäfts- und Bankgeheimnisse sowie Betreibung eines "qualifizierten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes" ermittle die Schweizer Bundesanwaltschaft schon seit mehreren Jahren gegen den fränzösisch-italienischen Staatsbürger.
Griechenland – Zwangskredit: Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat in seiner Regierungserklärung die Forderung nach finanzieller Wiedergutmachung kriegsbedingter Schäden durch Deutschland bekräftigt. Gemäß der FAZ (Joachim Jahn) ist insbesondere die im Zusammenhang eines von den nationalsozialistischen Besatzern 1943 abgepressten Zwangskredites erhobene Forderung völkerrechtlich ungeklärt. Die Auffassung der Bundesregierung, dass Griechenland keine diesbezüglichen Ansprüche mehr habe, sei nach Feststellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags "nicht zwingend". Im Zweifel müsse der Internationale Gerichtshof in Den Haag/Niederlande entscheiden.
Singapur – Prügelstrafe: Zwei jungen Leipzigern droht in Singapur die Vollstreckung einer Prügelstrafe. Wie die FAZ (Till Fähnders) schreibt, beabsichtigen die wegen Vandalismus angeklagten Männer, sich als schuldig zu bekennen. Ihnen würden somit Schläge mit einem Rattan-Stock auf das blanke Gesäß drohen.
Sonstiges
Versammlungsverbot: In einem Kommentar zum Verbot einer Legida-Versammlung in Leipzig erinnert Heribert Prantl (SZ) daran, dass Grundrechte nicht unter Vorbehalt oder nach Maßgabe jeweiliger Verfügbarkeit gewährt würden. Vielmehr trügen sie ihren Namen, "weil sie grundlegend sind für Staat und Gesellschaft" seien. Das Demonstrations-Verbot verkenne diese Tragweite.
Abschiebung: In einer größeren Reportage berichtet die FAZ (Reiner Burger/Eckart Lohse) über das sogenannte Vollzugsdefizit bei Abschiebungen. Rückführungen rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber würden zahlreiche Schwierigkeiten, etwa durch wenig kooperative Herkunftsländer, entgegenstehen.
Abwerbeverbote und Kartellrecht: In den USA haben zwischen Unternehmen vereinbarte Abwerbeverbote die Aufmerksamkeit von Kartellbehörden geweckt. Rechtsanwalt Rene Grafunder (Handelsblatt-Rechtsboard) erläutert, unter welchen – engen – Voraussetzungen derartige Verbote in Deutschland und Europa zulässig sein können.
Das Letzte zum Schluss
Reingefallen: E-Mails, in denen Empfänger zu Überweisungen an merkwürdig erscheinende Konten aufgefordert werden, sollten am besten im Spam-Filter hängenbleiben oder aber – so nachzulesen in regelmäßigen entsprechenden Beiträgen hilfreicher Presseerzeugnisse – jedenfalls nicht befolgt werden. Einen derartigen Hinweis hätte wohl auch der Manager eines US-amerikanischen Agrar-Unternehmens mit einem Umsatz in Milliardenhöhe nötig gehabt. Wie spiegel.de (Felix Knoke) schreibt, ließ sich der Mann durch gefälschte Mails überzeugen, insgesamt 17 Millionen Dollar an Firmengeldern auf ein chinesisches Bankkonto zu transferieren.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Februar 2015: Vorfahrt für Rettungsfahrzeuge – Prozessbeginn im Fall Franziska – Briefschreiber Bouffier . In: Legal Tribune Online, 10.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14640/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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