Verdienen Richter mehr, als sie verdienen? Jüngste Urteile lassen daran zweifeln. Außerdem in der Presseschau: Verwertungsgesellschaft für personenbezogene Daten, Haftung für Atomausstieg, Verbraucherschützer gegen Pauschalreisen-Veranstalter, BGH entscheidet über Telekom-Aktien, und der Werdegang eines Denunzianten.
Thema des Tages
Richter und Gutachten: In einem Kommentar bezeichnet Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) das gegenwärtig beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zur Angemessenheit der Richterbesoldung als berechtigt. Denn allgemein biete die Justiz "ein Rechtsschutzniveau, das man wohl erst vermissen wird, wenn man es nicht mehr hat". Einige Richter jedoch verfielen der "Expertokratie" und delegierten Entscheidungen, die sie selbst treffen müssten, an Gutachter. Beispiele hierfür seien jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu sogenannten "Homo-Tests" für Asylbewerber oder jenes des Bundesverfassungsgerichts zur elterlichen Kompetenz eines Ghanaers. In beiden Entscheidungen wurde die Übernahme inhaltlich fragwürdiger Aussagen von Gutachten in die Urteile unterer Instanzen gerügt.
Rechtspolitik
Datenschutz: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ fordert der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) eine "Neukonzeption des digitalen Freiheitsschutzes in globaler Dimension". Hierzu könne die geplante europäische Datenschutzgrundverordnung einen entscheidenden Beitrag leisten. In jedem Fall müsse die Bundesregierung den USA bei allem Respekt vor deren historisch gewachsener Rechtskultur und einer unterschiedlichen Definition von Privatheit klar gemacht werden, dass Grundrechtsschutz und hier speziell der absolut geltende Schutz der Menschenwürde nicht zur Debatte stehe.
Rechtsanwalt Peter Bräutigam stellt dagegen in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt die "Monetarisierung personenbezogener Daten" durch Endnutzer als "neue Formel für den Datenschutz" vor. Über Verwertungsgesellschaften könnten Private ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht "kommerzialisieren" und selbst über die Weitergabe von Daten entscheiden, die "Google, Facebook & Co." über sie erheben. Die hierfür notwendige Übertragung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und einzelner Teile hiervon sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zulässig.
Integration: In einem Kommentar gibt Reinhard Müller (FAZ) zu bedenken, dass die Kenntnis der deutschen Sprache Voraussetzung für Integration sei. Wer seine Kinder daran hindere, diese Sprachkenntnis zu erlangen, schade damit auch deren Wohl. Gleichwohl könne der Staat, dem an erfolgreicher Integration gelegen sei, diese nicht befehlen, vielmehr müsse er "eindringlich für sie werben".
Suizid- und Sterbehilfe: Nun berichtet auch die SZ (Wolfgang Janisch) über die vom baden-württembergischen Justizministerium veranstaltete Tagung zu einer gesetzgeberischen Notwendigkeit der Suizid- und Sterbehilfe unheilbar Kranker.
Jagdrecht: Über Kritik an dem vom nordrhein-westfälischen Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) vorgelegten Entwurf eines reformierten Jagdgesetzes schreibt die FAZ (Reiner Burger). So argumentierten etwa Jäger-Verbände, dass der Entwurf dem angestrebten Ziel, einer Verbesserung von Tier- und Artenschutz, zuwiderlaufe.
Atomausstieg: Nach Darstellung des Handelsblatts (Klaus Stratmann) prüft die Kanzlei Becker Büttner Held gegenwärtig im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums, ob "atomrechtlich begründete Kosten" im Falle der Insolvenz eines Energieunternehmens vorrangig bedient werden müssten. Das beauftragte Gutachten soll gleichfalls ergründen, ob von Unternehmen für den Ausstieg aus der Atomkraft zurückgestellte Beträge auf Extrakonten zu sichern seien. In der Regierung herrsche nach den Aufteilungs-Plänen des Eon-Konzerns die Befürchtung, dass die Kosten entgegen der ursprünglichen Planung bei der öffentlichen Hand verblieben. In einem Interview der Zeitung (Klaus Stratmann) plädiert der Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften, Joachim Wieland, dafür, die Haftungsfrage in diesem Bereich neu zu regeln.
Justiz
BGH – Pauschalreisen: Der Bundesgerichtshof wird am heutigen Dienstag über mehrere Klagen von Verbraucherschutzzentralen gegen Veranstalter von Pauschalreisen verhandeln. Zuvor mit den Sache befasste Oberlandesgerichte hätten bereits Klauseln zu hohen Anzahlungen und ebensolchen Stornogebühren für unwirksam erklärt, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Nun werde unter anderem eine Entscheidung darüber erwartet, ob eine Anzahlung von 20 Prozent des Gesamtpreises, die vom BGH im Jahr 2006 als zulässig erachtet wurde, eine Höchstgrenze darstelle.
BGH zu Wohnungsprostitution: Notar Herbert Grziwotz stellt für lto.de nun das Urteil des Bundesgerichtshofs zur unzulässigen individuellen gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs wegen Störung des Wohneigentums durch einen Nachbarn vor. Im behandelten Fall hatte eine Wohneigentümergemeinschaft (WEG) bereits beschlossen, wegen der in einer Wohnung des Gebäudes mutmaßlich ausgeübten gewerblichen Prostitution gegen den fraglichen Nachbarn vorzugehen. In diesem Fall ist nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich nur die WEG klagebefugt.
BGH zu Telekom-Aktien: Nach Informationen der FAZ (Joachim Jahn) hat der Bundesgerichtshof über die Schadensersatzklage von rund 17.000 Aktionären der Deutschen Telekom wegen vermeintlich falscher Angaben anlässlich des Börsengangs des Unternehmens entschieden. Der Inhalt der Entscheidung wurde allerdings nicht bekannt. Das ungewöhnliche Massenverfahren sei erst durch das eigens hierfür geschaffene Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz geschaffen worden.
BGH – Aufklärungspflichten: Der Bundesgerichtshof verhandelt zu einer Schadensersatzklage wegen angeblicher Falschberatung bei einem Cross-Currency oder auch Währungsswap-Vertrag, durch die der Kläger einen Schaden von 180.000 Euro erlitten haben will. Wie die SZ schreibt, hat das Gericht 2011 eine Falschberatung durch eine Bank bei riskanten Zinswetten bejaht und hohe Anforderungen an Aufklärungspflichten aufgestellt. Nun müsse geklärt werden, ob diese Anforderungen auch bei den jetzt streitgegenständlichen Swap-Geschäften gelten würden.
LG Köln zu Pro Köln-Funktionär: Wegen Betrugs ist der Pro Köln-Funktionär Jörg Uckermann vom Landgericht Köln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Das Gericht habe es als erwiesen angesehen, dass Uckermann und weitere Verurteilte der Wählervereinigung als Ratsmitglieder gefälschte Anwesenheitslisten bei der Stadtverwaltung eingereicht hätten, um Sitzungsgelder einzustreichen, schreibt die taz (Anja Krüger).
ArbG Frankfurt zu NPD-Mitglied: Die politische Tätigkeit eines Sachbearbeiters eines Frankfurter Jobcenters als Landesvorsitzender der NPD stellt nach Auffassung des Arbeitsgerichts Frankfurt keinen wirksamen Kündigungsgrund dar. Das geforderte Maß an Verfassungstreue sei bei der "einfachen" Bürotätigkeit des Klägers bereits durch fehlende aktive Bekämpfung der Verfassung gewahrt, schreibt lawblog.de (Udo Vetter).
Recht in der Welt
USA – Polizeigewalt: In einem Leitartikel macht Ansgar Graw (Welt) für die jüngsten aufsehenerregenden Fälle von Polizeigewalt in den USA weniger Rassismus als eine von vielen Polizisten verinnerlichte "Ich-kann-alles-und-mir-kann-keiner-Attitüde" verantwortlich. Zwar sei ein Schusswaffeneinsatz oftmals zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt, dennoch müsse durch bessere Ausrüstung und Ausbildung ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, gefährliche Situationen auch ohne Schusswaffengebrauch lösen zu können.
USA – Deutsche Bank: Die Deutsche Bank muss sich in den USA gegen eine Entschädigungsforderung von rund 150 Millionen Euro verteidigen. Wie zeit.de meldet, soll das Geldinstitut im Verbund mit anderen Banken versucht haben, in betrügerischer Absicht durch Scheinfirmen Steuerabgaben zu verringern.
USA – Guantanamo: Mit Gegenwart und Zukunft des US-amerikanischen Gefangenenlagers Guantanamo befasst sich spiegel.de (Marc Pitzke). Trotz der Ankündigung einer Schließung durch Präsident Barack Obama seien gegenwärtig nur insgesamt fünf Verfahren gegen Insassen vor einem Militärgericht anhängig. Ob dessen Urteile überhaupt Bestand haben könnten, sei nach der Entscheidung eines Berufungsgericht hingegen fraglich. Derweil säßen noch immer mehr als 130 Terror-Verdächtige im Lager ein, ohne eine Perspektive auf einen Prozess oder eine Abschiebung.
Indien – Vergewaltigung/Uber: Die Stadtregierung von Delhi hat dem Fahr-Vermittlungsdienstleister Uber nach Bekanntwerden einer mutmaßlichen Vergewaltigung durch einen Fahrer bis auf weiteres die Lizenz entzogen. Dem Unternehmen werde vorgeworfen, Sicherheitsüberprüfungen unterlassen zu haben, schreibt die FAZ (Michael Radunski).
Sonstiges
Google: Eine Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem letzten Monat forderte die Europäische Kommission dazu auf, zu erwägen, "Suchmaschinen von anderen kommerziellen Dienstleistungen abzukoppeln." Die mediale Zusammenfassung dieser Aufforderung, eine "Zerschlagung" des Marktführers Google vorzunehmen, nimmt Rechtsprofessor Thomas Ackermann für lto.de zum Anlass, die unionsrechtlichen Voraussetzungen darzustellen. Der Kartellrechtler hält die Erwartungen des Parlaments für "überspannt". Das seit 2010 von der Kommission gegen Google betriebene Verfahren wegen mutmaßlich missbräuchlichen Verhaltens habe die Schwierigkeiten belegt, "einen wirtschaftlich schlüssigen Vorwurf zu formulieren". Auch wenn sich der Vorwurf einer Manipulation von Suchergebnissen belegen lasse und auch gerichtlich bestätigt werde, könnte gegen das Unternehmen im "Extremfall" eine Geldbuße von höchstens zehn Prozent des Jahresumsatzes verhängt werden.
UN-Menschenrechtsrat: Die taz (Andreas Zumach) stellt Bernd Rückert vor, der zum neuen Präsidenten des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen in Genf gewählt worden ist. Der deutsche Diplomat, zuvor unter anderem Leiter der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo, werde sein neues Amt im kommenden Jahr antreten.
Das Letzte zum Schluss
Knöllchen-Horst: Ein als "Knöllchen-Horst" bekanntgewordener Frührentner aus Osterode am Harz nervt seit Jahren durch pedantische Verfolgung von Falschparkern Ordnungsämter, Nachbarn und Gewerbetreibende. Auch die Bescheinigung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, er sei ein Denunziant, brachte ihn nicht von seinem Hobby ab. Vielmehr weitete er seine Aktivitäten auf den benachbarten Kreis Göttingen aus. Ein Bericht der SZ (Laura Hertreiter) bietet nun eine mögliche Erklärung für den hartnäckigen Verfolgungswahn des Mannes. Nachdem er vor 13 Jahren durch unermüdlichen Einsatz und unablässige Nachforschungen eine Erhöhung der örtlichen Abwassergebühren um 1,60 Euro verhinderte, wählten ihn die Nachbarn seiner Heimatstadt zum "Bürger des Jahres".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Dezember 2014: Expertokratie statt Rechtsprechung – Zukunft des Datenschutzes – Entscheidung zu Telekom-Aktien . In: Legal Tribune Online, 09.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14052/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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