Das BVerfG wird vermutlich die weitgehende Steuerfreiheit für Unternehmenserben beanstanden. Gestern verhandelte der Erste Senat. Außerdem in der Presseschau: bei der Rente mit 63 gibt es Verfassungsprobleme, Grüne fordern Verschärfung des Sexualstrafrechts, das VG Hannover hält Rüffel für die "Super Nanny" für gerechtfertigt - und warum ein amerikanischer Baseball-Fan nach einer Sportübertragung zehn Millionen Dollar Schadensersatz forderte.
Thema des Tages
BVerfG - Erbschaftsteuer: Im Rahmen einer Normenkontroll-Vorlage durch den Bundesfinanzhof prüfte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag, ob die weitgehende Steuerverschonung für Unternehmenserben gegen den Gleichheitssatz verstößt. Die Bundesregierung verteidigte das seit 2009 geltende Gesetz damit, dass die Verschonung der Unternehmenserben Arbeitsplätze sichere. Die Verfassungsrichter zeigten sich jedoch skeptisch. Über die Verhandlung und ihre Vorgeschichte berichten ausführlich die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Joachim Jahn), die taz (Christian Rath) und das Handelsblatt (Donata Riedel).
Joachim Jahn (FAZ) geht in seinem Kommentar davon aus, dass den Verfassungsrichtern die bisherige Privilegierung der Unternehmenserben "zu weit" geht, weil "sogar die Hauptaktionärin eines Konzerns mit Milliardenumsatz wie SGL Carbon in den Genuss von Steuerbegünstigungen kommen könnte". Claus Hulverscheidt (SZ) sieht in der Behauptung mancher Verbände, jede Besteuerung von Firmenerbschaften und -schenkungen bedeute ein wirtschaftliches Fiasko, "das Angstgeheul einer kleinen, um ihre Privilegien fürchtenden Kaste." Christian Rickens (spiegel.de) plädiert für eine "maßvolle Steuer für alle Erben".
Rechtspolitik
Rente mit 63: Die SZ (Thomas Öchsner) berichtet über ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Danach sei eine Detailregelung der beschlossenen "Rente mit 63" verfassungswidrig. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, wenn bei der Berechnung der erforderlichen 45 Beitragsjahre in den letzten zwei Jahren eine Arbeitslosigkeit wegen betriebsbedingten Kündigungen nicht mitgerechnet wird, während eine Arbeitslosigkiet wegen Insolvenz zähle. Nicht jede betriebsbedingte Kündigung beruhe auf einer missbräuchlichen Absprache zu Lasten der Sozialversicherung.
Mindestlohn: Rechtsprofessor Frank Maschmann schildert in einem Gastbeitrag für die FAZ Rechtsprobleme des Mindestlohnes. Dabei geht er ein auf die Prüfmöglichkeiten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, das fehlende Verbandsklagerecht der Gewerkschaften, die Umrechnung von Monats- und Stücklöhnen in Stundenlöhne sowie die Abgrenzung zwischen echten und vorgeschobenen Werkverträgen.
Maut: Der wissenschaftliche Assistent Walther Michl prüft auf verfassungsblog.de die Maut-Pläne von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Sie verstoßen seiner Meinung nach an zwei Punkten gegen das EU-rechtliche Diskriminierungsverbot. Zum einen sei es unzulässig, dass eine Kurzzeit-Vignette für einen EU-Ausländer so viel kostet wie bestimmte Jahres-Vignetten für deutsche Kfz-Halter. Außerdem sei die gleichzeitige Senkung der Kfz-Steuer als Kompensation für die Einführung der Maut eine mittelbare Diskriminierung von EU-Ausländern.
Vergewaltigung: Die Grünen fordern einen "voraussetzungslosen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung", berichtet die taz (Heide Oestreich). Entsprechend der Istanbul-Konvention des Europarats müsse es auch bestraft werden, wenn Sex ohne Gewalt, Drohung oder Ausnutzung einer schutzlosen Lage gegen den Willen der Frau durchgesetzt werde.
Gleichstellung: Die SZ (Heribert Prantl) berichtet über ein Gutachten des ehemaligen BVerfG-Präsidenten Hans-Jürgen Papier zur praktischen Wirkung von Gleichstellungsgesetzen im öffentlichen Dienst. Papier komme zum Schluss, dass die Pflicht zur vorrangigen Einstellung von Frauen bei gleicher Eignung leer laufe, weil die Anforderungen meist so konkretisiert werden, dass nur der gewünschte männliche Bewerber sie erfülle. Papier schlägt vor, künftig auf eine "offensichtlich" bessere Qualifikation von Konkurrenten abzustellen.
Justiz
VerfGH Saarbrücken zur Neutralität von Ministern: Der saarländische Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) durfte die NPD als "braune Brut" bezeichnen, meldet spiegel.de. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes lehnte eine Organklage der NPD ab. Der Minister habe nicht die Neutralitätspflicht verletzt. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie gebe dem Minister das Recht zu derart negativen Werturteilen.
BGH zu Erfolgshonoraren von Anwälten: Wenn ein Anwalt ein Erfolgshonorar vereinbart und dabei die Formvorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes nicht einhält, entsteht zumindest ein Anspruch auf die gesetzlichen Gebühren. Das entschied jetzt laut FAZ (Joachim Jahn) der Bundesgerichtshof.
BGH zum Ausschluss eines Gesellschafters: Auch nach einer groben Pflichtverletzung können die Gesellschafter einer GmbH den fehlsamen Mitgesellschafter nicht entschädigungslos ausschließen. Entsprechende Regelungen in einer Unternehmenssatzung sind sittenwidrig und damit nichtig, entschied der Bundesgerichtshof, wie jetzt die FAZ (Joachim Jahn) meldet.
VG Hannover zu "Super Nanny": Der Fernsehsender RTL scheiterte beim Verwaltungsgericht Hannover mit seiner Klage gegen eine Beanstandung der Kommission für Jugendmedienschutz, meldet spiegel.de. Die Kommission durfte rügen, dass eine 2011 ausgestrahlte Folge der Ratgeber-Serie "Super Nanny" die Würde dargestellter Kinder verletzt habe, weil sie mehrfach zeigte, wie die Kinder von ihrer Mutter geschlagen wurden.
EuGH - Weservertiefung: Der Europäische Gerichtshof verhandelte am Dienstag über die Frage, ob eine Vertiefung der Weser mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie vereinbar ist. Die Richtlinie verbietet grundsätzlich die Verschlechterung des Zustands von Gewässern. Hingewiesen wird in dem Bericht der SZ (Marc Widmann) auf ein ähnliches Verfahren am Bundesverwaltungsgericht, das am 15. Juli über die geplante Hamburger Elbvertiefung verhandelt.
LG Mainz - Wasserpreise: An diesem Mittwoch verhandelt das Landgericht Mainz über die Klage eines Verbrauchers gegen die Stadtwerke Mainz wegen überhöhter Trinkwasserpreise in der Vergangenheit. Über den Pilotprozess berichtet die FAZ (Jan Hauser). Das Unternehmen hatte 2013 auf Druck des Bundeskartellamts seine Wasserpreise gesenkt.
LG Regensburg - Mollath: spiegel.de (Beate Lakotta) berichtet über den zweiten Tag des wiederaufgenommenen Strafprozesses gegen Gustl Mollath. Vernommen wurden zwei Polizisten, bei denen einst die Ex-Frau von Mollath über dessen tätliche Angriffe ausgesagt hatte.
Die SZ (Annette Ramelsberger) portraitiert den forensischen Psychiater Norbert Nedopil, der Mollath begutachten soll.
OLG München - NSU: Im Prozess gegen Beate Zschäpe und andere wurde der Rechtsanwalt Thomas Jauch vernommen, der das NSU-Trio 1998 wohl mindestens einmal rechtlich beraten hat und auch Kontakt zu anderen Angeklagten hatte. Es berichten unter anderem zeit.de (Tom Sundermann) und die Welt (Per Hinrichs).
Die SZ (Annette Ramelsberger) bringt ein große Seite 3-Reportage über das sich rechtfertigende Verhalten der Eltern von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor Gericht.
Spionage und Immunität: Anlässlich des Ermittlungsverfahrens wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen einen BND-Mitarbeiter erläutert die SZ (Hans Leyendecker), dass die amerikanischen Agentenführer keine Strafverfolgung zu befüchten haben, wenn sie in der US-Botschaft arbeiteten, da sie dann Immunität genießen.
Recht in der Welt
EGMR - Türkei: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei wegen Verletzung der Pressefreiheit verurteilt. Zwei Jounalisten saßen wegen angeblicher Kontakte zur Geheimorganisation Ergenekon rund ein Jahr in Untersuchungshaft, obwohl es nach Ansicht des EGMR hierfür "weder überzeugende noch ausreichende Gründe" gegeben hatte, so spiegel.de.
Georgien - politische Justiz: Die FAZ (Friedrich Schmidt) geht Vorwürfen der georgischen Partei UMM nach, gegen ihre Führung gebe es politische Justiz. Die UMM war bis 2013 an der Regierung und ist jetzt in der Opposition. Unter Berufung auf georgische Menschenrechtler werden die Vorwürfe überwiegend zurückgewiesen. Die Gerichte in Georgien seien jetzt freier als zuvor, es gebe auch Freisprüche in UMM-Prozessen. Ein Problem sei jedoch, dass es immer wieder zu neuen Anschuldigungen und Untersuchungshaft komme.
Sonstiges
"Fan Fest" und Markenrecht: Der Anwalt Thomas Herro hat beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt in Alicante die Löschung der FIFA-Marke "Fan Fest" beantragt. Die Marke habe keine Unterscheidungskraft und sei rein beschreibender Natur, erläutert er im Interview mit lto.de (Claudia Kornmeier).
Das Letzte zum Schluss
Eingeschlafener Baseball-Fan: Ein Baseball-Fan hat den US-Sportsender ESPN auf zehn Millionen Dollar Schadensersatz verklagt, weil dieser den Fan gezeigt hatte, wie er während eines wichtigen Baseball-Matches auf der Tribüne eingenickt war - "die Augen geschlossen, den Mund geöffnet, den Kopf zur Seite gekippt." spiegel.de berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Juli 2014: Karlsruher Skepsis bei Erbschaftsteuer – Grüne für sexuelle Selbstbestimmung – "Super Nanny" verletzte Menschenwürde . In: Legal Tribune Online, 09.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12491/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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