Das BVerfG eröffnet das Hauptsacheverfahren zum NPD-Verbot. Außerdem in der Presseschau: Beate Zschäpe vor Aussage, OLG Celle verurteilt IS-Rückkehrer und das AG München zum Beweiswert von Verkehrsunfallzeugen.
Thema des Tages
BVerfG – NPD-Verbot: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in einer am gestrigen Montag bekanntgegebenen Entscheidung aus der vergangenen Woche die Durchführung des vom Bundesrat beantragten Verbotsverfahrens gegen die NPD und ihre Teilorganisationen beschlossen. Durch die Ansetzung einer dreitätigen Verhandlung im kommenden März und dem damit verbundenen Abschluss des Vorverfahrens sei klargestellt, dass der Verbotsantrag nach bisheriger Aktenlage hinreichend begründet sei, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Zudem sei auch die zwischenzeitliche Anforderung des Gerichts zu belastbaren Belegen der vom Bundesrat behaupteten sogenannten Abschaltung von V-Leuten innerhalb der Partei offenbar erfüllt worden, wenngleich die V-Mann-Problematik im Hauptverfahren auch noch gesondert behandelt würde. Weitere Berichte bringen u.a. FAZ (Reinhard Müller) und taz (Christian Rath). Analysen des beantragten Verbots und der diesbezüglichen Erfolgsaussichten liefern Heribert Prantl (SZ, Video) und spiegel.de (Christina Hebel/Dietmar Hipp).
Die Entscheidung kommentieren Wolfgang Janisch (SZ), Reinhard Müller (FAZ), Christian Rath (taz.de), Christian Bommarius (BerlZ) sowie Thomas Darnstädt (spiegel.de).
Rechtspolitik
Anonymität im Internet: Thomas Stadler (internet-law.de) beteiligt sich mit fünf Thesen an der Diskussion über die Einführung einer Klarnamenpflicht im Internet. Diese würde sich negativ auf Meinungs- und Informationsfreiheit auswirken, weil viele Nutzer wohl auf Meldungen verzichten würden, wenn sie diese nicht mehr anonym oder unter Pseudonym artikulieren könnten. Die erleichterte Erfassung des Nutzungsverhaltens würde in Konflikt mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geraten.
EU-Frauenquote: Bemühungen, auf europäischer Ebene eine Frauenquote für die Besetzung von Spitzenpositionen in Unternehmen einzuführen, sind offenbar gescheitert. Wie die FAZ (Hendrick Kafsack) berichtet, trägt die Bundesregierung hieran "eine beträchtliche Mitschuld". Das Kanzleramt hätte bestimmt, dass sich Deutschland bei der Abstimmung im Ministerrat der Stimme enthalte, weil Quotenregelungen Sache der nationalen Gesetzgeber seien.
Steuererklärungen: Das Bundeskabinett wird am morgigen Mittwoch über den von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorangetriebenen Plan einer vollautomatisierten Bearbeitung von Steuererklärungen abstimmen. Die FAZ (Joachim Jahn) stellt Einzelheiten der Reform vor.
Fremdbeteiligungsverbot: Nach Darstellung der FAZ (Joachim Jahn) ist das bislang in Deutschland noch geltende Verbot einer berufsfremden Beteiligung an Anwaltskanzleien durch europäische Marktharmonisierungsbestrebungen gefährdet. Die Bundesregierung habe der Kommission grundsätzliche Kompromissbereitschaft beim Abbau von Privilegien verkammerter Berufe signalisiert, auch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der Niederlassungsrichtlinie aus dem Jahr 1998 seien in dieser Richtung zu deuten.
Unternehmensanwälte: Nach Bericht des HBl (Heike Anger) hat sich die Bundesregierung bei der geplanten Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte darauf verständigt, dass deren Haftung "nach den allgemeinen Regeln des Zivil- und Arbeitsrechts" erfolgen solle. Die ursprünglich angedachte Pflicht einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung für die betroffenen Anwälte sei damit vom Tisch.
Justiz
BGH – Transplantationsskandal: Nach dem Freispruch eines Transplantationschirurgen durch das Landgericht Göttingen im vergangenen Mai hat nach Meldung der taz die Staatsanwaltschaft Braunschweig nun beim Bundesgerichtshof die Begründung ihres Revisionsantrags eingereicht.
BGH zu Trennungssystem: Rechtsanwalt Christian Harmsen begrüßt in einem Gastbeitrag für das HBl ein Urteil des Bundesgerichtshofs zum patentrechtlichen Trennungssystem. Im Juni habe das Gericht die Gültigkeit des Systems, nach dem Patentverletzer ein erteiltes Patent in einem getrennten Verfahren vor dem Bundespatentgericht vernichten müssen, bestätigt. Dass es in getrennten Verfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, sei nach dem BGH hinzunehmen.
BVerwG zu Geheimschutzverstößen: Geheimschutzverstöße beim Bundesnachrichtendienst (BND) sind selbst keine Geheimnisse, das Bundeskanzleramt hat dementsprechend Auskunft zu journalistischen Anfragen zu erteilen. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht im September. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) schreibt zu der aufgrund des Beschlusses nun erteilten Auskunft. Nach dieser wurden bis einschließlich Oktober beim BND 32 Verstöße gegen Geheimschutzbestimmungen festgestellt. Fast alle dieser Verstöße beruhten auf Medienveröffentlichungen, inwiefern deswegen Ermittlungsverfahren gegen verdächtige Journalisten geführt werden, sei nicht mitgeteilt worden.
BSG zu Sozialhilfe für EU-Bürger: Die "ganz eigene und unerwartete Lösung" des Bundessozialgerichts bei der in der vergangenen Woche entschiedenen Frage eines Sozialhilfeanspruchs für EU-Bürger behandelt nun auch die BadZ (Christian Rath). Der Beitrag umreisst die Entscheidungsgeschichte des Urteils und gibt auch Kritik des Deutschen Städte- und Gemeindebundes wieder.
OLG München – NSU: Im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München steht die nun schon länger angekündigte Einlassung der Hauptangeklagten unmittelbar bevor. zeit.de (Tom Sundermann) zählt fünf Fragen auf, zu denen sich Zschäpe erklären muss, um ihr mutmaßliches Ziel eines "Strafrabatts" zu erreichen. Gegenüber der SZ (Annette Ramelsberger) erklärte Zschäpes Verteidiger Matthias Grasel, dass die ca. 50 Seiten lange, von ihm verlesene Erklärung sowohl auf persönliche Umstände der Angeklagten als auch die erhobenen Vorwürfe eingehen werde. Sein Kollege Hermann Borchert habe angeregt, den nach der Erklärung am Mittwoch geplanten Verhandlungstermin am Folgetag auszusetzen, um Zschäpe den nötigen Abstand zu gewähren. Bezüglich der Beantwortung von Fragen der Prozessbeteiligten mit Ausnahme der Nebenklagevertretern schwebe beiden Anwälten eine Sammlung und die darauffolgende schriftliche Beantwortung vor.
OLG Celle zu IS-Rückkehrern: Wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland hat das Oberlandesgericht Celle beide Wolfsburger IS-Rückkehrer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das die IS-Mitgliedschaft der Verurteilten nur kurz währte, sei vom Gericht ebenso zu ihren Gunsten gewertet worden wie die "eindeutige und glaubhafte" Abwendung vom IS, so die FAZ (Reinhard Bingener). Dessen Charakter als Terrororganisation hätten sie jedoch bereits vor der Ausreise kennen müssen. Nach Auffassung des Gerichts hätten die beiden Syrien weder gefoltert noch getötet. Auch spiegel.de (Wiebke Ramm) schreibt über die Entscheidung.
Heribert Prantl (SZ) prognostiziert, dass den nun Verurteilten weitere IS-Rückkehrer in die Gefängnisse folgen. Den Haftanstalten stehe damit ein "Dschhad hinter Gittern" bevor, der aus der "wichtigsten Aufgabe des Strafvollzugs", der Resozialisierung, eine "Deradikalisierung" mache.
OLG Düsseldorf – Salafisten: Die FAZ (Reinhard Bingener) schreibt zum Verfahren gegen mehrere Salafisten, die sich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen des gescheiterten Anschlags am Bonner Hauptbahnhof und der geplanten Tötung des ProNRW-Vorsitzenden verantworten müssen. Auch die Vernehmung eines Sachverständigen habe nicht zweifelsfrei klären können, ob die am Bahnhof platzierte Bombe funktionsfähig war oder nicht.
OLG Stuttgart – Arhar al-Scham: Am Oberlandesgericht Stuttgart wird ab dem heutigen Dienstag gegen mutmaßliche Unterstützer der syrischen Terrorgruppe Arhar al-Scham verhandelt. Den Angeklagten wird vorgeworfen, der Gruppe Ausrüstungsgegenstände geliefert zu haben, schreibt die taz (Christian Rath) und stellt die gegen den syrischen Präsidenten Assad kämpfende, islamistische Gruppe sowie weitere im Blickfeld deutscher Ermittler stehende Vereinigungen vor.
LG Freiburg zu Selbstjustiz: Im sogenannten Selbstjustizfall von Neuenburg hat das Landgericht Freiburg die beiden Hauptangeklagten wegen Mordes verurteilt. Der Geschädigte hatte mutmaßlich die Tochter bzw. Schwester der Verurteilten vergewaltigt, den Fahndungsbemühungen der Polizei hätten die Männer jedoch kein Vertrauen geschenkt, fasst die FAZ (Rüdiger Soldt, Zusammenfassung) die Argumentation des Gerichts zusammen. spiegel.de (Benjamin Schulz) berichtet ebenfalls.
LG Würzburg – Bandidos/LKA: Zum Verfahren gegen einen als V-Mann tätigen Mann aus der Rockerszene vor dem Landgericht Würzburg schreibt die SZ (Olaf Przybilla/Wolfgang Wittl). Bei der Vernehmung von Fahndern, die beim Angeklagten die verfahrensgegenständlichen Drogen bei einem grenznahen Zugriff sichergestellt hatten, sei zunächst dessen Darstellung, er habe das Rauschgift mit Wissen seines zuständigen LKA-Kontaktes transportiert, in Frage gestellt worden. Die im Anschluss erfolgte Vernehmung eines Kriminalbeamten habe jedoch nahegelegt, dass die übereinstimmende Aussage der Fahnder abgesprochen gewesen sei.
LG Detmold – SS-Wachmann: Ab voraussichtlich Mitte Februar muss sich ein 93-Jähriger vor dem Landgericht Detmold wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen verantworten. Die Zulassung der Anklage der nordrhein-westfälischen Zentralstelle für NS-Verbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen den früheren Wachmann im KZ Auschwitz meldet u.a. bild.de.
AG Lübben – sexueller Missbrauch: Vor dem Amtsgericht Lübben muss sich ab dem heutigen Dienstag ein Erzieher des mittlerweile geschlossenen Haasenburg-Erziehungsheims wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen verantworten. Nach Bericht der taz (Kaija Kutter) sind weitere Verfahren wegen Misshandlungen in den geschlossenen Heimen des Betreibers nicht zu erwarten. Denn gehe die zuständige Staatsanwaltschaft davon aus, dass mögliche Körperverletzungen von Heiminsassen verjährt seien. Bei ebenfalls in Frage kommenden Misshandlungen von Schutzbefohlenen bestehe keine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit.
Die "zynischen" Einstellungsbegründungen veranlassen Kaija Kutter (taz) in einem separaten Kommentar zur Forderung einer Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Sei im Strafrecht die Formel "in dubio pro reo" einschlägig, müssten "schärfere Eingriffs- und Kontrollrechte" zum Schutz von Heimkindern nach dem Grundsatz "in dubio pro infante" durchgesetzt werden.
StA München I – Augustinum: Seit längerer Zeit ermittelt die Staatsanwaltschaft München I wegen fragwürdiger Immobiliengeschäfte des kirchennahen Sozialkonzerns Augustinum. In einer ausführlichen Darstellung des Falls schreibt die SZ (Klaus Ott), dass nun ein auch Bußgeldverfahren gegen den Leiter der Einrichtung, Markus Rückert, eingeleitet wurde. Dieser soll nach den Erkenntnissen eines unabhängigen Gutachters nicht nur "Opfer in einem grotesken Kriminalfall" gewesen sein – so die bisherige Darstellung Rückerts -, sondern die "erheblich nachteiligen" Geschäfte durch Verletzung seiner Aufsichtspflichten begünstigt haben. Ein weiterer Beitrag der SZ (Klaus Ott) befasst sich mit einem in der Sache eingeholten Gutachten einer Schriftsachverständigen.
StA Berlin – Lageso: Wegen mangelhafter Betreuung von Flüchtlingen durch das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) haben Mitglieder des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen Strafanzeige gegen Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und Behördenleiter Franz Allert erstattet. Im Gespräch mit der taz (Alke Wierth) erläutert Christina Clemm, Vorstandsmitglied beim RAV, die Beweggründe.
Recht in der Welt
Großbritannien – Sexueller Missbrauch: In der britischen Kleinstadt Rotherham sollen in den letzten zwei Jahrzehnten mindestens 1.400 Kinder und Jugendliche von organisierten Banden sexuell missbraucht worden sein. Nach Einschätzung einer unabhängigen Gutachterin seien Stadtverwaltung und lokale Polizei gegenüber den Vorwürfen untätig geblieben, um den guten Ruf des Ortes zu schützen und sich ihrerseits nicht dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit auszusetzen. Die mutmaßlichen Täter sind pakistanischstämmig. In Sheffield beginnt nun ein erster Prozess gegen acht Angeklagte, die SZ (Christian Zaschke) fasst den Fall zusammen.
Sonstiges
NSU-U-Ausschuss B-W: Die SZ (Josef Kelnberger) berichtet zur Zeugenvernehmung des Heilbronner Staatsanwalts Christoph Meyer-Manoras im NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags. Der Ankläger hatte sich gegen die Veröffentlichung eines nach den Angaben des bei der Tötung der Polizistin Michele Kiesewetter verletzten Kollegen angefertigten Phantombildes ausgesprochen. Im Ausschuss erklärte er dies nun mit der tiefen Traumatisierung des verletzten Martin A. Dessen Angaben hätten auf "Rekonstruktion statt Erinnerung" beruht.
Facebook-Hetze: Die Bundesregierung hat auf eine kürzliche Anfrage der Grünen-Fraktion hin erklärt, über die auf ihrem Facebook-Auftritt gelöschten Nutzerkommentare keine Statistik zu führen. Jost Müller-Neuhof (Tsp) kommentiert, dass diese Aussage "zwar nicht falsch ist, aber die Wahrheit verbirgt, die es eigentlich zu sagen gäbe". Dass rassistische oder menschenverachtende Kommentare gelöscht und gegebenenfalls auch an die Polizei weitergeleitet würden, stehe außer Frage, hierzu könnte "problemlos" Auskunft erteilt werden, ohne – wie behauptet - Ermittlungen zu gefährden.
Gustl Mollath: In ihrem Medien-Teil bespricht die FAZ (Matthias Hannemann) die am heutigen Dienstag im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlte Doku "Mollath – und plötzlich bist du verrückt". Der "poetisch gehaltene" und "zuweilen arg dahin gleitende" Film bemühe sich, der Vielschichtigkeit des Protagonisten gerecht zu werden.
Das Letzte zum Schluss
Unfallzeugen: Die Bearbeitung von Verkehrsunfällen mag bei Amtsrichtern nicht immer beruflich motivierte Begeisterungsstürme auslösen. Das hinderte das Amtsgericht München in einer von justillon.de (Andreas Stephan) ausgegrabenen Entscheidung aus dem Jahr 1986 dennoch nicht daran, glossenartig darzulegen, was von der Zeugenaussage eines Unfallbeteiligten zu halten sei. Nach Auslassungen über die Unfehlbarkeit von Autofahrern, die Häufigkeit von Wundern, einer Taube auf dem Kopf des Papstes und Verwendung des Adverbs "hinwiederum" lautet das eindeutige Ergebnis "nämlich gar nichts".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2015: NPD-Verbot / Fragen an Zschäpe / Haft für IS-Rückkehrer . In: Legal Tribune Online, 08.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17778/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag