Ein Sondertribunal verurteilt Rote Khmer in Kambodscha zu lebenslanger Haft. Außerdem in der Presseschau: Gerichtsrat statt Richter auf Probe, BVerfG zur Berichterstattung im Fall Yagmur, LG München I zum DFB-Logo, Interview mit Rechtsanwalt Matthias Prinz, Aufenthaltsgenehmigung für Edward Snowden und unfreiwilliger Abschied aus dem Hotel Mama.
Thema des Tages
Kambodscha – Rote Khmer: Die Außerordentlichen Kammern an den Gerichten von Kambodscha (ECCC), ein von den Vereinten Nationen und dem kambodschanischen Staat eingerichtetes Sondertribunal zur Aufklärung der von den Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 begangenen Verbrechen, hat zwei ranghohe Regime-Vertreter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.
Angeklagt waren Nuon Chea, Chefideologe der Roten Khmer und der frühere Staatspräsident Khieu Samphan. Den 88 und 83 Jahre alten Verurteilten wurde die Vertreibung der kambodschanischen Bevölkerung aus der Hauptstadt Phnom Penh und anderen Gebieten, die Exekution feindlicher Soldaten nach der Machtübernahme und die Beteiligung an Entscheidungsprozessen des Regimes zur Last gelegt. Die im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse sollen die Grundlage weiterer Anklagen wegen Kriegsverbrechen und Genozid bilden, schreibt die FAZ (Till Fähnders). Ob es hierzu komme, sei jedoch zweifelhaft. Denn die gegenwärtige Staatsführung befürchte die Offenlegung eigener Verstrickungen. Andererseits erfordere die "hybride" Struktur des Gerichtshofs Kooperationsbereitschaft seitens Kambodschas. Auch die taz (Nicola Glass) stellt die Kritik am Verfahren in den Mittelpunkt ihres Berichts. So habe politische Einflussnahme die achtjährige Dauer des Prozesses und dessen Kosten von 200 Millionen Dollar mitverursacht.
Arne Perras (SZ) meint dagegen in einem Kommentar, dass sich die schwierige Arbeit des Tribunals gelohnt habe. Mehr als eine durch das jetzige Urteil geschaffene "symbolische Gerechtigkeit" für die millionenfachen Opfer sei ohnehin nicht zu erwarten gewesen.
Rechtspolitik
Leihmutterschaft: Aus Anlass von Vorschlägen, den rechtlichen Status von Leihmüttern zu verbessern, betont Helene Bubrowski (FAZ) in einem Kommentar, dass Leihmutterschaft gegen die Menschenwürde sowohl der Leihmutter als auch des Kindes und schließlich auch der Besteller verstoße. Obwohl bezweifelt werden könne, dass das aktuelle Verbot noch eine abschreckende Wirkung entfalte, müsse es trotz der moralisch nachvollziehbaren Absicht, Leihmüttern im Ausland helfen zu wollen, aufrechterhalten bleiben.
Suizidhilfe: Michael Bertrams, ehemaliger Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs hat sich nach Bericht der FAZ (Reiner Burger) dafür ausgesprochen, unter bestimmten Voraussetzungen "ärztliche Hilfe zum Sterben" zuzulassen. Hierzu könne der § 216 des Strafgesetzbuches ergänzt werden.
Gerichtsräte: In einem Gutachten für den Deutschen Juristentag schlägt Rechtsprofessor Christian Callies vor, die Proberichterzeit durch eine fünfjährige Tätigkeit als Justiz- bzw. Gerichtsrat zu ersetzen. Diese Räte könnten nach dem Vorbild US-amerikanischer "judicial clerks" als weisungsgebundene Beamte etwa Gerichte in großen Verfahren bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Richter Benedikt Meyer (zpoblog.de) gewinnt dem Vorschlag Positives ab, weist aber auch auf die gängige Praxis hin, Proberichter als "Lückenfüller" für Krankheits- oder Schwangerschaftsvertretungen einzusetzen.
Wahlrecht für Ausländer: In einem Gastkommentar für die Welt legt der Berliner CDU-Politiker Burkard Dregger Gründe gegen ein kommunales "oder gar" allgemeines Ausländerwahlrecht dar. Das Wahlrecht sei kein Menschenrecht sondern ein Staatsbürgerrecht. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft jedoch stehe jedem offen, durch ein Ausländerwahlrecht mindere man aber die Bereitschaft zu ihrem Erwerb mit integrationsfeindlichen Konsequenzen.
Justiz
BVerfG zu Berichterstattung aus Gericht: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem nun veröffentlichten Beschluss sitzungspolizeiliche Anordnungen zur Berichterstattung über den vor dem Landgericht Hamburg verhandelten Fall "Yagmur" zum Teil aufgehoben. Die fraglichen Bestimmungen, etwa zum Verbot sogenannter Nahaufnahmen von Prozessbeteiligten, seien vom Vorsitzenden Richter des Hamburger Gerichts nicht ausreichend begründet worden. Dagegen lägen die Gründe für das bestätigte Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen und Laptops im Gerichtssaal "auf der Hand." Mit der "sehr diskutablen Entscheidung" befasst sich lto.de (Martin W. Huff/Pia Lorenz).
FAZ (Joachim Jahn), taz (Christian Rath) und Thomas Stadler (internet.law.de) berichten ebenfalls über den Beschluss.
BGH zu El Motassadeq: Nach einer Meldung von lto.de hat der Bundesgerichtshof einen Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg bestätigt, nach dem eine vorzeitige Haftentlassung des wegen Beteiligung an den Anschlägen des 11. September verurteilten Mounir El Motassadeq nicht in Frage kommt. Für die Entscheidung spreche vor allem das gutachterlich ermittelte Festhalten des Marokkaners an "seiner islamistisch-jihadistischen Einstellung."
BGH zu Mängelrügen am Bau: In einem Gastbeitrag für die FAZ verweist Rechtsanwalt Friedrich-Karl Scholtissek auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni. Nach diesem dürfte an das Darlegen eines Mangels an einem Bauwerk durch den Auftraggeber keine überbordenden Anforderungen gestellt werden. Die Entscheidung bestätige die sogenannte Symptomtheorie, nach der es ausreiche, wenn ein Bauherr das für ihn erkennbare Symptom konkret beschreibt.
OLG Frankfurt zu einstweiliger Verfügung: Thomas Stadler (internet.law.de) meldet einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom Juli, nach dem von dem Erfordernis einer förmlichen Abmahnung vor dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zumindest dann abzusehen ist, wenn diese ohnehin nutzlos erscheine. Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Antragsgegner erkennen lasse, dass er ohnehin eine gerichtliche Klärung beabsichtige.
LG München I zu DFB-Logo: Das Landgericht München I hat eine vom Deutschen Fußballbund gegen die Supermarktkette Real erwirkte einstweilige Verfügung bestätigt. Real dürfe somit weiterhin keine Produkte verkaufen, auf denen ein dem Logo des DFB nachempfundenes Emblem mit einem Bundesadler enthalten ist, schreibt die SZ (Angelika Slavik, erweiterte Online-Fassung) und prognostiziert eine Fortsetzung des Streits: Real habe eine Berufung gegen die Entscheidung angekündigt und zudem beim Deutschen Marken- und Patentamt die Löschung des markenrechtlichen Schutzes des DFB-Logos gestellt. Die FAZ (Joachim Jahn) erläutert in ihrer Meldung den diesbezüglichen Rechtsweg: Gegen eine Entscheidung des Markenamtes könne das Bundespatentgericht angerufen werden. Ein Rechtsmittel gegen dessen Entscheidung sei beim Bundesgerichtshof einzulegen.
StA München - Jürgen Fitschen: Dem Co-Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, droht eine Anklage wegen Prozessbetrug. Das Landgericht München I wolle den entsprechenden Schriftsatz noch in diesem Monat verschicken, schreiben faz.net (Joachim Jahn) und Handelsblatt (S. Afhüppe/L. de la Motte/P. Köhler) übereinstimmend. Der Banker solle nach Ansicht der Anklagebehörde Falschaussagen ehemaliger Vorstandskollegen im Kirch-Verfahren nicht korrigiert haben, einen Rücktritt von seinem Amt schließe er aus. In einem weiteren Beitrag des Handelsblatts (Kerstin Leitel) wird Richter Peter Noll vorgestellt, der als Vorsitzender der 5. Wirtschaftskammer des Gerichts mutmaßlich über die Zulassung der Anklage entscheiden wird. Bekanntheit habe Noll durch die unter seinem Vorsitz verfügte Verfahrenseinstellung gegen Bernie Ecclestone erlangt.
Unterhaltsrecht: Anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung entwickelt die SZ (Ulrike Heidenreich/Wolfgang Janisch) die These, das gegenwärtige Unterhaltsrecht spiegele nicht ausreichend das veränderte Selbstverständnis geschiedener Väter wider. Denn in den meisten Fällen wären diese Väter, von den viele intensiv an der Betreuung ihrer Kinder teilnähmen, nach wie vor voll unterhaltspflichtig. In einem Kommentar beklagt Ulrike Heidenreich (SZ), dass diese engagierten Väter rechtlich und finanziell benachteiligt würden. "Wer sich mehr kümmert, muss weniger zahlen dürfen."
Matthias Prinz: Der Wochenend-Teil des Handelsblatts (M. Etzold/M. Nowroth/M. Schade) bringt ein Interview mit Matthias Prinz. Der "Prominentenanwalt" spricht darüber, neben "Reichen und Schönen" mittlerweile auch Unternehmen presserechtlich zu vertreten, die kommunikationsberatende Komponente seiner anwaltlichen Tätigkeit und die Schnittmenge von journalistischer und juristischer Arbeit.
Recht in der Welt
Russland – Edward Snowden: Nach einer Meldung von fr-online.de ist Edward Snowden in Russland eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden, die ihn auch zu Auslandsreisen bis zu drei Monaten Dauer berechtigt. Reinhard Müller (FAZ) meint, dass es gerade Snowdens Status als "Whistleblower" sei, der ihm Sicherheit verschaffe. Weil er in seiner Heimat nicht politisch verfolgt werde, sei er auch kein Asylbewerber. Nun wäre es an der Zeit, "sich seinen Transparenzpostulaten selbst" zu unterwerfen und dem deutschen NSA-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort zu stehen.
Argentinien/USA – Schulden: Nach einer Meldung von handelsblatt.com hat Argentinien die USA vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag/Niederlande verklagt. Durch die in den USA ergangenen Urteile zugunsten von Hedge-Fonds sehe die argentinische Republik ihre Souveränität verletzt. Es sei fraglich, ob die Vereinigten Staaten den IGH, eine Institution der Vereinten Nationen, als Schlichter akzeptieren würden.
Sonstiges
Selfies am Steuer: Einer Umfrage zufolge haben sich 25 Prozent aller jungen autofahrenden Europäer schon einmal während der Fahrt selbst geknipst. Udo Vetter (lawblog.de) macht darauf aufmerksam, dass das hierfür fällige Bußgeld genauso hoch sei wie bei einem Telefonat am Steuer.
Das Letzte zum Schluss
Hotel Mama: Auch in China werden die bekannten Annehmlichkeiten von Hotel Mama geschätzt. Offenbar zu weit getrieben hat es jedoch ein 29-Jähriger in der Volksrepublik. Wie focus.de berichtet, erwirkten die Eltern des Mannes nach einer erfolgreichen Klage mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers die Räumung der bequemen Unterkunft, nachdem der Arbeitslose auch noch seine Freundin einquartiert hatte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. August 2014: Lebenslänglich für Rote Khmer – BVerfG zu Gerichtsberichterstattung – DFB-Adler tabu für Real . In: Legal Tribune Online, 08.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12839/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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