Der starke Arm der GDL hat sich vor dem Arbeitsgericht Frankfurt durchgesetzt, der Bahnstreik geht damit zunächst weiter. Außerdem in der Presseschau: Reform des Vergewaltigungsparagraphen, BKA-Präsident zum Datenschutz, NVA vor Gericht, juristische Aufarbeitung der DDR, Erkenntnisgewinn im NSA-Ausschuss und Gefängnis für betrügerischen Speiseplan.
Thema des Tages
ArbG Frankfurt – Bahn-Streik: Der von der Gewerkschaft Deutscher Lokführer ausgerufene Streik geht vorerst weiter. Wie faz.net (Patrick Bernau) meldet, lehnte das Arbeitsgericht Frankfurt am späten gestrigen Abend den Erlass einer von der Deutschen Bahn beantragten einstweiligen Verfügung ab. Nach den Worten der Vorsitzenden Richterin Ursula Schmidt sei der Ausstand verhältnismäßig, verstoße nicht gegen die Friedenspflicht und sei zudem auch nicht altersdiskriminierend. Nach Darstellung von spiegel.de geht die unterlegene Arbeitgeberin gegen die Entscheidung in Berufung. Das Landesarbeitsgericht Hessen könnte hierüber bereits am heutigen Vormittag verhandeln. Argumente für und gegen die Rechtmäßigkeit des Streiks stellt zeit.de (Sabine Hockling) zusammen.
Streik-Folgen I: Mögliche arbeitsrechtliche Folgen des Streiks für Pendler stellt zeit.de (Tina Groll) in einer Übersicht dar. Auch bei einer streikbedingten Verlängerung des Weges zur Arbeit trifft die Arbeitnehmer das sogenannte Wegerisiko. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts seien sie dazu verpflichtet, alternative Verkehrsmittel oder Routen zu nutzen. Bei etwaigen Zuspätkommen bestehe zwar kein Recht zur Kündigung, grundsätzlich könne der Arbeitgeber jedoch den Lohn kürzen.
Streik-Folgen II: Zu der Berichterstattung über das Wohnhaus des GDL-Chefs Claus Weselsky stellt die SZ (Hans Leyendecker) in ihrem Medien-Teil klar, dass diese "moralisch, aber wohl auch rechtlich" unzulässig ist. Zwar schlage nach der wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor sechzig Jahren "das Pendel mal mehr in Richtung Pressefreiheit, mal mehr in Richtung Persönlichkeitsschutz". Wer aber auch als Person des öffentlichen Lebens seinen persönlichen Rückzugsort nicht freiwillig offenbare, habe einen Anspruch auf Schutz desselben.
Streik-Folgen III: Nach Auffassung von Dorothea Siems (Welt) trägt die Position der GDL dazu bei, der Regierung bei der Verwirklichung ihres "fragwürdigen Gesetzesvorhabens" zur Tarifeinheit zu erleichtern. Durch die aktuellen Bilder entstehe der unzutreffende Eindruck, dass es Kleingewerkschaften seien, die der Wirtschaft mehr als die großen Gewerkschaften schaden würden. Daher sei es unangebracht, über den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit kleinen Arbeitnehmerorganisationen wie eben der GDL "faktisch das Streikrecht zu nehmen und die Gründung weiterer Spartengewerkschaften unmöglich zu machen".
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht: Die Konferenz der Landesjustizminister hat ihre Zustimmung zu der von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorangetriebenen Reform des strafrechtlichen Vergewaltigungsparagrafen signalisiert. Die Reform soll vorhandene Schutzlücken schließen, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch/Robert Roßmann) in einem Bericht, der zudem ausführlich auf die aktuelle Debatte zwischen dem Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer und der Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle eingeht.
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Einigkeit der Justizminister "in einer so wichtigen Frage", zeigt sich aber skeptisch, ob dies gleichermaßen für die nun zu hörenden Fachleute gelten werde. Auch die jetzige Rechtslage lasse Raum für Bestrafung von Tätern, denen körperlicher Widerstand nicht entgegengesetzt werde. Dagegen erinnert Heide Oestreich (taz) daran, dass trotz der prominenten Fälle "Kachelmann" oder "Strauss-Kahn" die Opfer sexueller Gewalt regelmäßig Frauen und eben nicht falsch beschuldigte Männer seien. Eine Fallsammlung der Frauennotrufe belegte, dass für Gerichte Vergewaltigungen häufig unstreitig seien, aber dennoch strafrechtlich nicht erfasst werden könnten.
Terror-Tourismus: Eine weitere Einigung der Justizministerkonferenz betrifft schärfere Maßnahmen gegen terrorbereite Islamisten. Wie berliner-zeitung.de (Mira Gajevic) schreibt, soll sich künftig strafbar machen, wer die Absicht hegt, sich im Ausland "dem Heiligen Krieg anzuschließen" oder ein entsprechendes Ausbildungs-Camp zu besuchen.
Missbrauch von Sozialleistungen: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Regierungskoalition ein Gesetz verabschiedet, mit dem sogenanntem Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Ausländer vorgebeugt werden soll. Unter anderem soll die Aufenthaltsgenehmigung von Betroffenen erlöschen, wenn eine sechsmonatige Arbeitssuche erfolglos gewesen ist, schreibt spiegel.de (Anna Reimann) in einem Bericht, der auch auf die eher gering zu veranschlagende Anzahl bekannter Missbrauchsfälle eingeht.
Datenschutz: Der scheidende Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, hat in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa eine "grundsätzliche Debatte" über Datenschutz und hierdurch entstehende Beschränkungen der polizeilichen Ermittlungsarbeit gefordert. Nach Darstellung von datenschutzbeauftragter-info.de schlug Ziercke dabei die Einrichtung eines speziellen Richtergremiums vor, das bei Schwerstkriminalität zu Maßnahmen der Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung entscheiden könne.
Nach Jasper von Altenbockum (FAZ) fehlt zu solchen seit Jahren bekannten Vorschlägen "der Mut, etwas zu tun". Denn "die unkritische Anbetung des Internets hat seit Jahren zu einem netzpolitischen Bermuda-Dreieck" geführt, in der Nutzer bereitwillig Daten preisgäben, sich aber nicht an der Verunglimpfung "jeglicher staatlicher Eingriffe als Überwachung" störten.
Selbstanzeige: Der Bundestag hat die Verschärfung der Hürden für eine strafbefreiende Selbstanzeige beschlossen, die FAZ (Joachim Jahn) stellt die wichtigsten Regelungen vor. So sei etwa eine Staffelung des prozentualen Strafzuschlages entsprechend der Höhe der hinterzogenen Summe vorgesehen, zudem beginne die strafrechtliche Verjährungsfrist für im Ausland verstecktes Geld erst dann zu laufen, wenn das Finanzamt von einem konkreten Sachverhalt Kenntnis erlangt hat.
Steuerwettbewerb: Holger Steltzner (FAZ) kommentiert im Leitartikel der Zeitung die fragwürdige Position des EU-Kommission-Präsidenten Jean-Claude Juncker angesichts des laufenden Beihilfeverfahrens gegen dessen Heimatland Luxemburg wegen mit mutmaßlich staatlicher Hilfe organisierter Steuersparmodelle. Es sei "weder neu noch falsch", dass Juncker als Premierminister seiner Heimat Steuerwettbewerb propagiert habe. Die jetzige Aufregung von Politiker-Kollegen findet er etwas "heuchlerisch". Nur ein Steuerwettbewerb schütze den "Steuerzahler davor, übermäßig geschröpft zu werden." Juncker bezeichnet er als "wandelnden Widerspruch," denn als Chef der Eurogruppe habe er eine Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte gefordert, als Premier in Luxemburg habe er dagegen gestimmt.
Justiz
BVerwG zu Zuwanderungskontrolle: Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Erstreckung der Aufenthaltserlaubnispflicht auch auf unter 16-jährige Ausländer durch den Grundsatz einer effektiven Zuwanderungskontrolle gerechtfertigt. Diese stelle nach Ansicht des Gerichts einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, schreibt die Welt (Sven Eichstädt), und sei auch auf türkische Kinder anwendbar. Hierüber hatte wegen des Assozierungsabkommens mit der Türkei Unklarheit bestanden.
OLG München – NSU-Prozess: Im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München versuchten gemäß der Darstellung von spiegel.de (Gisela Friedrichsen) Nebenklagevertreter, durch Beweisanträge und Erklärungen die Unterstützung des NSU-Trios durch die Dortmunder Neonazi-Szene in das Blickfeld des Gerichts zu rücken. Die Verbindungen in die westdeutsche Stadt seien nach Ansicht der Anwälte besonders eng gewesen, gleichwohl erfolgten hier 2011 keine Ermittlungen.
VG Berlin zu Oranienplatz-Einigung: Die im Juli zwischen Flüchtlingen vom Berliner Oranienplatz und dem Senat der Hauptstadt erzielte Einigung ist nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin bindend. Damit treffe das Land auch die Verfahrenszuständigkeit für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung der betroffenen Flüchtlinge, schreibt zeit.de (Michael Stürzenhofecker) in einem Bericht über den Eilentscheid. Dessen Ergebnis widerspreche einem ähnlich gelagerten Verfahren von Ende September.
VG Hamburg zu reiner Luft: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat nach Bericht der taz-Nord (Sven-Michael Veit) auf eine Klage des Naturschutzverbandes B.U.N.D. die Stadt Hamburg verpflichtet, ihren Luftreinhalteplan durch Maßnahmen zu ergänzen, die möglichst schnell zu einer Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid führen. Die Hansestadt verstoße seit 2010 gegen EU-Grenzwerte.
AG Dresden zu Demo-Ausschreitungen: Wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und versuchter gefährlicher Körperverletzung ist ein Student, der an Ausschreitungen bei einer Gegendemonstration zu einem Aufmarsch von Rechtsradikalen im Februar 2011 teilgenommen hatte, vom Amtsgericht Dresden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das in der Darstellung von Rechtsanwalt Mirko Laudon (strafakte.de) "vergleichsweise milde Urteil" sei durch ein Geständnis des Angeklagten, dessen Reue und eine außergewöhnlich lange Fallbearbeitung bedingt. Die Anklage erfolgte im Oktober 2011.
AG Tiergarten – NVA: Vor dem Amtsgericht Tiergarten von Berlin ist ein Verfahren gegen vier Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot bei Versammlungen eröffnet worden. Den älteren Männern wird vorgeworfen, als Mitglieder des Berliner Traditionsverbands Nationale Volksarmee am 9. Mai des vergangenen Jahres eine Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow in Uniformen der DDR-Armee unternommen zu haben. Den Prozessauftakt beschreibt spiegel.de (Jonas-Erik Schmidt).
Rechtsextremer Richter: Spiegel.de (Björn Hengst) berichtet über eine Sitzung des Rechtsausschusses des bayerischen Landtags zu möglichen Behördenversäumnissen bei der Berufung von Maik B. an das Amtsgericht Lichtenfels. So sei den zuständigen Stellen des Justizministeriums nicht aufgefallen, dass der mittlerweile entlassene B. eine Referendariats-Station bei dem Szene-Anwalt Wolfram Narath abgeleistet habe. Online-Recherchen seitens des Verfassungsschutzes seien offenbar unterblieben.
Kreditkündigungen: Nach Darstellung der FAZ (Markus Frühauf) leiden Banken unter einer aktuellen Kündigungswelle bei Immobilienkrediten. Verbraucher stützten sich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2010 zu unwirksamen Klauseln über das Widerrufsrecht derartiger Kredite und nähmen die Gelegenheit wahr, durch Umschuldungen vom gegenwärtig niedrigen Zinsniveau zu profitieren. In einem separaten Kommentar vertritt Markus Frühauf (FAZ) jedoch die Ansicht, "dass die zuletzt eher bankenkritische Rechtsprechung kein Dauerzustand ist". Deshalb seien Verbraucher gut beraten, in Verhandlungen mit Banken "verstärkt auf eine einvernehmliche Strategie als auf Konfrontation" zu setzen.
Bodo Ramelow: Über Ungereimtheiten eines Bußgeldverfahrens wegen überhöhter Geschwindigkeit gegen den designierten thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) berichtet die FAZ (Claus Peter Müller).
Recht in der Welt
Libyen – Verfassungskrise: Der Oberste Gerichtshof Libyens hat nach einer Meldung der FAZ (Christoph Ehrhardt) entschieden, dass das Wahlgesetz des Landes verfassungswidrig ist. Die Parlamentswahl im Juni dieses Jahres sei damit illegal.
Sonstiges
DDR-Aufarbeitung: Reinhard Müller (FAZ) zeichnet die juristische Aufarbeitung der DDR in der wiedervereinigten Bundesrepublik nach. Im diesbezüglichen Mittelpunkt habe die Bestrafung der Verantwortlichen für die Todesschüsse an der Mauer gestanden. Entgegen der Beschwerden "alter Kameraden" seien hierbei gerade nicht die Großen laufengelassen und die Kleinen gehängt worden.
NSA-Untersuchungsausschuss: Über den nach wie vor tagenden Bundestags-Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des NSA-Datenüberwachungsskandals berichtet zeit.de (Kai Biermann). Trotz nach wie vor strenger Aussagebeschränkungen geladener BND-Mitarbeiter zumindest für öffentliche Sitzungen sei die Informationsfreigabe durch Regierung und Dienste mittlerweile weniger restriktiv. So füge sich langsam ein Bild eines deutschen Geheimdienstes zusammen, der "sich zwar offiziell an alle deutschen Gesetze hält, diese aber gleichzeitig sehr seltsam und allein zu seinen Gunsten auslegt." Dies mit Kenntnis und Billigung der Bundesregierung.
Das Letzte zum Schluss
Speiseplan: Wegen Verfütterung von acht Zwerghasen an eine Pythonschlange hat das Landgericht Freiburg eine Frau zu einer einmonatigen Haftstrafe verurteilt. Wie die taz meldet, erging die Verurteilung wegen Betruges. Die Täterin hatte sich auf die Anzeige eines Jungen gemeldet und ihm gegenüber behauptet, die Tiere als Lehrerin für ein Schulprojekt zu benötigen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. November 2014: Zug-Räder stehen weiter still - Schutzlückenschließung im Sexualstrafrecht - Erkenntnisse im NSA-Ausschuss . In: Legal Tribune Online, 07.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13734/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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