Sind die Übergriffe vom Kölner Bahnhof ein Problem der Strafverfolgung oder des Ausländerrechts? Außerdem in der Presseschau: BGH-Urteil zur Haftung für Hyperlinks und Eltern dürfen Facebook-Posts von totem Kind lesen.
Thema des Tages
Übergriffe in Köln: spiegel.de gibt einen Überblick zum Stand der Ermittlungen nach den Übergriffen vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht. Inzwischen gebe es 150 Strafanzeigen, dabei gehe es in drei Vierteln der Fälle um sexuelle Attacken, darunter zwei Vergewaltigungen. Inzwischen soll es sieben konkret Verdächtige geben.
Die Welt (Florian Flade) referiert polizeiliche Erkenntnisse über so genannte Antänzer-Banden, die bisher vor allem Eigentumsdelikte begingen. Allein in Düsseldorf soll es über 2.000 Verdächtige geben, vor allem junge Marokkaner. Die taz (Konrad Litschko) hat eine Opferberaterin des Weißen Ring interviewt. Ihr zufolge seien die "nordafrikanischen Banden" am Kölner Bahnhof schon seit Jahren aktiv. Neu sei die Menge der Täter wie auch die sexuelle Gewalt. Die SZ (Sonja Zekri) schildert, dass derartige Gewalt gegen Frauen im Nahen Osten, insbesondere in Ägypten, üblich sei. Im Interview mit lto.de (Constantin von Lijnden) geht der Kriminologe Hans-Jörg Albrecht davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Straftaten angezeigt wurde, weil eh nicht mit einer Verurteilung zu rechnen wäre. Einen Kulturrabatt für Straftäter gebe es im deutschen Recht nicht. Umgekehrt seien aber auch keine besonders harten Strafen angebracht.
Heinrich Wefing (Zeit) plädiert für einen "starken Staat". Die liberale Flüchtlingespolitik sei nur zu halten, wenn das Recht entschlossen durchgesetzt werde. Christian Geyer (FAZ) lobt Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und seine nüchterne Aussage: ""Es ist nicht so wichtig, woher sie kommen. Aber es ist wichtig, dass wir wissen, wo sie jetzt sind." Es handele sich um ein reines "Polizei-Thema". Helene Bubrowski (FAZ) plädiert im Leitartikel eher für eine ausländerrechtliche Lösung: "Migranten, die aus anderen Kulturkreisen kommen, müssen unser Wertesystem respektieren – und wenn sie so grob dagegen verstoßen wie jetzt in Köln, müssen sie das Land wieder verlassen".
Rechtspolitik
Internet und Grundrechte: In der Zeit kritisiert Christopher Lauer (Berliner Abgeordneter und Ex-Pirat) die von Justizminister Heiko Maas (SPD) vorgeschlagene Grundrechtecharta für das Internet. Diese beschreibe nur den Status Quo und reagiere nicht auf absehbare Entwicklungen wie die Automatisierung der Arbeit und selbstfahrende Fahrzeuge. Der von Maas vorgeschlagene Algorithmen-TÜV solle besser als Prüfung der Geschäftsmodelle von Firmen ausgestaltet werden.
Religion und Geld: Auf verfassungsblog.de befasst sich der Rechtsstudent Robert Poll mit einem Vorschlag des Rechtsprofessors Christian Waldhoff. An die Stelle historisch begründeter Staatsleistungen an die Kirchen von jährlich knapp 500 Millionen Euro sollten zukünftig Religionssubventionen treten, von denen auch Muslime profitieren können. Poll kritisiert, dass es schwierig sei, muslimische Strukturen als mittelempfangende Körperschaft zu organisieren. Wenn der Staat dies verlange, sei er nicht mehr neutral.
Heimat und Integration: Der Historiker Manfred Kittel plädiert in der FAZ dafür, das Recht auf Heimat in der Flüchtligspolitik ernst zu nehmen. Flüchtlingen dürfe "der in aller Regel vorhandene natürliche Rückkehrwunsch von der Aufnahmegesellschaft nicht ausgeredet werden, indem diese fast ausschließlich von dauerhafter Integration spricht."
Justiz
BVerfG - Strafrecht als ultima ratio: Nun weist auch Rechtsprofessor Matthias Jahn in der FAZ auf ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht hin, bei dem es unter anderem um die Frage geht, ob Vorschriften zur Rindfleischetikettierung mit den Mitteln des Strafrechts durchgesetzt werden können. Jahn schlägt als Lösung vor: "Nur dann, wenn eine Strafnorm für jeden Sachkundigen ohne längere Prüfung erkennbar den Bezug zu ausreichend stark rechtfertigenden Gemeinwohlbelangen verloren hat, dürfte es begründbar sein, dass sie schon allein deshalb gegen Verfassungsrecht verstößt. Der Berliner Ausgangsfall dürfte in diese Rubrik gehören."
BVerfG - Klagen gegen Bundeswehreinsätze: lto.de (Christian Rath) beschreibt anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Karlsruhe nur bei fehlender Bundestagszustimmung zu einem Bundeswehreinsatz per Organklage durch eine Fraktion angerufen werden kann. Dagegen könne die verfassungsrechtliche Kritik an einem vom Bundestags erteilten Mandat (etwa beim jetzt startenden Syrien-Einsatz der Bundeswehr) nicht mit der Organklage zum Verfassungsgericht getragen werden.
BGH zur Haftung für Hyperlinks: internet-law.de (Thomas Stadtler) setzt sich mit einem Urteil des Bundesgerichtshof aus dem Juni auseinander, das jetzt veröffentlicht wurde. Danach haftet derjenige, der einen Link auf einen rechtswidrigen Inhalt setzt, nur dann sofort, wenn er sich den Inhalt zu eigen macht. Andernfalls haftet der Linksetzer erst, wenn er auf die Rechtswidrigkeit des Links hingewiesen wurde. Der BGH führe damit ein notice-and-take-down-Verfahren für Hyperlinks ein. Dies werde dazu führen, dass Links künftig häufiger beanstandet werden, was zu Lasten der Meinungsfreiheit gehe.
BGH zur NS-Umsiedlung von Sinti und Roma: Christian Bommarius (Berliner Zeitung) erinnert an ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das vor genau 60 Jahren erging. Damals wurde vom BGH die Umsiedelungspolitik der Nazis gegenüber Sinti und Roma damit rechtfertigt, dass diese zur Kriminalität neigten. Eine Entschädigung sei daher nicht angebracht. Bommarius schreibt "Die Ressentiments des schändlichen BGH-Urteils von 1956 spuken bis heute in den Köpfen der Bevölkerung herum."
LG Berlin zu Facebook und Erbrecht: Eltern haben einen Anspruch auf Zugang zum Facebook-Konto ihres verstorbenen Kindes. Der Vertrag mit dem sozialen Netzwerk sei Teil des Erbes, ebenso wie hinterlassene Briefe und Tagebücher. Das Urteil des Landgerichts Berlin ist nach Angaben des Elternanwalts die erste Entscheidung zur Vererbbarkeit eines Facebook-Acounts, so zeit.de.
VG Gelsenkirchen zu Altersgrenzen für Richter: Eine Richterin aus Nordrhein-Westfalen wollte erreichen, dass sie bis zum 67. Lebensjahr weiterarbeiten kann und berief sich auf ein jüngst in Kraft getretenes Landesgesetz. dessen Stichtagsregelung sie aber um einige Monate verfehlte. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erkannte zwar eine Härte, diese führe jedoch nicht dazu, dass die Stichtagsregelung wegen Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz verfassungswidrig sei. Es berichtet lto.de.
LG Kleve zu Heimtücke-Mord: Die Zeit (Daniel Müller) schildert ausführlich einen Fall, den das Landgericht Kleve zu entscheiden hatte. Verurteilt wurde eine Frau, die behauptete, jahrelange von ihrem Liebhaber vergewaltigt worden zu sein. Zwei Männer brachten den Liebhaber dann in ihrem Auftrag bestialisch um. Das Gericht glaubte nicht an die Vergewaltigungen und verurteilte alle drei wegen gemeinschaftlichen Mordes aus Heimtücke.
LG Frankfurt - Umsatzsteuerkarusell: Am 15. Februar beginnt am Landgericht Frankfurt/Main der Strafprozess gegen sieben Mitarbeiter der Deutschen Bank wegen bandenmäßiger Steuerhinterziehung. Sie sollen beim Handel mit CO₂-Verschmutzungsrechten an kriminellen Umsatzsteuerkarussellen mitgewirkt haben. Zehn Mitglieder der Bande hat das Gericht wegen schwerer Steuerhinterziehung bereits zu Gefängnisstrafen zwischen knapp drei und fast acht Jahren verurteilt, berichtet die SZ (Klaus Ott).
Recht in der Welt
USA - Regierungsklage gegen VW: Die SZ (Claus Hulverscheidt) schildert in Frage-Antwort-Form Näheres zur US-Klage gegen VW wegen Verletzung des Clean Air Acts.
Polen - Staatsumbau: Die FAZ (Konrad Schuller) beschreibt das Vorgehen der neuen polnischen Regierung als "sorgfältig" geplant. Erst habe man das Verfassungsgericht lahmgelegt. Dann sei man gegen die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks vorgegangen, wobei man nun nicht mehr auf das Verfassungsgericht Rücksicht nehmen musste.
Nigeria - Blasphemie: In Nigeria hat erstmals ein Scharia-Gericht einen Angeklagten wegen Blasphemie zum Tode verurteilt, berichtet spiegel.de. Betroffen ist ein Geistlicher, der einem großen Sufi-Orden angehört. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Sonstiges
Das Recht der Berliner Republik: Die FAZ (Reinhard Müller) stellt das Buch "Rechtswissenschaft in der Berliner Republik" vor. Es geht um die Frage, ob sich Deutschlands Neugründung nach der Wiedervereinigung im Recht wiederspiegelt. Das Buch beruht auf den Beiträgen einer Tagung des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte.
Zeppelin-Stiftung: Ausführlich schildert die FAZ (Rüdiger Soldt) den juristischen Streit um die Friedrichshafener Zeppelin-Stiftung. Der sehr konservative Zeppelin-Nachfahr prangert dabei die Zerschlagung der ursprünglichen Stiftung durch einen alliierten "Willkürakt" 1947 an. Die jetztige städtische Stiftung gehört mehrheitlich das Unternehmen ZF Friedrichshafen, ihre Erlöse bestreiten einen großen Teil des städtischen Haushalts. Die Stadt beruft sich auf Verjährung. Die FAZ vermutet, dass der Streit durch verletzte Eitelkeiten ausgelöst wurde.
Das Letzte zum Schluss
Angst: In Körbecke (NRW) rief ein Bürger die Polizei, damit diese drei seltsam gekleidete Gestalten, einer davon dunkelhäutig, kontrolliere. Die Polizei kam und stellte fest, es handelte sich nicht um Einbrecher, sondern um Sternsinger, meldete justillon.de (Andreas Stephan).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Januar 2016: Ursachen und Folgen von Köln / BGH zur Link-Haftung / Facebook-Konto ist erblich . In: Legal Tribune Online, 07.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18062/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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