Zur Netzpolitik-Affäre: Können sich Blogger auf Pressefreiheit berufen? Außerdem in der Presseschau: Islamisten-Prozess ohne Bild-Zeitung, Haftstrafe für Libor-Manipulator, Strafbarkeit von Fluchthilfe und kreativer Täter-Opfer-Ausgleich.
Thema des Tages
GBA – Netzpolitik.org: Auch am Dienstag beherrschen die vorerst ruhenden Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen Journalisten von "Netzpolitik.org" wegen des Verdachts des Landesverrats die Berichterstattung. Ausführliche Darstellungen der bisher bekannten Abläufe liefern zeit.de (Steffi Dobmeier/Sybille Klormann) und spiegel.de (Jörg Diehl). Die SZ (Hans Leyendecker) beschreibt Hans-Georg Maaßen, den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, als Ausgangspunkt der Angelegenheit.
spiegel.de (Claudia Niesen) erläutert die im Raum stehenden Delikte des Landes- bzw. Geheimnisverrats nach § 94 bzw. 353 b Strafgesetzbuch.
Markus Beckedahl: Markus Beckedahl, einer der Beschuldigten kommt in einem Interview mit der Berliner Zeitung (David Freches) zu Wort. In einer auf netzpolitik.org (Markus Beckedahl) veröffentlichten Erklärung wird zudem die Einstellung der Ermittlungen sowie eine rechtliche Besserstellung von Whistleblowern gefordert. Hierzu müsse insbesondere der im Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorgesehene Straftatbestand der Datenhehlerei gestrichen werden.
Range vs. Maas: Nach Einschätzung der FAZ (Günter Bannas) verliert der Generalbundesanwalt Harald Range den Rückhalt der Regierung. Dass sich demgegenüber Heiko Maas (SPD) der vollen Unterstützung des Koalitionspartners CDU sicher sein kann, wird in einem Porträt des Bundesjustizministers von Günter Bannas (FAZ) dargelegt. Als "Justitiar der Bundesregierung" habe sich Maas "zuvörderst an Recht und Gesetz zu halten". Seine Zurückhaltung entspreche dieser Anforderung.
Thomas Darnstädt (spiegel.de) bedauert dagegen, dass der Minister sich kleiner mache, "als er ist". Die "einzige und allerwichtigste Aufgabe" seines Amtes bestünde darin, "darüber zu wachen, dass innerhalb der Zitadelle der Exekutive in den Gerichten, bei den Staatsanwälten, kein Unheil geschieht". Aus der Dienstaufsicht über den Generalbundesanwalt folge auch eine Fürsorgepflicht dahingehend, seinen "wichtigsten Vertreter in der Justiz nicht zum Spielball von politischer Ranküne" werden zu lassen. Nach Hans Leyendecker (SZ) habe die Affäre "mehr verdient als nur ein Bauernopfer", als das Range nun gelten müsse. Reinhard Müller (FAZ) vermutet schließlich im Leitartikel der Zeitung, dass das von Maas in Auftrag gegebene Gutachten die Straflosigkeit der betroffenen Blogger bestätigen werde. Im Ergebnis werde damit eine Weisung an den Generalbundesanwalt ausgesprochen.
Pressefreiheit: Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck (zeit.de) hofft, dass sich als mögliche Konsequenz aus der Affäre die Anerkennung der Pressefreiheit auch für "eine neue Form des Journalismus", wie sie von "Netzpolitik.org" betrieben wird, Raum greifen wird. Blogger und andere "aktivistischere" Berichterstatter würde immer noch abgesprochen, "professionellen und unabhängigen" Journalismus zu betreiben. Nach der im Interview mit der FAZ (Ursula Scheer) im Medien-Teil wiedergegebenen "persönlichen Meinung" von Rechtsprofessor Christoph Degenhart genießt jeder, "der nach journalistischen Maßstäben arbeitet" besonderen verfassungsmäßigen Schutz. Hieraus folgten aber auch besondere Sorgfaltspflichten, die speziell bei der wahllosen Veröffentlichung von Dokumenten zu beachten sei.
Auf Kritik von Journalistenverbänden am Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung geht die taz (Christian Rath) ein. Wenn sich Journalisten dem Vorwurf des Landesverrats ausgesetzt sähen, hätten Ermittler nach der aktuellen Entwurfsfassung auch Zugriff auf ihre Daten. Quellenschutz könnten sie so nicht leisten.
Rechtspolitik
Mordparagraf: Aus Anlass der Diskussion über eine Reform des § 211 Strafgesetzbuch unternimmt die SZ (Wolfgang Janisch) einen ausführlichen rechtsvergleichenden und -historischen Abriss zur Ahndungspraxis beim "Urverbrechen der Menschheit".
Selbstanzeige/Berichtigung: Neben der Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung (AO) lassen sich fehlerhafte Steuererklärungen auch durch eine Berichtigung gemäß § 153 AO korrigieren. Die bislang unklare Abgrenzung beider Instrumente soll der Entwurf eines entsprechenden Erlasses aus dem Bundesfinanzministerium beheben. Die Steuerrechts-Experten Thorsten Franke-Roericht und David Roth unterziehen auf lto.de den Entwurf einer kritischen Würdigung.
TTIP: Die FAZ (Helene Bubrowski) stellt Positionen US-amerikanischer Akteure zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP dar. Bei den dortigen maßgeblichen Entscheidungsträgern erfahre das TTIP im Gegensatz zu Europa eine breite Unterstützung, dies gelte im besonderen Maße für die Beibehaltung einer Schiedsgerichtsbarkeit bei Investorenklagen.
Justiz
OLG Celle – Islamisten: Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung müssen sich zwei mutmaßliche Islamisten vor dem Oberlandesgericht Celle verantworten. Über den Prozessauftakt berichtet u.a. die SZ (Peter Burghardt). In einer zweistündigen, von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung berichtete einer der Angeklagten von seinem Werdegang. Er habe sich zur Reise nach Syrien überreden lassen und sei, dort angekommen, zu Diensten als Fahrer eines Sanitätsfahrzeugs des IS gezwungen worden.
Weil die Bild-Zeitung einer Anordnung des Gerichts, die Angeklagten nur verpixelt abzubilden, nicht nachkam, wurde ihr Vertreter vom Prozess ausgeschlossen. In einem Kommentar protestiert Julian Reichelt (bild.de) gegen diesen "Angriff auf die Pressefreiheit" und kündigt an, sich gegen die Anordnung zur Wehr setzen zu wollen.
OLG München – NSU: In ihrem Bericht zur Fortsetzung des Verfahrens gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München stellt die taz (Konrad Litschko) das Wirken des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl in den Mittelpunkt. Vorwiegend ihm sei es zu verdanken, dass das "Fiasko" eines geplatzten Prozesses nach den Auseinandersetzungen der Hauptangeklagten und ihrer Anwälte abgewendet wurde. Derweil beantragten Nebenklagevertreter die Zeugenvernehmung des für großflächige Aktenvernichtungen verantwortlichen Mitarbeiters beim Verfassungsschutz im November 2011. Nicht zuletzt wegen dieses Beweisantrages zu möglichen Geheimdienst-Verstrickungen wird das Verfahren nun nicht vor dem Frühsommer des kommenden Jahres beendet sein, so die Welt (Per Hinrichs) unter Berufung auf Justizkreise.
LAG Düsseldorf zu Arbeitszeit: Die Frage, ob tägliche Umkleide- und Waschzeiten eines Kfz-Mechanikers zur Arbeitszeit gehört, wurde vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf mit einem Vergleich beendet. Nach der von Rechtsanwalt Jens Ferner (ferner-alsdorf.de) veröffentlichten Pressemitteilung sei das Umziehen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als fremdnützig und damit vergütungspflichtig zu betrachten. Dies gelte nicht im gleichen Maße für die in Streit stehenden Duschzeiten des Klägers, die mit jeweils zehn Minuten wohl auch zu großzügig bemessen seien.
Insolvenzanfechtung: § 133 der Insolvenzordnung ermöglicht die Anfechtbarkeit von Zahlungen später insolvent Gewordener durch den Insolvenzverwalter. Die FAZ (Stefan Locke) berichtet zu zahlreichen Fällen, in denen diese Anfechtungen existenzbedrohende Auswirkungen für die Anfechtungsgegner gehabt hätten und macht die extensive Auslegung der nach der Norm erforderlichen Kenntnis drohenden Zahlungsunfähigkeit durch den Bundesgerichtshof verantwortlich. Problematisch sei zudem die zehnjährige Anfechtungsfrist.
Recht in der Welt
Großbritannien – Libor-Zins: Wegen jahrelanger Manipulationen des Libor-Referenzzinses hat ein Londoner Gericht den früheren Investmentbanker Tom Hayes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die Einlassungen des Verurteilten, er habe nur wie andere Banker gehandelt, wirkten nicht strafmildernd. Der Fall belege nach Einschätzung des Gerichts, "dass es der Bankenbranche an Redlichkeit fehlte", so das Handelsblatt (Katharina Slodczyk). spiegel.de berichtet ebenfalls.
Großbritannien – Einwanderungsgesetz: Die britische Regierung plant ein neues Einwanderungsgesetz. Unter anderem sollen Vermieter vor Abschluss eines Mietvertrages künftig prüfen, ob sich der Vertragspartner legal im Land aufhält, bei Zuwiderhandlung droht eine Haftstrafe. Die SZ (Björn Finke) berichtet.
Israel – Administrativhaft: Nach Übergriffen ultraorthodoxer Juden auf eine Homosexuellen-Parade und eine palästinensische Familie hat das israelische Sicherheitskabinett nach Bericht von zeit.de beschlossen, die Verhängung der sogenannten Administrativhaft auch gegen jüdische Verdächtige zu ermöglichen. Das längerfristige Festhalten ohne Anklage und Anwaltskontakt sei bislang nur gegenüber palästinensischen Verdächtigen möglich gewesen.
Sonstiges
Fluchthilfe: Aktivisten der Gruppe Peng Collective rufen dazu auf, Flüchtlingen als Akt zivilen Ungehorsams die Einreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen. Die hierbei beachtlichen Rechtsprobleme stellt zeit.de (Frida Thurm) dar. Nach Einschätzung eines zu Rate gezogenen Juristen riskierten Betroffene bei der scheinbar zufälligen Mitnahme eines Flüchtlings etwa aus Italien nur eine Geldstrafe. Dagegen könnten die auf der Webseite der Organisation veröffentlichten Tipps als sogenannte Kettenbeihilfe oder gar Anstiftung zur unerlaubten Einreise strafrechtlich relevant sein.
Bürgerwehren: Rechtliche Probleme privater Fahndungsaufrufe in sozialen Netzwerken etwa durch sogenannte Bürgerwehren stellt Rechtsanwalt Karsten Gulden (infodocc.info) dar.
Cloud-Computing und Arbeitsrecht: Die Nutzung externer Systeme für die Speicherung betrieblicher Daten ist für viele Unternehmen bereits Realität. Die Fachanwältin für Arbeitsrecht Anja Mengel erklärt auf lto.de, was bei solchen Cloud-Systemen beachtet werden muss, um datenschutzrechtliche Belange von Arbeitnehmern zu wahren.
Elektrischer Stuhl: Vor 125 Jahren wurde in den USA die erste Hinrichtung durch einen elektrischen Stuhl durchgeführt. spiegel.de (Katja Iken) zeichnet die durch eine "unentwegte Marketingkampagne" des Erfinders Thomas Edison begleitete Einführung der Hinrichtungsmethode nach.
Das Letzte zum Schluss
Blau gegen Rot: Die Lager der Fußballanhänger in der bayerischen Landeshauptstadt sind streng zwischen blauen "Sechzigern" und und roten Bayern getrennt und bleiben auch nicht immer friedlich. Zwei Anhänger der blauen Löwen wurden jüngst zu Freiheitsstrafen wegen gemeinschaftlichen Raubes verurteilt, nachdem sie einem Bayern-Anhänger dessen Fan-Devotionalien buchstäblich vom Leib gerissen hatten. Ob die Freiheitsstrafen vollstreckt werden, hängt von der Teilnahme am Täter-Opfer-Ausgleich ab: Nach Bericht der SZ (Ekkehard Müller-Jentsch) soll den Männern diese Chance eröffnet werden, wenn sie das Opfer auf eigene Kosten in roter, im Fanshop des FC Bayern erworbener Tracht neu einkleiden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. August 2015: "Netzpolitik.org" und Pressefreiheit – Islamisten-Prozess ohne Bild – Strafbare Fluchth . In: Legal Tribune Online, 04.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16482/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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