Hat Generalbundesanwalt Range eigenmächtig gegen Journalisten ermittelt? Außerdem in der Presseschau: Keine Auskunft über NSA-Selektoren, Zschäpes neuer Verteidiger wirkt "jämmerlich" und ein telefonierendes Hinterteil.
Thema des Tages
GBA - Landesverrat: In der "Netzpolitik"-Affäre sind jetzt die Abläufe einigermaßen geklärt. Der Generalbundesanwalt ermittelte schon seit Mitte Mai gegen zwei Journalisten wegen Landesverrats. Den Anfangsverdacht hatte ein Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz ausgelöst, wonach Staatsgeheimnisse verletzt worden seien. Offen ist nur noch, wie deutlich das Justizministerium den Generalbundesanwalt von den Ermittlungen abbringen wollte. Ausführliche Darstellungen finden sich in der Montags-SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo/Robert Rossmann) und in der Montags-taz (Christian Rath).
Laut Montags-SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) will das Justizministerium bis Donnerstag ein eigenes Gutachten zur Frage vorlegen, ob die Journalisten ein "Staatsgeheimnis" gemäß § 93 Strafgesetzbuch veröffentlicht haben.
Ranges Rolle: Zahlreiche Bundespolitiker forderten den Rücktritt von Generalbundesanwalt Harald Range, berichtet zeit.de. Auch Constantin von Lijnden (lto.de) fordert Ranges Rücktritt. Dessen Vorgehen gegen die Journalisten sei juristisch "unvertretbar". Christian Rath (Montags-taz) hält einen Rücktritt nicht für nötig. Range sei zwar feige gewesen, weil er seine Verantwortung auf einen externen Gutachter abschob. Journalisten habe er aber nicht einschüchtern wollen. Auch Markus Wehner (FAS) sieht zwar einen "groben Fehler" von Range, aber keinen Skandal. Die WamS (Manuel Bewarder/Uwe Müller) portraitierte Range.
Maas' Rolle: Justizminister Heiko Maas hat sich bereits am Freitag öffentlich vom Vorgehen Ranges distanziert. Die Samstags-SZ (Robert Rossmann) schildert seinen Auftritt.
Maaßens Rolle: Heribert Prantl (Montags-SZ) hält den Verfassungsschutz und seinen Präsidenten Hans-Georg Maaßen für das eigentliche Problem in der Affäre. Ein Verfassungsschutz, der Strafanzeigen gegen Journalisten verschickt, sei nur ein Behördenselbstschutz.
Rechtslage: internet-law (Thomas Stadler) begründet, warum Ermittlungen wegen Landesverrats abwegig sind. Der Montags-Tsp (Ursula Knapp) erinnert an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Spiegel-Affäre und zur Durchsuchung beim Magazin Cicero.
Rechtspolitik
Kinder von Leihmüttern: Der Spiegel (Melanie Amann u.a. - spiegel.de- Zusammenfassung) berichtet, dass auf Betreiben des Bundesjustizministeriums seit Februar eine AG Abstammung tagt, die Reformbedarf im Abstammungsrecht prüft - insbesondere bei Kindern, die Homosexuelle mit Hilfe von Leihmüttern bekommen. Kann es mehr als zwei Elternteile geben, wer hat das Sorgerecht, wer ist unterhaltspflichtig, wer erbt? Zitiert werden überwiegend Rechtswissenschaftler und Politiker, die sich für eine Anpassung der Rechtslage an die Realität einsetzen.
Gesetze mit Kostenangabe: NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) will, dass bei allen Gesetzentwürfen angegeben wird, welche Kosten sie insbesondere für den Mittelstand verursachen, meldet die Montags-taz (Helke Ellersiek).
Aktienrecht: Rechtsprofessor Ulrich Noack gibt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard einen Überblick über den Stand der deutschen Aktienrechtsnovelle und der EU-Aktionärsrechte-Richtlinie.
Justiz
BVerwG zu Presseauskünften: Der Bundesnachrichtendienst muss Journalisten keine Auskunft über die umstrittene NSA-Selektorenliste geben. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte den Eilantrag einer Tageszeitung ab, die sich auf die Pressefreiheit berufen hatte, berichtete die Samstags-FAZ (Alexander Haneke - Langfassung auf FAZ.net) Dem Auskunftsanspruch stünden "berechtigte schutzwürdige Interessen" des BND gegenüber.
VGH Mannheim zu Baustopp wegen Lärm: Wenn ein Bauherr angeordnete Lärmschutzmaßnahmen fortdauernd missachtet, kann die Behörde auf Klage von Nachbarn auch einen vorläufigen Baustopp verhängen. Das hat laut lto.de der Verwaltungsgerichtshof Mannheim entschieden.
BGH zu DNA-Proben: Der Blog Ferner-Alsdorf.de (Jens Ferner) weist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Mai hin. Danach dürfen DNA-Muster, die mit Hilfe einer freiwillig für Zwecke eines konkreten Ermittlungsverfahrens abgegebenen Speichelprobe erstellt wurden, nicht automatisch auch in der DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt gespeichert werden.
OLG Celle - Islamisten: Am heutigen Montag beginnt vor dem Oberlandesgericht Celle der Prozess gegen zwei deutsch-tunesische Islamisten aus Wolfsburg, die 2014 zum IS nach Syrien gereist sind. Einer war als Kämpfer aktiv, der andere wollte als Selbstmord-Attentäter sterben. Später setzten sich beide ab und kehrten nach Deutschland zurück. Die Montags-FAZ (Reinhard Bingener) schildert ausführlich den Fall.
OLG München - NSU: Das Oberlandesgericht München hat den erneuten Antrag von Beate Zschäpe, ihre drei ursprünglichen Pflichtverteidiger loszuwerden, abgelehnt, meldet lto.de. Der Spiegel (Gisela Friedrichsen) schildert die Auseinandersetzung um Zschäpes Verteidigung. Der neue, vierte Pflichtverteidiger Mathias Grasel gebe ein "jämmerliches" Bild ab. Die eigentliche Verteidigungsarbeit werde nach wie vor von den drei Alt-Verteidigern erledigt. Durchgängiges Vertrauen zwischen Angeklagter und Verteidigern sei nicht erforderlich.
BVerfG - Tarifeinheit: Nun hat auch die Gewerkschaft der Lokomotivführer eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Wiedereinführung der Tarifeinheit eingereicht. Das berichtete die FAS (Markus Wehner u.a. - faz.net-Zusammenfassung) auf ihrer Titelseite. Laut Montags-SZ (Guido Bohsem) hält die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Verfassungsbeschwerden für unzulässig, weil sie sich direkt gegen das Gesetz richten.
Zentrale Stelle - NS-Ermittlungen in Südamerika: Die WamS (Pen Hinrichs) kritisiert, dass Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, schon zwanzig Mal nach Südamerika reiste, ohne dass es einen einzigen Ermittlungserfolg gab. Auch sonst wird die Zentrale Stelle als eher kontraproduktiv beschrieben.
Recht in der Welt
Ukraine - Selbstverwaltung im Donbass: Das Verfassungsgericht der Ukraine hat die Verfassungsänderungen gebilligt, mit denen die abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine mehr Selbstbestimmungsrechte erhalten. Das meldet euronews.com.
Japan - Fukushima: Drei ehemalige Atommanager des Fukushima-Betreibers Tepco werden angeklagt, berichtet die Montags-SZ (Christoph Neidhart). Ihnen wird Vernachlässigung ihrer beruflichen Pflichten mit Verletzungs- und Todesfolgen vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft, die eigentlich keine Anklage erheben wollte, wurde von einem Strafverfolgungsausschuss dazu gezwungen.
Schweden/Großbritannien/Ecuador - Julian Assange: Die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny will Julian Assange wegen der ihm vorgeworfenen Sexualdelikte nun doch in der ecuadorischen Botschaft in London vernehmen. Inzwischen verzögert jedoch Ecuador die Genehmigung, berichtet die Montags-SZ (Silke Bigalke). Einige der Vorwürfe verjähren Mitte August.
USA - Schimpansen: Ein New Yorker Gericht hat die Entlassung eines Schimpansenpaars aus der "Gefangenschaft" einer Universität, abgelehnt. Die Übertragung vom Menschenrechten auf Menschenaffen widerspreche "zu diesem Zeitpunkt" noch der Rechtsprechung, sagte die Richterin, laut Montags-SZ (Hanno Charisius).
Sonstiges
Kirchliches Arbeitsrecht: Die leicht liberalisierte Grundordnung des katholischen Arbeitsrechts wird von drei bayerischen Bischöfen nicht in diözesanes Recht umgesetzt, berichtet die Samstags-SZ (Matthias Drobinski). Dagegen erhält eine lesbische Erzieherin, die mit ihrer Freundin eine eingetragene Partnerschaft einging, die Leitung eines Schülerhorts zurück. Sie sei die erste, die vom neuen Arbeitsrecht profitiere.
Haft: Rund 64.000 Menschen sind derzeit in deutschen Vollzugsanstalten inhaftiert, davon 18 Prozent in Untersuchungshaft. Diese und weitere statistische Angaben finden sich bei spiegel.de.
Polizei-Twitter: Drei Rechtswissenschaftler um Max Pichl haben verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Twitter-Einsatz der Polizei während Demonstrationen formuliert. Es sei nicht zulässig, "ohne gesicherte Tatsachenbasis eine Begehung von Straftaten durch Demonstranten zu suggerieren". Die Polizei habe keine Kompetenz für Meinungsbeiträge, referiert die Montags-taz (Erik Peter).
Flaschensammeln: focus.de (Maike Knorre) bietet einen Überblick über steuer- und sozialrechtliche Fragen des Sammelns von Pfandflaschen.
Das Letzte zum Schluss
"Butt dial": Zwei Vorstandsmitglieder eines Unternehmens wurden belauscht, wie sie sich über die geplante Entmachtung ihres Geschäftsführers unterhielten. Dies war möglich, weil sich das Telefon eines der Gesprächspartner in der hinteren Gesäßtasche befand und dort unbeabsichtigt die Nummer der Assistentin des Geschäftsführers gewählt wurde. Diese zeichnete das Gespräch auf. Ein Berufungsgericht in Cincinatti entschied nun, dass die Assistentin dabei nicht illegal handelte, berichtet der Blog ei. Wer die Wählsperre seines Telefons nicht aktiviere, sei selbst schuld.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. August 2015: Maas versus Range – NSA-Selektoren bleiben geheim – "Jämmerlicher" Pflichtverteidiger . In: Legal Tribune Online, 03.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16469/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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