Bedeuten die TTIP-Veröffentlichungen das Aus für das geplante Abkommen? Außerdem in der Presseschau: Maaßen kritisiert BVerfG-Urteil, Strafverfahren gegen luxemburgischen Whistleblower und Maas auf der Flucht.
Thema des Tages
TTIP: Nach den Veröffentlichungen von Verhandlungstexten zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP betonen Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks, die weiterhin laufenden Verhandlungen fortsetzen zu wollen. Das Schutzniveau für Verbraucher und Umwelt werde dabei keineswegs eingeschränkt, notfalls entfalle eine Einigung, gibt die SZ (Michael Bauchmüller u.a.) die EU-Handelskommissarin Cecila Malmström wieder. In der EU-Kommission sei man dagegen besorgt, ob die durch Wahlen in den USA, Frankreich und Deutschland anstehende Verhandlungspause ab dem kommenden Herbst nicht eine Vereinbarung gefährde. Die BadZ (Christian Rath) macht darauf aufmerksam, dass die Veröffentlichungen hinsichtlich des besonders umstrittenen Investorenschutzes und der hierzu von europäischer Seite vorgeschlagenen speziellen Gerichten keinen aktuellen Stand wiedergeben würden. Die zuletzt von den USA im Februar 2016 dokumentierten Fragen beträfen Verständnisfragen und ein Einverständnis über notwendige Transparenz der Schiedsverfahren. Einen Überblick zur Veröffentlichung und Kritikpunkten liefert netzpolitik.org (Markus Reuter).
Für Dana Heide (Hbl) belegt der Protest gegen das Abkommen das fehlende Vertrauen der Bürger in die EU. Hierfür sei nicht nur "das aggressive und zum Teil falsch zugespitzte Gebrüll" von Nichtregierungsorganisationen verantwortlich. Bei ihrem Rückzug "ins stille Kämmerlein" habe sich die EU selbst und ohne Not verdächtig gemacht. Alexander Hagelüken (SZ) macht dagegen "die Geheimhaltungs-Obsession der USA" für den entstandenen Eindruck einer Verschwörung gegen die Interessen der Bürger verantwortlich. Gerade weil noch kein ausverhandelter Vertragstext vorliege, müssten die Europäer nun "der US-Regierung genau klarmachen, welche Werte für sie unverhandelbar sind." Hierzu gehöre auch ein neues Modell des Investitionsschutzes, "um Konzernklagen gegen europäische Standards zu minimieren."
Rechtspolitik
Kameras im Gericht: Die von den Präsidenten der Bundesgerichte geltend gemachten Bedenken gegen die Pläne von Justizminister Heiko Maas (SPD), künftig Übertragungen von Urteilsverkündungen zu ermöglichen, hält Wolfgang Janisch (SZ) in einem Kommentar für "erstaunlich kleinmütig". Zwar sei die Sorge berechtigt, dass die Pläne nur mehr ein Türöffner für weitergehende seien. Vor einer Beteiligung von Kameras auch an Verhandlungen sei eine Grundsatzdebatte über "Kläger, Zeugen, Angeklagte" und deren zu schützende Persönlichkeitsrechte zu führen, dies jedoch erst "übermorgen". Dagegen sollten Richter jetzt ermutigt werden, "die Produkte ihrer eigenen Arbeit selbst vor der Kamera zu präsentieren".
Whistleblower-Schutz: In einem englischsprachigen Beitrag "Leaked Transparency and Whistleblowers" aus Anlass des Panama Papers-Leaks fordert die Rechtswissenschaftlerin Vigjilenca Abazi (verfassungsblog.de) einen verbesserten Schutz für Whistleblower, deren Enthüllungen einem öffentlichen Interesse entsprächen.
§ 103 StGB: Vor vorschnellen Entscheidungen bei der geplanten Abschaffung des § 103 Strafgesetzbuch hat nach Bericht des Hbl (Heike Anger) Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, gewarnt. Die Norm schütze nach Einschätzung des Juristen ausländische Staaten, zwischenstaatlichen Frieden sowie ungestörte diplomatische Beziehungen der Bundesrepublik. Vor einer Abschaffung sollte daher eine "seriöse rechts- und kriminalpolitische Diskussion" geführt werden. Trotz der Ankündigung Angela Merkels (CDU), die Norm 2018 abschaffen zu wollen, planten fünf SPD-geführte Länder sowie Thüringen, die sofortige Streichung bereits am 13. Mai im Bundesrat zu beantragen.
Väterrechte: Thorsten Denkler (taz) beklagt in einem Kommentar die in Deutschland bestenfalls schleppende Umsetzung einer im vergangenen Oktober beschlossenen Resolution des Europarats zu Väterrechten. Mitgliedsstaaten sollten nach dem Beschluss getrennt lebenden Vätern die volle Teilhabe an der elterlichen Sorge ermöglichen. Doch herrsche hierzulande bei getrennten Paaren mit Kindern immer noch das Leitbild der alleinerziehenden Mutter und des zahlenden Vaters vor.
Justiz
BVerfG – deutsche Grenzen: Nach dem nun wohl zumindest vorläufig erklärten Verzicht der bayerischen Staatsregierung, ihre angedachte Verfassungsklage gegen den Bund tatsächlich zu betreiben, vergleicht Heribert Prantl (SZ) in einem Kommentar das Wirken von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit jenem eines Meistertrommlers. Seit sieben Monaten mache Seehofer mit dieser Klage Politik. Dies habe "das Land hysterisiert" und die "Flüchtlingspolitik der AfD nobilitiert".
BVerfG zu BKA: Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, hat nach einem Bericht der FAZ (Eckart Lohse) das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Befugnissen des Bundeskriminalamts als "ausgesprochen schädlich" kritisiert. Die Entscheidung werde der vom sogenannten Islamischen Staat ausgehenden Gefahr "nicht hinreichend gerecht". Jasper von Altenbockum (FAZ) bemängelt hierzu in einem Kommentar, dass die vom BVerfG aufgestellten "schönsten Grundsätze allein" keine Sicherheit böten.
BVerfG zu Schächten: Als Zusatz zu einem Beitrag über die Programmdiskussion der AfD, die nun auch ein Schächtverbot fordert, stellt die FAZ (Reinhard Müller) kurz eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierzu aus dem Jahr 2012 vor. Ob das Schächten von Tieren zwingende religiöse Vorschrift sei, müsse behördlich und gegebenenfalls gerichtlich im Einzelfall entschieden werden. Bei muslimischen Antragstellern könne diese Frage nicht mit Blick auf den Islam insgesamt beantwortet werden.
BVerfG – Oppositionsrechte: Vor dem anstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Minderheitenrechten von Oppositionsfraktionen im Bundestag fasst SWR Info (Klaus Hempel) die Argumentation der Beteiligten zusammen.
LG Stuttgart – Besichtigungsgebühr: Das Landgericht Stuttgart muss nach Bericht von lto.de klären, ob die von einem Makler erhobene Besichtigungsgebühr einen Verstoß gegen das im letzten Jahr beschlossene Bestellerprinzip darstellt. Der beklagte Makler verteidige sich mit dem Argument, durch die erhobene Gebühr sei eine besondere Dienstleistung, die Besichtigung allein oder in einer Kleingruppe, abgegolten worden.
LG Hamburg – Sexy Cora: Die Welt (Julia Friese) porträtiert den Witwer der 2011 verstorbenen Erotik-Darstellerin Sexy Cora und seinen Versuch, vor dem Landgericht Hamburg von der Klinik, in der seine Frau starb, Schadensersatz wegen entgangenem Verdienst zu erstreiten.
AG Heiligenstadt zu Schulleiter: Gegen Zahlung eines Geldbetrages ist das vor dem Amtsgericht Heiligenstadt geführte Verfahren gegen einen Schulleiter wegen einer Körperverletzung im Amt eingestellt worden. Der Pädagoge hatte eine Schülerin bei Protesten gegen ein an der Schule untersagtes Konzert "rabiat an den Schultern" gepackt, schreibt spiegel.de.
Recht in der Welt
Luxemburg – Lux-Leaks: Die SZ (Tim Neshitov) entwirft in einer Seite-Drei-Reportage ein Protokoll der vergangenen Verhandlungswoche im luxemburgischen Strafprozess gegen zwei Wirtschaftsprüfer und einen Journalisten, die für die sogenannten Lux-Leaks verantwortlich sein sollen. Der Beitrag fragt auch, inwiefern die Veröffentlichung von Steuerpraktiken, die nach der aktuell einhelligen Einschätzung politischer Entscheidungsträger mindestens reformbedürftig sind, ein Fall für den Strafrichter sein kann.
Frankreich – Silikonimplantate: Ein französisches Berufungsgericht hat die vierjährige Haftstrafe gegen Jean-Claude Mas, Gründer der Firma PIP, wegen Herstellung und Vertrieb minderwertiger Silikonimplantate bestätigt. Die FAZ (Michaela Wiegel) berichtet und fasst die Skandalgeschichte gesundheitsgefährdender Brustimplantate, von denen auch in Deutschland tausende Frauen betroffen waren, zusammen.
Brasilien – WhatsApp: Der zu Facebook gehörende Nachrichtendienst WhatsApp ist in Brasilien nach einer Meldung von focus.de aufgrund richterlicher Anordnung für drei Tage landesweit blockiert worden. Durch die Maßnahme solle die Herausgabe von Gesprächsprotokollen mutmaßlicher Krimineller an Ermittler bewirkt werden.
Sonstiges
Heiko Maas gestört: Der Auftritt von Justizminister Heiko Maas (SPD) auf einer Maikundgebung in Zwickau wurde von Rechtsextreme dermaßen gestört, dass der Minister die Veranstaltung "fluchtartig verließ". Dies berichtet die BerlZ (Christian Bommarius) und stellt fest, dass vergleichbare Aktionen sich im Gegensatz zu schon historischen "Störungen von Parteiveranstaltungen oder Politiker-Auftritten durch linke oder rechte Aktivisten" durch Organisation, Vernetzung und ein eigentümliches Selbstbewusstsein der Pöbler auszeichnen würden.
AfD-Programm: Der FAZ (Günter Bannas /Matthias Wyssuwa) hat Justizminister Heiko Maas (SPD) erklärt, das neu beschlossene Programm der AfD enthalte "gleich mehrere Eingriffe in die Religionsfreiheit". Die AfD offenbare nach Einschätzung des Ministers ein Rechtsverständnis, nach dem Grundrechte nur selektiv gewährt würden. Reinhard Müller (FAZ) erklärt im Leitartikel der Zeitung, dass man der AfD keinen größeren Gefallen tun könne, als "sie schlichtweg zum Feind zu erklären". Zwar setze die Partei auf Abgrenzung und Angst, diesen Empfindungen könne jedoch mit eigener Haltung und "einem festen Glauben gar" begegnet werden.
Schuldenbremse: Ein im Auftrag Bremens erstelltes Gutachten des Staatsrechtlers Stefan Korioth hat die Zulässigkeit einer Abweichung des Haushalts des Stadtstaats von den Vorgaben der bundesweit vereinbarten Schuldenbremse ergeben. Durch die Mehrausgaben für Flüchtlinge liege ein "begründeter Ausnahmefall im Sinne des Konsolidierungsgesetzes" vor, gibt die SZ (Thomas Hahn) das Gutachten wieder.
Erbrecht: Aus Anlass des nun offenbar beendeten Streits über Erbansprüche der nichtehelichen Tochter des Sängers Udo Jürgens klärt bild.de über Grundbegriffe des Erbrechts auf.
Schönheitsreparaturen: focus.de (Anja Zwittinger-Fritz/Melanie Rübartsch) gibt einen Überblick zu Mieterpflichten bei der Durchführung von Schönheitsreparaturen.
Das Letzte zum Schluss
Klingelstreich mit Konsequenzen: Polizisten im rheinland-pfälzischen Diez stellten in einer Wohnung Cannabisgeruch fest und leiteten wegen des Verdachts verbotenen Handels ein Ermittlungsverfahren ein. Dieses wohl eher gewöhnliche Ereignis hatte eine ungewöhnliche Vorgeschichte: Wie die Welt meldet, brachten die Beamten zwei sieben und neun Jahre alte Kinder, die von einer Telefonzelle 24-mal den Notruf angerufen und dann aufgelegt hatten, in die Wohnung zurück.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Mai 2016: Zukunft für TTIP? / Maaßen gegen BVerfG-Urteil / Strafe für Lux-Leaks-Enthüller? . In: Legal Tribune Online, 03.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19194/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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