Das Verfahren gegen Sebastian Edathy ist nach § 153a StPO eingestellt worden. Hat er gestanden? Außerdem in der Presseschau: Gutachten zum Tarifeinheitsgesetz, Gottesbezug in Schleswig-Holstein, LG München I lässt Anklage gegen Deutsche Bank-Vorstände zu, Verwandtenaffäre vor Gericht, rechtliche Probleme des Lehrerstreiks und eine verspätete Einladung zum Kaffee.
Thema des Tages
LG Verden zu Sebastian Edathy: Das gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder und Dateien eingeleitete Strafverfahren vor dem Landgericht Verden ist gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Der Angeklagte hatte über seinen Verteidiger einer Erklärung abgegeben, in der er ihr die ihm zur Last gelegten Vorwürfe einräumte und angab, sein Verhalten zu bereuen. Weil hiermit der von der Staatsanwaltschaft geforderten Einlassung Genüge getan wurde, konnte die Sache mit ihrem Einverständnis gegen eine Zahlung von 5.000 Euro zugunsten des Kinderschutzbundes Niedersachsen eingestellt werden.
Aus dem Gericht berichten u.a. SZ (Annette Ramelsberger), zeit.de (Mariam Lau), spiegel.de (Julia Jüttner) und FAZ (Alexander Haneke). Der Bericht des Tagesspiegels (Jost Müller-Neuhof/Christian Tretbar) fasst sich aus dem Verfahrensende ergebende Fragen zusammen. So dürften unmittelbare Auswirkungen auf den Bundestags-Untersuchungsausschuss, der die politischen Begleitumstände der möglichen Informationsweitergabe ergründen soll, nicht zu erwarten sein.
Pia Lorenz (lto.de) setzt sich dagegen mit dem scheinbar widersprüchlichen Verhalten Edathys auseinander. Unmittelbar nach Verfahrensende hatte der frühere Politiker in einem Facebook-Post erklärt, mit seiner Erklärung vor Gericht gerade keine Geständnis abgeliefert zu haben. Hier räche sich nach Einschätzung des zitierten Rechtsprofessors Matthias Jahn die gesetzeswidrige Forderung der Anklagebehörde nach einem Geständnis. Ein solches hätte dagegen nur bei einer Verständigung nach § 257c StPO erreicht werden können, deren Voraussetzungen an Transparenz und Öffentlichkeit vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2013 konkretisiert worden seien. Gericht und Staatsanwaltschaft hätten mit der jetzigen "vermauschelten Einstellung nach § 153a StPO" eine Möglichkeit vertan, die Affäre Edathy rechtsstaatlich "richtig" zu beenden.
Auch Reinhard Müller (FAZ) bedauert, dass der eigentliche Sinn eines Strafprozesses, "in öffentlicher Verhandlung Schuld oder Unschuld des Angeklagten" zu klären, nun nicht mehr erfüllt werden kann. Dabei setze auch die Verfahrensbeendigung nach § 153a StPO "schlicht Schuld voraus", wenn auch eine geringe. Jene, die Edathy durch den Konsum eines Kinder missbrauchenden Systems auf sich geladen habe, könne er auch durch eine Geldleistung nicht wiedergutmachen. Den scheinbaren Widerspruch von Edathys Erklärungen im Gericht und auf Facebook greift auch Christian Rath (taz) auf und mutmaßt, dass er auf ein Verfahren verzichtet habe, "weil die Bilder vielleicht eben doch recht eindeutig strafbar waren." Rüdiger Scheidges (Handelsblatt) erinnert dagegen daran, dass auch bei "einem derart unappetitlichen Vorwurf" bis zur Urteilsverkündung die Unschuldsvermutung zu gelten habe. Diese "zivilisatorische Errungenschaft", nach der "Justiz und Öffentlichkeit zwischen Recht und Moral trennen" sei in der gesamten, von Informationsweitergaben und "sensationsgierigen Medien" geprägten Angelegenheit abgeschafft worden. Insofern habe die "Causa Edathy" nur "Schutt und Asche hinterlassen."
In einem weiteren Beitrag erläutert die SZ (Kim Björn Becker) die Anwendungspraxis der Einstellung nach § 153a StPO, die jährlich etwa 200.000 Mal erfolgt. Prominente Profiteure seien etwa Altkanzler Helmut Kohl oder Josef Ackermann im Mannesmann-Prozess. Einen Rekordbetrag habe im vergangenen August der Formel-1-Boss Bernie Ecclestone mit gut 75 Millionen Euro geleistet.
Rechtspolitik
Entgeltgleichheit: Die SZ (Constanze von Bullion) berichtet über ein Gesetzesvorhaben aus dem Bundesfamilienministerium. Durch ein Entgeltgleichheitsgesetz soll die gleiche Bezahlung von Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit gesichert werden. Als Pro (Constanze von Bullion) und Contra (Nikolaus Piper) referiert die SZ zudem Argumente für und wider das Vorhaben.
Frauenquote: Die Regierungskoalition hat sich nach einem Bericht des Handelsblatts (Catrin Gesellensetter) auf Nachbesserungen des Gesetzentwurfs zur Frauenquote verständigt. So sei die ursprüngliche Absicht, Führungsgremien im öffentlichen Dienst paritätisch zu besetzen, fallengelassen worden. Die in diese Zusammenhang auch in einer Expertenanhörung kritisierte Männerforderung als Nebeneffekt solle nur noch in den Sachverhalten zur Anwendung kommen, in denen eine strukturelle Benachteiligung von Männern bestehe. Eine im Beitrag zitierte Rechtsprofessorin prognostiziert zudem wegen starrer Klauseln bei der Besetzung von Aufsichtsräten eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Haftung von WLAN-Anbietern: Die Bundesregierung will durch eine Änderung des Telemediengesetzes Haftungsregelungen für die Anbieter von WLAN-Netzen reformieren. Thomas Stadler (internet.law.de) kritisiert den gegenwärtigen Referentenentwurf als europarechtswidrig. Die im Entwurf enthaltene Einschränkung von Haftungsprivilegien für besonders gefahrgeneigte Hosting-Dienste verstoße gegen Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie. Überhaupt mute es "anachronistisch" an, offene Internetzugänge einerseits zu propagieren, andererseits aber Sicherungsmaßnahmen gegen unberechtigte Zugriffe zu fordern.
Tarifeinheit: Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sind verfassungsrechtliche Bedenken gegen das geplante Gesetz zur Tarifeinheit "nicht von der Hand zu weisen." Es stelle einen Eingriff in zumindest die kollektive Koalitionsfreiheit dar, schreibt die SZ (Thomas Öchsner) in ihrem Bericht. Auch fehlten "empirische Hinweise" für die von der Regierung zur Begründung des Entwurfs angeführte "Vervielfältigung von Arbeitskämpfen".
Gottesbezug: Bestrebungen, die schleswig-holsteinische Landesverfassung gleich dem Grundgesetz mit einem Gottesbezug auszustatten, begrüßt Reinhard Müller (FAZ) in einem Kommentar ausdrücklich. Denn mitnichten gehe es hierbei um einen "christlichen Alleinvertretungsanspruch", vielmehr wende sich die Bezugnahme "gegen jede totalitäre Herrschaft".
Justiz
LG München I – Jürgen Fitschen: Nach Zulassung der Anklage müssen sich Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen Bank, sowie vier weitere ehemalige Vorstände des Geldhauses ab Ende April vor dem Landgericht München wegen versuchten Prozessbetrugs in einem besonders schweren Fall verantworten. Einzelheiten aus der mehr als 600 Seiten umfassenden Anklageschrift berichtet die SZ (Klaus Leyendecker/Klaus Ott). Nachdem der zuständige Richter Peter Noll vermerkt habe, dass er an einer wichtigen These des mit dem ursprünglichen Schadensersatzverfahrens befassten Oberlandesgerichts "erhebliche Zweifel" hege, sei davon auszugehen, dass im jetzt anstehenden Verfahren auch dessen Ergebnisse zur Verantwortlichkeit der Bank für den Niedergang des Kirch-Imperiums geprüft würden. Der Bericht der FAZ (Joachim Jahn) erwähnt zusätzlich, dass auch eine "Nebenbeteiligung" des Geldinstituts angeordnet wurde. Hiermit sei die Verhängung einer Geldbuße von bis zu einer Million Euro gegen die Bank selbst möglich. Das Handelsblatt (L. de la Motte/P. Köhler/K. Leitel) berichtet ebenfalls ausführlich.
Nach Sven Afhüppe (Handelsblatt) bietet das anstehende Verfahren der Deutschen Bank die Gelegenheit, zu "zeigen, dass sie wirklich verstanden hat, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und nicht länger alles, was legal ist, als legitim" zu betrachten. Die Bank habe sich zu lange "in Graubereichen des Rechts bewegt", nun müssten sie und auch Fitschen persönlich um Glaubwürdigkeit kämpfen.
BVerfG zu Hausdurchsuchung: Udo Vetter (lawblog.de) berichtet über eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde aus dem vergangenen Monat, durch die ein Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts Darmstadt aufgehoben wurde. Der schwerkranke Beschwerdeführer hatte eine Erlaubnis zur Cannabis-Nutzung und wollte die Pflanze wegen der hohen Kosten selbst anbauen. Um sein Verhalten zu legalisieren, teilte er den Anbau der örtlichen Staatsanwaltschaft mit. Diese reagierte mit der nun vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtswidrig bewerteten Durchsuchung.
LAG B-B zu Gehaltspfändung: Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte im Januar über die Frage zu befinden, ob Erschwerniszulagen, die etwa für Arbeit zu ungünstigen Zeiten gewährt würden, der regelmäßigen Gehaltspfändung unterliegen. Wie Rechtsanwältin Gudrun Germakowski (Handelsblatt-Rechtsboard) mitteilt, ist dies nach Ansicht des Gerichts nicht der Fall. Denn weil die Zahlungen nicht aus der Art der Tätigkeit selbst, sondern aus den unattraktiven Begleitumständen folgten, unterlägen sie dem Pfändungsverbot nach § 850a Nr. 3 Zivilprozessordnung. Die Revision wurde zugelassen.
LG Berlin zu Messerstecher: Vor dem Landgericht Berlin ist ein 18-jähriger wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Der Heranwachsende hatte im vergangenen August auf dem überregional bekannten Alexanderplatz einen Mann erstochen. Für die Tat habe es nach Feststellungen des Gerichts keinen erkennbaren Anlass gegeben. SZ (Verena Mayer) und taz-Berlin berichten.
LG Potsdam – Versuchter Kindsmord: Gegen einen 36-jährigen Vater wird ab dem heutigen Dienstag vor dem Landgericht Potsdam wegen versuchten Mordes verhandelt. Der Mann soll dem eigenen Kleinkind über mehrere Monate hinweg Gift, u.a. Desinfektionsmittel, zugeführt haben, schreibt die Welt (Christine Kensche). Ein psychiatrisches Gutachten der Staatsanwaltschaft bescheinige dem Angeklagten ein sogenanntes Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Betroffene würden Kindern Schaden zufügen, um im Anschluss Aufmerksamkeit von Angehörigen und Pflegepersonal einfordern zu können.
AG Augsburg – Georg Schmid: Der frühere CSU-Fraktionschef Georg Schmid muss sich vor dem Amtsgericht Augsburg wegen Sozialbetrug und Steuerhinterziehung verantworten. Über den Prozessauftakt gegen das prominenteste Opfer der sogenannten Verwandtenaffäre in Bayern berichtet die SZ (Stefan Mayr/Frank Müller, Zusammenfassung). In Sondierungsgesprächen zwischen den Verfahrensbeteiligten vor Prozessbeginn habe die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe von bis zu 24 Monaten in Aussicht gestellt. Die Verteidigung habe in einer Eröffnungserklärung auf die "dramatischen Folgen" einer Verurteilung hingewiesen. Dem Angeklagten drohe der Verlust von Pensionsansprüchen, auch als Jurist könne er als Vorbestrafter nicht mehr Fuß fassen. Die FAZ (Albert Schäffer) berichtet ebenfalls ausführlich.
Die politische und juristische Aufarbeitung der Verwandtenaffäre fasst ein weiterer Beitrag der SZ (Frank Müller) zusammen. Bislang sei nur eine Verurteilung, jene des früheren Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Harald Güller, wegen Betruges erfolgt.
Jung-Anwälte: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt fordert Aled Griffiths, Chefredakteur beim Juve Verlag, Wirtschaftskanzleien dazu auf, der veränderten Prioritätensetzung in der Junganwaltschaft Rechnung zu tragen. Anders als bei früheren Generationen von Anwälten stehe bei den heutigen Associates der Partner-Status nicht mehr im alleinigen Focus.
Recht in der Welt
Staatenimmunität: Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag/Niederlande aus dem Jahr 2012 sowie des italienischen Verfassungsgerichts aus dem vergangenen Oktober nimmt der wissenschaftliche Assistent Maximilian Oehl (juwiss.de) zum Anlass für einen ausführlichen Beitrag zum Konstrukt der Staatenimmunität. Gerade vor dem Hintergrund der Besonderheit und Intensität nationalsozialistischer Verbrechen plädiert der Autor für eine vorsichtige Lockerung des Prinzips, um die wenigen noch lebenden Opfer angemessen entschädigen zu können.
Sonstiges
Lehrerstreik: Ab dem heutigen Dienstag wollen Lehrer bundesweit streiken. zeit.de (Tina Groll) erläutert rechtliche Fragen und geht dabei auch auf die Zulässigkeit des Streikverbots für verbeamtete Lehrer ein. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein derartiges Verbot zumindest in solchen Fällen für unrechtmäßig erklärt hatte, in denen Betroffene nicht hoheitlich tätig würden, sei die Frage der Anwendbarkeit dieser Entscheidungen gegenwärtig beim Bundesverfassungsgericht anhängig. spiegel.de erläutert dagegen mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen für Eltern, die streikbedingt ihrer eigenen Arbeit wegen der Kinderbetreuung fernbleiben müssen.
Christoph Titz (spiegel.de) fordert schließlich, die Verbeamtung von Lehrern überhaupt abzuschaffen. Der besondere Status sei sachlich ungerechtfertigt und belaste wegen der damit einhergehenden Altersversorgung durch die öffentliche Hand die Länderhaushalte über Gebühr.
NSU-U-Ausschuss: FAZ (Rüdiger Soldt, Zusammenfassung) und taz (Lena Müssigmann) berichten zum NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtages. Befragt wurden Hinterbliebene eines im September 2013 in Bad Cannstatt verbrannten mutmaßlichen Aussteigers aus der rechtsextremen Szene. Der Tote soll gegenüber Dritten angedeutet haben, die Hintergründe der Tötung der Polizistin Michele Kiesewetter gekannt zu haben. Für die Familie des Toten habe sich die Polizei jedoch vorschnell auf eine Selbstmord-These festgelegt.
Überwachungsstaat: Jasper von Altenbockum (FAZ) räsoniert über das Wesen eines Überwachungsstaates. Diese Begrifflichkeit habe sich unter "netzkundigen Intellektuellen" nach den Enthüllungen Edward Snowdens eingeschliffen. Zahlreiche "Unstimmigkeiten, Ungenauigkeiten und auch Falschinformationen" in den vom Whistleblower und seinen journalistischen Mitstreitern veröffentlichten Dokumenten belegten jedoch, dass das Szenario eines "totalitären Überwachungsstaates" mitnichten Realität sei.
Das Letzte zum Schluss
Auf einen Kaffee: Veranstalter von Kaffeefahrten gelten gemeinhin als relativ schmerzlos bei der Abwicklung ihrer zwielichtigen Geschäfte. Der von bild.de präsentierte Fall dürfte dennoch ungewöhnlich sein: Der Veranstalter verschickte eine Einladung inklusive Versprechen von 2.000 Euro Bargeld an eine vor 12 Jahren Verstorbene. Deren Sohn öffnete das Schreiben und machte sich auf den Weg zur Polizei.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. März 2015: Edathy-Verfahren eingestellt - Deutsche Bank-Anklage zugelassen - Verwandtenaffären-Verfahren eröffnet . In: Legal Tribune Online, 03.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14833/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag