Hat die Kölner Polizei in der Silvesternacht "racial profiling" betrieben? Außerdem in der Presseschau: Der Innenminister möchte zur Sicherheit einen starken Staat und auch das OVG zu Berlin verpflichtet das AA auf Böhmermann-Auskunft.
Thema des Tages
"Racial Profiling" in Köln? In der Silvesternacht überprüfte die Polizei in Köln mehrere Hundert Männer mutmaßlich nordafrikanischer Herkunft. Das Bundesinnenministerium hat nach dem Bericht der SZ (Constanze von Bullion/Sebastian Fischer) nun angekündigt, "sehr genau" prüfen zu wollen, ob das polizeiliche Vorgehen als sogenanntes "racial profiling" einzustufen ist. Mit dem Begriff würden polizeiliche Maßnahmen beschrieben, deren Anlass kein konkreter Tatverdacht, sondern äußere Merkmale wie die Hautfarbe einer Person seien. Derartiges sei nach der Europäischen Menschenrechtskonvention untersagt. In Deutschland ergebe sich das Verbot aus dem Gleichheitssatz, Artikel 3 Grundgesetz. Es gelte nicht absolut, wie Entscheidungen zur Zulässigkeit verdachtsunabhängiger Personenkontrollen in Grenznähe belegten. Das Konzept des "racial profilings" wird auch in einer Infobox der FAZ (Helene Bubrowski) erläutert. Hiernach sei die polizeiliche Zuhilfenahme von Erfahrungssätzen aus der letztjährigen Silvesternacht zulässig. Der in einem Polizei-Tweet verwendete Begriff "Nafris" sei "nicht etwa Beleg für eine rassistische Haltung", weil "konkrete Untersuchungen" belegten, "dass diese Gruppe überproportional viele Straftaten begeht".
Ähnlich argumentiert Daniel Decker (FAZ) im Leitartikel der Zeitung. Die Bezeichnung sei "das unschöne Codewort" für das Unbehagen, das auch ältere, aus Nordafrika stammende Menschen vor "der kriminellen Energie ihrer zumeist jungen Landsleute" empfinden würden. Auch nach Heribert Prantl (SZ) ist es falsch, den Polizeieinsatz als rassistisch zu brandmarken. Denn sei "gerade nicht ohne Sinn, Verstand und Verdacht kontrolliert worden", sondern zur Prävention und verhältnismäßig. Die in der polizeilichen Mitteilung verwendete Bezeichnung dagegen habe diesen Einsatz "bemakelt", weil das Kürzel gerade nicht nur für nordafrikanische Intensivtäter verwendet wurde, vielmehr für alle, "die irgendwie nordafrikanisch aussehen".
Christian Bangel (zeit.de) bedauert, dass "Menschen, die zur Kölner Silvesternacht noch Fragen haben, als Realitätsverweigerer und Ideologen der politischen Korrektheit angebrüllt" würden. Polizeiliche Zuschreibungen der nun wohl erlebten Art seien "mindestens stigmenfördernd" und widersprächen damit dem Geist eines Rechtsstaats.
Rechtspolitik
Starker Staat: Unter der Überschrift "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" unterbreitet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in einem Gastbeitrag für die FAZ zahlreiche Vorschläge, "um unser Land, aber auch Europa krisenfest zu machen". Hierzu gehörten Neuordnungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Ersterer benötige "eine Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden", aber auch für die Koordinierung großflächiger Katastrophenfälle. Weiter solle der Bund auch "eine ergänzende Vollzugszuständigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung" abgelehnter Asylbewerber erhalten. Daneben müsse auch auf europäischer Ebene ein funktionierender "Massenzustrom-Mechanismus" geschaffen werden. Den Gastbeitrag fasst die FAZ (Eckart Lohse) in einem weiteren Artikel zusammen. Die Ministervorschläge seien als Auftakt der nach dem Anschlag von Berlin mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vereinbarten Beratung über Konsequenzen zu verstehen.
Gefährder: Reinhard Müller (FAZ) räsoniert im Leitartikel des Blattes über den angemessenen Umgang mit Gefährdern. Das von den USA in Guantanamo eingerichtete Lager sei ein Versuch gewesen, "ein Problem in den Griff zu bekommen, vor dem der Westen immer noch" stehe, habe sich wegen eines fehlenden Entscheidungsgremiums jedoch als "höchst kontraproduktiv" erwiesen. Aktuell sei "aus rechtsstaatlicher Sicht nur schwer zu verstehen", warum abschiebepflichtige Gefährder nicht in Haft genommen würden. Daneben müssten Aufrufe zum "Heiligen Krieg" auch als Volksverhetzung bestraft werden.
Grenzkontrollen: Belgische Pläne zur Registrierung grenzüberschreitender Reisen auch mit Bus oder Bahnen bezeichnet Ronen Steinke (SZ) in einem Kommentar als einen Rückschritt "für einen way of life, der Islamisten wie Nationalisten missfällt". Eine Flucht wie jene des mutmaßlichen Attentäters von Berlin wäre durch die namentliche Registrierung sicherlich schwieriger geworden. Gleichzeitig bedeuteten diese aber auch einen weiteren "Abschied von der Selbstverständlichkeit, mit der eine Generation ihren Kontinent als offensten der Erde kennengelernt hat".
Mindestlohnausnahmen: Wer Pflicht- oder Ausbildungspraktika absolviert, unterliegt nicht dem gesetzlichen Mindestlohn. Dass somit auch Flüchtlinge geringer bezahlt werden können, stellt ein Praxisleitfaden des Bundesarbeitsministeriums klar, über den die taz (Simone Schmollack) berichtet. Nach dem Kommentar von Thomas Öchsner (SZ) ist gegen die Rechtslage nichts einzuwenden. Weil die Praxisphase zeitlich befristet sei, könne daraus kein "Billiglohnmodell" entstehen. Für Ulrike Herrmann (taz) ist dagegen in Ermangelung effektiver Kontrollmechanismen "Missbrauch zu erwarten".
Mängelhaftung: Der aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung kaufrechtlicher Mängelhaftung stößt "in zentralen Punkten" noch immer auf Kritik des Zentralverbandes Deutsches Handwerk. Über diese berichtet die FAZ (Henrike Roßbach) exklusiv.
Bundesarchivgesetz: In ihrem Feuilleton äußert die SZ (Rudolf Neumaier) Verständnis für die Kritik von Archivaren und Historiker am aktuellen Entwurf zur Reform des Bundesarchivgesetzes. Das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) im vergangenen Jahr verkündete Ziel erhöhter Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit sei verfehlt worden, etwa weil Behörden nach wie vor nicht verpflichtet würden, ihre Unterlagen Archiven tatsächlich anbieten zu müssen.
Urheberrecht: Die Rechtsprofessoren Matthias Leistner und Axel Metzger unterbreiten in einem Gastbeitrag für den Medien-Teil der FAZ einen Vorschlag für eine Urheberrechtsreform. Weil Rechtsverletzungen gegenwärtig üblicherweise in der Privatsphäre von Nutzern stattfänden, bedürften Änderungen stärker noch als bei klassischen Eigentumsrechten einer gewissen gesellschaftlichen Akzeptanz. Diese ließe sich herstellen, indem ähnlich wie bei dem Kompromiss zur Freistellung privater Kopien vor gut 50 Jahren zunächst die nichtkommerzielle Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke auf Plattformen wie Youtube "auf Grundlage einer vergütungspflichtigen Urheberrechtsschranke freigestellt werden". Daneben müssten Rolle und Funktion einzelner Plattformen strukturell geklärt werden.
Emissionshandel: Die geplante Reform des europäischen Emissionshandelsystems verzögert sich nun doch. Grund seien Beschlüsse, die der Umweltausschuss des Europaparlaments kurz vor Weihnachten getroffen habe, berichtet das Hbl (Klaus Stratmann). Nach diesen würde etwa die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten beschnitten werden. Das Europäische Parlament stimme im Februar über die Beschlüsse ab.
Justiz
BAG – Urlaubsabgeltung: In einem Gastbeitrag für das Hbl begrüßt Jobst-Hubertus Bauer zwei Vorlagen des Bundesarbeitsgerichts vom Oktober und Dezember an den Europäischen Gerichtshof. Der Rechtsanwalt billigt den durch die erbetene Klärung zur Anwendung von Artikel 7 der Arbeitszeitrichtlinie zum Ausdruck gekommenen Willen des BAG, von der "unsinnigen Urlaubsrechtsprechung" des EuGH Abstand zu nehmen.
OVG Berlin-Brandenburg zu Böhmermann-Auskunft: Nach einer am gestrigen Montag bekanntgegebenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom vergangenen Freitag muss das Auswärtige Amt dem klagenden "Tagesspiegel" Auskunft über seine rechtliche Einschätzung zum "Schmähgedicht" Jan Böhmermanns erteilten. Der Beschluss ist unanfechtbar, meldet lto.de. Nachdem der Satiriker auf die Rechte aus seiner gesetzlichen Unschuldsvermutung verzichtet habe, könne das Ministerium nach Auffassung des Gerichts die Informationen nicht mehr unter Verweis auf die Vermutung verweigern. Nachteilige Auswirkungen auf das Verhältnis zur Türkei seien ebenfalls nicht zu befürchten.
LG München I – Hypo Real Estate: Nach mehrjährigen Ermittlungen hat das Landgericht München I nun die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den früheren Hypo Real Estate-Vorstandschef Georg Funke auf den 20. März bestimmt. Funke und einem früheren Vorstandskollegen werden bewusst unrichtige Darstellungen der finanziellen Verhältnisse der von ihnen geleiteten Bank vorgeworfen, das Gericht hat Verhandlungstermine bis zum September angesetzt. Es berichten SZ (Thomas Fromm) und FAZ (Henning Peitsmeier).
LG Hannover – Waffenbesitzkarten: Wegen Bestechlichkeit müssen sich drei ehemalige Vorstandsmitglieder eines Schützenvereins vor dem Landgericht Hannover verantworten. Die Angeklagten sollen Interessenten an Waffenbesitzkarten die hierfür notwendigen Sachkundenachweise ohne Prüfung verkauft haben, schreibt die taz.
Abgas-Affäre: In einem Kommentar bezeichnet Klaus Ott (SZ) die vom US-Anwalt Michael Hausfeld angekündigte Klage mit dem Ziel eines Rückrufs sämtlicher VW-Dieselfahrzeuge in Europa und einer Kaufpreiserstattung als "Höhepunkt der Geschäftemacherei im Fall VW". Dieser Einzug von "Auswüchsen der US-Sammelklagen" in Europa sei sowohl von der Politik, die auf Skandalisierung und Populismus statt Aufklärung setze, als auch VW selber ermöglicht worden. Statt sich wie in den USA durch Schadensersatz- und Strafzahlungen freizukaufen, setze das Unternehmen hierzulande auf eine Verjährung berechtigter Ansprüche von Käufern.
Recht in der Welt
IStGH: Der südafrikanische Rechtsprofessor für internationales Strafrecht, Gerhard Kemp, wird von lto.de (Marion Sendker) zur aktuellen Situation des Internationalen Strafgerichtshofs interviewt, dessen Aussichten nach dem Austritt mehrerer afrikanischer Staaten, möglichen Alternativen zu seiner Gerichtsbarkeit sowie zu Ermittlungen gegen Staatsangehörige von Nicht-Mitgliedsstaaten wie den USA.
Frankreich – Korruption: Vor einem Pariser Gericht muss sich der Sohn des Staatsoberhaupts von Äquatorialguinea unter anderem wegen Korruption und Geldwäscherei verantworten. Das Verfahren geht auf Bemühungen der NGOs Transparency International und Sherpa zurück, die Verschleuderung öffentlicher Gelder durch afrikanische Regierungsverantwortliche und ihre Angehörigen ahnden lassen wollen, erläutert die taz (Rudolf Balmer).
Sonstiges
Geheimdienstbeauftragter: In einem Gastbeitrag für die SZ weist das frühere Bundestags-Mitglied Hermann Bachmaier (SPD) auf das zum neuen Jahr geschaffene, vom Verwaltungsjuristen Arne Schlatmann besetzte Amt des Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums hin. Der Autor geht zudem vertieft auf die zwei Jahrzehnte währende Vorgeschichte dieser "schon lange notwendigen stärkeren Professionalisierung der gebotenen Kontrolle" von Geheimdiensten ein.
Ifo-Beraterklima: Nach dem exklusiv für das Hbl (Heike Anger/Axel Schrinner) vom Münchner Ifo-Institut berechneten Beraterklima-Index gehen deutsche Anwälte ebenso wie Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mit gedämpftem Optimismus ins neue Jahr. Grund sei nach den Worten des im Beitrag zitierten Hauptgeschäftsführers des Deutschen Anwaltvereins, Cord Brügmann, die gute wirtschaftliche Lage. Gleichzeitig bestünden Sorgen, wenn in der Türkei "und damit geradewegs vor unserer Haustür rechtsstaatliche Grundsätze wie das Prinzip der freien Advokatur verletzt werden".
Das Letzte zum Schluss
Mia san mia: Das neue Jahr beginnt mit dem Bekanntwerden einer vorweihnachtlichen Niederlage für den bayerischen Separatismus: Nach Meldung der taz nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines weißblauen Freistaatlers, mit der er eine Volksabstimmung über den Austritt Bayerns aus der Bundesrepublik erwirken wollte, nicht zur Entscheidung an.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Januar 2017: Nordafrikaner in Köln / Starker Staat / Auskunft zu Schmähgedicht . In: Legal Tribune Online, 03.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21631/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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