Die geplanten europäischen Freihandelsabkommen haben einen schlechten Ruf. Zu Recht? Außerdem in der Presseschau: Vergleich zu Heckler & Koch-Kündigungen, wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Adblockern, VG Berlin zu straßenrechtlichen Reinigungspflichten, die Krim und das Völkerrecht, Auszeichnungen für Whistleblower und eine teure Spritztour nach Italien.
Thema des Tages
Freihandel: Die Diskussion zu den von der EU geplanten Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) reißt nicht ab. Speziell Investitionsschutzklauseln, die in Streitfällen Entscheidungen durch Schiedsgerichte vorsehen, stehen in der öffentlichen Kritik.
Juniorprofessor Jörn Griebel anerkennt auf lto.de, dass "NGOs die Schlacht um die öffentliche Meinung" zu den Abkommen gewonnen hätten. Dabei stützten sich mediale Darstellungen allerdings häufig auf "nachweisbare Falschaussagen". So werde übersehen, dass Investoren aktuell nur in etwa 40 Prozent der Schiedsverfahren obsiegten. Auch seien Klagesummen und letztlich zuerkannte Entschädigungen weit geringer als üblicherweise kolportiert. Demgegenüber sei zu hoffen, dass die nun durch die EU-Kommission veranlasste Prüfung eines Abkommens mit Singapur durch den Europäischen Gerichtshof sowie – nach dem Inkrafttreten der aktuell diskutierten Abkommen – die Annahme einer der zahlreich eingelegten Verfassungsbeschwerden durch das Bundesverfassungsgericht diesem Mangel abhelfen und zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen werden. Die Vorteile der kritisierten Abkommen sind auch Thema eines Gastbeitrages des emeritierten Rechtsprofessors Klaus J. Hopt für das Handelsblatt. Ein funktionierender Freihandel sei auf "verlässlichen Schutz gegen staatliche Maßnahmen" angewiesen. Internationale Schiedsgerichte könnten diesen bieten.
Die taz widmet dem Thema einen Schwerpunkt mit mehreren Beiträgen. Julia Amberger nennt aktuelle Beispiele von Schiedsgerichtsverfahren, Ulrike Herrmann befragt den sächsischen Landtagsabgeordneten Harald Baumann-Haßke, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, zu Bedenken gegen Investorenschutz durch Schiedsgerichtsbarkeit und der Position seiner Partei zu den Abkommen.
Ein Kommentar von Ulrike Herrmann (taz) macht schließlich ein Dilemma von Sigmar Gabriel (SPD) aus. Als Regierungsmitglied wolle er "nicht der Störenfried sein", der das Zustandekommen der Abkommen behindere. Als SPD-Vorsitzender aber könne er im Interesse seiner Partei nicht guten Gewissens Schiedsgerichte mitverantworten, die auch bei enttäuschten "legitimen Erwartungen" von Investoren Schadensersatzklagen in einer "Paralleljustiz für Großkonzerne" zuließen.
Rechtspolitik
Burka-Verbot: Aus Anlass des Vorschlages der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner zu einem Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit stellt bild.de vergleichbare Regelungen im europäischen Ausland und Kopftuch-Regeln nach deutschem Landesrecht vor.
Lobbyismus: Dutzende Mitarbeiter großer deutscher Unternehmen arbeiten als sogenannte Externe vorübergehend in Bundesministerien. Rechtsprofessor Bernd Hartmann hat diese Praxis nun nach Darstellung von spiegel.de (Horand Knaup) in einem Gutachten als verfassungswidrig bezeichnet. Unter anderem werde die durch Verwaltungsvorschriften grundsätzlich bestimmte Höchstdauer derartiger Leiharbeitsverhältnisse regelmäßig überschritten.
Insolvenzanfechtung: Nach Darstellung des Handelsblatts (Melanie Rübartsch) hat der Bundesgerichtshof in den letzten Jahren die Voraussetzungen, unter denen Insolvenzverwalter Zahlungen der von ihnen Betreuten rückwirkend anfechten können, immer weiter ausgedehnt. So sollten schon Raten- oder Stundungsvereinbarungen als Indizien für die Kenntnis der bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit und damit eine Vorsatzanfechtung ausreichen. Derweil käme die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform der Insolvenzanfechtung nicht voran.
Funkzellenabfragen: Berliner, deren eingeschaltetes Mobiltelefon in eine Funkzellenabfrage von Ermittlungsbehörden geraten ist, sollen nach einem Beschluss des Abgeordnetenhauses der Hauptstadt künftig nach Abschluss der Ermittlungen per SMS über die Maßnahme informiert werden. Die nachträgliche Information über die Standortermittlung sei grundsätzlich auch nach der bereits geltenden Rechtslage verpflichtend, schreibt die taz-Berlin (Sebastian Heiser). Staatsanwaltschaften gingen bislang jedoch regelmäßig davon aus, dass die Voraussetzung eines Interesses an der Benachrichtigung bei Betroffenen nicht vorliegen würde. Der jetzige Beschluss sehe zudem die Sammlung belastbaren statistischen Materials über Häufigkeit und Nutzen der Ermittlungsmaßnahme vor.
Justiz
LAG B-W zu Heckler & Koch-Kündigungen: Die Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in Freiburg zu Kündigungsklagen von Mitarbeitern des Waffenherstellers Heckler & Koch endete mit einem Vergleich. Nach Bericht der Badischen Zeitung (Christian Rath) einigten sich die Kläger, denen Unregelmäßigkeiten bei Waffenlieferungen nach Mexiko vorgeworfen wurde, und der beklagte Arbeitgeber darauf, die Kündigungen zunächst aufzuheben. Die fraglichen Mitarbeiter würden bis zur Eröffnung eines Strafverfahrens freigestellt und nur bei einer endgültigen strafrechtlichen Verurteilung endgültig gekündigt. Das Handelsblatt (Jan Buchenau) berichtet ebenfalls.
LG München I – Adblocker: Thomas Stadler (internet-law.de) macht auf ein beim Landgericht München I anhängiges wettbewerbsrechtliches Verfahren aufmerksam, bei dem über die Zulässigkeit eines sogenannten Adblockers entschieden wird. Es stehe zu vermuten, dass diese vom Gericht verneint werde. Denn der nun streitgegenständliche Werbeblocker für Internet-Übertragungen weise gegenüber jenem für Fernsehsendungen – dessen wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit hatte der Bundesgerichtshof 2004 bejaht – zahlreiche Unterschiede auf.
LG Hamburg – Chantal: Vor dem Landgericht Hamburg müssen sich die Pflegeeltern der im Januar 2012 an einer Methadonvergiftung verstorbenen Chantal wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Angeklagten hätten in über die Verteidigung abgegebenen Erklärungen den Darstellungen der Anklage widersprochen, schreibt spiegel.de (Julia Jüttner) im Bericht zum Prozessauftakt.
LG Köln – Kartellschaden: Auch die Welt (Nikolaus Doll) berichtet nun in einem längeren Artikel über die von der Deutschen Bahn beim Landgericht Köln erhobene Schadensersatzklage. Von mehreren Fluggesellschaften, unter ihnen die Lufthansa, verlangt die Bahn mehr als eine Milliarde Schadensersatz wegen Kartellschäden.
VG Berlin zu Reinigungspflicht: Auch hohes Alter befreit Anlieger nicht von der im Berliner Straßenreinigungsgesetz vorgesehenen Pflicht zur Reinigung des Fußwegs vor dem eigenen Grundstück. Dies entschied nach Meldung von Rechtsanwalt Olaf Moegelin (kanzlei-moegelin.de) das Verwaltungsgericht Berlin in einem nun veröffentlichten Eilverfahren vom letzten Monat. Der 95-jährigen Antragstellerin sei es nach Auffassung des Gerichts unbelassen, die ihr obliegende Pflicht an Dritte zu übertragen. Ob die von ihr bewohnte Straße tatsächlich jener Kategorie unterfalle, innerhalb der die Reinigung von Anliegern übernommen werden müsse, sei in einem gesonderten Verfahren zu ermitteln.
SG Dortmund zu Hartz-IV für Unionsbürger: In einem Eilverfahren hat das Sozialgericht Dortmund ein Jobcenter verpflichtet, bis zur Hauptsacheentscheidung einem arbeitssuchenden Polen Grundsicherungsleistungen zu gewähren. Nach dem Bericht der FAZ (Helene Bubrowski) unterstreicht der nun veröffentlichte Beschluss die auch nach dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs weiterhin bestehende Offenheit der Rechtsfrage, ob arbeitssuchende EU-Bürger in Deutschland rechtmäßig von Sozialleistungen ausgeschlossen werden können. Eine entsprechende Frage sei dem EuGH im vergangenen Dezember vom Bundessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt worden.
Recht in der Welt
Krim - Völkerrecht: Mit den rechtlichen Konsequenzen des gegenwärtigen Zustandes der Krim befasst sich in einem Gastbeitrag für das Feuilleton der SZ der emeritierte Rechtsprofessor Michael Bothe. Der Völkerrechtler unterscheidet zu diesem Zweck zwischen einerseits dem Recht der kriegerischen Besetzung und den diesbezüglichen, vorwiegend gewohnheitsrechtlich geprägten völkerrechtlichen Grundsätzen. Andererseits würden auch bei einer Anerkennung der Krim als russisches Hoheitsgebiet die Regelwerke der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte weiterhin Gültigkeit besitzen und von der Russischen Föderation zu beachten sein.
Griechenland – Korruption: Die SZ (Klaus Ott/Tasos Telloglou) berichtet über neue Erkenntnisse bei den Ermittlungen zu einem mutmaßlichen Schmiergeld-Fall beim griechischen Ankauf deutscher Leopard-Panzer. Deutsche Staatsanwälte seien auf Hinweise zu Verbindungen einer Tochter der Firma Rheinmetall zum größten Rüstungshändler Griechenlands gestoßen. Dieser streite Bestechungen aber nach wie vor ab.
USA – Austauschschüler: Im vergangenen Frühjahr wurde im US-amerikanischen Bundesstaat Montana ein deutscher Austauschschüler in vermeintlicher Notwehr erschossen. In einer größeren Reportage berichtet spiegel.de (Karin Assmann und andere) über den Fall und den in dieser Woche beginnenden Prozess gegen den Schützen.
Sonstiges
Edward Snowden: In Stockholm ist dem Whistleblower Edward Snowden der Right Livelihood Award, der sogenannte Alternative Nobelpreis verliehen worden. Die SZ (Silke Bigalke) befragt aus diesem Anlass in einem Doppel-Interview Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der als Verteter Snowdens die Auszeichnung entgegennahm, sowie den US-Amerikaner Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon-Papiere zum Vietnam-Krieg leakte und hierfür 2006 den Preis erhielt. Die Befragten äußern sich zur Bedeutung der Auszeichnung und den Konsequenzen der durch Snowden öffentlich gemachten Enthüllungen.
Glenn Greenwald: Dem US-amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald ist in München für sein Buch "Die globale Überwachung" der Geschwister-Scholl-Preis verliehen worden. Die SZ (Jörg Häntzschel) zitiert aus diesem Anlass aus der Laudatio Heribert Prantls, der die Arbeit des Preisträgers als Realisierung der Pressefreiheit gewürdigt habe: "Sagen, was ist." Zudem sei es "eine Schande", dass sich der Enthüller Snowden gerade in Russland in ein "wackliges Asyl" begeben musste. Greenwald selbst habe sich auf einer Pressekonferenz optimistisch zu den Auswirkungen der von ihm mitveröffentlichten Enthüllungen geäußert. Diese hätten zwar keine unmittelbaren Änderungen der Überwachungs-Praktiken von Geheimdiensten bewirkt. Gleichwohl sei ein gesteigertes Problembewusstsein für den privaten Schutz von "Geheimnissen im Internet" auszumachen.
Wolfgang Vogel: Die SZ (Peter Blechschmidt) bespricht "Mission Freiheit – Wolfgang Vogel, Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte" von Norbert F. Pötzl. Die Biographie beschreibt den Lebensweg des 2008 verstorbenen DDR-Rechtsanwalts und dessen Beteiligung an der jahrzehntelangen Praxis des innerdeutschen Häftlingsfreikaufs. Das Buch möge so "auch als Lehrbuch über die Realität der deutschen Teilung dienen."
Das Letzte zum Schluss
Spritztour: Das Land, wo die Zitronen blühen, reizt immer wieder zu Reisen, erst recht mit einem flotten Sportwagen. Wenn der aber gemietet ist und Auslandsfahrten ausdrücklich untersagt sind, kann es schnell teuer werden. So in einem nun vom Amtsgericht München entschiedenen Fall. Wie spiegel.de schreibt, hatte die GPS-Ortung des Mietwagens beim Autovermieter Alarm geschlagen, eine spezielle Software sollte den Wagen stilllegen und eine Abschleppfirma das teure Fahrzeug auf der anderen Seite der Alpen sicherstellen. Für die Kosten muss der vertragsbrüchige Kunde nach der jetzigen Entscheidung selbst aufkommen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. Dezember 2014: Freihandel und Recht – Vergleich zu Heckler & Koch – Alter und Reinigungspflicht . In: Legal Tribune Online, 02.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13979/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
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