Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber sollen erhöht werden. Was bedeutet das für einen Asylrichter? Außerdem in der Presseschau: Ziele des Kulturgutschutzgesetzes und Begründung des BSG-Urteils zu Sozialhilfeanspruch für EU-Bürger.
Thema des Tages
Abschiebung nach Afghanistan: In der afghanischen Hauptstadt Kabul wirbt Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) dafür, abgelehnte afghanische Asylbewerber zahlreicher als bisher, zumindest in sichere Landesteile rückzuführen. Dem Bericht über den Ministerbesuch stellt die FAZ (Friederike Böge/Alexander Haneke) in einer Reportage den Sitzungstag von Richter Ralph Göbel-Zimmermann am Verwaltungsgericht Wiesbaden gegenüber. Der nach eigener Aussage "einer wohlwollenden Auslegung der Flüchtlingskonvention gegenüber aufgeschlossene" Richter verhandelt an diesem Tag zu vier Klagen afghanischer Asylbewerber, deren Fälle wie ihre gerichtliche Prüfung der Beitrag vorstellt. Richter Göbel-Zimmermann wolle sich auch in einem veränderten politischen Klima nicht von seiner Grundüberzeugung abbringen lassen, "dass jeder Flüchtling ein Recht auf ein faires Verfahren hat".
Rechtspolitik
Recht und Politik: Recht und Politik gehören im demokratischen Verfassungsstaat zusammen, stellt Jost Müller-Neuhof (Tsp) in einem Kommentar klar. Eben deshalb täte die Bundesregierung gut daran, ihr Handeln im Umgang mit Flüchtlingen besser zu rechtfertigen. Die Rechtfertigung sei im Wortsinne zu verstehen: "Die Regierung muss erklären, welches Recht wie und warum zur Anwendung kommt." Hierdurch würde Gemeinschaft und Legitimität geschaffen.
Asylrecht: Die SZ (Jan Bielicki) berichtet zu Plänen der EU-Kommission für eine umfassende Reform des europäischen Asylrechts. Nach diesen könnten Flüchtlinge einen Asylantrag künftig nicht mehr für ein bestimmtes Land, sondern die gesamte EU stellen. Die Aufteilung würde im Anschluss nach festgelegten Quoten für die Mitgliedsstaaten erfolgen. Die Kommission wolle ihren Entwurf im April vorlegen.
Kulturgutschutzgesetz: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der SZ zeigt sich Rechtsprofessorin Sophie Lenski besorgt, dass in der aktuellen Debatte über den Reformentwurf des Kulturgutschutzgesetzes eigentlich zu stellende Fragen verloren gehen. In ihrer Analyse unterscheidet die Autorin zwischen zwei Regelungsbereichen des Entwurfs. Während das Ziel der geplanten Bestimmungen zu ausländischen Kulturgütern "klar" sei, könne dies für den anderen Teil, Abwanderungsschutz für im Inland befindliche Kulturgüter, nicht gesagt werden. Denn werde dessen erklärtes Ziel, die nationale Identitätsstiftung, durch einen isolierten Abwanderungsschutz ohne jegliche Aussagen etwa über eine öffentliche Zugänglichmachung, kaum erreicht.
Leiharbeit: Nach Bericht des Hbl (Frank Specht) kritisieren Juristen das im Zusammenhang der von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplanten Neuregulierung von Leiharbeit und Werkverträgen enthaltene Verbot, Zeitarbeiter als Streikbrecher einzusetzen. Nachdem die Rechtsprechung in Entscheidungen zu bestimmten Streikmaßnahmen "die Rechte der Gewerkschaftsseite immer weiter ausgebaut" habe, würden Arbeitgeber durch das Vorhaben "einer der wenigen Möglichkeiten der Streikabwehr beraubt". Zudem sei fraglich, ob der mittelbare Zwang für Zeitarbeiter, sich an Streiks zu beteiligen, nicht gegen deren negative Koalitionsfreiheit verstoße, dies sei im Zweifel vom Bundesverfassungsgericht zu klären.
Extremismus-Gipfel: Der von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) für den 10. März geplante Gipfel mit den Justizministern der Länder zum Thema Rechtsextremismus wird nach Meldung von spiegel.de um eine Woche verschoben. Neben rechtsextremer Gewalt solle nun auch "anderweitig motivierte extremistische Gewalt" behandelt werden, so der Minister in einem Schreiben an seine Kollegen.
Justiz
BVerfG zu Kindesentziehung: Eine behördliche Sorgerechtsentziehung setzt nach einem veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eine nachhaltige Gefährdung des Kindes voraus und ist nur unter strengsten Voraussetzung zulässig. Das staatliche Wächteramt bedinge nicht eine gegen den Willen der Eltern durchzusetzende "bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes", gibt die SZ (Wolfgang Janisch) die in Fortführung einschlägiger Rechtsprechung ergangene Entscheidung wieder.
BGH zu Netzsperren: Im November urteilte der Bundesgerichtshof, dass Internetdienstleister dazu verpflichtet werden können, Webseiten, die urheberrechtlich geschützte Werke zugänglich machen, zu sperren. In einer Analyse dieser Netzsperren-Entscheidung hält internet-law.de (Thomas Stadler) die Kritik, die Tätigkeit des Accessproviders sei nicht adäquat-kausal für Urheberrechtsverletzungen, aufrecht.
BSG zu Sozialhilfe für EU-Bürger: Die FAZ (Joachim Jahn/Jan Hauser) berichtet zu der nun veröffentlichten Urteilsbegründung zu der vom Bundessozialgericht im Dezember entschiedenen Frage eines Sozialhilfeanspruchs für EU-Bürger. Das Gericht habe darauf hingewiesen, dass Ausländerbehörden von ihrem Recht, von Antragstellern Bemühungen zur Arbeitsplatzsuche einzufordern, nur selten Gebrauch mache. Dieses "Vollzugsdefizit" aber ermögliche den "verfestigten Aufenthalt", der nach dem Urteil Voraussetzung für den Leistungsbezug ist.
OLG München – NSU: Rechtsanwalt Matthias Grasel hat gegenüber der SZ (Annette Ramelsberger) angekündigt, in der für den heutigen Dienstag geplanten Fortsetzung des NSU-Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München einen neuen Befangenheitsantrag seiner Mandantin Beate Zschäpe stellen zu wollen. Bei der nun schon mehrfachen Weigerung seines Gerichts, die alten Anwälte der Hauptangeklagten zu entpflichten, ginge es nach Auskunft des Verteidigers vor allem um "Verfahrenssicherung".
OLG Hamm zu Bausparverträgen: Die Kündigung eines Bausparvertrages von 1991, bei dem die sogenannten Zuteilungsvoraussetzungen bereits 1997 vorlagen, für den aber dennoch kein Baukredit in Anspruch genommen wurde, ist nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm rechtmäßig. Über die Entscheidung mit möglicher Signalwirkung für bis zu 200.000 Vertragskündigungen von Bausparkassen, berichtet die Welt (Anne Kunz).
LG Mannheim – Zuckerkartell: Die FAZ (Bernd Freytag) berichtet zu einer "Klagewelle" kartellgeschädigter Unternehmen gegen drei führenden Zuckerhersteller. Allein am Landgericht Mannheim seien 21 solcher Schadensersatzforderungen anhängig. In ersten Verhandlungen hätte sich gezeigt, dass über die weitgehend unstreitige Annahme eines Kartells hinaus der Nachweis eines ersatzfähigen Schadens schwierig werden dürfte.
LG Bonn – Atomausstieg: Am morgigen Mittwoch wird das Landgericht Bonn zu einer "im niedrigen dreistelligen" Millionenbereich angesiedelten Schadensersatzklage des Energieversorgers EnBW verhandeln, meldet die taz. Diese Summe fordert das Unternehmen vom Bund und dem Land Baden-Württemberg wegen des deutschen Atomausstiegs nach der Katastrophe von Fukushima.
Recht in der Welt
IStGH: Das Gipfeltreffen der Afrikanischen Union hat die Einberufung eines Außenministerausschusses beschlossen, der eine "Road Map" zum Austritt aus dem Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vorbereiten soll. Hierfür habe sich insbesondere der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta starkgemacht, schreibt die taz (Dominic Johnson). In einer Rede habe Kenyatta den IStGH als "dysfunktionales Instrument" mit dem Ziel, Afrikaner zu erniedrigen, bezeichnet.
Belgien – AKW: Nach Bericht der SZ (Thomas Kirchner/Kristiana Ludwig) entscheidet die Städteregion Aachen am heutigen Dienstag, ob sie – gegebenenfalls im Verbund mit niederländischen Kommunen – vor dem Staatsrat, dem obersten belgischen Verwaltungsgericht, gegen die Wiederinbetriebnahme eines nahe gelegenen belgischen Atomkraftwerks klagen will. Der betreffende Meiler hatte nach Sicherheitsbedenken einige Jahre stillgestanden und war erst im November wieder ans Netz gegangen.
Frankreich – Begnadigung: Über die vom französischen Präsidenten verfügte Begnadigung der wegen Tötung ihres Ehemannes verurteilten Jacqueline Sauvage berichtet nun auch die SZ (Christian Wernicke). Als Konsequenz des Falls, der eine lange Vorgeschichte häuslicher Gewalt besitzt, würde nun ein Recht für Frauen, "legitime Selbstverteidigung mit Verzögerung" auszuüben, gefordert. Die taz (Rudolf Balmer) porträtiert die Begnadigte.
Großbritannien – Brexit: Über den Stand der Verhandlungen zu britischen Reformforderungen an die EU berichtet u.a. spiegel.de (Markus Becker). Hinsichtlich des wohl größten Streitpunkts, dem Ausschluss von Sozialleistungen für EU-Ausländer sei eine "Notbremse" im Gespräch, nach der alle Mitgliedsstaaten bei einem entsprechenden Nachweis einer Überlastung Leistungen aussetzen könnten.
Sonstiges
Genmanipulationen: Aus Anlass einer britischen Genehmigung von Genmanipulationen menschlicher Embryos im Rahmen eines Forschungsprogramms stellt die taz (Christian Rath) die Rechtslage in Deutschland dar. Obwohl der Embryonenschutz in Deutschland, ausgehend von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 zu Schwangerschaftsabbrüchen, besonders streng sei, wäre das jetzige Forschungsprojekt wohl genehmigungsfähig. Voraussetzung wäre die Forschung an älteren Stammzelllinien, wie im Stammzellgesetz von 2002 festgeschrieben.
Karneval in Köln: Ankündigungen verstärkter Sicherheitsvorkehrungen für die bevorstehenden Karnevalsfeierlichkeiten in Köln begrüßt Reinhard Müller (FAZ) in einem Kommentar. Hierdurch würde sichergestellt, dass jeder willkommen sei – und gleichzeitig jeder "mit den Zumutungen des Karnevals wie der freiheitlichen Gesellschaft insgesamt leben" müsse.
Schusswaffeneinsatz zur Grenzsicherung: Nach Forderungen zu einem Schusswaffengebrauch zur Grenzsicherung unternimmt lawblog.de (Udo Vetter) "Anmerkungen zu den rechtlichen Voraussetzungen". Die einschlägige Norm des Unmittelbaren-Zwangs-Gesetzes des Bundes ermächtige zum Schusswaffengebrauch nur bei einer Weigerung Betroffener, zu halten oder sich überprüfen zu lassen. Weil beides auf einreisewillige Flüchtlinge nicht zutreffe, sei der Schusswaffengebrauch zur Verhinderung illegaler Einreisen "nach dem Gesetz gerade nicht legitimiert".
Verhaltensmaßregeln: Am Beispiel der Kölner Silvesterübergriffe und der daraus folgenden Diskussion über hierzulande geltende Sitten und Normen untersucht die SZ (Jörg Häntzschel), inwiefern gesetzliche Regeln auch für "unzivilisiertes oder verletzendes Verhalten unterhalb der Schwelle zur Kriminalität" sinnvoll sein können. Der Autor nennt zahlreiche Beispiele aus den USA und meint, dass die dortige "Akzeptanz für staatliche und private Aufpasser" geschichtlich bedingt sei. Initiativen, die sich auch schon mal mit der zulässigen Größe von Cola-Bechern beschäftigten, trügen aber auch zu einer Debatte über die gerechte und friedliche Organisation von Zusammenleben bei.
NSU-U-Ausschuss Hessen: Im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss hat Heinz Fromm, ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, ausgesagt, dass nach seiner Einschätzung Andreas T. zu der Ermordung Halit Yozgats hätte vernommen werden können. Nach dem Bericht der taz (Alina Leimbach) bewirkt diese Einlassung "Erklärungsnöte" für den heutigen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). In seinem Amt als Innenminister des Landes hatte er die Genehmigung einer Vernehmung T.s verweigert.
Dashcams: Den Diskussionsstand zur Frage der Zulässigkeit von Dashcams zeichnet Volljurist Conrad S. Conrad (mycsc.de) nach und prüft dabei die Praxistauglichkeit vorhandener technischer Lösungen.
Das Letzte zum Schluss
Einfallslos: Drogenschmuggel erfordert neben krimineller Energie auch jede Menge Einfallsreichtum. Den aber sparte sich ein 53-jähriger Schweizer, der am Züricher Flughafen festgesetzt wurde. Nach Meldung der taz hatte der Mann, aus der Dominikanischen Republik kommend, Päckchen mit guten acht Kilogramm Kokain in seinem Handgepäck verstaut.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. Februar 2016: Abschiebungen nach Afghanistan / Kulturgutschutzgesetz / BSG-Urteil begründet . In: Legal Tribune Online, 02.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18012/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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