Tradition im Abseits. Der IGH untersagt japanischen Walfang in der Antarktis. Außerdem in der Presseschau: Gutachten zum Mindestlohn, Hartz IV und EU-Ausländer, 100. Verhandlungstag im NSU-Prozess, Florian Homm vor Ausweisung, Tag der offenen Tür in der JVA Landsberg und ein verlockendes Angebot für Steuerehrlichkeit.
Thema des Tages
IGH zu Walfang: Die japanische Praxis, in der Antarktis Wale vorgeblich zu Forschungszwecken zu fangen, verstößt gegen das Walfang-Moratorium von 1986. Dies entschied der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag/Niederlande, das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen auf eine Klage Australiens. Die behauptete Wissenschaftlichkeit des bisherigen Fangs habe Japan mit nur zwei "seriösen Artikeln" aus den letzten Jahren belegen können, schreibt die SZ (Ronen Steinke). Zudem hätten die vermeintlichen Forschungszwecke auch ohne die Tötung von mehr als 3.600 Tieren erreicht werden können, wie spiegel.de (Christoph Seidler) schreibt. Allerdings sei ein weiteres, kleineres Walfangprogramm im Nordpazifik von der Entscheidung unberührt, ein Umstand auf den auch der Bericht der Welt (Christian Bohmann) aufmerksam macht. Andere Länder wie Norwegen oder Island betrieben ihre Jagd auf die Meeressäuger ohne Beachtung des Moratoriums unter Berufung auf nationale Traditionen weiter.
Nach dem Kommentar von Christoph Neidhart (SZ) bietet das Urteil der japanischen Regierung die Chance, die national hochsubventionierte und international hochumstrittene Praxis einzustellen. Wirtschaftlichen Nutzen werfe sie ohnehin nicht mehr ab, diene vielmehr nationaler Selbst-Behauptung. Es liege nun an Japan, zu beweisen, dass es internationales Recht auch im Falle einer Niederlage akzeptiere. Auch Claudia Ehrenstein (Welt) begrüßt die gerichtliche Bestätigung der "nicht mehr in unsere Zeit" passenden Praxis. Gesellschaftliche Entwicklungen würden "verlangen, von vertrauten Gewohnheiten Abschied zu nehmen." Europäische Rauchverbote in Kneipen und Restaurants könnten hierfür als Beispiel stehen: "Was undenkbar erschien und bekämpft wurde, hat sich am Ende als großer Gewinn erwiesen." Peter Sturm (FAZ) hält die IGH-Entscheidung dagegen vor allem für das Werk einer "gut organisierten Lobby" und versteht nicht, warum gerade "Wale um so vieles schützenswerter als andere bedrohte Arten" seien.
Rechtspolitik
Mindestlohn: Am kommenden Mittwoch soll im Bundeskabinett über den von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zum flächendeckenden Mindestlohn beraten werden. Die Welt (Stefan von Borstel) zitiert aus diesem Anlass aus einem von Rechtsprofessor Gregor Thüsing im Auftrag des Deutschen Industrie- und Handelskammertags erstellten Gutachten, nach dem es verfassungsrechtlich zulässig sei, junge Arbeitnehmer bis zum Alter von 25 Jahren von der Regelung auszunehmen. Es bestehe ein "legitimes Interesse" des Staates "Anreize zur Ausbildung zu setzen."
Die taz (Christian Rath) berichtet dagegen über ein von Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes erstelltes Gutachten, dass generell Altersgrenzen für unzulässig hält. Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes gebiete eine einheitliche Behandlung sämtlicher Arbeitnehmer, zudem erfordere europäisches Recht eine objektive Erforderlichkeit von Altersgrenzen.
Investitionsschutz: Als Auftakt eines mehrwöchigen Online-Symposiums zum transatlantischen Investitionsschutz aus völker-, europa- und staatsrechtlicher Perspektive skizzieren die Rechtsprofessoren Isabel Feichtner und Markus Krajewski für den verfassungsblog die zu erörternden Fragen.
Justiz
EuGH – Hartz IV für EU-Ausländer: Gegenwärtig beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage eines Anspruchs von Hartz IV-Leistungen für in Deutschland lebende EU-Ausländer. Die FAZ (Corinna Budras) befragt aus diesem Anlass Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, zu möglichen Entscheidungen und deren Auswirkungen für die Jobcenter sowie der aktuellen Bescheidungspraxis. In einer Zusammenfassung der aktuellen Rechtslage fordert Corinna Budras (FAZ) den Leistungsbezug für EU-Ausländer "klar an ihren Willen zur Arbeitssuche" zu koppeln und nicht an den Aufenthaltsstatus der Betroffenen. Dies wäre erfolgversprechender, als Behörden zu ohnehin nicht durchsetzbaren Ausweisungen zu zwingen.
Verfassungsrichterwahl: Die geplante Reform der Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht unterzieht Rechtsprofessor Fabian Wittreck für lto.de einer kritischen Würdigung. Der Staatsrechtler analysiert hierfür zunächst die aktuelle Praxis und ihre Bewertung durch die Lehre um in einem zweiten Schritt zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Änderung, nach der die vom Bundestag ernannten Richter künftig vom Plenum des Parlaments gewählt werden, "bloße Kosmetik" sei. Denn die Liste der in Frage kommenden Kandidaten würde nach wie vor von den großen Parteien bestimmt. Dieses "Verteilungskartell" ließe sich etwa durch eine Berücksichtigung der Wünsche der Oppositionsparteien aufbrechen.
BGH zu Jonny K.: Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilungen im Fall des 2012 zu Tode geprügelten Jonny K. bestätigt, meldet spiegel.de.
OLG Oldenburg zu Volksverhetzung: Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in der vergangenen Woche die Verurteilung eines durch ein Lied mit dem Titel "Döner-Killer" zu zweifelhafter Bekanntheit gelangten Musikers wegen Volksverhetzung bestätigt, meldet rechtslupe.de. Auf den vor Veröffentlichung eingeholten Rat einer Anwältin, der Text des für die Verurteilung maßgeblichen Liedes "Geschwür am After" erfülle keinen Straftatbestand, habe der Verurteilte nicht vertrauen dürfen. Denn bei "nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen" hätte der Autor leicht selbst die strafrechtliche Relevanz entdecken können.
OLG München – NSU-Prozess: Am heutigen Dienstag steht der 100. Verhandlungstag im vor dem Oberlandesgericht München laufenden Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere an. Aus diesem Anlass bringt die taz (Konrad Litschko/Andreas Speit) eine Zwischenbilanz in Frage und Antwort-Form.
Die Welt (Per Hinrichs) lässt in ihrem Bericht Prozessbeteiligte zu Wort kommen. So bemängelten Nebenklagevertreter die mangelnde Bereitschaft der Bundesanwaltschaft, etwaigen Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die Mordserie nachzugehen, erkannten aber andererseits einen klaren "Verurteilungskurs" des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Unverständnis würde dagegen ob des von "vielen als zu passiv und nicht konfrontativ genug" geltenden Auftritts der Verteidigung der Hauptangeklagten geäußert.
In einem weiteren Beitrag (Christian Unger) wird Gül Pinar, Vertreterin der Familie des in Hamburg ermordeten Lebensmittelhändlers Süleyman Tasköpru, zu ihren Eindrücken befragt. Die Anwältin zeigt sich überrascht über die im Prozess zutage tretende Größe der rechtsextremen Szene in Deutschland, meint, dass es Zschäpe mit ihrer scheinbaren Teilnahmslosigkeit darauf anlege, sich zur Ikone der Szene zu machen, lobt die "auf Ruhe und Beharrlichkeit" fußende Vernehmungstaktik Götzls, der es zu danken sei, dass auch verschwiegen Zeugen reden würden und kritisiert die Bundesanwaltschaft für deren mehrfach bekundeten Unwillen, Strukturen und Vernetzung des NSU aufzuklären.
FR-Online.de (Mirko Weber) beschreibt in einem längeren Beitrag die trotz des widrigen Anlasses eingekehrte Routine beim Gericht und mutmaßt, dass ohne eine Aussage Zschäpes die maßgeblichen Hintergründe der Taten im Dunklen bleiben werden.
LG Ulm – Scala: Über den Prozessauftakt im Verfahren zur Zulässigkeit von Kündigungen sogenannter Scala-Verträge durch die Sparkasse vor dem Landgericht Ulm berichtet das Handelsblatt (M. Buchenau/E. Atzler/A. Rezmer). In einer vorläufigen Einschätzung der unter anderem von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg angestrengten Klage habe die Richterin klargestellt, dass eine Kündigungsklausel, auf die sich die beklagte Bank berufe, unwirksam sei. Der Prozess werde im Juli fortgesetzt.Frank M. Drost (Handelsblatt) hält auch ohne Urteil die Sparkassen für die Verlierer dieses Rechtsstreits. Deren Geschäftsmodell gründe sich auf Vertrauen von Sparern, dass durch die Vertragskündigungen zerstört worden sei. Dabei wäre das unternehmerische Risiko der nun streitgegenständlichen Sparmodelle von den Sparkassen selbst zu tragen und es "mehr als fragwürdig," die Kunden diese Suppe nun selbst "auslöffeln zu lassen."
StA Verden – verkaufte Examensarbeiten: Ein an das Landesprüfungsamt in Celle abgeordneter Richter soll Referendaren Examensthemen verkauft haben, meldet focus.de. Wegen Unregelmäßigkeiten habe die Staatsanwaltschaft Verden bereits seit einiger Zeit ermittelt und in der vergangenen Woche auch das Büro des Richters durchsucht. Während der flüchtig gewesen sei, habe ihn das Dienstgericht daraufhin vorläufig seines Amtes enthoben. Die italienische Polizei habe ihn nun in Mailand festgenommen.
Recht in der Welt
Italien/USA – Florian Homm: Das italienische Justizministerium hat entschieden, dass der nach jahrelanger Flucht im Land festgesetzte deutsche Finanzspekulant Florian Homm in die USA überstellt werden darf. Der Anwalt und die Mutter des an Multipler Sklerose Erkrankten versuchten nun, die Auslieferung durch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verhindern, schreibt die SZ (Klaus Ott/Markus Zydra). In den Vereinigten Staaten würden dem mutmaßlichen Betrüger bis zu 225 Jahre Haft drohen.
Israel – Ehud Olmert: Der frühere israelische Premierminister Ehud Olmert ist von einem Bezirksgericht in Tel Aviv wegen Bestechlichkeit schuldig gesprochen worden. In seiner Zeit als Bürgermeister der Stadt habe er gegen Bezahlung ein umstrittenes Bauprojekt vorangetrieben, berichtet fr-online.de (Inge Günther). Das Strafmaß werde zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Pakistan – Pervez Musharraf: Ein Sondertribunal in Islamabad/Pakistan hat den früheren Machthaber des Landes, General Pervez Musharraf, wegen Hochverrat angeklagt. Als Präsident hat Musharraf 2007 wegen Massenprotesten gegen das von ihm angeführte Regime einen Notstand ausgerufen, laut Anklage habe er damit die Verfassung außer Kraft gesetzt, schreibt die SZ (Tobias Matern). Das Verfahren sei als Machtprobe gegenüber dem nach wie vor mächtigen Militär des Landes einzuschätzen.
Sonstiges
JVA Landsberg: Über einen Pressetermin in der JVA Landsberg berichtet die SZ (Stefan Mayr). Die vom bayerischen Justizministerium einberufene Veranstaltung habe dazu dienen sollen, dem medialen Interesse an der zukünftigen Heimstatt des verurteilten Uli Hoeneß zu entsprechen. Um Persönlichkeitsrechte zu wahren, habe die Anstaltsleitung jedoch die Beantwortung von Fragen, die sich explizit auf den früheren Präsidenten des FC Bayern München bezogen, verweigert. Der Bericht der FAZ (Henning Peitsmeier) geht auch auf die Geschichte des Hauses ein. Adolf Hitler nutzte seine Festungshaft in Landsberg dazu, sein Machwerk "Mein Kampf" zu verfassen, die amerikanische Armee hielt nach dem Krieg in den Räumlichkeiten Kriegsverbrecher fest.
NSU-Theater: SZ (Adrienne Braun) und FAZ (Dieter Bartetzko) besprechen jeweils im Feuilleton "Rechtsmaterial", ein am Karlsruher Staatstheater uraufgeführtes Stück, dass in einer Collage das Wirken des NSU-Trios mit jenem von Albert Leo Schlageter, nationalsozialistische Märtyrerfigur des sogenannten Kampfes gegen die Ruhrbesetzung in den 1920er Jahren, in Verbindung setzt.
Massenentlassungen: Welche arbeitsrechtlichen Klippen Unternehmen auf dem Weg zu "schlankeren Strukturen" zu umschiffen haben, erklärt das Handelsblatt (Melanie Rübartsch). So sei bei geplanten Massenentlassungen der Betriebsrat nicht nur durch Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, sondern auch im Wege eines sogenannten Konsultationsverfahrens einzubinden.
Das Letzte zum Schluss
Steuerehrlichkeit: Innovative Steuerpolitik oder Aprilscherz? Die Welt (Ute Müller) berichtet über ein interessantes Angebot zur Erhöhung der Steuerehrlichkeit in Portugal. Auf Initiative des Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho soll ab sofort unter allen Bürgern, die ordnungsgemäße, das heißt mit Steuernummern versehene Rechnungen einreichen, wöchentlich ein Audi A4 im Wert von fast 40.000 Euro verlost werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. April 2014: IGH verbietet Walfang – 100 Tage NSU-Prozess – Offene Türen in Landsberg . In: Legal Tribune Online, 01.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11506/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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