Die Bundesregierung hält Informationen über V-Leute um das Oktoberfestattentat unter Verschluss. Die Grünen ziehen deswegen vors BVerfG. Außerdem in der heutigen Presseschau: Verbotene Parteienfinanzierung, Brustimplantate-Fall landet vor EuGH, LG Wien vertagt Verfahren gegen Facebook, Einstellung im Fall Ramelow und kritische Fragen zum Strafvollzug.
Thema des Tages
BVerfG - Organklage wegen Oktoberfestattentat: Die Bundestagsfraktion der Grünen hat ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung initiiert, weil diese sich weigerte Informationen über V-Leute herauszugeben, die womöglich zur Aufklärung des Oktoberfestattentats beitragen könnten. Die Regierung lehne die Beantwortung von Fragen zur "Art und Weise der Quellenführung sowie zur V-Leute-Eigenschaft von Personen" ab, um die "Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste" zu schützen. Die besondere Geheimhaltung sei auch gerechtfertigt, wenn der in Frage stehende Sachverhalt zeitlich bereits weit zurückliege. Dies ergebe sich aus einem der SZ vorliegenden Brief aus dem Justizministerium vom 7. April 2015. Die Geschäftsführerin der Grünen Britta Haßelmann halte diese Argumentation für nicht überzeugend, es sei inakzeptabel, "ausnahmslos jedwede Information über die Tätigkeit von V-Leuten zu verweigern" – insbesondere sei eine aktuelle Beeinträchtigung wegen der zeitlichen Distanz ausgeschlossen. Die SZ (Annette Ramelsberger/Stefan Braun) berichtet von der Klage und gibt an, dass mindestens drei V-Leute Hinweise zu Hintergründen des Oktoberfestattentats gaben.
Rechtspolitik
Verbotene Parteienfinanzierung? Die Bild erfuhr bei Einsichtnahme der Rechenschaftsberichte für das Jahr 2013, dass die Fraktionen der SPD und der Union an den Veranstaltungskosten der Koalitionsverhandlungen beteiligt wurden. Die Zeitung vermutet eine verbotene Parteienfinanzierung. Die SZ (Robert Rossmann) greift diese Entdeckung auf, erklärt, warum der Kostenausgleich durch die Fraktionen "fragwürdig" sei und gibt die Argumente von Union und SPD für die Zulässigkeit ihres Vorgehens an. Da die Fraktionen staatlich finanziert werden, sei durch den Kostenausgleich staatliches Geld an die Parteien gegangen.
TTIP: Das Handelsblatt (Dana Heide/Moritz Koch/Thomas Ludwig/Frank Specht/Frank Wiebe) befasst sich unter dem Titel "sieben Vorurteile gegen TTIP – und was dahintersteckt" ausführlich mit dem Freihandelsabkommen. In sieben Beiträgen werden unter anderem Verbraucherrechte, Arbeitnehmerrechte, Datenschutz und Investorenschutz im TTIP beleuchtet.
Justiz
AG Dresden zu Ramelow: Das Amtsgericht Dresden hat das Strafverfahren gegen den Ministerpräsidenten Thüringens Bodo Ramelow (Die Linke) wegen Geringfügigkeit eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen trägt der Staat. Ramelow war gegen die vorherige Einstellung des Verfahrens vorgegangen, weil er seine Anwaltskosten hätte selbst tragen müssen. Ihm war die Beteiligung an einer Blockade einer rechten Demonstration im Jahr 2010 vorgeworfen worden. Dies meldet die taz (Heide Oestreich).
BGH – Brustimplantate/TÜV: Der Bundesgerichtshof hat am gestrigen Donnerstag die Entscheidung bezüglich der Schadensersatzklage gegen den TÜV Rheinland wegen minderwertiger Brustimplantate ausgesetzt und den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Die Richter in Luxemburg sollen Fragen zu den Prüfpflichten des TÜV beantworten, beispielsweise sei zu klären, ob der TÜV Rheinland auch die Implantate selbst hätte kontrollieren müssen. Die Klägerin hatte sich Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP einsetzen lassen, welche zwar das Prüfsiegel des TÜV Rheinlands trugen, allerdings mangelhaft waren. Darüber informieren die FAZ (Alexander Haneke) und die SZ (Wolfgang Janisch). lto.de (Constantin Baron van Lijnden) berichtet ebenso und erklärt auch, welche Gründe gegen eine Haftung des TÜV Rheinland sprechen.
Wolfgang Janisch (SZ) ist der Ansicht, ein Hintergedanke bei der Abweisung der Ansprüche gegen den TÜV durch die Vorinstanzen sei gewesen, "dem Binnenmarkt keine allzu großen Hindernisse in den Weg zu legen". Es sei nun notwendig, dass der Europäische Gerichtshof "den Belangen der Betroffenen den Vorrang vor Marktinteressen" einräumt.
OLG München – Islamismus-Prozess: Am gestrigen Donnerstag begann vor dem Oberlandesgericht München das Strafverfahren gegen Ufuk C. wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat und der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Er sagte aus, in ein Terrorcamp der Al-Nusra-Front gereist zu sein, um diese zu unterstützen und den "Märtyrertod" zu sterben. Dies teilt faz.net mit.
LG Essen – Haftprüfung Middelhoff: Das nordrhein-westfälische Justizministerium betont, die regelmäßigen nächtlichen Kontrollen des in Untersuchungshaft befindlichen Thomas Middelhoff seien laut Meldebuch durch einen Türspion erfolgt. Es habe kein Bediensteter die Zelle betreten, eine "engmaschige Sichtkontrolle" sei wegen Suizidgefahr jedoch notwendig gewesen. Die Verteidiger Middelhoffs hatten Haftprüfung beantragt, da ihr Mandant regelmäßig geweckt worden sei und der Schlafentzug ihn gesundheitlich so beeinträchtigt habe, dass er nun "haftunfähig" sei. Ein Termin der Haftprüfung sei bislang nicht bekannt, so sueddeutsche.de (Hans Leyendecker). Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet ebenso im Ressort Unternehmen und hält zudem fest, ein Strafvollzugsbeamter dürfe die Zellentür nachts gar nicht selbstständig öffnen.
Joachim Jahn (FAZ) vermutet hinter dem Vorbringen der Verteidiger eine PR-Methode – die Anwälte machten öffentlich Druck, da Sachargumente bisher nicht zur Beendigung der Haft ihres Mandanten führten. Ein erheblicher Schlafentzug und insbesondere ein dadurch bedingter Ausbruch oder die dadurch bedingte Verschlimmerung einer Autoimmunerkrankung seien zu bezweifeln.
Generalbundesanwalt Harald Range: Anlässlich der 55. Assistententagung Öffentliches Recht äußert sich der Generalbundesanwalt Harald Range im Interview mit juwiss.de (Hannes Rathke/Thomas Wierny) zum Tagungsthema Rechtsfrieden – Friedensrecht, den Herausforderungen junger Rechtswissenschaftler, insbesondere im Hinblick auf die Abwägung von Freiheit und Sicherheit, zu muslimischen Friedensrichtern in Deutschland und den Herausforderungen der Europäischen Staatsanwaltschaft.
Recht in der Welt
Österreich – Klage gegen Facebook: Das Landesgericht Wien hat am gestrigen Donnerstag das Verfahren im Fall Max Schrems gegen das Unternehmen Facebook vertagt. Frühestens in drei Wochen sei mit der Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage zu rechnen. Schrems hält unter anderem das Sammeln personenbezogener Daten durch Facebook für europarechtswidrig und verlangt 500 Euro Schadensersatz für sich und jeden Facebooknutzer, für den er in der "Sammelklage" auftritt. Facebook argumentiere, laut zeit.de, das LG sei nicht zuständig und die von Schrems konstruierte "Sammelklage" unzulässig. Auch die Welt (Benedikt Fuest) berichtet.
USA – Schuldspruch für Boston-Attentäter: Dschochar Zarnajew ist wegen des Anschlags auf den Boston-Marathon im April 2013 in allen 30 Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Die Verteidigung gestand im Verfahren ein, dass Zarnajew den Anschlag begangen habe, betonte jedoch er sei von seinem islamistischen Bruder angestiftet worden. Die Geschworenen werden nun über das Strafmaß entscheiden, es könne entweder eine Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung verhängt werden. Dies schreibt die SZ. Auch die taz (Dorothea Hahn) und die Welt (Clemens Wergin) besprechen das Urteil.
Hubert Wetzel (SZ) weist anlässlich der möglichen Todesstrafe Zarnajews auf die generelle Kritik an dieser Sanktionsform hin. Die Todesstrafe befriedige lediglich das "Bedürfnis nach Rache". Sinnvoll sei vielmehr, insbesondere bei islamistisch motivierten Taten, in den USA einen Diskurs über Präventionsmöglichkeiten anzustoßen. Der Tod eines Attentäters bringe die Opfer nicht zurück.
Sonstiges
Sinn und Unsinn des Strafvollzugs: Der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck beklagt auf blog.zeit.de, dass Kritik am Strafvollzug meist nur in prominenten Fällen – wie Middelhoff und Hoeneß – auf öffentliches Interesse stoße und regt dazu an, sich kritisch mit der Freiheitsstrafe und deren Vollzug generell auseinanderzusetzen. Kaleck wirft einige grundsätzliche Fragen auf: Schadet das Gefängnis nicht mehr als es nützt? Welchen Sinn hat die Gefängnisstrafe im Allgemeinen? Er erklärt zudem sein Unverständnis bezüglich der Untersuchungshaft von Thomas Middelhoff – und vielen anderen nicht prominenten Untersuchungshäftlingen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. April 2015: Organklage wegen Oktoberfestattentat – Brustimplantate-Fall landet vor EuGH – Kritische Fragen zum Strafvollzug . In: Legal Tribune Online, 10.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15195/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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