Die Bundesregierung verweigert Informationen zu Bundespolizeieinsätzen – die Fraktion die Linke zieht deswegen vor das BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Busengrapscher rechtfertigt nicht immer fristlose Kündigung, Weiteres von Thomas Fischer zum Sexualstrafrecht, EGMR zu Wahlrecht von Strafgefangenen, Revision im Fall Chantal, ein Plädoyer für deutsches Unternehmensstrafrecht und was Richtern so den Schlaf raubt.
Thema des Tages
BVerfG - Großeinsatz der Bundespolizei: Die Bundespolizei nahm im Jahr 2011 an Unterstützungshandlungen bei verschiedenen Demonstrationen und Kundgebungen teil. Die Fraktion Die Linke im Bundestag hatte diesbezüglich einige Anfragen an die Bundesregierung gestellt, deren Beantwortung teilweise mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit der Länder verweigert wurde. Am gestrigen Dienstag verhandelte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts über ein entsprechendes Organstreitverfahren, welches die Fraktion gegen die Bundesregierung wegen der Verletzung parlamentarischer Informationsrechte einleitete. Bei dem Verfahren werden sich die Verfassungsrichter wohl auch mit der Frage nach einer "parlamentarischen Kontrolllücke" beschäftigen. Dies berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). Auch der Tagesspiegel (Ursula Knapp/Jost Müller-Neuhof) und die FAZ (Helene Bubrowski) befassen sich mit der Organklage.
Rechtspolitik
Thomas Fischer zum Sexualstrafrecht: In seiner Kolumne auf zeit.de widmet sich Thomas Fischer, Richter des Bundesgerichtshofs, ausführlich dem Sexualstrafrecht und erklärt anhand verschiedener Beispiele, weshalb eine Schutzlücke, seiner Ansicht nach, nicht bestehe. Er führt zudem aus, weshalb er die Position der Reformbefürworter nicht teilt, und zieht das Fazit, es bedürften "gesunde, erwachsene, selbstbestimmungsfähige Menschen keines paternalistischen Schutzes durch den Staat". Das Sexualstrafrecht umfasse bereits alle "sexuellen Kontakte aufgrund von nötigendem Zwang" und verdiene es, "endlich einmal in Ruhe" gelassen zu werden.
Anlegerschutz vor Delisting: Die große Koalition plant eine Reform zum Schutze von Kleinanlegern. Der Bundesgerichtshof hatte 2013 in dem sogenannten Frosta-Beschluss entschieden, dass Aktiengesellschaften ihre Börsennotiz einstellen dürfen, ohne die Aktionäre zuvor davon in Kenntnis setzen zu müssen. Zivilrechtsprofessor Tim Drygala schildert auf lto.de die Folgen dieser Rechtsprechung, so gefährde eine "Delisting-Welle" den Schutz von Kleinanlegern. Drygala begrüßt daher die geplante Reform und bietet verschiedene Möglichkeiten zur Gestaltung des neuen Gesetzes an.
Justiz
BAG zu sexueller Belästigung: Das Bundesarbeitsgericht entschied am gestrigen Dienstag, dass bei einer fristlosen Kündigung wegen sexueller Belästigung verschiedene Punkte zu berücksichtigen seien – wie die Dauer der Beschäftigung oder eine etwaige Wiederholungsgefahr. Im vorliegenden Fall hatte ein Mann im Waschraum des Betriebs die Brust einer externen Reinigungskraft gegen ihren Willen berührt, vor Gericht gab er an, dass er davon ausging die Betroffene habe mit ihm geflirtet. Die Richter urteilten, in diesem Fall hätte eine Abmahnung ausgereicht, es habe sich um ein "Augenblicksversagen" gehandelt. Über die Entscheidung informieren die SZ (Thomas Öchsner) und die FAZ (Joachim Jahn).
BGH - ausnahmsweise deutsches Recht für Limited?: Der Direktor einer britischen Limited, welche ihr Unternehmen überwiegend in Deutschland betrieb, hat während bereits bestehender Insolvenzreife noch Zahlungen getätigt. Der Bundesgerichtshof kam zu dem Schluss, dass er hierfür persönlich haften muss und wendete eine entsprechende Vorschrift des GmbH-Gesetzes an. Die Richter gehen davon aus, dass dies unionsrechtlich zulässig sei, da es sich um eine insolvenzrechtliche, nicht um eine gesellschaftsrechtliche Norm handele; zur Klärung wurde die Frage allerdings dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Darüber informiert der Anwalt Moritz Pöschke in der FAZ.
StA Hamburg - Revision im Fall Chantal: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat am gestrigen Dienstag Revision gegen das Urteil im Fall Chantal eingelegt. Auch die Verteidigung geht gleichermaßen gegen die Entscheidung vor, es sei "die wichtigste Zeugin" nicht gehört worden. Die Pflegeeltern der elfjährigen Chantal waren aufgrund der Methadonvergiftung ihrer Pflegetochter wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt worden – die Pflegemutter zu acht Monaten, der Pflegevater zu einem Jahr. Dies berichtet spiegel.de.
OLG München - NSU-Prozess: In der vergangenen Woche hatte die Verteidigung von Beate Zschäpe beantragt die Zulassung von Sermin S. als Nebenklägerin zu widerrufen, da diese kein Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße sei. Am gestrigen Dienstag äußerte sich die Bundesanwaltschaft zu besagtem Antrag und hielt fest, dass es unerheblich sei, dass die Nebenklägerin unverletzt geblieben war – der Vorsatz der Täter sei ausschlaggebend. Auch der Anwalt der Nebenklägerin bringt vor dem Oberlandesgericht München seine Argumente für die Opfereigenschaft seiner Mandantin vor. Die taz (Andreas Speit) informiert über die Reaktionen auf den Antrag und über die Folgen der Tat für Sermin S.. Auch spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet.
Recht in der Welt
EGMR zu Wahlrecht von Häftlingen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied am gestrigen Dienstag, dass der pauschale Entzug des Wahlrechts von Häftlingen gegen deren Grundrecht auf freie Wahl verstoße. Im vorliegenden Fall wurde 1.015 britischen Strafgefangenen zwischen 2009 und 2011 verweigert an den Wahlen Teil zu nehmen. Dies meldet spiegel.de.
Frankreich - Dominique Strauss-Kahn: Der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds Dominique Strauss-Kahn sagte am gestrigen Dienstag im gegen ihn laufenden Verfahren wegen "schwerer Zuhälterei" vor dem Strafgerichtshof im französischen Lille aus. Er gab an, "weder ein Verbrechen noch ein Vergehen" begangen zu haben. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass es sich bei den betreffenden Frauen um Prostituierte gehandelt habe. Die Befragung soll am heutigen Mittwoch fortgesetzt werden. Über den Prozess berichtet die SZ (Leo Klimm) und schildert dabei auch die Ausführungen der Nebenklägerin Mounia, einer der Prostituierten.
USA - Boston-Attentat: Die Welt (Hannes Stein) befasst sich kritisch mit dem Einsatz von Geschworenen im US-amerikanischen Strafverfahren. Anlass ist der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter auf den Boston-Marathon Dschochar Zarnajew – hier erweise sich die Suche nach unvoreingenommenen Geschworenen als besonders schwierig, da wohl ein Großteil der Bostoner der Ansicht ist, dass es sich um eine "abscheuliche Tat" handele.
Malaysia - Haftstrafe wegen Homosexualität: Der malaysische Oppositionspolitiker Anwar Ibrahim wurde wegen Geschlechtsverkehrs mit einem männlichen Mitarbeiter zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Beischlaf unter Männern ist in Malaysia verboten. Das Urteil sei politisch motiviert, meinen einige Menschenrechtler, die Verteidigung gibt an, dass es keine Beweise für einen Geschlechtsverkehr gegeben habe. Darüber informiert die FAZ (Till Fähnders). Auch die taz (Nicola Glass) berichtet.
Sonstiges
Unternehmensstrafrecht?: Heribert Prantl (SZ) spricht sich für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts aus – Anlass sind die "dubiosen Milliardengeschäfte" der Hongkong and Shanghai Banking Corporation. So sei das Ordnungswidrigkeitenrecht, trotz der Möglichkeit erhebliche Geldbußen zu verhängen, nicht ausreichend, um Unternehmen, welche "kapitale Kapitaldelikte" begehen, zu ahnden. Er erläutert, weshalb ein "Systemwechsel im deutschen Strafrecht" notwendig sei und listet mögliche Strafoptionen gegen Unternehmen, welche bis hin zur Auflösung desselben reichen könnten.
Therapie für Gewalt- und Sexualstraftäter: Die SZ (Jana Hauschild) spricht sich für die Therapie von Straftätern zur Rückfallprävention aus und erklärt, welche Faktoren weitere Delinquenz begünstigen oder zu ihrer Verringerung beitragen können. So erhöhten Gefängnisstrafen die Rückfallraten, besonders wirksam seien dagegen Therapieverfahren, welche die "persönlichen Behandlungsbedürfnisse" des Täters und dessen Rückfallrisiko berücksichtigen. Daher sprächen sich Forscher und Therapeuten für eine vermehrte Therapie aus, so die SZ.
Was ist ein Staat?: Der Völkerrechtler Ralph Janik befasst sich auf juwiss.de kritisch mit den Voraussetzungen eines Staats und spricht sich für einen qualifizierten Staatsbegriff aus. Die Tatsache, dass der Islamische Staat die drei Aspekte eines Staates – Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatsvolk – erfüllt, indiziere die Notwendigkeit eines Wandels der Begrifflichkeiten, sofern man "derartige Gebilde" nicht als Staat werten möchte.
"Smart Cars" als Überwachungsinstrument: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) warnt davor, dass "Smart Cars" es der Autoindustrie ermöglichen könnten "Bewegungs- und Verhaltensprofile" der Nutzer zu erstellen und sich somit als "Überwachungsinstrument" etablieren könnten. Dem müsse entgegen gewirkt werden, indem die Autofahrer umfassend über die erfassten Informationen in Kenntnis gesetzt werden und zudem die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung einer entsprechenden Datenübermittlung erhalten. Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet auch von weiteren Reaktionen auf die "Smart Cars" und Ideen zum Schutz der Verbraucher.
Joachim Jahn (FAZ) plädiert in einem gesonderten Kommentar für die technische Innovation und gegen die Angst vor dem "gläsernem Autofahrer". Er ist der Ansicht, "der mündige Verbraucher hat das Recht seine Daten preiszugeben, wenn er sich davon einen Vorteil verspricht."
Interview mit Hans-Georg Maaßen: Die taz (Astrid Geisler/Sabine am Orde) bringt ein Interview mit dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen. Er gibt Einblicke in den Einsatz von V-Leuten bei der Terrorismusbekämpfung und fordert die rechtliche Legitimation der Überwachung von verschlüsselter Kommunikation. Er äußert sich zudem zur Rolle des BfV bei den NSU-Ermittlungen. Schwere Fehler seien nicht dem Amt, sondern den Strafverfolgungsbehörden zuzurechnen.
Das Letzte zum Schluss
Der schlaflose Richter: Ein Beamter des Bundeskriminalamtes wollte sich gegen Einbrüche schützen und bediente sich einer einfachen "Kriminalitätsbekämpfungsstrategie" – er ließ nachts eine 40-Watt-Glühbirne brennen. Dummerweise schien diese in das Schlafzimmer eines benachbarten Amtsrichters, welcher wegen der Frischluftzufuhr stets bei offenem Fenster nächtigte, und raubte diesem den Schlaf. Der Schlaflose klagte und bekam vor dem Berufungsgericht Recht. Die "Blendwirkung" der Lampe ließe einen "erholsamen Schlaf" für einen "Durchschnittsbürger" nicht zu – abgesehen davon leuchtete dem Gericht die Argumentation des BKA-Beamten nicht ein. Von diesem Fall berichtet jurablogs.com (Ralf Mydlak).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Februar 2015: Organklage zu Bundespolizeieinsätzen – Thomas Fischer zu Sexualstrafrecht – Plädoyer für Unternehmensstrafrecht . In: Legal Tribune Online, 11.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14654/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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