Das LG Dresden könnte mit der Entscheidung im Kannibalen-Mord eine neue Fallkonstellation für die Rechtsfolgenlösung angestoßen haben. Außerdem in der heutigen Presseschau: Palästina tritt dem IStGH bei, Interview mit Datenschutz-Aktivist Max Schrems, Unternehmen sollen Verantwortung für Menschenrechte übernehmen und ein schlauer Einbrecher trickst zwei Polizisten aus.
Thema des Tages
LG Dresden zu Kannibalen-Mord: Am gestrigen Mittwoch verurteilte das Landgericht Dresden den ehemaligen Polizeibeamten Detlev G. zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten wegen Mordes. Er soll den Geschäftsmann Wojciech S. in einem Kannibalen-Forum kennen gelernt und ihn im November 2013 in seiner Pension getötet und die Leiche zerstückelt haben. Bereits die Anklage hatte zwar einen Mord angenommen, aber keine lebenslange Freiheitsstrafe, sondern lediglich zehneinhalb Jahre gefordert. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) erklärt, hier handele es sich zwar nicht um einen "normalen" Mord, denn das Opfer habe seinen Tod gewollt, der außergewöhnliche Fall füge sich allerdings nicht ohne Weiteres in die Fälle ein, in denen der Bundesgerichtshof die Rechtsfolgenlösung anwandte. Das LG Dresden könnte mit dieser neuen Fallkonstellation "Rechtsgeschichte schreiben", so spiegel.de. Allerdings hoffe die Kammer wohl auf eine Entscheidung des BGH, Revision sei aber noch nicht eingelegt worden. Eine Begründung zur Strafhöhe habe das Gericht nicht abgegeben.
Rechtspolitik
Ärztliche Schweigepflicht: Nach Erkenntnissen über die Krankschreibung des Piloten der verunglückten Germanwings-Maschine und dessen psychiatrische Behandlung forderten Unionspolitiker die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht für "sensible" Berufsgruppen". Der Medizinrechtler Andreas Spickhoff erläutert im Interview mit lto.de Grundsätze und Ausnahmen der ärztlichen Schweigepflicht und, warum das Vorhaben sogar "kontraproduktiv" sein könnte.
Maut für Fernbusse: Die Grünen fordern eine Maut für Fernbusse – das eingenommene Geld solle gezielt zum Ausbau von Busterminals verwendet werden, um deren Verkehrssicherheit zu verbessern. Zudem würde dies den Wettbewerbsnachteil der Bahn ausgleichen, beide Verkehrsträger müssten dann für die genutzte Infrastruktur bezahlen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sei gegen die Fernbus-Maut, so die FAZ (Kerstin Schwenn), die Unternehmen seien "noch junge Konkurrenz" für die Bahn.
Fracking: Am gestrigen Mittwoch verabschiedete das Bundeskabinett umstrittene Entwürfe für Neuregelungen zum Fracking – es gebe strenge Auflagen, aber kein grundsätzliches Verbot. Bohrungen sollen allerdings in bestimmten Gebieten, wie allen Einzugsgebieten der Trinkwassergewinnung, nicht vorgenommen werden dürfen – Neubohrungen weitestgehend verboten sein. Besonders berücksichtigt wurden Trinkwasser- und Naturschutz, Umweltverträglichkeitsprüfungen werden Pflicht. Kritikern gehen die Auflagen nicht weit genug – ein pauschales Verbot sei allerdings nicht möglich, so Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), der Entwurf banne aber die Gefahr "für Mensch und Umwelt". Die FAZ (Andreas Mihm), die taz (Malte Kreutzfeldt) und die Welt (Claudia Ehrenstein) erklären die geplanten Regelungen und geben einen Einblick in die Frackingtechnologie.
Justiz
BVerfG zum Kopftuch: Der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel moniert in der FAZ, einen essentiellen "Defekt" in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Forderung nach einer konkreten Gefahr, denn deren "Bestand oder Nichtbestand" hänge von der "subjektiven Willkür Dritter" ab. Die Religionsfreiheit als subjektives Recht verpflichte jedoch den anderen gerade zur "Hinnahme ihrer Ausübung" und dürfe nicht bei der "öffentlichen Missbilligung durch andere" enden. Merkel sieht eine "inkohärente Begründung, die mit grundlegenden Prinzipien, ja mit dem Begriff des subjektiven Rechts selbst kollidiert" und schließlich nicht zu religiöser Toleranz, sondern zu innerschulischen Konflikten führt.
Verteidiger und Schöffen: Der derzeit als Laienrichter eingesetzte Peter Maxwill schildert auf spiegel.de seine Erfahrung über den Umgang von Strafverteidigern mit Schöffen. So richteten sich die Plädoyers der Verteidiger oft direkt an die Laienrichter, statt an die Berufsrichter. Sie appellierten regelmäßig an die Empathie der Schöffen, arbeiteten mit "Suggestivfragen und Emotionen" und manche machten sich sogar die Mühe, "selbst dem denkfaulsten" Laien explizit die Rechtslage auseinanderzusetzen.
Bosch zahlt für Preisabsprachen: Das Technikunternehmen Bosch hat eine Kartellstrafe des US-Justizministeriums in Höhe von 54 Millionen Euro wegen illegaler Preisabsprachen akzeptiert, meldet die SZ. Bosch hatte verschiedene Produkte zu überhöhten Preisen an Automobil-Konzerne wie Daimler und General Motors verkauft. Die US-Justiz ermittelt seit Jahren gegen Zulieferer in der Automobilbranche wegen der Bildung eines Preiskartells.
Recht in der Welt
EuGH – Facebook: Die taz (Svenja Bergt) führt ein Interview mit dem Datenschutz-Aktivisten Max Schrems. Durch ihn wurde ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof hinsichtlich des Umgangs von Facebook mit seinen Benutzerdaten angestoßen. Schrems findet energische Worte zu den Problemen der heutigen Netzpolitik, den Konsequenzen eines Machtwortes aus Luxemburg und eine Erklärung für die bisher unterbliebene Einigung zwischen EU und USA in Sachen "Massenüberwachung".
IStGH – Palästina: Am gestrigen Mittwoch trat Palästina dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bei und bereite bereits Dokumente für eine Klage vor, welche Kriegsverbrechen Israels im Hinblick auf Siedlungspolitik und Gaza-Krieg belegen sollen, berichtet spiegel.de. Chefanklägerin Fatou Bensouda hatte schon im Januar erste Vorermittlungen zu etwaigen Kriegsverbrechen im Gaza-Konflikt eingeleitet.
faz.net (Hans-Christian Rößler) beschreibt den Weg Palästinas zum Mitglied des Internationalen Strafgerichtshof und weist daraufhin, dass es sich lediglich um einen "völkerrechtlichen Etappensieg" handele. Denn die Vorverfahrenskammer könnte die Frage aufwerfen, ob es sich bei Palästina überhaupt um einen Staat handelt. Zudem könne der IStGH nur Verbrechen nach dem 1. Juli 2002 ahnden und es drohe eine lange Verfahrensdauer.
Frankreich – Menschenrechte: Am gestrigen Mittwoch wurde ein Gesetz ins Französische Parlament eingebracht, wonach große Unternehmen juristische Verantwortung für die "Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte und der internationalen Normen für Umweltschutz und Menschenrechte" übernehmen sollen. Darüber informiert das Handelsblatt (Thomas Hanke). Eine entsprechende Beweislastumkehr zu Lasten der Unternehmen sei allerdings gestrichen.
Türkei – Gezi-Proteste: Die taz (JG) kritisiert die justizielle Aufarbeitung der Gezi-Proteste im Sommer 2013. So müssten bereits "Hunderte Gezi-Demonstranten" hohe Strafen verbüßen, wohingegen erst zwei Polizisten zu vergleichsweise "milden Haftstrafen" verurteilt wurden. Der Beitrag weist insbesondere auf "die beiden wichtigsten Prozesse" wegen der Gezi-Proteste hin – diese liefen gegen Vertreter von Bürgerinitiativen oder Berufsgenossenschaften sowie gegen die Demonstranten aus dem Fußballfanclub von Besiktas.
USA – Religious Freedom? Der US-Bundesstaat Indiana hat ein Gesetz verabschiedet, das es Unternehmen und Einzelpersonen erlauben soll, Dienstleistungen zu verweigern, "wenn sie sich dadurch in ihren religiösen Überzeugungen verletzt sehen." Dies schaffe die Möglichkeit, Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung abzuweisen, monieren Kritiker – Unterstützer argumentieren, es gehe lediglich um den Schutz der Gläubigen. Die Welt (Ansgar Graw) schildert weitere entsprechende US-Gesetze und analysiert, wie das Verhältnis von Religion und Homosexualität in den USA in den Gesetzen niedergeschlagen ist.
USA – Fracking: Ein Gericht im US-Bundesstaat Oklahoma befasst sich derzeit mit der Frage, ob Fracking Erdbeben verursacht. Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin am 5. November 2011 bei einem Erdbeben durch herunter fallende Brocken in ihrem Haus verletzt. Sie vertritt die Ansicht, dass das Fracking der Ölkonzerne New Dominion und Spess ursächlich für die Erschütterungen war. Sollte das Gericht ihre Meinung teilen, könnte dies erhebliche Schadensersatzprozesse für entsprechende Unternehmen bedeuten. Die FAZ (Winand von Petersdorff) schildert unterschiedliche Ansichten zu der umstrittenen Frage der Konsequenzen des Fracking.
Sonstiges
Blockupy: Anlässlich der Ausschreitungen bei den Blockupy-Demonstrationen in Frankfurt am Main erläutert der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Hans Hugo Klein in der FAZ, weshalb die Versammlung hätte verboten werden müssen. Die Versammlung sei in ihrer friedlichen Form konstituierend für die Demokratie, jedoch nicht, wenn Gewalt von ihr ausgeht. Klein erklärt unter welchen Voraussetzungen eine wahrscheinlich gewaltsame Veranstaltung verboten oder mit erheblichen Auflagen belegt werden kann und betont, dass ein entsprechendes Vorgehen notwendig sei, um die staatliche Schutzpflicht vor allem gegenüber Gesundheit und Eigentum Dritter erfüllen zu können.
NSU-U-Ausschuss BaWü: Der baden-württembergische NSU-Untersuchungsausschuss wird ermitteln, ob sich mehr als nur zwei Polizeibeamte der rassistischen Organisation "European White Kings of Ku Klux Klan" anschließen wollten. Achim Schmid, früherer V-Mann des Verfassungsschutzes, sagte den "Stuttgarter Nachrichten", dass fünf bis sechs Polizisten offen mit der Organisation sympathisiert hätten. Bisher waren zwei Polizeibeamte bekannt, welche Mitglied im Ku-Klux-Klan Schwäbisch-Hall waren. Der Untersuchungsauschuss wird voraussichtlich auch Schmid als Zeugen laden. Dies meldet die FAZ (Rüdiger Soldt). Auch focus.de schreibt über die Verbindungen der baden-württembergischen Polizei zum Ku-Klux-Klan.
Die Grünen im Bundestag fordern die NSU-Untersuchungsausschüsse dazu auf, für die Sicherheit ihrer Zeugen zu sorgen und gegebenenfalls "proaktiv Personenschutz anzubieten". Zudem müsse die Identität der Zeugen besser geschützt werden. Mit der am vergangenen Samstag verstorbenen 20-jährigen Zeugin des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses sind bereits drei Zeugen des NSU-Komplexes verstorben. Der Vorsitzende des baden-württembergischem NSU-Untersuchungsausschusses Wolfgang Drexler (SPD) hingegen sei der Ansicht, dass die Zeugen ausreichend Schutz erhielten. Die taz (Tobias Schulze) informiert.
Das Letzte zum Schluss
Cleverer Einbrecher: Zwei Polizisten waren in einem Haus auf der Suche nach einem Einbrecher. Nachdem sie nicht fündig wurden, wandten sie sich vertrauensvoll an einen Nachbarn. Der "Nachbar" führte die Beamten in ein Zimmer und schloss dieses sogleich zu. Dann rief er 110 an und gab vor, zwei falsche Polizisten entdeckt und eingesperrt zu haben. Die gefangenen Gesetzeshüter machten wohl keine Anstalten sich zu befreien, sondern warteten brav, bis ihre Kollegen sie befreiten. Dies meldet r24.de.
Einheitliche Juristenausbildung: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) plant eine Reform der Juristenausbildung – Ziel seien bundeseinheitliche Staatsexamina. Deren Regulierung soll nur noch teilweise von den Ländern vorgenommen werden. Für die Zahl der Klausuren, den Pflichtstoff und die mündlichen Prüfung sollen einheitliche Vorgaben ausgearbeitet werden. Ein wesentlicher Beweggrund der Reform sei, "die allgemein als zu einfach empfundenen Prüfungen in Bayern auf ein Niveau mit den anderen Bundesländern zu bringen", weiß juraexamen.info.*
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Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage .
* Dieser offensichtlich als Aprilscherz gemeinte Beitrag wurde zunächst als "Thema des Tages" aufgeführt, zur Vermeidung von Missverständnissen aber schließlich an das Ende der Presseschau gesetzt.
Die juristische Presseschau vom 02. April 2015: Kannibalen-Mord – Palästina im IStGH – Unternehmen und Menschenrechtsschutz . In: Legal Tribune Online, 02.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15139/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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