Der EuGH durchkreuzt die Rechnung von AGG-Hoppern. Außerdem in der Presseschau: Donald-Test in Sicherheitsfragen, Kündigung wegen Wiederehe nun vor EuGH und Bayern für Sicherheit durch Stärke.
Thema des Tages
EuGH zu Scheinbewerbung: Eine nicht ernst gemeinte Bewerbung ist rechtsmissbräuchlich und somit nicht durch die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt. Dies entschied der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts hin. Er argumentiert, der Kläger habe sich offensichtlich nur beworben, um formal als Bewerber zu gelten und nach Ablehnung Entschädigungen zu beanspruchen. Im vorliegenden Fall hatte das beklagte Unternehmen R+V Versicherung auf die Bewerbung eines Münchener Rechtsanwalts auf eine Trainee-Stelle hin mit einer Absage reagiert. Daraufhin versuchte der Betroffene eine Entschädigung wegen alters- und geschlechterspezifischer Diskriminierung geltend zu machen und ging letztlich in Revision vor das BAG. Die taz (Christian Rath) setzt sich mit der Entscheidung auseinander. Rechtsanwalt Thomas Gennert zeichnet den Fall auf lto.de nach und verweist darauf, dass auch das nationale Recht (etwa die Grundsätze des Rechtsmissbrauchs) das gleiche Ergebnis bedingt hätte; die Vorlage scheine ihm daher nicht notwendig.
Rechtspolitik
Diskussion über innere Sicherheit: Die aktuellen Vorschläge zur inneren Sicherheit erstrecken sich über leichtere Abschiebungen und schärferes Waffenrecht bis zum Einsatz von Bundeswehr im Inneren. Die BadZ (Christian Rath) analysiert die vorgeschlagenen Maßnahmen und schließt: "Mehr Polizei für die bestehenden Gesetze ist sicher besser als neue Gesetze ohne zusätzliches Personal." Die Welt (Michael Fischer) befasst sich mit Angela Merkels (CDU) Neun-Punkte-Plan für mehr Sicherheit. Ihre vorgeschlagenen Maßnahmen seien größtenteils entweder bereits geplant, fielen in die Zuständigkeit der EU oder seien schwer umsetzbar.
Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck bemerkt auf blog.zeit.de, welche "argumentative Kraft und Wirkmacht" das Recht mit Blick auf Menschen- und Bürgerrechte in der aktuellen Diskussion um innere Sicherheit mitbringen kann. Praktische Solidaritätsarbeit trage zu einer sicheren Gesellschaft für alle bei, setze aber voraus, dass die Menschenrechte weiterhin erkämpft und die Menschenwürde jedes Menschen geschützt werde.
verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) erklärt unter dem Titel "der Donald-Test", warum er trotz des Terrors und der Angst der letzten Wochen dagegen sei, die staatlichen Sicherheitsbefugnisse auszubauen. Beispiele wie die Türkei, Ungarn oder Österreich zeigten, dass der "Verlust aller verfassungskulturellen Gewissheiten in Demokratien" "nicht nur abstrakt, sondern ganz real möglich ist und teilweise sogar bereits passiert." Es sei daher vor dem Ausbau der Sicherheitsbefugnisse zu erörtern, ob diese noch wünschenswert seien, wenn sie etwa in die Hände von Donald Trump fielen.
Bayerische Sicherheitspolitik: Das bayrische Kabinett hat verschiedene Maßnahmen verabschiedet, die die innere Sicherheit gewährleisten sollen. So soll die Polizei personell und durch neue Ausrüstung gestärkt und die Videoüberwachung ausgebaut werden. Bayern fordert nach wie vor vom Bund, die Vorratsdatenspeicherung auszuweiten und das Straf- und Ausländerrecht zu verschärfen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) befürworte sogar, die Möglichkeit einzuführen, straffällige Ausländer in Krisengebiete abzuschieben, schreiben SZ (Wolfgang Wittl) und FAZ (Albert Schäffer – Zusammenfassung).
Christian Bommarius (FR) liest die Erwägung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) wie folgt: "Der Bruch des Völkerrechts, die Außerkraftsetzung von Menschenrechten darf kein Tabu sein." Es sei offensichtlich, dass dieses Vorgehen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoße.
Justiz
EuGH zu Rechtswahlklauseln: Der Europäische Gerichtshof hat erneut bestätigt, dass Online-Händler, die europaweit tätig sind, sich in den AGB ihrer Verbraucherverträge nicht auf das Recht ihres Staates festlegen dürfen. Honorarprofessor Niko Härting schildert auf lto.de, warum die Regelungen der Rom I-Verordnung dazu führen, dass die betroffenen Online-Händler faktisch das Verbraucherschutzrecht sämtlicher EU-Staaten berücksichtigen müssen. Der EuGH bestätigte zudem, dass nur das Datenschutzrecht der Länder Anwendung finde, in denen Amazon eine Niederlassung habe.
BAG – Kündigung wegen Wiederehe: Darf ein katholisches Krankenhaus seinem katholischen Chefarzt kündigen, weil er wieder geheiratet hat, obwohl seine evangelischen Kollegen trotz zweiter Ehe bleiben durften? Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Dieses soll klären, ob die kirchliche Vorgehensweise den EU-Gleichbehandlungsrichtlinien entspricht. Das BAG befasst sich derzeit erneut mit dem Fall und bleibt bei seiner Argumentation, auch nachdem das Bundesverfassungsgericht dessen Entscheidung, die Kündigung für unwirksam zu erklären, aufgehoben und den Fall zurück verwiesen hatte. sz.de berichtet.
StA Stuttgart zu Wiedeking: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat angekündigt, die Revision im Fall des früheren Porsche-Chefs Wiedeking und seines Finanzvorstands Härter zurückzunehmen, meldet welt.de. Der Freispruch sei damit rechtskräftig.
StA München I – Amoklauf: Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I im Fall des Amoklaufs in München fokussieren sich auf das Motiv von David Ali S.; dabei spielten auch Übergriffe seiner Mitschüler auf ihn eine Rolle. Die StA prüfe zudem, ob eine rechtsextreme Gesinnung als Motiv in Frage komme. Unter anderem SZ (Martin Bernstein/Susi Wimmer), taz (Patrick Guyton) und FAZ (Karin Truscheit) informieren.
StA München II – Audi: Im Ermittlungsverfahren um etwaige Abgasmanipulationen von Audi habe die Staatsanwaltschaft München II bislang kein ausreichendes Verdachtsmoment, um weitere Ermittlungsmaßnahmen, etwa eine Durchsuchung, einzuleiten, erklärt die SZ (Claus Hulverscheidt/Klaus Ott). In den USA hingegen sei Audi zusammen mit VW wegen der Abgasaffäre angeklagt. Die US-Umweltbehörde EPA habe allerdings entsprechende Bescheinigungen, die eine Verantwortung von Audi beweisen sollen, noch nicht an die StA in München übermittelt.
StA Potsdam – kriminelle Vereinigung: Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat sechs Personen unter anderem wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Einen von ihnen, den NPD-Politiker Maik Schneider, sieht die StA als Rädelsführer an, meldet zeit.de. Die Angeschuldigten sollen etwa zusammen eine für Flüchtlinge vorgesehene Notunterkunft in Brand gesetzt haben.
Recht in der Welt
Polen/EU-Kommission – Justizreform: Florian Hassel (SZ) korrigiert Jarosław Kaczyński, welcher behauptet, das Rechtsstaatsverfahren der EU-Kommission sei unionsrechtswidrig. Hassel meint, dem Chef der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit sei durchaus bewusst, dass seine Kritik nicht stimme, er nutze diese aber als Erklärung an seine Wählerschaft.
Im Interview mit lto.de (Constantin van Lijnden) erläutert der Europarechtler Thomas Giegerich die Kompetenzen der EU-Kommission im Rechtsstaatsverfahren, den derzeitigen Stand sowie weitere mögliche Maßnahmen im Fall Polen und, warum ein Vertragsverletzungsverfahren hier nicht möglich ist.
EU- und Türkei-Verhältnis: Die SZ (Daniel Brössler/Thomas Kirchner) spricht mit dem EU-Kommissar für EU-Erweiterungen Johannes Hahn über die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, ihre Reaktion auf den Putsch, ihre Rechtsstaatlichkeit und über den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal. Hahn sieht noch die Möglichkeit, dass die Türkei der EU beitreten könne und betont, der Einfluss der EU auf die Türkei im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit sei "beachtlich", wenn sich die Parteien in Beitrittsverhandlungen befinden.
Nachdem die Bundesregierung Erdogan lediglich dazu ermahnte, verhältnismäßig auf den Putsch zu reagieren, moniert Klaus Geiger (Die Welt), Unabhängigkeit der Justiz und Meinungsfreiheit seien ihr "verhältnismäßig egal". "Wäre es in den Augen der Kanzlerin verhältnismäßiger gewesen, nur eine Nachrichtenagentur zu schließen und nur, sagen wir, 32 Zeitungen?", mokiert er sich und meint, Mahnungen werden Erdogan nicht aufhalten.
Sonstiges
Fettleibigkeit im Beruf: Darf der Arbeitgeber Kleidergrößen vorgeben oder Arbeitnehmer nach dem Gewicht fragen? bild.de beantwortet verschiedene Fragen zum Thema Adipositas im Beruf und gibt Tipps zum Kündigungsschutz.
Tiertötung: Dürfen wir Küken töten? Mit der Frage des Rechts auf Leben von Tieren befasst sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tatjana Visak auf juwiss.de aus moralphilosophischer Sicht. Sie betont, ein absolutes Tötungsverbot sei in der Regel nicht zu rechtfertigen, führt aber moralphilosophische Argumente an, die dafür sprechen, heute übliche Praktiken etwa in Fleisch- oder Eiproduktion abzulehnen.
Das Letzte zum Schluss
Kann ja mal passieren...: Ein chinesisches Ehepaar ist über ihre gemeinsame Weltreise in Niedersachsen gelandet – bis sich ihre Wege an einem Rastplatz trennten. Dort hat der Mann seine Frau vergessen, die schließlich alleine an der Autobahn entlang zu Fuß ihre Reise fortsetzte, wo die Polizei sie aufgriff. Für die Beamten war es nicht so leicht, den Fall zu klären – Chinesischkenntnisse gehören nun nicht gerade zu den Grundvoraussetzungen des Polizeidienstes – nach einigen Stunden konnte die Frau die gemeinsame Reise allerdings wieder fortsetzen, meldet spiegel.de.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. Juli 2016: EuGH gegen AGG-Hopping / zur Sicherheit den Donald-Test / Kirche gegen Wiederehe II . In: Legal Tribune Online, 29.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20040/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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