BGH stärkt die Rechte homosexueller Eltern. Außerdem in der Presseschau: Reker-Attentäter schuldfähig, keine Gebühr für Wohnungsbesichtigung, kein Doktor für Snowden, Jubiläum des Grundrechtereports und Maas zur "Debattenkultur".
Thema des Tages
BGH zu zwei Müttern: In einer lesbischen Ehe wird nach südafrikanischem Recht auch die Ehefrau einer Mutter rechtlich als Mutter angesehen, wenn ihre Partnerin ein Kind zur Welt bringt. Diese südafrikanische Regelung muss auch in Deutschland anerkannt werden, entschied der Bundesgerichtshof. Im vorliegenden Fall hat eine Deutsch-Südafrikanerin beim Standesamt Berlin beantragt, das leibliche Kind ihrer südafrikanischen Ehefrau im Geburtenregister und das Ehepaar als Eltern eintragen zu lassen. Die Behörde hatte ihr dies versagt unter Hinweis darauf, dass das deutsche Recht lediglich die Südafrikanerin als Mutter ansehe. Die Karlsruher Richter verpflichteten das Standesamt nun zur Eintragung, das Kind stamme nach südafrikanischem Recht auch von der nicht-leiblichen Mutter ab und habe damit die deutsche Staatsbürgerschaft, schreiben tagesschau.de (Klaus Hempel), SZ (Wolfgang Janisch), FR (Ursula Knapp) und FAZ (Marlene Grunert) über einen nun veröffentlichen Beschluss vom April diesen Jahres.
"Willkommen im 21. Jahrhundert", kommentiert Wolfgang Janisch (SZ) die Entscheidung. Die Fragen rund um das Thema Familie würden dringender, da zum einen gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und Ehen häufiger eingegangen würden und zum anderen die Reproduktionsmedizin Fortschritte mache und sich in beiden Fällen die Rechtslage von Land zu Land unterscheide. Reformbedarf zeige sich insbesondere bei der Frage der Leihmutterschaft – es brauche endlich Klarheit, was Familie im 21. Jahrhundert bedeute.
Rechtspolitik
Sichere Maghrebstaaten: Am morgigen Freitag will der Bundesrat darüber abstimmen, ob die Maghrebstaaten als sichere Herkunftsländer anzusehen sind. Das Hbl (sk) weist in einer Meldung noch einmal darauf hin, dass dafür auch die Stimmen der grün regierten Länder notwendig sind, welche das geplante Gesetz überwiegend ablehnen. Die taz (Ulrich Schulte) erklärt, warum es unwahrscheinlich sei, dass die Grünen ihre Zustimmung geben – obwohl die Regierung nun noch Kompromisse anbiete.
Die taz (Jan Schapira) betont in einem ausführlichen Artikel am Beispiel Marokko, gegen die Einstufung als sichere Herkunftsländer spreche, dass die Rechte Homosexueller in den Maghrebstaaten nicht geachtet würden.
Erbschaftsteuer: Wie das Hbl (dri) meldet, geben Sigmar Gabriel (SPD), Wolfgang Schäuble (CDU) und Horst Seehofer (CSU) vor dem heutigen Treffen übereinstimmend an, dass sie sich wohl über die Erbschaftsteuer einigen werden. Der Beitrag erinnert an die strittigen Punkte.
Sexualstrafrecht: Jost Müller-Neuhof (Tsp) erklärt, warum eine "Nein heißt Nein"-Reform zwar nicht nötig, aber sinnvoll sei. Eine Schutzlücke gebe es im deutschen Sexualstrafrecht so nicht, erklärt er, dies verhinderten die ohnehin schon scharfen Regelungen sowie entsprechende Rechtsprechung. Allerdings erzeugten einzelne fehlerhafte Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ein verzerrtes Bild. Das Thema tauge daher nicht für politische Richtungsweisungen, aber für "allerlei Kampagnen auf gefühliger Flamme".
Kontrollgremium: lto.de greift die Kritik des Deutschen Anwaltvereins an den Beschlüssen der Regierungskoalition in Sachen Parlamentarisches Kontrollgremium für die Geheimdienste auf. Der DAV fordert einen unabhängigen "Anwalt der Betroffenen".
Justiz
OLG Düsseldorf – Reker-Attentat: Frank S., der die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker lebensgefährlich verletzt hatte, ist voll schuldfähig. Zu diesem Schluss kam der Gutachter Norbert Leygraf. Für verminderte Schuldfähigkeit gebe es keine Hinweise, meldet die FAZ (Reiner Burger). spiegel.de (Wiebke Ramm) gibt die Erklärungen des Psychiaters wieder.
Angesichts des anstehenden Urteils kommende Woche setzt sich die Zeit (Daniel Müller) im Recht und Unrecht-Teil ausführlich mit dem Reker-Attentat auseinander. Der Beitrag resümiert die rechtsradikale Vergangenheit des Täters, setzt sich mit dessen Motiv und Schuldfähigkeit auseinander und vollzieht Tathergang wie auch die Vita von Frank S. nach.
LG Stuttgart zu Besichtigungsgebühr: Immobilienmakler dürfen keine Gebühren dafür verlangen, dass potentielle Mieter eine Wohnung besichtigen. Dies entschied das Landgericht Stuttgart und argumentierte, das Vorgehen sei nicht von Wohnungsvermittlungsgesetz und Bestellerprinzip gedeckt. Die SZ (Benedikt Müller/ Felicitas Wilke) informiert über das mieterfreundliche Urteil.
BVerwG zu Rundfunkbeitrag: Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut mehrere Klagen gegen den Rundfunkbeitrag abgewiesen. Bereits im März hatten die Leipziger Richter die Abgabe für rechtmäßig erachtet, meldet die SZ im Medienteil.
LG Hamburg zu totem Säugling: Das Landgericht Hamburg hat eine Mutter, die ihr Baby erstickt hatte, wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt. Ihr Verteidiger hatte auf eine Haftstrafe zwischen zwei und drei Jahren wegen Totschlags im minderschweren Fall plädiert. spiegel.de (Julia Jüttner) setzt sich ausführlich mit dem Fall auseinander.
VG Schwerin zu Ehrendoktor für Snowden: Das Verwaltungsgericht Schwerin sieht die Voraussetzungen für die Vergabe einer Ehrendoktorwürde an Edward Snowden durch die Philosophische Fakultät der Universität Rostock nicht erfüllt und entspricht damit der Klage der Hochschulleitung und des zuständigen Ministers. lto.de (Hermann Horstkotte) erläutert die Argumentation und gibt Beispiele für Ehrendoktoren für "Könner und Gönner".
LG Hamburg zu Böhmermann: In der dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) jetzt vorliegenden schriftlichen Begründung des Böhmermann-Beschlusses erläutert das Landgericht Hamburg seine Zweifel daran, dass es sich bei dem Schmähgedicht des Satirikers um Kunst handele. Die FAZ (Patrick Bahners) zitiert in ihrem Feuilleton aus der Begründung und bringt Argumente für Böhmermann an, die unberücksichtigt geblieben seien. Erdogans Trumpf sei die Menschenwürdegarantie gewesen – das "Geschmacksurteil" aus Hamburg verheiße nichts Gutes für einen etwaigen Strafprozess.
OLG München – NSU: Im NSU-Prozess hat der Vorsitzende Richter Manfred Götzl einen Berliner Beamten der Kriminalpolizei scharf zurechtgewiesen und daran erinnert, dass er dazu verpflichtet sei, wahrheitsgemäß zu antworten, so spiegel.de.
BVerfG – OMT-Programm: Am kommenden Dienstag will das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum OMT-Programm der EZB verkünden. Die FAZ (Reinhard Müller) verteidigt im Ressort Zeitgeschehen die Terminwahl (Kritiker sehen einen Zusammenhang zum Brexitreferendum) und erläutert die Tragweite der Entscheidung.
BVerwG zu Stuttgart 21: Das Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer Christofer Lenz erläutert jetzt auch auf lto.de, warum das Bundesverwaltungsgericht ein Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 für unzulässig hält.
Recht in der Welt
Südafrika – Pistorius: Die SZ (Tobias Zick) zeichnet den Fall Pistorius nach. Nachdem die Berufungsinstanz den früheren Sprinter wegen "murder" (entspricht in etwa Totschlag) verurteilte, soll das Gericht der ersten Instanz in Pretoria am morgigen Freitag über das Strafmaß entscheiden. Die Staatsanwaltschaft hatte vergangenen Mittwoch eine Haftstrafe von 15 Jahren gefordert. Auch die FAZ (Peter-Philipp Schmitt) berichtet.
Brexit: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) spricht mit dem Professor für Öffentliches Recht Christoph Möllers darüber, was der Brexit für die EU bedeuten würde. Das Rechts- und Wirtschaftsverhältnis zwischen EU und Großbritannien hinge im Wesentlichen vom Ausgang von Verhandlungen ab. Das ausführliche Interview behandelt das Fehlen einer europäischen Vision, nationale Probleme Großbritanniens und den Umgang mit nationalen Identitäten in der EU im Allgemeinen, eine mögliche EU-Strategie in Sachen Brexit sowie Vorteile eines Brexits.
Katar – Anzeige einer Vergewaltigung: Die SZ (Tomas Avenarius) greift den Fall einer Niederländerin auf, die in Katar vergewaltigt wurde, dies anzeigte und schließlich wegen außerehelichen Sex verurteilt wurde. Katar lasse nicht nur im Sexualstrafrecht Rechtsstaatlichkeit vermissen, sondern unter anderem auch bei den für die Fußball-Weltmeisterschaft tätigen Gastarbeitern.
Sonstiges
Jubiläum des Grundrechtereports: Den Grundrechtereport mache "eine gewisse Sturheit in Verfassungsfragen" aus, konstatiert die SZ (Wolfgang Janisch) anlässlich dessen 20-jährigen Jubiläums. Die aktuelle Ausgabe setze sich unter anderem kritisch mit den Themen Flüchtlinge und Datenschutz auseinander. Der Beitrag hebt den Fall eines Friedensaktivisten hervor, welcher zeige, dass manche im Report aufgegriffenen Probleme bereits seit dessen Gründungszeit bestünden – so handelten die unteren Instanzen die Meinungsfreiheit "mit sehr kleiner Münze". Die taz (Christian Rath) schildert den Fall und informiert über die Arbeit des Grundrechtereports. swr.de (Gigi Deppe) skizziert den Inhalt des diesjährigen Reports.
Neutralität des Verfassungsschutzes: Die FAZ (Claus Peter Müller) greift die Frage auf, ob der thüringische Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer einen Wahlaufruf für Volker Beck hätte unterzeichnen dürfen oder ob dies gegen seine Neutralitätspflicht verstoße.
Maas zu "kluger Debattenkultur": Justizminister Heiko Maas (SPD) setzt sich in einem ausführlichen Zeit-Gastbeitrag für eine "kluge Debattenkultur" und mutigeres Streiten ein; er beleuchtet die derzeitigen Probleme der Diskutierenden (insbesondere im Internet) sowie die Rolle des Strafrechts. Maas begrüßt die politische Debatte und betont: "Wenn sie Gutes bewirken soll, brauchen wir einen Streit um Inhalte. Wechselseitige Beschimpfungen bringen uns nicht weiter. Wir brauchen Politisierung statt Polarisierung."
Jost Müller-Neuhof (Tsp) fragt sich, was Maas damit meint, wenn er von "mutig streiten" schreibt. Anlässlich des Streits um Vielfachehen und Ehen mit Minderjährigen moniert er, Rechtspopulisten die Themen zu klauen, sei nicht mutig. "Mutig streiten" hieße daher laut Maas wohl, mutmaßt Müller-Neuhof, "mit einem entschlossen klingenden Gemeinplatz auf die antiislamische Sahne zu hauen. Mutig handeln wird schon schwerer."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2016: Mehr Rechte für lesbische Mütter / Maas für "kluge Debattenkultur" / Grundrechtereport-Jubiläum . In: Legal Tribune Online, 16.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19679/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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