Der Angeklagte im Auschwitzprozess hat ein Geständnis abgelegt und Reue gezeigt. Außerdem in der Presseschau: Neues Strafgesetz gegen Datenhehlerei, Reform der Vorsatzanfechtung, 10-Punkte-Plan nach Flüchtlingsunglück, Mohammed Mursi zu 20 Jahren Haft verurteilt und warum man einen Diktator lieber nicht nach einem Autogramm fragen sollte.
Thema des Tages
LG Lüneburg – Auschwitzprozess: Am ersten Prozesstag vor dem Landgericht Lüneburg hat der Angeklagte, ein ehemaliger Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz, seine Beteiligung zum Teil eingeräumt und um Verzeihung gebeten. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen vorgeworfen; er war dafür verantwortlich, die Wertgegenstände der Deportierten zu sammeln und an die SS weiterzuleiten. Die SZ (Peter Burghardt), die FAZ (Alexander Haneke), die taz (Klaus Hillebrand), die Welt (Per Hinrichs) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichten ausführlich vom gestrigen Prozessauftakt. "Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", habe der Angeklagte ausgesagt.
Die SZ (Robert Probst) erklärt den juristischen Hintergrund der jüngsten Ermittlungen und Verfahren gegen ehemalige NS-Verbrecher. Auslöser sei das Urteil des Landgerichts München II im Fall Demjanjuk, das – anders als die Rechtsprechung der Nachkriegsjahre – den Beklagten als "Teil eines eingespielten Apparats zum Zwecke der Ermordung möglichst vieler Menschen" verurteilt habe.
Heribert Prantl (SZ) kommentiert, dass die Reue des Angeklagten einen neuen "Akzent in der unguten Geschichte der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen" bilde. Deswegen sei es gut, dass der Prozess noch so spät geführt werde.
Rechtspolitik
Datenhehlerei: Neben der Vorratsdatenspeicherung plant die Bundesregierung die Einführung einer neuen Strafnorm der "Datenhehlerei". internet-law.de (Thomas Stadler) stellt den Gesetzentwurf zum neuen § 202 d StGB vor und kritisiert, dass er keine Ausnahme für Zwecke der Berichterstattung vorsehe, sodass sich Journalisten strafbar machen könnten.
Vorsatzanfechtung: Der Vorsitzende des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands Christoph Niering erläutert in der FAZ einen Referentenentwurf des Justizministeriums zur Reform der Regelung zur Insolvenzanfechtung. Statt einer bloßen Benachteiligung der Insolvenzgläubiger soll künftig erst eine "unangemessene Benachteiligung" die Folgen der Insolvenzanfechtung auslösen können. Zudem soll der Verjährungszeitraum von zehn Jahren auf vier Jahre gesenkt werden.
IT-Sicherheitsgesetz: Die taz (Martin Kaul) fasst die Kritik am geplanten IT-Sicherheitsgesetz zusammen. Viele Experten hielten das Gesetz für bedenklich, weil Unternehmen bei Hackerangriffen Daten an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik melden sollen, wo auch das Bundeskriminalamt und der Bundesverfassungsschutz ihren Sitz haben und die Daten für ihre Zwecke nutzen könnten. Zudem sehe der Entwurf keine Löschfrist für die gespeicherten Daten vor.
Vorratsdatenspeicherung: Die taz (Christian Rath) führt ein Interview mit dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Fechner, der als Kritiker der Vorratsdatenspeicherung gilt. Fechner hält den Vorschlag zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung für einen guten Kompromiss und will Justizminsiter Heiko Maas (SPD) unterstützen.
Flüchtlingspolitik: Die Juniorprofessorin Nora Markard kritisiert vor dem Hintergrund der aktuellen Schiffsunglücke auf dem Mittelmeer die restriktive europäische Flüchtlingspolitik bei verfassungsblog.de. Viele der verunglückten Menschen hätten einen Anspruch auf internationalen Schutz, der aber durch die Abschottung der EU unterlaufen werde und die Flüchtlinge auf gefährliche Fluchtwege bringe: "Wer nicht will, dass Schlepper profitieren, muss legale Zugangswege zu schützendem Asyl schaffen". Die taz (Christian Jakob/Eric Bonse) stellt den 10-Punkte-Plan der EU vor, der am morgigen Donnerstag auf einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der EU diskutiert werden soll. Geplant sei unter anderem eine Stärkung von Frontex und eine härtere Verfolgung von Schleppern durch die Zerstörung von Booten.
Justiz
EuGH zum Einkommensteuergesetz: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verstößt eine Regelung im Einkommensteuergesetz gegen die Niederlassungsfreiheit, mit der Steuern auf Gewinne aus Verkauf von Anlagenvermögen, das zu einer deutschen Betriebsstätte gehört, gestundet werden. Das meldet die FAZ (Joachim Jahn).
BFH zu Kassenbelegen: Wie die FAZ (Joachim Jahn) meldet, hat der Bundesgerichtshof am 16. Dezember 2014 entschieden, dass ein Einzelhändler bei der Betriebsprüfung die einzelnen Geschäftsvorfälle nachweisen müsse, wenn er sich für ein Kassensystem entschieden habe, das jeden Vorgang speichern kann.
LG Frankfurt zu Aufsichtsratsbesetzung: Das Landgericht Frankfurt hat am 16. Februar 2015 entschieden, dass bei der Berechnung der Schwellenwerte für die Arbeitnehmermitbestimmung in Aufsichtsräten die Arbeitnehmer ausländischer Tochterunternehmen der inländischen Muttergesellschaft zugerechnet werden. Die Entscheidung weiche von der bisherigen Unternehmenspraxis ab, erklärt André Zimmermann auf lto.de und erläutert die Folgen des Beschlusses.
LG Hamburg zu Internet-Werbeblockern: Adblock Plus und andere Werbeblocker dürfen auch künftig zum Ausblenden von Online-Werbung eingesetzt werden. Das Landgericht Hamburg entschied, dass es sich bei der Maßnahme um keine wettbewerbswidrige Behinderung werbefinanzierter Onlinemedien handle, meldet lto.de. Damit hat es die Klagen von Zeit Online und dem Handelsblatt abgewiesen.
LAG Baden-Württemberg zu nachträglicher Befristung: Ein zunächst unbefristetes Arbeitsverhältnis kann unter anderem dann nachträglich in ein befristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt werden, wenn die Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers geschieht. Wie blog.beck.de (Christian Rolfs) meldet, ist dieses Kriterium nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg auch dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer nach einer langen Überlegungsfrist das Angebot seines Arbeitgebers zusammen mit attraktiven finanziellen Anreizen annimmt.
OLG Celle zu Unterlassungshaftung: Rechtsanwalt Oliver Stegmann bespricht in der FAZ ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle zur Reichweite der Haftung von Unterlassungsschuldnern. Das Gericht habe entschieden, der Schuldner eines Unterlassungsangebots müsse sicherstellen, dass die betroffenen Inhalte auch nicht mehr bei Suchmaschinen aufgerufen werden können. Damit habe das Gericht fehlerhaft eine Haftung für das Verhalten von Dritten begründet, die zum Unterlassungsschuldner in keiner Beziehung stehen.
StA Koblenz – Hells Angels: spiegel.de (Jörg Diehl) berichtet von einer groß angelegten Razzia gegen die Mitglieder des Rockerklubs Hells Angels, bei dem 650 Beamte zum Einsatz kamen. Grund seien die Ermittlungen gegen den Klub wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, erpresserischen Menschenraub, der Nötigung und Körperverletzung.
LG Essen – Thomas Middelhoff: Das Landgericht Essen teilte am gestrigen Dienstag mit, dass Thomas Middelhoff die Untersuchungshaft gegen eine Kaution von 895.000 Euro und Meldeauflagen verlassen darf, berichtet die FAZ (Joachim Jahn). Die SZ (Uwe Ritzer) schildert ausführlich die Auseinadersetzungen von Middelhoff mit Josef Esch rund um eine Grundstücksgesellschaft. Das Handelsblatt (Massimo Bognanni) stellt den für Middelhoff bestellten Insolvenzverwalter und seine Arbeit vor.
Recht in der Welt
EuGH zu biometrischen Daten: netzpolitik.org (Anna Biselli) stellt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu biometrischen Daten von vergangener Woche vor. Dabei ging es um die Klage eines Niederländers, dem die Ausstellung eines Reisepasses verweigert wurde, weil er keine Fingerabdrücke abgeben wollte. Das Gericht habe entschieden, dass die EU-Verordnung 2252/2004, die bestimmte Kriterien für die Speicherung von biometrischen Daten enthält, auf Personalausweise nicht anwendbar ist. Zudem lasse sich aus der Verordnung keine Pflicht für die Mitgliedsstaaten herleiten, die Nutzung der gespeicherten Daten für anderweitige Zwecke zu unterbinden.
EGMR zu Schadensersatz gegen Rumänien: Wie zeit.de meldet, wurde Rumänien vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt; in einem Fall für menschenunwürdige Haftumstände und in einem zweiten Fall wegen mangelnder Aufklärung eines Todesfalls.
Italien – Unabhängigkeitsbestrebungen: Cristina Fasone vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz befasst sich in einem ausführlichen, englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de mit verfassungsrechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer möglichen Unabhängigkeitserklärung der italienischen Region Veneto stellten. Hierfür analysiert sie zwei Gesetze des Regionalparlaments, die zum Zwecke eines Unabhängigkeits-Referendums erlassen worden sind.
Ägypten – Mursi verurteilt: Der frühere ägyptische Präsident Mohammed Mursi ist in Kairo zu 20 Jahren Haft wegen Gewalt gegen Demonstranten verurteilt worden, berichten die SZ (Paul-Anton Krüger) und die taz (Beate Seel). Den Vorwurf, er sei für den Tod von Demonstranten verantwortlich gewesen, habe das Gericht nicht als erwiesen angesehen.
Italien – Ermittlungen nach Schiffsunglück: Gegen zwei Überlebende des Schiffsunglücks auf dem Mittelmeer, bei dem bis zu 800 Menschen gestorben sind, habe die italienische Polizei Ermittlungen wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung, Menschenhandel und Schiffbruchs eingeleitet, berichtet die FAZ (Jörg Bremer). Darunter sei mutmaßlich der Kapitän des verunglückten Schiffes.
Sonstiges
Ehrverletzungen: Bundesrichter Thomas Fischer setzt sich diese Woche im zweiten Teil seines Beitrags zu den Ehrverletzungen auf zeit.de näher mit dem Begriff der Ehre auseinander und erklärt den Hintergrund und Systematik der Ehrverletzungsdelikte. Dazu schildert er die grundrechtliche Abwägung mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
Das Letzte zum Schluss
Diktatorenautogramm: Die ungewöhnliche Leidenschaft eines Mannes aus dem Siegerland für Diktatorenautogramme ist vor dem Landgericht Siegen verhandelt worden. Er richtete eine E-Mail an den syrischen Diktator Baschar al-Assad mit der Bitte, ihm ein Autogramm zukommen zu lassen und wurde damit und mit seinem Namen bei Google gelistet. Die Mail wurde nämlich zusammen mit weiteren Dokumenten bei Wikileaks veröffentlicht. Vor dem LG Siegen begehrte der Autogrammjäger nun die Löschung der Fundstellen mit seinem Namen bei Google und hat sich nun mit Google verglichen, berichtet lawblog.de (Udo Vetter). Ein Autogramm habe er allerdings trotzdem nicht erhalten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. April 2015: Geständnis im Auschwitz-Prozess – Strafbarkeit von Datenhehlerei – Mohammed Mursi verurteilt . In: Legal Tribune Online, 22.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15312/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag