Der EuGH spricht sich gegen ein generelles Blutspendeverbot für homosexuelle Männer aus. Außerdem in der Presseschau: "Brachiale Schuldsprüche" – Kritik an Fischers Kolumne, BGH fällt Grundsatzurteil zum Anspruch auf Mietminderung wegen Lärm, Kritik an fehlender Kontrolle der Geheimdienste, Middelhoff auf freiem Fuß und eine interessante Methode zur Bekämpfung liegen gelassener Hundehaufen.
Thema des Tages
EuGH zu Blutspendeverbot für Schwule: Der Europäische Gerichtshof entschied am gestrigen Mittwoch, dass es unter bestimmten Bedingungen rechtmäßig sein kann, homosexuelle Männer von der Blutspende auszuschließen. Ein generelles Verbot sei unzulässig, wenn mildere Mittel den Gesundheitsschutz der Blutspendeempfänger gewährleisten können und kein hohes Übertragungsrisiko für Infektionskrankheiten wie AIDS vorliege. In ihrer Begründung verwiesen die Luxemburger Richter auf das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung aus der EU-Grundrechtecharta. Das vorlegende französische Gericht wird nun prüfen müssen, ob mildere Mittel – etwa neue Testmethoden oder eine spezifische Befragung der etwaigen Spender – zum Ausschluss einer Gefährdung in Frage kommen. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski) und taz (Christian Rath) schildern den zugrundeliegenden Fall und die Argumentation des Gerichts. Der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) verweist zudem darauf, dass als Reaktion auf das Urteil wohl die entsprechenden deutschen Richtlinien aktualisiert werden.
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und warnt davor in "jeder Ungleichbehandlung" gleich eine Diskriminierung zu wittern. Er stellt dar, weshalb er in der unterschiedlichen Behandlung von homosexuellen Männern keine Diskriminierung sieht und erläutert die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Diskriminierung. Auch Christian Rath (taz) weist darauf hin, dass nicht jede Ungleichbehandlung eine rechtswidrige Diskriminierung bedeuten muss. Im vorliegenden Fall wäre die Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn bei schwulen Blutspendern stets eine höhere Infektionsgefahr vorliegen würde – dies sei allerdings nicht pauschal zu bejahen, denn auch homosexuelle Männer können je nach individuellem Sexualverhalten das Risiko minimieren oder ausschließen. Eine "einsichtige Regel" für entsprechende Befragungen werde "sicher eher akzeptiert als ein genereller Ausschluss".
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Der Richter am Landgericht München I Markus Löffelmann führt in der FAZ aus, weshalb er bezweifelt, dass die Speicherung von Verkehrsdaten sich als "besonders schweren" Eingriff qualifizieren lässt.
EU-Erbrechtsverordnung: Ab dem 17. August diesen Jahres soll die EU-Erbrechtsverordnung in Kraft treten – für den Nachlass soll dann das Erbrecht des EU-Landes gelten, in welchem der Verstorbene zum Todeszeitpunkt "seinen gewöhnlichen Aufenthalt" hatte. rechtsauskunft.me resümiert Vor- und Nachteile für die Erblasser und gibt Beispiele für Unterschiede im Erbrecht der EU-Länder.
Justiz
BGH zu Bolzplatzlärm: Mieter dürfen nicht ohne Weiteres ihre Miete mindern, weil sie sich von dem Lärm eines angrenzenden Bolzplatzes gestört fühlen. Der Bundesgerichtshof hob mit seiner Entscheidung vom gestrigen Mittwoch das Urteil des Landgerichts Hamburg auf, welches hier einen Anspruch auf Mietminderung bejaht hatte. Mieter hätten nur dann das Recht, die Miete zu mindern, wenn sie ausdrücklich ein Verschlechterungsverbot mit dem Vermieter vereinbart haben oder dieser selbst in der Lage sei, rechtlich gegen den Lärm vorzugehen – hier könnte der Vermieter allerdings wegen des gesetzlichen Toleranzgebots für Kinderlärm kein Abwehrrecht haben. Dem LG obliege nun die Feststellung, ob tatsächlich Kinder oder vielmehr Jugendliche außerhalb der offiziellen Zeiten für die Geräuschbelästigung im vorliegenden Fall sorgten. Die SZ (Wolfgang Janisch) und der Tagesspiegel (Ursula Knapp) befassen sich mit dem Grundsatzurteil.
Wolfgang Janisch (SZ) hält es zwar für konsequent, dass Kinderlärm auch als Mieter geduldet werden muss, moniert jedoch, das Urteil sei insofern problematisch, als dass für langjährige Mieter die "Chancen, die Miete mit Hilfe der Gericht zu drücken" stagnierten.
BGH zu AGB des KfZ-Gewerbes: "Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln verjähren in einem Jahr ab Ablieferung des Kaufgegenstandes an den Kunden." Diese AGB-Klausel des Zentralverbands des KfZ-Gewerbes kippte der Bundesgerichtshof am gestrigen Mittwoch. Der Zivilrechtsprofessor Christian Wolf und der wissenschaftliche Mitarbeiter Tim Brockmann erläutern auf lto.de die Entscheidung und verschaffen einen Überblick über das relevante AGB-Recht.
OLG München zu Islamismus-Prozess: Das Oberlandesgericht München verurteilte am gestrigen Mittwoch einen 21-Jährigen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Der Verurteilte hatte sich, so der 7. Strafsenat, der Nusra-Front in Syrien angeschlossen und sei zur Tötung von Menschen bereit gewesen. Die FAZ (Albert Schäffer) gibt auch einen kurzen Einblick in den Verlauf der Radikalisierung und der militärischen Ausbildung des Heranwachsenden.
EuGH – OMT-Verfahren: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Verfahren um das sogenannte OMT-Programm ist am 16. Juni zu erwarten, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Das Bundesverfassungsgericht hatte dem EuGH den Fall über den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB zur Vorabentscheidung vorgelegt.
BVerfG – Richterbesoldung: Am kommenden Dienstag soll das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Angemessenheit der Richterbesoldung verkünden. Es sei zu erwarten, dass sich die Karlsruher Richter an der Entscheidung zur W2-Professorenbesoldung orientieren, schreibt die FAZ (Reinhard Müller) und erklärt, warum der zweite Senat diese für verfassungswidrig hielt.
OLG München – NSU-Prozess: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) informiert über den gestrigen Verhandlungstag im NSU-Prozess und über einen "der raren Zeugen im NSU-Prozess, die nicht versuchen, das Gericht mit dreistem Verhalten und frechen Antworten zu provozieren". Der Zeuge kannte das Trio, beschrieb die unterschiedlichen Charaktere, eine gemeinsam begangene Straftat und die Radikalisierung der Gruppe.
spiegel.de (Julia Jüttner/Björn Hengst) geht jetzt auch auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Norbert Nedopil zu Beate Zschäpe ein. Demnach leide die Angeklagte zunehmend unter der "Schweigestrategie" ihrer Verteidiger und an einer "Chronischen Belastungsreaktion". Auch die SZ (Annette Ramelsberger) greift jetzt Nedopils Gutachten auf.
LG Essen – Thomas Middelhoff: Nach Zahlung der Kaution von 895.000 Euro wurde Thomas Middelhoff aus der Untersuchungshaft entlassen. Er befand sich fünf Monate in Haft, da die zuständigen Richter des Landgerichts Essen von Fluchtgefahr ausgegangen waren. Unbekannt sei, wer die Kaution aufbrachte. Dies meldet die FAZ (Joachim Jahn) und gibt kurz die wichtigsten Informationen um das Verfahren wieder.
LG Göttingen – Transplantationsskandal: Im Fall des ehemaligen Chefarztes, welcher Daten seiner Patienten manipuliert und so eine zeitnahe Transplantation ermöglicht haben soll, plädierte die Verteidigung nun auf Freispruch – es gebe keine Beweise für eine "aktive oder passive Beteiligung" des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre Haft und ein Berufsverbot gefordert, so die FAZ (Andreas Nefzger).
LG Lüneburg – Auschwitz-Prozess: Die SZ (Karin Steinberger) hat die Zeugen im derzeitigen Auschwitz-Prozess besucht und schildert in einer Seite-Drei-Reportage die Erfahrungen der Opfer in Auschwitz und ihre Eindrücke von Prozess und Angeklagtem. Der Beitrag geht dabei auch auf die Rolle Oskar Grönings und dessen Aussagen ein und betont die Bedeutung des Verfahrens. Auch die FAZ (Alexander Haneke) berichtet von dem Verfahren – am gestrigen Verhandlungstag vor dem Landgericht Lüneburg sagte erstmals eine Nachgeborene von Überlebenden des Holocausts aus. Zudem äußerten sich auch Historiker als Sachverständige zu den Abläufen und Strukturen in Auschwitz und nahmen Stellung zu den Angaben Grönings.
Hanns Feigen im Porträt: Der Strafverteidiger von Jürgen Fitschen, Hanns Feigen, wird im Handelsblatt (Jan Keuchel/Kerstin Leitel/Christian Wermke) in der Rubrik "die Persönlichkeit der Woche" porträtiert – nicht ohne Bezug zum derzeitigen Deutsche-Bank-Verfahren und mit kleinen Einblicken in sein Privatleben. Der "selbstbewusste Ruhrpottler mit der bulligen Statur" hegt "massive Zweifel" an der Objektivität der Staatsanwaltschaft und nimmt "die Rolle des forschen Angreifers" ein. Zu Feigens bisherigen Mandanten zählen unter anderem Uli Hoeneß und Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel.
Recht in der Welt
Türkei – Freispruch für Gezi-Aktivisten: Am gestrigen Mittwoch wurden 26 Aktivisten der Gezi-Demonstrationen freigesprochen – sie standen unter anderem unter dem Verdacht eine kriminelle Vereinigung gegründet und an nicht genehmigten Demonstrationen teilgenommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von bis zu 29 Jahren gefordert. spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Rezension zu Fischers Kolumne: "Brachiale Schuldsprüche" – unter diesem Titel rezensiert der Richter am Berliner Kammergericht Urban Sandherr in der FAZ unter anderem die Kolumne des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Thomas Fischer. Er kritisiert, Fischers Ton sei "oft kaum zu ertragen" – auch beim Lesen seiner wissenschaftlichen Texte "verschlägt es den Atem". Sandherr schließt mit folgender Aussage: "Mit seinen brachialen Schuldsprüchen desavouiert und konterkariert Fischer, was das Rechtswesen so dringend bräuchte: fachliches Verständnis und konstruktive Kritik."
BND/NSA-Zusammenarbeit: "Was muss eigentlich passieren, bis etwas passiert?" Heribert Prantl (SZ - Videobeitrag) kritisiert, dass auch bei dem derzeitigen "BND-Skandal" – wie bei anderen entsprechenden Skandalen – das Phänomen der "Verantwortungsdiffusion" auftritt. Er moniert, "ernsthafte demokratische Kontrolle" der Geheimdienste sei nicht vorhanden. "Dass es diese Kontrolle nicht gibt, ist ein Skandal, der alle bisherigen Geheimdienstskandale miteinander verbindet."
Nacktbilder im Internet: Der Medienrechtler Niklas Haberkamm erklärt für lto.de die strafrechtlichen und zivilrechtlichen Konsequenzen einer Veröffentlichung von Nacktbildern Dritter ohne deren Einverständnis.
Genozid an den Armeniern: Der Strafrechtsprofessor Kai Ambos befasst sich in der FAZ anlässlich der Aussage des Bundespräsidenten Gauck, bei dem Mord an den Armeniern handele es sich um "Völkermord", mit dem Rechtsbegriff "Genozid". Ambos stellt fest, dass zum damaligen Zeitpunkt, die Völkermordkonvention noch nicht galt, allerdings retrospektiv eine entsprechende, jedenfalls außergerichtliche, Bewertung möglich sei – diese müsse sich aber an den juristischen Grundsätzen besagter Konvention orientieren. Im Fall der Armenier sei insbesondere der vorausgesetzte Nachweis der "Zerstörungsabsicht" problematisch.
Das Letzte zum Schluss
Hundehaufen-DNA: Stinkend, unansehnlich und ein Ärgernis für unachtsame Spaziergänger – Hundehaufen in Parks und auf Gehwegen sind vielen ein Dorn im Auge. Deshalb sollen künftig in einem Londoner Stadtteil (witzigerweise mit dem Namen "Barking" and Dagenham) Hundehaufen auf die DNA ihres Verursachers hin untersucht und so die entsprechenden Hundebesitzer überführt werden. Bis zu 80 Pfund (circa 110 Euro) kann der liegen gelassene Haufen kosten. Dies meldet die SZ.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. April 2015: EuGH zu Blutspendeverbot für Schwule – BGH gegen Mietminderung wegen Lärm – Fischers Kolumne in der Kritik . In: Legal Tribune Online, 30.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15400/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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