Die Debatte um das ESM-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nimmt eine neue Wendung. Außerdem in der Presseschau: im unionsinternen Gezerre um das Betreuungsgeld zeichnet sich ein Kompromiss ab, der NSU-Untersuchungsausschuss sorgt weiter für Aufsehen, "Hähnchen-Kebab" landet vor Gericht und ein bockiger Landwirt bescherte der Justiz ordentlich Kopfzerbrechen, weil er mit seinem Trecker eine Radarfalle blockierte.
BVerfG/EZB: Nach einem Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) erwägt das Bundesverfassungsgericht, die Politik der Europäischen Zentralbank bald durch den Europäischen Gerichtshof prüfen zu lassen. Dem EuGH solle möglicherweise die Frage vorgelegt werden, ob die EZB durch den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen aus Krisenländern gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verstoße. Voraussetzung für eine Vorlage beim EuGH sei aber ein Verfassungsverstoß durch die EZB. Laut der FAZ (Joachim Jahn) ist diese Frage unter Rechtswissenschaftlern umstritten.
Die FTD (Timo Pache/Claudia Kade) hält nach dem "milden ESM-Urteil” ein anderes Szenario für wahrscheinlicher: Die Karlsruher Richter könnten zwar mahnen, letztlich aber auf eine Prüfung durch den EuGH verzichten – denn "Niederlagen vor Gericht riskieren auch Verfassungsrichter nur äußerst ungern." In einem Gastbeitrag für verfassungsblog.de beschäftigt sich der Rechtswissenschaftler Daniel Thym mit der Rolle der Volkssouveränität im Prozess der Euro-Rettung und fordert als Reaktion auf das Karlsruher Urteil ein "juristisches Umdenken". Die Rückkehr zum Nationalstaat bleibe eine "Illusion" – gleichzeitig müsse Luxemburg nun beweisen, dass es "Demokratie und Recht ebenso verantwortungsbewusst schützen" könne wie Karlsruhe.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Bankenunion: Der Rechtswissenschaftler Alexander Thiele erläutert in einem ausführlichen Gastbeitrag auf lto.de, wieso er die Pläne der EU-Kommission zur sogenannten Bankenunion für ökonomisch fragwürdig und juristisch schwierig hält. Die Bankenunion erweise sich allenfalls mittel- bis langfristig als realisierbar, sei aber zur aktuellen Krisenbewältigung "wenig hilfreich".
Euro-Rettungspolitik: Im Interview mit der SZ (Alexander Hagelüken/Markus Zydra) verteidigt der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi seine Euro-Rettungspolitik.
Betreuungsgeld: Nach monatelangem Gezerre zeichnet sich im unionsinternen Streit um das Betreuungsgeld ein Kompromiss ab, berichtet die SZ (Robert Rossmann). CSU-Chef Seehofer akzeptiere den Vorschlag der Bundesfamilienministerin, die Auszahlung des Betreuungsgeldes an regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen zu knüpfen; gleichzeitig komme die Spitze der Unionsfraktion den Kritikern mit einer besseren Anrechung von Kinderziehungsgeldern bei der Rente entgegen. Die taz (Heide Oestreich) beschäftigt sich mit den finanziellen und politischen Folgen des Betreuungsgeldes für Familien.
"Lex Asse": Die taz (Malte Kreutzfeldt) stellt den von Bundesumweltminister Peter Altmaier vorgelegten Gesetzentwurf zur beschleunigten Räumung des einsturzgefährdeten Atommülllagers Asse vor.
Patientenrechtegesetz: Von der Debatte um das neue Patientenrechtegesetz berichtet die taz (Simone Schmollack). Das Gesetz, das 2012 in Kraft treten wird, solle es den Patienten erleichtern, ihren Schadensersatz nach ärztlichen Behandlungsfehlern gegenüber Medizinern und Kliniken geltend zu machen; nach Ansicht von Verbänden sei das neue Gesetz aber kein Fortschritt und "nahezu wertlos."
Weitere Themen - Justiz
BVerfG zur Eurorettung: Nur einen Tag nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Eurorettungsschirm ESM hat Bundespräsident Joachim Gauck die entsprechenden Gesetze zum ESM und Fiskalpakt unterzeichnet, berichtet das Handelsblatt (H. Anger, O. Storbeck). Bevor die Gesetze völkerrechtlich in Kraft träten, müsse die Bundesregierung allerdings noch die Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes erfüllen.
In einem Gastbeitrag für verfassungsblog.de erörtern die Rechtswissenschaftler Christian Calliess und Christopher Schoenfleisch die Frage, wie das ESM-Urteil nun umgesetzt werden könne.
BGH zu Beate Zschäpe: Der Bundesgerichtshof hat am Donnerstag die Fortdauer der Untersuchungshaft des mutmaßlichen NSU-Mitglieds Beate Zschäpe angeordnet, meldet knapp lto.de. Es bestehe weiterhin dringender Tatverdacht und mit Klageerhebung sei innerhalb der nächsten drei Monate zu rechnen.
EuGH – Nachtflugverbot: Laut lto.de wird das deutsche Nachtflugverbot für den Schweizer Flughafen Zürich vermutlich Bestand haben. Der Generalanwalt habe dem EuGH in seinen Schlussanträgen empfohlen, die Klage der schweizerischen Regierung gegen das Verbot abzuweisen.
VG Berlin zu Hähnchen-Kebab: Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin ist die Bezeichnung eines Fleischerzeugnisses als "Hähnchen-Kebab" irreführend, wenn dieses nicht aus gewachsenen Fleischstücken, sondern auch aus fein zerkleinertem Fleisch bestehe. Dies meldet lto.de.
LG München I – MAN: Im Prozess gegen den ehemaligen MAN-Vorstand Anton Weinmann zeichnet sich eine Wende ab, berichtet die SZ (Caspar Schlenk). Bislang habe der Manager zu den Vorwürfen geschwiegen, am kommenden Mittwoch wolle er sich erklären.
VG Berlin zum Führerschein: Der Führerschein kann ungeachtet der Punktezahl im Verkehrszentralregister auch dann entzogen werden, wenn der Inhaber Vorschriften des ruhenden Verkehrs über einen längeren Zeitraum zu häufig missachtet habe. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin in einem am Donnerstag bekannt gewordenen Urteil, meldet knapp lto.de.
LG Gera - NPD-Aussteiger: Spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet ausführlich von dem Verfahren gegen einen NPD-Aussteiger vor dem Landgericht Gera. Die NPD habe den ehemaligen Parteifreund verklagt und verlange von ihm eine Unterlassungserklärung, keine weiteren Interna mehr "auszuplaudern".
LG Essen nach Vergewaltigungsprozess: Der Freispruch eines Mannes vom Verdacht der Vergewaltigung durch das Landgericht Essen sorgt bundesweit für Aufsehen. Spiegel.de (Anna-Lena Roth) schildert ausführlich den Prozess und befindet, es handele sich um ein "erschreckend korrektes Urteil".
Datenschutz: Der Rechtswissenschaftler Ermano Geuer setzt sich auf lto.de mit dem kürzlich veröffentlichten Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten auseinander. Danach hätten die Berliner Strafverfolgungsorgane "routinemäßig" und inflationär Funkzellenabfragen durchgeführt – die Abfrage müsse aber die Ausnahme bleiben und nicht zum "Regelfall" verkommen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Commerzbank: Wie die FAZ (Bettina Schulz) berichtet, hat die Commerzbank zusammen mit zwei anderen internationalen Banken rechtliche Schritte gegen die Dubai Financial Group eingeleitet. Verhandlungen seien im Juli abgebrochen worden.
Sonstiges
NSU-Untersuchungsausschuss: Nach einem Bericht von spiegel.de (Matthias Gebauer/Sven Roebel/Holger Stark) soll einer der von der Bundesanwaltschaft beschuldigten mutmaßlichen NSU-Unterstützer über zehn Jahre als so genannte "Vertrauensperson" dem Berliner Landeskriminalamt Informationen geliefert haben. Die Bundesanwaltschaft ermittele gegen Thomas S. und 12 weitere Beschuldigte im Zusammenhang mit dem NSU-Terror. Es berichten ebenfalls die FR (Andreas Förster/Markus Decker) und die SZ (Tanjev Schultz).
Das Letzte zum Schluss
OLG Karlsruhe - bockiger Bauer: Wie lawblog.de berichtet, war ein Bauer von einem Radargerät geblitzt worden. Wutentbrannt blockierte er mit seinem Trecker das Messgerät: das OLG Karlsruhe verneinte die Nötigung, sah den Tatbestand der Störung öffentlicher Betriebe nach §316b StGB aber erfüllt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
lto/lp
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. September 2012: BVerfG und EZB - Union und Betreuungsgeld - NSU-Untersuchungsausschuss . In: Legal Tribune Online, 14.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7080/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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