Joachim Gauck darf verfassungsrechtliche Zweifel an Gesetzen für sich behalten. Außerdem in der Presseschau: Einigung über Elternnachzug, Schweigen im Auschwitz-Prozess und AGB-Klausel für Zombie-Notfall.
Thema des Tages
OVG B-B zu präsidialen Zweifeln: Wenn der Bundespräsident verfassungsrechtliche Bedenken bei der Ausfertigung eines Gesetzes hat, muss er diese nicht bekannt geben. Diese Zweifel gehörten in den "Kernbereich präsidialer Eigenverantwortung", wofür ein "schutzwürdiges Vertraulichkeitsinteresse" gelte, begründete das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seine Entscheidung. Grundsätzlich auskunftspflichtig sei der Bundespräsident – abgesehen von Verfassungszweifeln – allerdings schon, schreibt der Tsp (Jost Müller-Neuhof), welcher das Eilverfahren initiierte, nachdem Gauck Bedenken zum Betreuungsgeldgesetz geäußert hatte, ohne diese zu begründen.
Rechtspolitik
Einigung über Elternnachzug: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) haben sich darauf geeinigt, die vereinbarte Regelung zum Elternnachzug für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz im Asylpaket II beizubehalten. Sie betonten allerdings, dass das Aufenthaltsgesetz Ausnahmen in Härtefällen zulasse. SZ (Jan Bielicki) und Hbl (Frank Specht) skizzieren die Regelung und informieren über Reaktionen aus Opposition und Koalition. Auch die taz (Ulrich Schulte) berichtet.
Stefan Braun (SZ) betont, die Entscheidung, den Elternnachzug im Einzelfall zu prüfen, sei "gut und richtig". Der Aufwand sei vertretbar. Die Einigung komme allerdings spät, angesichts der Kritik an der Flüchtlingspolitik der großen Koalition. Braun hofft daher auf ein "Ende des Asylstreits" und ein "ruhiges Arbeiten". Lisa Caspari (zeit.de) moniert, anhand des Verlaufs der Verhandlungen und insbesondere der widersprüchlichen Positionen der SPD zeige sich, dass es sich um einen "leeren Kompromiss" handele. "Solides Regieren sieht anders aus."
Schutz von Flüchtlingskindern: Die FAZ (Eckart Lohse/Johannes Leithäuser) greift neben der Einigung über den Elternnachzug auch die Kritik des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten Rörig am Asylpaket II auf. Dieser moniert, die Bundesregierung habe es verpasst, den Schutz minderjähriger Flüchtlinge ausreichend zu gewährleisten. Die EU-Kommission habe bereits mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht, weil Deutschland Vorschriften zur Unterbringung und Betreuung von Familien mit Kindern nicht umgesetzt habe. Auch die taz (Simone Schmollack) und die Welt (Sabine Menkens) geben seine Kritik wieder.
Kompetenzen des BVerfG: In der Fortsetzung seines Beitrags "Solange Zweieinhalb" auf juwiss.de erläutert Rechtswissenschaftler Christoph Goos, weshalb der Gesetzgeber angehalten sei, die Kontrollkompetenzen des Bundesverfassungsgerichts klarzustellen. Das Gericht habe betont, dass nicht nur das Menschenwürde-Grundrecht, sondern auch die "Menschenwürdegehalte" der anderen Grundrechte integrationsfest seien und es sich eine entsprechende Kontrolle vorbehalte. Dies, obwohl die "Figur der 'Menschenwürdegehalte'" in der Rechtsprechung unbestimmt geblieben sei, was Goos anhand von Beispielen zeigt.
Bargeld-Limit: Die EU-Finanzminister werden am heutigen Freitag wohl eine Erklärung abgeben, in der sie die EU-Kommission dazu auffordern, "die Notwendigkeit angemessener Einschränkungen für Bargeldtransaktionen" zu prüfen, melden Hbl (Frank Matthias Drost) und FAZ (Werner Mussler). Zudem solle sich die Brüsseler Behörde mit der EZB über "angemessene Maßnahmen" zu Banknoten "mit hohem Nennwert" (insbesondere die 500 Euro-Note) abstimmen.
Justiz
BVerfG zu GmbH als Insolvenzverwalter: Das Grundgesetz erlaubt, juristische Personen von der Bestellung zum Insolvenzverwalter auszuschließen – § 56 Absatz 1 Satz 1 der Insolvenzordnung ist somit verfassungskonform. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichen Beschluss auf die Verfassungsbeschwerde einer Rechtsanwalts-GmbH hin, melden FAZ (Joachim Jahn) und lto.de.
VerfGH Bln zu Akteneinsichtsrecht: Der Verfassungsgerichtshof Berlin gewährt Mitgliedern des Abgeordnetenhauses Hilfe von Sachverständigen, wenn sie Verwaltungsakten einsehen, meldet jetzt auch der Tsp (Jost Müller-Neuhof).
OLG München – NSU: Beate Zschäpe hat erneut einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl gestellt. Er gewähre ihr den Anwalt ihres Vertrauens nicht, woraus sie schließe, dass er "nicht mehr unparteiisch" sei, meldet spiegel.de. Der Prozess könne wohl erst kommende Woche planmäßig weitergehen.
LG Detmold – Auschwitz-Prozess: Neben der Verlesung der Anklage nahm die Aussage eines Auschwitz-Überlebenden den ersten Verhandlungstag im Auschwitz-Prozess vor dem Landgericht Detmold ein. Der Zeuge forderte den Angeklagten Reinhold H. dazu auf, auszusagen und schilderte seine Erfahrungen im Konzentrationslager. Eine Einlassung H.s sei, laut Verteidigung, bisher nicht geplant, schreiben SZ (Hans Holzhaider), FAZ (Reiner Burger) und taz (Klaus Hillenbrand).
Robert Probst (SZ) erklärt, warum die Zahl der Auschwitz-Prozesse nach dem Urteil gegen John Demjanjuk im Jahr 2011 wieder zunehme. Bei den Verfahren ginge es auch darum, "durch irdische Strafen eine dem Umfang und der Schwere der (in) Auschwitz begangenen Verbrechen angemessene Sühne zu finden".
LG Neubrandenburg – Auschwitz-Prozess: Am 29. Februar soll der Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Hubert Zafke beginnen. Er ist der Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen angeklagt; er soll in der SS-Sanitätsstaffel eingesetzt worden sein, welche nicht nur die SS-Männer versorgt, sondern auch Inhaftierte gequält und ermordet haben soll. Die taz (Klaus Hillenbrand) schreibt über das Verfahren – bislang stünden noch Entscheidungen über Befangenheitsanträge aus.
LG Hannover – Salzhemmendorf: Im Verfahren um den Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft beantragten die Verteidigungen der drei Angeklagten, den Prozess auszusetzen, nachdem vier Flüchtlinge, die im angegriffenen Haus lebten, am zweiten Verhandlungstag ablehnten, als Nebenkläger aufzutreten. Der Prozess würde platzen, bewilligte das Gericht den Antrag, betont die SZ (Annette Ramelsberger) und resümiert Vorwürfe der Verteidiger gegen die Nebenklageanwälte, denn diese hätten Flüchtlinge Vollmachten unterzeichnen lassen, obwohl sie diese nicht verstanden.
Interview mit Justizminister Bausback: Die FAZ (Reinhard Müller) spricht mit Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) über die derzeitige Flüchtlingspolitik, Seehofers Kommentar dazu ("Herrschaft des Unrechts") und über die angedachte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.
EuGH zu Sportwetten: Der Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz Markus Ruttig erörtert auf lto.de rechtliche und tatsächliche Folgen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Sportwetten für das deutsche Glücksspiel. Er betont, dass für Online-Glücksspiel nach wie vor ein Erlaubnisvorbehalt gelte.
BGH zu E-Zigaretten: Entgegen des Urteils des Bundesgerichtshofs erläutert der Rechtsreferendar Jakob Dalby in einem Gastbeitrag für lto.de, warum das Gesetz, seines Erachtens nach, eine Strafbarkeit des Handels von E-Zigaretten gerade nicht hergebe.
Recht in der Welt
EGMR zu entwürdigender Behandlung: Griechenland muss einem iranischen Asylbewerber eine Entschädigung von 6.500 Euro wegen entwürdigender Behandlung zahlen. Unter anderem sei der Betroffene zwei Mal unter Verstoß gegen die EU-Menschenrechtskonvention inhaftiert worden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, meldet die taz.
EU/Großbritannien – Brexit: Die FAZ (Helene Bubrowski) fasst die Kritik der EU-Parlamentarierin Sylvie Goulard am Reformvorschlag zusammen, der einen "Brexit" verhindern soll. So begehe die EU einen "strategischen Fehler". Goulard spricht sich für eine "ausgewogene, saubere und dauerhafte Lösung" aus, welche lediglich dadurch zu gewährleisten sei, die EU-Verträge zu ändern.
Sonstiges
Rechte Straftaten: Justizminister Heiko Maas (SPD) fordert mehr Transparenz darüber, wie die Strafjustiz rechte Straftaten aufklärt. "Wir mussen alles tun, damit fremdenfeindliche Übergriffe rascher aufgeklärt und konsequent bestraft werden", sagte er der SZ (Stefan Braun). Maas wird am heutigen Freitag mit den Landesjustizverwaltungen darüber sprechen, wie entsprechende Urteile besser zu erfassen seien.
Legaltech: "Legaltech revolutioniert den Zugang zum Recht" – Nico Kuhlmann schildert auf legal-tech-blog.de ausführlich, wie technische Lösungen Laien dabei helfen können, ihre Rechte zu erkennen und geltend zu machen.
Abschiebungen nach Afghanistan: Bundesinnenminister Thomas de Maizière plant, trotz unsicherer Lage, im Februar bereits die ersten Afghanen in ihre Heimat abzuschieben, deren Asylverfahren erfolglos verlief. Die BadZ (Christian Rath) analysiert die unterschiedlichen Flüchtlingsstatus der nach Deutschland geflüchteten Afghanen und gibt Kritik an der Maßnahme wieder.
Das Letzte zum Schluss
Klausel für Zombie-Notfall: Die AGB für Amazons Lumberyard, einem kostenlosen Programmierbaukasten für Spiele, zeigen, dass es sich lohnt AGB bis zum Ende zu lesen und nicht nur zu überfliegen (gesetzt den Fall, das täte jemand). So bleibt es den Nutzern grundsätzlich untersagt, die Spieletechnik Lumberyard für andere Systeme – etwa zur Steuerung eines Atomkraftwerks – zu nutzen. Nicht so im Falle einer Zombie-Apokalypse – für diesen Fall sehen die AGB (jedenfalls in der US-Fassung) eine Ausnahme vor. Amazon habe die Verantwortlichen für die Zombie-Notfallklausel bisher nicht ausfindig machen können, meldet die SZ (Helmut Martin-Jung). Eine PR-Aktion sei nicht auszuschließen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Februar 2016: Bundespräsident darf zweifeln / Einigung über Elternnachzug / AGB-Klausel für Zombie-Notfall . In: Legal Tribune Online, 12.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18426/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag