Der BGH verpflichtet Access-Provider dazu, Webseiten mit urheberrechtswidrigem Inhalt zu sperren. Außerdem in der Presseschau: Nachbesserung im Prostituiertenschutz, EGMR erlaubt französisches Kopftuchverbot und "Wunderland" im Gewerbegebiet.
Thema des Tages
BGH zu Netzsperren als ultima ratio: Internetdienstleister können dazu verpflichtet werden, Webseiten zu sperren, die urheberrechtlich geschützte Werke illegalerweise öffentlich zugänglich machen. Dies entschied der Bundesgerichtshof. Hier liege eine Störerhaftung vor, denn das Erbringen von Telekommunikationsdienstleistungen sei ein adäquat-kausaler Beitrag zur Rechtsverletzung. Die betroffenen Künstler oder Verwerter dürfen den Access-Provider allerdings erst beanspruchen, wenn sie erfolglos "zumutbare Anstrengungen" unternommen haben, um gegen den jeweiligen Webseiteninhaber oder Host-Provider vorzugehen und andernfalls eine "Rechtsschutzlücke" entstünde. In den zwei vorliegenden Fällen hatten Gema gegen Telekom und Musikproduzenten (darunter EMI) gegen Telefonica geklagt. Beide Klagen wurden abgewiesen; die Kläger konnten die geforderten Nachforschungen nicht vorweisen, sehen die Entscheidung aber als Erfolg. Unter anderem taz.de (Christian Rath), die FAZ (Joachim Jahn) und die SZ (Jannis Brühl/Wolfgang Janisch) schreiben über die Grundsatzurteile. Der IT-Rechtler Stefan Sander schreibt für lto.de darüber. internet-law.de (Thomas Stadler) erklärt, die "zentralen Prämissen" des BGH seien "falsch".
Rechtspolitik
Prostitutiertenschutzgesetz: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will den Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes überarbeiten – dieser hatte für einige Kritik gesorgt. Unter anderem solle eine einmalige, bundesweite Anmeldepflicht die Gemeinden entlasten, die jährliche Gesundheitsberatung solle entfallen. Die SZ (Constanze von Bullion) resümiert bisherige und neue Pläne sowie entsprechende Kritik.
Mietrechtsreform: Die SZ (Korbinian Eisenberger) fasst die geplante Mietrechtsreform aus dem Justizministerium zusammen, die die Position der Mieter stärken soll. Insbesondere solle die Möglichkeit der Vermieter, die Modernisierung der Wohnung auf die Mieter umzulegen, eingeschränkt werden. Der Beitrag setzt die Reform in den Kontext der letzten mietrechtlichen Neuerungen. Von Seiten der CDU und des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen kam bereits Kritik. Auch die FAZ (Joachim Jahn) weist auf den Entwurf hin und hebt die Kritik hervor. Unter anderem machten die geplanten Neuregelungen Modernisierungen unattraktiv.
Jan Heidtmann (SZ) konstatiert: "Leid tun muss einem der Vermieter dennoch nicht." So habe der Gesetzgeber vor zwei Jahren Regelungen zugunsten der Vermieter erlassen – es sei daher "richtig", dass Justizminister Maas nun die Mieter entlasten will. Heidtmann hielte es für besser, wenn die zusätzlichen Kosten vom Erfolg der Modernisierung abhingen – eine Forderung der Mietervereine.
EU-Terrorprävention: Das EU-Parlament hat eine Resolution beschlossen, in der es verschiedene Maßnahmen zur Terrorprävention vorstellt. Die EU-Staaten müssten geschlossen gegen Islamisten vorgehen und bereits die Radikalisierung junger Europäer verhindern. zeit.de fasst die Empfehlungen zusammen.
Justiz
BVerwG zu staatlichem Rechtsschutz: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Kostenerstattungsansprüche aus Verfahren vor Kirchengerichten grundsätzlich vor staatlichen Gerichten eingeklagt werden können. Der Kirchenrechtler Thomas Traub informiert auf lto.de über die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser Entscheidung.
OLG München – NSU: Im NSU-Prozess hat Richter Manfred Götzl aus einem "Blood and Honour"-Heft vorlesen lassen, dass in Zschäpes Garage gefunden wurde. Die rassistischen Texte riefen zum Mord an Migranten und zum sogenannten führerlosen Widerstand auf, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm). Der Zeuge Volker H., der Mitte bis Ende der Neunzigerjahre in der rechten Szene aktiv und am Tag des Untertauchens des Trios in Böhnhardts Auto unterwegs war, erschien nicht zu seinem Vernehmungstermin vor Gericht.
LG Darmstadt – Ehrenmord: Im Prozess vor dem Landgericht Darmstadt um den mutmaßlichen Ehrenmord an der Muslimin Lareeb Khan haben die Verteidiger der Eltern jeweils ihr Plädoyer vorgetragen. Beide bekräftigten, die Familie habe abgeschottet und nach pakistanischen Normen und Sitten gelebt. Laut dem Geständnis der Eltern hat der Vater seine Tochter erwürgt, während die Mutter anwesend war – dies sei letztlich das Resultat einer von ihnen missbilligten Beziehung ihrer Tochter gewesen. Das Urteil sei am Dienstag zu erwarten, so die FAZ (Timo Frasch).
Recht in der Welt
EGMR zu erlaubter Abtreibungskritik: Deutschland muss eine Geldstrafe zahlen, nachdem es einem Abtreibungskritiker verboten hatte, in der Nähe einer Tagesklinik Flugblätter gegen Abtreibung zu verteilen und die Namen der behandelnden Ärzte auf seiner Webseite zu nennen. Die Bundesrepublik habe damit gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Tsp (Jost Müller-Neuhof) und taz (Christian Rath) informieren. Auch die SZ (Wolfgang Janisch) meldet die Entscheidung.
EGMR zu französischem Kopftuchverbot: Frankreich darf ein striktes Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst durchsetzen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und lehnte damit die Beschwerde einer muslimischen Sozialarbeiterin ab, deren Vertrag in einem städtischen Krankenhaus nicht verlängert wurde. Französische Gerichte hatten ihre Klage wegen Verletzung ihrer Religionsfreiheit abgelehnt, da die staatliche Neutralität ein Kopftuchverbot rechtfertige. Die SZ (Wolfgang Janisch) hält fest, der EGMR gewähre den Staaten auch einen großen Beurteilungsspielraum, wenn sie das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst erlauben. Die Welt (Hannelore Crolly) berichtet.
Polen – Verfassungsrichter: Die polnische Regierung hat im Eilverfahren die Wahl von fünf Verfassungsrichter, die vom vorherigen Parlament eingesetzt worden waren, für ungültig erklärt. Geplant ist eine Neuwahl – zuerst muss das polnische Verfassungsgericht allerdings darüber entscheiden, ob das Vorgehen der Regierung verfassungskonform ist. Diese Entscheidung sei im Dezember zu erwarten, so die FAZ (Konrad Schuller). Frühere Präsidenten des Verfassungsgerichts kritisieren die Regierung.
Niederlande – Grundversorgung für Flüchtlinge: Das höchste Verwaltungsgericht in Den Haag hat entschieden, der Staat dürfe die Grundversorgung abgeschobener Flüchtlinge daran koppeln, dass sie ihre eigene Abschiebung unterstützen. Menschenrechtsorganisationen und Kirchen monieren, die Menschenwürde der Flüchtlinge werde verletzt, meldet spiegel.de.
Griechenland – Siemens: Am heutigen Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht Athen der Strafprozess im Schmiergeldfall Siemens. Die Korruption um den Auftrag der Telefongesellschaft OTE an Siemens sei bewiesen, fraglich seien nur die strafrechtlich Verantwortlichen. Laut SZ (Klaus Ott/Tasos Telloglou) werfen die Anwälte der deutschen Angeklagten dem Gericht vor, den Grundsatz des fairen Verfahrens zu verletzen; selbst für die wichtigsten Unterlagen des Prozesses gäbe es keine deutsche Übersetzung.
Sonstiges
Herkunft israelischer Lebensmittel: Am 11. November diesen Jahres hat die EU-Kommission darauf hingewiesen, wie sie die gegenwärtige Rechtslage hinsichtlich der Angabe des Ursprungs von Waren aus israelischen Siedlungen interpretiert. Die Rechtsanwältin Eva Ghazari-Arndt setzt sich auf lto.de kritisch mit der Einschätzung der EU-Kommission auseinander – diese könne verwirrend für die Verbraucher sein.
Bundeswehr gegen IS in Syrien: Die Bundesregierung will die Bundeswehr im Kampf gegen den IS in Syrien einsetzen. Die taz (Christian Rath) erläutert, wie dieser Einsatz völkerrechtlich und verfassungsrechtlich legitimiert werden kann. Ein Mandat für militärische Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats sei am unproblematischsten. Zudem müsse der Bundestag jedem Bundeswehreinsatz im Ausland zustimmen.
Verfassungsstaat und Religionsfreiheit: Anlässlich der abgesetzten Operninszenierung "Idomeneo" aus Angst vor islamistischem Terror betont der Staatsrechtler Horst Dreier in einem Gastbeitrag für die SZ, dass auch "Religionen zum Gegenstand von Kritik, Satire und Spott werden können". Dieser Grundsatz, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die Akzeptanz anderer Glaubensbekenntnisse und der neutrale Staat seien "große historische Errungenschaften des modernen Verfassungsstaats". In einem historischen Abriss zeichnet er nach, wie diese entstanden sind und hält fest, die große Aufgabe sei es sie zu wahren – "auch unter Bedingungen verschärfter Pluralität".
Das Letzte zum Schluss
"Wunderland": Was hätte wohl Georg Jellinek dazu gesagt? Zwei Niederländer haben in einem Gewerbegebiet 3.000 Quadratmeter abgesteckt und wollen damit ein Land namens Wunderland gegründet haben. Die beiden einzigen "Einwohner" haben in ihrer "Verfassung" festgelegt, dass ihr Land ein Gegenmodell zu bisherigen Lebensformen sein soll. Mit der völkerrechtlichen Anerkennung wird es wohl hapern – bereits die Nachbargemeinden lehnen Wunderland ab, meldet die Welt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. November 2015: Netzsperre als ultima ratio / EGMR erlaubt französisches Kopftuchverbot / Nachbesserung im Prostituiertenhttps://www.lto.de/persistent/a_id/17684/ (abgerufen am: 09.05.2024 )
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