Mögliche Tricksereien zur Umgehung des Mindestlohns erstmals vor dem BAG. Außerdem in der Presseschau: Ist "Containern" Diebstahl und was hält Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der AfD?
Thema des Tages
BAG - Tricksen beim Mindestlohn: Können Weihnachts- und Urlaubsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden, wenn jeweils ein Zwölftel davon pro Monat ausbezahlt wird? Am heutigen Mittwoch befasst sich das Bundesarbeitsgericht erstmals mit etwaigen Tricks um den Mindestlohn. Die Tochterfirma eines Städtischen Klinikums hatte ihrer Mitarbeiterin besagte Sonderzahlungen in zwölf monatlichen Raten ausgezahlt, um so den Vorschriften des gesetzlichen Mindestlohns zu entsprechen. Ohne diese Zahlungen beliefe sich der Stundenlohn der Mitarbeiterin auf 8,03 Euro. Die vorhergehenden Instanzen erlaubten diese Praxis, da der Arbeitgeber das Urlaubsgeld unabhängig davon ausbezahlte, ob die Angestellten tatsächlich in Urlaub fuhren oder nur einen Teil des Jahres angestellt waren. Zudem gab es eine entsprechende Vereinbarung mit dem Betriebsrat. Die Klägerin argumentiert hingegen, dass das Urlaubsgeld zusätzlich zum Lohn vereinbart sei und das Weihnachtsgeld die Betriebstreue belohne. Sie fordert eine Grundvergütung über 1.473 Euro (entsprechende 8,50 Euro pro Stunde), schreibt die SZ (Detlef Esslinger) in ihrem Vorabbericht.
Rechtspolitik
Integrationsgesetz: Am heutigen Mittwoch will das Bundeskabinett das geplante Integrationsgesetz beschließen. Der Entwurf sehe ein Systems des "Förderns und Forderns" vor. So sollen Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch läuft, bereits zur Integration verpflichtet werden (mit Sanktionen bei Weigerung). Haben sie allerdings eine gute Bleibeperspektive, sollen sie leichter an einen Arbeitsplatz kommen; dazu solle die Vorrangregelung gelockert werden, nach der Deutsche und EU-Bürger bei Jobangeboten bevorzugt behandelt werden. Umstritten sei insbesondere die Wohnsitzregelung. spiegel.de (Vanessa Steinmetz), SZ (Stefan Braun/Constanze von Bullion) und FAZ (Dietrich Creutzburg) stellen den Entwurf vor. Ausführlich geht auch zeit.de (Lisa Caspari) auf den Entwurf ein.
Dietrich Creutzburg (FAZ) moniert, das geplante Integrationsgesetz ergebe sich aus einem "faulen Kompromiss" zwischen Innen- und Sozialpolitikern und erschwere letztlich Integration. So sorge die Lockerung der Vorrangprüfung für bürokratischen Aufwand, nütze Inländern aber kaum. Creutzburg hätte es daher befürwortet, die Regelung probeweise zu streichen.
Der Staatsrechtler Arnd Uhle fokussiert sich in einem FAZ-Gastbeitrag auf die freiheitsgerechte Integration mit Blick auf das Staatsziel der "Vitalität und Dauerhaftigkeit der freiheitlichen Grundordnung": Die Zustimmung zur Integration sei nicht als Rechtspflicht einzufordern, sondern (im Sinne der freiheitlichen Grundordnung) der freien Entscheidungsmacht der Zuwanderer zu überantworten. Die dauerhafte Aufrechterhaltung der Verfassung fuße darauf, dass die Gesellschaft sie frei annimmt.
Wohnsitzzuweisung: Wie sinnvoll ist die Wohnsitzregelung? Ist die räumliche Konzentration von Einwanderern überhaupt ein Problem? Unter dem Titel "Wohnpflicht allein genügt nicht" vollzieht die FAZ (Bernhard Clemm) in einem Vergleich mit der Wohnortzuweisung für Spätaussiedler nach, inwieweit die Kritik an der Maßnahme berechtigt ist, und stellt verschiedene Pro- und Kontrapositionen vor.
Ersatzfreiheitsstrafe: Der Brandenburger Justizminister fordert in einem Antrag für die im Juni tagende Justizministerkonferenz, die Ersatzfreiheitsstrafe deutschlandweit abzuschaffen. Brandenburg wolle zudem Strafgefangene in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen. Die taz skizziert die Forderungen und erklärt die Ersatzfreiheitsstrafe.
Leiharbeit/Werkverträge: Der Direktor des Bonner Instituts für Arbeitsrecht Gregor Thüsing analysiert in der FAZ, welche unerwünschten Folgen aus der Reform von Leiharbeit und Werkverträgen in der Praxis resultieren können. Tatsächliche Schwierigkeiten könnten sich etwa aus dem Gleichbehandlungserfordernis von Leiharbeitern und Stammbelegschaft ergeben.
E-Akte in Strafsachen: Ein "Jahrtausend-Umbruch" ergebe sich durch die Einführung elektronischer Akten in Strafsachen, meint der Präsident des Thüringischen Oberlandesgerichts im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur, welches lto.de aufgreift. Kaufmann äußerst sich zu Effizienzgewinn, notwendigen Sicherheitsstandards, Akteneinsicht und Kosten der elektronischen Akten.
EU-Investorenschutz: Petra Pinzler (Die Zeit) kritisiert, dass das Wirtschaftsministerium nun doch für das Vorhaben von Deutschland und vier weiteren EU-Staaten plädiert, ein EU-Schiedsgericht zum Schutz von Investoren einzurichten. Sie zeigt auf, dass es ausreichend Gerichte in der EU gebe und teilt die Meinung der EU-Kommission, es brauche keinen bilateralen Investitionsschutz in einem gemeinsamen Markt.
Stromsteuer für Selbstversorger: Das Bundesfinanzministerium plant, die Selbstversorgung mit Strom ab 20 Megawattstunden mit 2,05 Cent pro Kilowattstunde zu besteuern (mit Ausnahmen). Jan Willmroth (SZ) legt dar, weshalb das Vorhaben im Hinblick auf die Energiewende "geradezu absurd" sei. "Wahnwitzig" insbesondere der Plan, die Steuer rückwirkend einzufordern, denn dies laufe dem gesetzgeberischen Zweck der 1999 mit der Stromsteuer eingeführten Steuerfreiheit für Selbstversorger zuwider.
§ 175 StGB a.F.: Der ehemalige Verfassungsrichter Everhardt Franßen hält in einem FAZ-Gastbeitrag fest, warum Heiko Maas (SPD) mit seiner Feststellung, der ehemalige § 175 Strafgesetzbuch sei "von Anfang an verfassungswidrig", falsch liege.
Justiz
OLG Hamm zu "gefälschtem" Urteil: Das Oberlandesgericht Hamm hat am 12. Mai einen Anwalt freigesprochen, der seinem Mandanten vorgetäuscht hatte, er habe ein Verfahren für ihn vor dem Arbeitsgericht gewonnen. Statt in dem Fall aktiv zu werden, verfasste er ein Urteil selbst und schickte dem Mandanten eine Kopie. Damit habe er sich nicht wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht, so das OLG, denn die Fotokopie eines vermeintlichen Urteils verkörpere nicht die Erklärung des Gerichts, sondern nur das vermeintliche Original. lawblog.de (Udo Vetter) greift die Entscheidung auf und betont die Streitpunkte des Straftatbestands.
LG Augsburg zu Alfa: Bernd Lucke darf seine neue Partei, die Allianz für Fortschritt und Aufbruch, nicht mit Alfa abkürzen. Dies entschied das Landgericht Augsburg, meldet unter anderem focus.de. Geklagt hatte der Verein Aktion Lebensrecht für Alle, welcher nicht mit der Partei in Verbindung gebracht werden will.
LG Münster - "Übertötung": Vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Münster läuft derzeit das Strafverfahren gegen eine Heranwachsende, die wegen Mordes an ihrer Ex-Freundin angeklagt ist. Die Zeit (Daniel Müller) schildert ausführlich die Beziehungsgeschichte der beiden sowie die familiären und persönlichen Hintergründe der Angeklagten. Es sei wahrscheinlich, dass sie wegen eingeschränkter Schuldfähigkeit in eine Psychiatrie eingewiesen werde.
StA Gießen - "Containern": Die Staatsanwaltschaft Gießen musste das Ermittlungsverfahren gegen einen Mann wegen "Containerns" (das Sammeln weggeworfener Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten) einstellen. Das betroffene Unternehmen hatte sich geweigert, den Strafantrag zu unterzeichnen, weil es bezweifelte, dass es sich beim "Containern" um Diebstahl handele. Die taz (Martin Kaul) weist darauf hin, dass es zu dieser Frage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt und zeichnet die Argumentation der mutmaßlichen Diebe nach.
Recht in der Welt
USA - Bill Cosby: Ein Gericht in Norristown, Pennsylvania, hat Bill Cosby wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt - ausreichend Beweise lägen vor. Der Angeklagte hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. spiegel.de schildert die Hintergründe des Verfahrens.
Türkei - Menschenrechtslage: Die Zeit (Martin Klingst/Michael Thumann) interviewt die Human Rights Watch-Mitarbeiterin Emma Sinclair-Webb ausführlich zur Menschenrechtslage in der Türkei. Sie moniert unter anderem die menschenrechtswidrige Behandlung der Flüchtlinge, die militärischen Aktionen gegen Kurden im Südosten des Landes sowie menschenrechtlich kritische Punkte des EU-Türkeideals. Sie unterstreicht, die EU und Merkel sollten den Demokratieabbau mehr anprangern.
Israel - Menschenrechtslage: Die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem untersucht Menschenrechtsverletzungen der israelischen Militärjustiz. Die FAZ (Hans-Christian Rößler) sammelt bisherige Erkenntnisse und die Reaktion des Militärs auf die Anschuldigungen.
Sonstiges
AfD und Rechtsstaat: Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fragt sich in einem SZ-Gastbeitrag, ob Deutschland Verhältnisse wie in Österreich drohen und setzt sich mit der Politik der AfD auseinander. Sie attestiert dem Grundsatzprogramm der Partei eine "Unvereinbarkeit mit unseren Werten"; einige Punkten stünden mit Demokratie und Rechtsstaat in Widerspruch.
Ausweisung straffälliger Ausländer: Die taz (Hannah Weiner) spricht mit dem Amtsrichter Frank Bornemann darüber, wie die erleichterte Ausweisung von straffälligen Ausländern sich auf die Strafzumessung auswirkt. Bornemann betont, "der ewige Ruf nach Gesetzesverschärfungen" bewirke nicht viel. Er hält es für schwierig, die gesellschaftspolitische Arbeit im Flüchtlingsbereich auf die Gerichte abzuwälzen.
Digitale Einflussnahme: Der Professor für Medienrecht Boris Paal und der akademische Rat Moritz Hennemann befassen sich in der FAZ mit der Frage, inwieweit digitale Plattformen Einfluss auf die politische Meinungsbildung nehmen (können). Anlass bot die Auseinandersetzung über die angezeigten Nachrichten auf Facebook. Die Autoren bieten Lösungen an, wie einer "Gefährdung der Meinungsbildung und Vielfaltssicherung" begegnet werden könne.
VW-Skandal: Anlässlich des VW-Skandals erklärt Rechtsanwalt Tobias de Raet auf lto.de, wie der Aufsichtsrat eines Unternehmens hinsichtlich einer etwaigen Haftung des Vorstands zu verfahren hat. Er betont, dass Vorstandsmitglieder nicht "automatisch für sämtliche Rechtsverletzungen im Unternehmen" haften. In Bezug auf den VW-Skandal sei der Aufsichtsrat "daher gut beraten, die Guillotine noch nicht fallen zu lassen."
Fischer zu Kunst: "Kunst ist strafbar. Warum auch nicht?", fragt der Vorsitzende Richter* am BGH Thomas Fischer in seiner zeit.de-Kolumne anlässlich des Falls Böhmermann. Er erläutert, wie das Strafrecht der Kunst Grenzen aufzeigt und analysiert dabei die strafrechtlichen Folgen unterschiedlicher Kunst-Definitionen. Nachdem er ausführlich auf den Rücktritt vom Versuch eingeht, schließt er damit, dass Jan Böhmermann von der Beleidigung Erdogans nicht habe zurücktreten können.
* Hier stand zunächst, Fischer sei "Vorsitzender des Bundesgerichtshofs". Wir bitten, den Lapsus zu entschuldigen.
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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. Mai 2016: Tricksen beim Mindestlohn / Ersatzfreiheitsstrafe ade / AfD gegen Rechtsstaat . In: Legal Tribune Online, 25.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19461/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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