Ist Pro Bono ein neuer Trend oder deutsche Tradition? Oder handelt es sich lediglich um einen Marketingtrick von Kanzleien? Und warum spricht kaum jemand darüber? Ein Blick in die Praxis.
Wenige Laufmeter von der Elbe entfernt, im Herzen Hamburgs, steht die St. Pauli Kirche. Im Gemeindehaus der evangelisch-lutherischen Gemeinde nehmen die Anwälte Dr. Florian Brem (40) und Isabelle Dierks (33) regelmäßig an einem Holztisch Platz. Ohne Computer, ohne Telefon, ohne Drucker. Dafür mit offenen Ohren und viel menschlichem Kontakt. "Wir bieten dort eher allgemeine Lebenshilfe als konkrete Rechtsberatung", erzählt Brem, Partner der Kanzlei Buse Heberer Fromm in Hamburg.
Ihre Zuhörer kommen meist mit Stift und Papier und schreiben eifrig mit. "Pro Beratungstermin nehmen wir uns etwa zwei Stunden Zeit für die Ratsuchenden. Da wir insgesamt etwa 16 Anwälte sind, die dort ehrenamtlich beraten, ist jeder von uns etwa einmal pro Quartal dort."
Die St. Pauli Kirche ist bekannt für ihren sozialen Einsatz. Die Pastoren sorgen sich um Flüchtlinge, Kinder und Jugendliche sowie sozial Schwache. Pastor Martin Paulekun hat die kostenlose Rechtsberatung vor rund 20 Jahren ins Leben gerufen, gemeinsam mit Dr. Torben Todsen, einem langjährigen Partner bei Buse. Genauso lang läuft auch das Projekt, an dem Brem und Dierks teilnehmen. "Die Themen, mit denen die Menschen zu uns kommen, haben zwar einen juristischen Bezug, bedürfen aber oft nicht einer komplexen juristischen Prüfung“, sagt Dierks.
"Manche wollen einfach nur reden"
Sie ist 2013 als Associate bei Buse eingestiegen und wurde sofort von Brem in das soziale Projekt eingebunden. Freiwillig, versteht sich. Dierks: "In die St. Pauli Kirche kommen Menschen, die sich keinen Anwalt leisten können. Meistens umfassen die Probleme familien-, erb- oder sozialrechtliche Themen. Wir füllen mit ihnen beispielsweise Anträge aus oder helfen dabei, juristische Texte zu verstehen."
Brem fügt hinzu: "Manche wollen auch einfach nur reden. Die holen dann sehr weit aus, so dass man sie ab und zu zum eigentlichen Thema zurückholen muss. Denn draußen auf dem Flur warten immer noch andere, die Hilfe brauchen." Es handelt sich hierbei immer rein um ein Erstgespräch. Die Anwälte vermitteln in schwierigen Fällen an die zuständigen öffentlichen Stellen oder an die Rechtsanwaltskammer, falls ein Experte benötigt wird.
Das ehrenamtliche Engagement von Brem und Dierks hat einen konkreten Bezug zum Leben der Bewohner von St. Pauli. Das ist es auch, was die beiden Rechtsanwälte nicht daran zweifeln lässt, dass ihr Einsatz dort sinnvoll ist. Eine fachliche Zusatzausbildung sei nicht notwendig. Was man allerdings braucht, ist Geduld. "Es gibt natürlich kaum Überschneidung mit unserer Arbeit bei Buse", sagt Gesellschaftsrechtlerin Dierks. "Hier ist eher die juristische Grundausbildung gefragt. Jeder Jurist muss wissen, wie man eine Norm liest, man braucht für eine erste Hilfe also keinen Fachanwalt im Sozialrecht."
Wirtschaftskanzleien gründen Pro-Bono-Verband
Oft erklingt der Vorwurf, Kanzleien würden sich lediglich mit pro bono schmücken, es aber nicht aus altruistischen Motiven heraus tun. Als ob es lediglich eine Erfindung der Marketingabteilungen sei. "Es wird ja häufig gesagt, es gäbe in Deutschland keine Tradition für pro bono-Rechtsberatung. Ich würde allerdings stark bezweifeln, dass das wirklich zutrifft", sagt Dr. Peter Braun (44), Vorstandssprecher von Pro Bono Deutschland e.V. und Partner bei Orrick. "Es gehörte lange Zeit zum guten Ton, sich als Anwalt ehrenamtlich für das Gemeinwesen zu engagieren. Das ist auch heute noch so."
Dennoch habe sich das Umfeld verändert, in dem pro bono heute stattfindet. "Seit einiger Zeit hat pro bono vor allem durch die politisch geförderten CSR-Initiativen einen neuen Impetus bekommen", erklärt Braun. CSR bedeutet Corporate Social Responsibility, die pro bono-Rechtsberatung ist ein Teil davon." CSR steht momentan ganz oben auf der politischen Agenda. Daher sind wir hoffnungsvoll, dass gesellschaftliches Engagement auch in der Anwaltschaft eine größere Verbreitung finden wird", sagt Braun.
Der Verein Pro Bono Deutschland e.V. hat sich im Februar 2011 gegründet. Mittlerweile treten unter diesem Dach rund 35 Mitgliedskanzleien für mehr pro bono-Beratung ein. In ihrer Satzung heißt es: "Pro-Bono-Rechtsberatung ist die unentgeltliche Rechtsberatung für einen guten Zweck und besteht in der Beratung und Vertretung gemeinnütziger Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und bedürftiger Privatpersonen, die berechtigte Anliegen verfolgen […]".
2/2: Bloß niemandem die Mandate wegnehmen
Vorstandssprecher Braun macht deutlich, dass man niemandem Geschäft wegnehmen wolle. "Wir wollen gerade keinen Wettbewerb um entgeltliche Mandate entfachen, sondern dort pro bono anbieten, wo kein Markt besteht." Er fügt hinzu: "Kein Anwaltskollege, der PKH-Mandate bearbeitet, wird durch die ehrenamtliche Beratung Mandate verlieren!" Aus diesem Grund möchte der Verein pro bono-Beratung für diejenigen fördern, die "nicht in den Genuss der gesetzlichen Kostenhilfe kommen".
Lange Zeit herrschte große Unsicherheit in der Anwaltsszene, ob pro bono-Beratung rechtlich überhaupt erlaubt sei. Fragen des unlauteren Wettbewerbs, des Versicherungsschutzes und der Zulässigkeit von unentgeltlicher Beratung verunsichern weiterhin große Teile der Anwaltschaft. Mittlerweile wurden aber sowohl die Bundesrechtsanwaltsordnung als auch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) angepasst. Lediglich §4 des RVG sorgt für einen letzten Rest Unklarheit.
Braun, hauptberuflich als Vergaberechtspartner bei Orrick in Frankfurt tätig, sieht jedoch kein Problem: "Wir führen keine Zulässigkeitsdebatte, weil diese in der Praxis keine Rolle spielt. Klar ist jedoch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen weiter verbessert werden müssen." Braun gibt sich zuversichtlich: "Wie so oft wird die Praxis die Theorie überholen, die schließlich nachziehen wird. Pro bono pauschal in Zweifel zu ziehen, wird der Sache nicht gerecht."
Studenten als Vorbild
Tatsächlich spricht die Bundesrechtsanwaltskammer bereits 2011 in einer Mitteilung von einer "freien, nur ethisch gebundenen Entscheidung", pro bono zu beraten. Kanzleien, die gar nicht oder nur in geringem Umfang PKH-Beratung anbieten würden, werden dort aufgerufen, sich vermehrt pro bono zu engagieren.
Weiter heißt es: "Die in das anwaltliche Ermessen gestellte Honorarvereinbarung bei Beratungen und außergerichtlichen Vertretungen eröffnet hierfür ein weites Feld, und die Regelung des § 49b Abs. 1 Satz 2 BRAO lässt auch für pro bono-Tätigkeiten in gerichtlichen Angelegenheiten genügend Raum."
Braun würde sich wünschen, dass die Anwaltskollegen einfach ihre Ärmel hochkrempelten und loslegen würden. Ein Vorbild hat er auch: "Die Studenten sind uns da weit voraus. Denn mittlerweile gibt es an fast jeder juristischen Fakultät eine Law Clinic. Gerade die junge Generation will sich gesellschaftlich engagieren."
Um die pro bono-Beratung weiter bekannt zu machen, startete der Verein eine Kooperation mit der gemeinnützigen Proboneo GmbH. Das junge Unternehmen aus Berlin hat sich auf die Vermittlung von pro bono-Projekten spezialisiert. Neben rechtlicher Beratung vermittelt Proboneo Unterstützung aus den Bereichen Kommunikation, Finanzen und Strategie an gemeinnützige Organisationen.
Pro bono hat viele Gesichter
Proboneo verzeichnet eine stete Nachfrage nach Rechtsberatung. Aktuell sucht beispielsweise ein deutsch-indisches Sozialunternehmen rechtlichen Rat. Hierbei geht es um Fragen der Gemeinnützigkeit bei Unternehmungen, die durch gewerbliche Betätigung und Spenden Mittel für gemeinnützige Zwecke generieren. Weitere Mandate, die bereits vermittelt wurden, umfassen Fragen des Gesellschafts-, Arbeits-, Datenschutz- oder Zivilrechts. Der zeitliche Aufwand variiert stark und kann zwischen 2,5 Stunden und 50 Stunden umfassen.
Auch außerhalb der organisierten Vermittlung von pro bono-Mandaten engagieren sich viele Kanzleien seit langem wohltätig. Die Kanzlei P+P Pöllath beispielsweise gründete vor 15 Jahren die Stiftung ‘Hilfe zur Selbsthilfe‘ mit einem Fokus auf Mikrofinanzkredite. Die Stiftung arbeitet weltweit mit Nichtregierungsorganisationen zusammen und fördert die Vergabe von Mikrokrediten. Eine weitere Stiftung ‘ex oriente‘ fördert den Kulturaustausch zwischen Deutschland und China. Für diese und weitere Projekte stellt P+P Pöllath ihre Büro- und Veranstaltungsräume zur Verfügung und bietet finanzielle Unterstützung.
Die Berliner Sozietät Raue legt ihren pro bono-Schwerpunkt auf kulturelle Förderung. Hier unterstützen die Anwälte verschiedene Vereine und Archive, die zum Beispiel interreligiösen Dialog auf dem Tempelhofer Feld in Berlin initiieren, Kulturprojekte an Schulen realisieren oder Kafka-Briefe kaufen möchten.
Andere, wie die Buse-Anwälte Brem und Dierks, schenken eben ihre Zeit. "Man kann natürlich auch Geld spenden, aber wir geben unsere Zeit für andere Menschen", erklärt Brem seine Motivation, Menschen in der St. Pauli Kirche zu beraten. Auch er findet, die Zeit der Diskussionen ist vorbei: "Einfach machen und helfen statt lange darüber reden!"
Désirée Balthasar, Pro Bono-Beratung: "Ärmel hochkrempeln und einfach anfangen!" . In: Legal Tribune Online, 31.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15076/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag