Zu weit oder nicht weit genug? Aus der Justiz und der Anwaltschaft kommt Kritik am Referentenentwurf des BMJV, der das Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft einschränken soll.
Nachdem das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Referentenentwurf vorgelegt hat, der das Weisungsrecht der Justizminister und -ministerinnen gegenüber der Staatsanwaltschaften einschränkt, fallen die ersten Reaktionen aus den Verbänden gemischt aus.
Grundsätzliche Unterstützung für die BMJV-Pläne kam vom größte Berufsverband für Richter und Staatsanwälte, dem Deutschen Richterbund (DRB). Dessen Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sagte zur LTO am Donnerstag: "Es ist ein wichtiger Schritt, dass die Bundesjustizministerin das ministerielle Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten im Einzelfall jetzt auf Druck des Europäischen Gerichtshofs einschränken will. Die Pläne bleiben aber auf halber Strecke stehen." Die Pläne gehen dem DRB also nicht weit genug.
So greife es zu kurz, die Einzelfall-Weisungsbefugnis nur für den Bereich der europäischen Zusammenarbeit gesetzlich auszuschließen, so Rebehn. "Allein der böse Anschein, dass Minister einzelne Ermittlungsverfahren aus politischen Gründen in die eine oder andere Richtung lenken könnten, untergräbt das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit der Strafjustiz". Das gelte unabhängig vom betroffenen Arbeitsbereich der Staatsanwaltschaft. "Deutschland sollte jetzt die Chance nutzen, sich dem europäischen Leitbild anzuschließen, und eine grundlegende Reform auf den Weg bringen."
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) zeigte sich zufrieden mit der Entscheidung in dem BMJV-Entwurf, am externen Weisungsrecht grundsätzlich festzuhalten. Der DAV befürchtet, dass ansonsten Staatsanwaltschaften künftig vorbringen könnten, einer richterlichen Kontrolle bedürfe es nicht, wo die Unabhängigkeit der Entscheidung durch die institutionelle Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft bereits garantiert sei. Der DAV sieht die teilweise Abschaffung für die Bereiche des Europäischen Haftbefehls (EHB) entsprechend kritisch.
Die Rechtsanwältin Gül Pinar, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des DAV, sagte am Dienstag zu LTO: "Der Deutsche Anwaltverein lehnt die Abschaffung der Weisungsbefugnisse bezüglich Entscheidungen nach dem Achten bis Elften und Dreizehnten Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ausdrücklich ab."
DAV: "Auch bei Eilbedürftigkeit braucht es richterliche Kontrolle"
Das System des EHB beruht darauf, dass die EU-Mitglieder die Entscheidungen ihrer jeweiligen Justizbehörden untereinander anerkennen. Doch das funktioniert nicht so reibungslos wie gedacht. Die Justizsysteme der EU-Mitgliedstaaten sind zu unterschiedlich, schon der Begriff "Justizbehörde" ist umstritten. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die klären sollen, was eine Justizbehörde überhaupt ist und welche Justizbehörden zu welchen Handlungen befugt sind.
Im Mai 2019 entschied der EuGH, dass die deutschen Staatsanwaltschaften nicht unabhängig genug seien, um einen EHB auszustellen – schuld war daran war auch das Weisungsrecht. In der Folge behalf sich die deutsche Strafjustiz damit, den EHB zusätzlich von einem Richter prüfen und absegnen zu lassen.
Ein Zwischenschritt, auf den der DAV nicht verzichten will. "Die richterliche Kontrolle einer derartig freiheitsbeschränkenden Ermittlungsmaßnahme wie eines Europäischen Haftbefehls ist zwingend notwendig", so Pinar. Ein Europäischer Haftbefehl sei – wie der nationale Haftbefehl auch – ein Instrument, dem eine besondere Eilbedürftigkeit inhärent sei. Dieser Eilbedürftigkeit solle jedoch nicht dadurch Rechnung getragen werden, dass der EHB zukünftig wieder durch die ermittelnde Staatsanwaltschaft selbst angeordnet werden kann, nur weil das deutlich schneller geht als wenn noch ein Richter in die Entscheidung einzubinden ist, dem der Sachverhalt zunächst einmal entsprechend vorgetragen werden muss.
"Der Referentenentwurf hingegen will den Erlass eines Europäischen Haftbefehls wieder vollständig in die Hände der Staatsanwaltschaft legen, indem er das ministerielle Weisungsrecht auf dem Papier beibehält und es für bestimmte Strafverfahren aushöhlt", kritisiert Pinar.
kus/LTO-Redaktion
Verbände zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44065 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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