Tätowierungen gehören ebenso zum standesgemäßen Rockeroutfit wie Motorräder und Lederjacken. Doch nicht nur die Kutten der Vereine sind nun ins Visier zahlreicher Innenministerien geraten. Im Rahmen der "Zero-Tolerance"-Strategie gegenüber verbotenen Symbolen spricht die Polizei Verwendungsverbote für Rocker-Tattoos aus. Das ist nicht immer mit der Kunstfreiheit vereinbar, meint Florian Albrecht.
Zahlreiche Innenministerien nehmen die aktuelle Entscheidung des Oberlandesgericht (OLG) Hamburg (Urt. v. 07.04.2014, Az. 1-31/13) zum Anlass, um gegen Tattoos von Rockern vorzugehen. Sie interpretieren die Entscheidungsgründe des Gerichts so, dass Bestandteile der Kennzeichen aller großen Motorradclubs, die jeweils über verbotene Ableger verfügen, im gesamten Bundesgebiet nicht mehr gezeigt werden dürfen. Die Polizei soll keine Toleranz gegenüber den Motorradclubs zeigen. Überall nehmen die Beamten daher Gefährderansprachen vor und sprechen Verwendungsverbote für Tätowierungen mit Rockersymbolen aus.
Unabhängig von der Fragestellung, ob man dieser Interpretation der Gerichtsentscheidung folgen möchte, ist es nicht so eindeutig, dass die gegen den "Fat Mexican" des Bandidos MC oder den "Deathhead" des Hells Angels MC gerichteten Verbote überhaupt auf Tätowierungen solcher Bestandteile der Vereinskennzeichen erstreckt werden können. Für die Träger des Körperschmucks hätte dies jedenfalls weitreichende Folgen – sie müssten die Tätowierungen mit ihrer Kleidung verdecken oder gar entfernen lassen.
Die Kunstfreiheit muss beachtet werden
§ 9 Abs. 1 Satz 1 Vereinsgesetz (VereinsG) legt fest, dass die Kennzeichen eines verbotenen Vereins in der Öffentlichkeit nicht verbreitet und verwendet werden dürfen. Die Vorschrift enthält in Satz 2 allerdings eine Sozialadäquanzklausel. Hiernach ist die Verwendung der verbotenen Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung - etwa in Schulbüchern und Ausstellungen - oder zur Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen - etwa zur Schulung von Polizeibeamten - sowie für "ähnliche Zwecke" gestattet.
Was "ähnliche Zwecken" sind, ist mit Blick auf § 86 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB), der insoweit einen ausführlicheren Ausnahmenkatalog enthält, zu bestimmen. Hiernach gilt die Sozialadäquanzklausel auch für die Verwendung im Rahmen der Forschung und Lehre, der Presseberichterstattung sowie der Wissenschaft und Kunst. Durch die Einbeziehung künstlerischer Zwecke in den Ausnahmenkatalog wird gewährleistet, dass die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) verankerte Kunstfreiheit nicht in verfassungswidriger Weise eingeschränkt wird. Ob das Zeigen von Tätowierungen in der Öffentlichkeit unter die Kunstfreiheit fällt, ist allerdings fraglich.
Tätowierer sind keine Künstler
Was unter Kunst zu verstehen ist, lässt sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zweifelsfrei nachvollziehen. Der wohl eher ergebnisorientierten Verfassungsjudikatur sind aber Leitlinien und Grundprinzipien entnehmen, die zur Einordnung künstlerischer Aktivitäten geeignet sind. So wird es für die Annahme von Kunst zunächst einmal darauf ankommen, dass ein freier schöpferischer Gestaltungsvorgang vorliegt, in dessen Rahmen Eindrücke, Erfahrungen oder Erlebnisse des Künstlers verarbeitet, in ein Medium überführt und damit Dritten zur Anschauung gebracht werden. Der Künstler muss eine schöpferische Begabung aufweisen, die in dem Kunstwerk und mithin seiner schöpferischen Leistung, Ausdruck findet.
Ungeachtet der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz für Tätowierungen geht das Bundessozialgericht davon aus, dass das Tätowieren selbst keine Kunst ist (Urt. v. 28.02.2007, Az. B 3KS 2/07 R). Trotz kreativer Komponenten handle es sich um eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, weil die Tätowierer vor allem manuell-technische Fähigkeiten aufweisen müssen. Auf die Verarbeitung von Erfahrungen und Erlebnissen kommt es dem Tätowierer bei seiner Arbeit regelmäßig ja auch nicht an.
Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Tätowierer mit vorgefertigten Mustern und Schablonen arbeitet oder seine Vorlagen lediglich als Vorarbeiten zum handwerklich geprägten Tätowieren erstellt. Einschränkungen können allerdings dann geboten sein, wenn ein Tätowierer auf dem Gebiet seines "Handwerks" eine besondere Stellung einnimmt, weil er eine von anderen kaum erreichte Meisterklasse erreicht und in Fach- und Künstlerkreisen als Künstler anerkannt wird. In diesem seltenen Fall ist er Tätowierkünstler. Seine Tätigkeit wird mithin von der Kunstfreiheit erfasst.
2/2: Tattoo-Designer sind Künstler
Anders sollen nach der Rechtsprechung diejenigen Tattoo-Designer zu bewerten sein, die komplexe Muster und Vorlagen erschaffen, ohne dass sie ihr Einkommen aus dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten erzielen. In solchen Fällen steht nicht die handwerkliche Arbeit, sondern die Kreativität im Vordergrund, weswegen eine künstlerische Betätigung gegeben ist.
Eine solche vorbereitende Aktivität wird sich im Rahmen der Tätowierung bereits feststehender und oftmals durch gewerbliche Schutzrechte gesicherter Rockersymbole nicht feststellen lassen. Hier wird nicht designed, sondern kopiert und abgebildet. Das gilt zumindest dann, wenn ein unverfälschtes Original tätowiert werden soll.
Nun könnte man meinen, dass die rechtliche Einordnung des Tätowierers und des Tattoo-Designers ohnehin völlig irrelevant sind, weil ja die Tätowierten selbst wegen des Verwendens verbotener Kennzeichen belangt werden sollen. Die Kunstfreiheit stellt aber nicht nur das Erstellen des Kunstwerks - den Werkbereich - sondern auch dessen Verbreitung - also den Wirkbereich - unter Schutz. Auch das Zeigen und Verbreiten eines Kunstwerks in der Öffentlichkeit darf mithin nicht strafrechtlich sanktioniert werden.
"Kunstwerk Mensch" bleibt straffrei
Für den Tätowierten selbst bedeutet dies, dass er verbotene Rockerkennzeichen nur dann straffrei zeigen darf, wenn sein Tätowierer oder Tattoo-Designer künstlerisch tätig geworden ist. In solchen Fällen ist seine Haut quasi die "Leinwand" des Künstlers. Das Zeigen der Tätowierung in der Öffentlichkeit unterfällt in diesen Fällen dem grundrechtlich geschützten Wirkbereich der Kunstfreiheit.
Zudem kann aber auch die tätowierte Person selbst unter den Schutz der Kunstfreiheit fallen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie sich großflächig tätowieren lässt und mithin als selbständiges, von der einzelnen Tätowierung abstrahiertes, in der Gesamtheit eigenständig wahrnehmbares und erlebbares Kunstwerk erscheint. Die einzelnen Tätowierungen fügen sich in einem solchen Fall in einen vom Tätowierten bestimmten Gesamtkontext ein. Er wird mithin zum "Kunstwerk Mensch". Diese Ausnahme müsste im Falle der oft großflächig tätowierten Mitglieder von Rockergruppierungen geprüft werden.
Im Ergebnis ist immer der Einzelfall entscheidend. In Zweifelsfällen, ob der Körperschmuck in den Schutzbereich des schrankenlosen Grundrechtes der Kunstfreiheit fällt, ist staatliche Zurückhaltung rechtstaatlich gebotenen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass hinsichtlich der vor 2014 erfolgten Tätowierungen geprüft werden muss, ob nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes einem polizeilichen Einschreiten und der hieran anknüpfende Strafverfolgung entgegenstehen. Schließlich können in besonders gelagerten Fällen, etwa dann, wenn die strafrechtlich relevanten Kennzeichen im Gesicht tätowiert sind, Verhältnismäßigkeitserwägungen einer Verfolgung entgegenstehen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die seitens der Innenministerien auf dem Rücken der Polizei gefahrene "Zero Tolerance-Strategie" nicht gerecht.
Der Autor Florian Albrecht ist Rechtsanwalt und Akademischer Rat auf Zeit an der Universität Passau. Er ist Herausgeber und Autor des am 24. Juni 2014 im Beck Verlag erschienenen Kommentars zum Vereinsgesetz.
Florian Albrecht, Rockertätowierungen: Lebende Leinwand oder verbotenes Kennzeichen? . In: Legal Tribune Online, 10.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13444/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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