Eine Initiative, die Konzerne zu mehr Rücksicht auf Menschenrechte und die Umwelt verpflichten wollte, ist in der Schweiz knapp gescheitert. Eine Entwicklung, die auch die Diskussion in Deutschland beeinflussen könnte, meint Leonard Feld.
Am Sonntag hat die Schweiz die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative in einem Referendum abgelehnt. Die Initiative verfolgte das Ziel, Schweizer Unternehmen weltweit zur Einhaltung von menschen- und umweltrechtlichen Standards zu verpflichten. Zwar stimmte eine knappe Mehrheit von 50,7 Prozent der Wählerinnen und Wähler für den Vorschlag. Jedoch wurde das "Ständemehr", also ein positives Votum in einer Mehrheit der Kantone, nicht erreicht. Da für den Initiativvorschlag sowohl eine Mehrheit der Stimmen als auch das Ständemehr erforderlich waren, ist die Initiative somit gescheitert. Im kommenden Jahr wird daher ein abgeschwächter Gegenentwurf des Parlaments in Kraft treten.
Das Schicksal der Konzernverantwortungsinitiative ist über die Schweizer Grenzen hinweg von Brisanz. Schließlich arbeiten gegenwärtig sowohl die deutsche Bundesregierung als auch die Europäische Kommission an vergleichbaren Regelungen zum Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards. Es stellt sich daher die Frage, welche Lehren sich aus dem Referendum ziehen lassen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Konzernverantwortungsinitiative das oft stiefmütterlich behandelte Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte ins politische Rampenlicht gerückt hat. Tatsächlich haben sich die politischen Institutionen der Schweiz über Jahre hinweg mit der Thematik beschäftigt. Dabei wurden zahlreiche Gutachten und Gesetzentwürfe erstellt, welche die Vielschichtigkeit des Problems und der möglichen Lösungsansätze widerspiegeln. Die rechtlichen Rahmenbedingungen unternehmerischer Tätigkeit wurden darüber hinaus in der Öffentlichkeit breit diskutiert.
Schmutziger Wahlkampf
Die Konzernverantwortungsinitiative wurde maßgeblich von Nichtregierungsorganisationen getragen. Aber auch bei politischen Parteien, Kirchen und Unternehmen, wie beispielsweise Nestlé, fand das Projekt Zustimmung. Konservative politische Kräfte und Wirtschaftsverbände machten sich stattdessen für den Gegenvorschlag der Schweizer Bundesversammlung stark. Der breite öffentliche Diskurs unterstreicht die politische Relevanz von Fragen der Unternehmensethik in der globalisierten Weltwirtschaft.
Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz hatte jedoch auch ihre Schattenseiten. In den Wochen vor dem Referendum machten immer wieder undifferenzierte Beiträge Schlagzeilen. Eine vom Unternehmensverband SwissHoldings unterstütze Webseite warnte zum Beispiel (wahlweise) vor der "ruinösen", "zerstörerischen" und "willkürlichen" Initiative, die zu "erpresserischen Klagen" gegen Schweizer Unternehmen "ohne Beweise für ein Verschulden" führen würde. In den sozialen Medien kursieren zudem Videos, die die Organisatoren des Vorhabens diffamieren. Absender unbekannt. Die harte Gangart des Wahlkampfs lässt befürchten, dass auch das deutsche Lieferkettengesetz im anstehenden Wahljahr zum Gegenstand populistischer Schwarzweißmalerei wird. Vor diesem Hintergrund lohnt sich ein Blick auf die Fakten.
Unternehmen zu "angemessener" Sorgfalt verpflichten
Konkret sieht die Konzernverantwortungsinitiative eine Änderung der Schweizer Bundesverfassung vor. Nach Maßgabe des Initiativtexts soll der Bund Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz dazu verpflichten angemessene Sorgfaltsprüfungen durchzuführen. Inhaltlich handelt es sich bei diesen Prüfungen um nichts anderes als einen Managementprozess (sogenannte human rights due diligence).
Unternehmen sollen demnach regelmäßig prüfen, ob ihre Geschäfte negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt haben. Sofern dies der Fall ist, sind geeignete Präventiv- oder Abhilfemaßnahmen zu treffen. Zur Herstellung von Transparenz sollen Unternehmen zudem öffentlich darlegen, wie sie ihrer Verantwortung in der Praxis gerecht werden. Diese Sorgfaltsprüfungen beziehen sich dabei nicht nur auf die Tätigkeit des jeweiligen Unternehmens im In- und Ausland, sondern auch unmittelbar auf solche Betriebe, die der wirtschaftlichen Kontrolle des Unternehmens unterstehen. Unter diese Regelung würden etwa Tochtergesellschaften von Schweizer Unternehmen fallen. Des Weiteren wären Firmen zu menschen- und umweltrechtlicher Sorgfalt gegenüber ihren Geschäftspartnern und Zulieferern verpflichtet. Entsprechend müssten Firmen auch die Zustände entlang ihrer Lieferketten in den Blick nehmen.
Neben den angemessenen Sorgfaltsprüfungen schlägt die Konzernverantwortungsinitiative ein zivilrechtliches Haftungsregime vor. Betroffene von menschen- oder umweltrechtlichen Verstößen im Ausland könnten demnach Schweizer Konzerne im Wege einer Durchgriffshaftung auf Schadensersatz verklagen. Ein Kläger müsste dazu nachweisen, dass ein von einem Schweizer Unternehmen kontrollierter Betrieb widerrechtlich und kausal einen Schaden verursacht hat. Firmen könnten einer Haftung jedoch vorbeugen. Voraussetzung für diesen Haftungsausschluss ist der Nachweis, dass das Unternehmen angemessene Sorgfaltsprüfungen durchgeführt hat oder alternativ, dass der Schaden auch bei angemessener Sorgfalt eingetreten wäre. Der Initiativtext verknüpft somit die Pflicht zur Durchführung präventiver Sorgfaltsprüfungen mit einer zivilrechtlichen Konzernhaftung zum Ausgleich vermeidbarer Schäden.
Die Forderungen der Konzernverantwortungsinitiative sind keine Schweizer Erfindung. Das gilt insbesondere für den Vorschlag verpflichtender Sorgfaltsprüfungen. Bereits die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen von 2011 fordern Unternehmen weltweit dazu auf, die negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu managen. Ähnliche Empfehlungen finden sich in den Leitsätzen für multinationale Unternehmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zudem hat der Ansatz bereits Eingang in europäische Gesetze gefunden. Die EU-Verordnung zu Konfliktmineralien aus dem Jahr 2017 zum Beispiel sieht ähnliche Sorgfaltsanforderungen vor. Auch das deutsche Lieferkettengesetz und die geplante Richtlinie der Europäischen Kommission werden voraussichtlich entsprechende Managementprozesse einführen. Angemessene Sorgfaltsprüfungen sind daher kein Novum, sondern eine international anerkannte Praxis.
Durchgriffshaftung mit Beweislastumkehr
Der eigentliche Knackpunkt der Konzernverantwortungsinitiative ist jedoch das Haftungsregime. Wie beschrieben sieht der Initiativentwurf eine Durchgriffshaftung vor. Die Grundidee ist dabei nicht beispiellos. Frankreich hat bereits 2017 ein Gesetz verabschiedet, dass große Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichtet. Für den Fall, dass ein französischer Betrieb seinen Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht wird und dadurch kausal ein Schaden entsteht, kann das Unternehmen zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Zu einer Klagewelle gegen französische Unternehmen kam es dadurch bislang nicht.
Der zentrale Unterschied zwischen dem Schweizer Vorschlag und dem französischen Gesetz liegt jedoch in der Beweislastumkehr. Dem Initiativtext zur Folge muss das verklagte Unternehmen nachweisen, dass es angemessene Sorgfaltsprüfungen durchgeführt hat. Das französische Pendant überantwortet es dagegen dem Kläger zu beweisen, dass ein Mangel an menschen- oder umweltrechtlicher Sorgfalt kausal einen Schaden verursacht hat.
Die genaue Ausgestaltung des deutschen Lieferkettengesetzes ist noch unklar. Ein inoffizielles Eckpunktepapier der Bundesregierung sieht jedoch eine Haftungsklausel ohne Beweislastumkehr vor. Des Weiteren können dem Eckpunktepapier zufolge nur Schäden an einem wesentlichen Rechtsgut, wie Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, geltend gemacht werden. Im Vergleich zum Schweizer Vorschlag bemüht sich die Bundesregierung somit um eine Begrenzung des Haftungsrisikos für deutsche Unternehmen. Dies erschwert zwar die Ausgangslage potenzieller Kläger. Jedoch könnten die zusätzlichen Beschränkungen dem Lieferkettengesetz zumindest politisch den Weg ebnen.
Durch das Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative tritt in der Schweiz im kommenden Jahr automatisch ein Gegenentwurf des Parlaments in Kraft. Dieses Gesetz sieht zunächst Berichtspflichten für größere Schweizer Unternehmen vor, die sich inhaltlich an der EU CSR-Richtlinie orientieren. Demnach sollen Firmen jährlich über nichtfinanzielle Themen, wie Umwelt- und Sozialbelange, berichten und unter anderem Angaben zu entsprechenden Sorgfaltsprüfungen machen. Sofern ein Unternehmen eines der bezeichneten Themen nicht berücksichtigt, muss es diese Entscheidung begründen (comply or explain). Darüber hinaus schreibt der Gegenentwurf in speziellen Bereichen menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltsprozesse zwingend vor. Dies betrifft zum einen Schweizer Unternehmen, die Mineralien wie Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in die Schweiz einführen. Auch diese Regelung ist eine Anlehnung an die bereits erwähnte EU-Verordnung zu Konfliktmineralien.
Abgeschwächter Gegenentwurf für Deutschland kein Vorbild
Zum anderen müssen Schweizer Unternehmen in Zukunft Kinderarbeit stärker in den Blick nehmen. Betriebe, die "Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht wurden", werden verpflichtet ein Managementsystem zur Vermeidung etwaiger Kinderrechtsverletzungen einzuführen. Die Regelung ist vergleichbar mit einem Gesetz aus den Niederlanden, das im Jahr 2019 verabschiedet wurde.
Im Vergleich zur Konzernverantwortungsinitiative ist der beschriebene Gegenentwurf ein kleiner, aber kein unbeachtlicher Schritt. Durch die neuen Vorschriften zur Rechnungslegung und zum Handel mit bestimmten Mineralien passt die Schweiz sich zumindest dem europäischen Standard an. Mit den Sorgfaltsanforderungen zur Vermeidung von Kinderarbeit in der Wertschöpfungskette geht der Alpenstaat sogar über bestehende EU-Vorschriften hinaus.
Für das deutsche Lieferkettengesetz ist der Gegenentwurf dennoch von geringer Bedeutung. Die vergleichbaren EU-Vorschriften finden in Deutschland bereits Anwendung. Zudem planen sowohl Berlin als auch Brüssel allgemeinere Regelungen zur menschen- und umweltrechtlichen Sorgfalt, die über den speziellen Themenkomplex Kinderarbeit hinausgehen. Vor diesem Hintergrund dürften die neuen Schweizer Vorschriften schon bald hinter europäische Standards zurückfallen. Die Diskussion um die rechtliche Verantwortung von Unternehmen in Fragen der Nachhaltigkeit wird daher auch in der Schweiz weitergehen.
Der Autor Leonard Feld ist Diplomjurist und Master of Laws (LL.M.). Derzeit arbeitet er als Doktorand am Europäischen Hochschulinstitut (EUI) in Florenz. In seiner rechtswissenschaftlichen Promotion befasst er sich mit der Regulierung menschenrechtlicher Sorgfalt.
Schweizer Referendum zur Konzernverantwortungsinitiative: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43603 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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