Während das Kartellamt die Übernahme der FR durch die FAZ prüft, hängt die Kartellrechtsnovelle im Vermittlungsausschuss fest. Um Pressefusionen geht es den Ländern dabei allerdings nicht. Sie wollen verhindern, dass das Kartellrecht künftig auch für Krankenkassen gilt. Im LTO-Interview erläutern Stefan Meßmer und Jochen Bernhard, warum man in Frankfurt die Gesetzesänderung gar nicht braucht.
LTO: Bevor die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Frankfurter Rundschau (FR) übernehmen kann, prüft derzeit das Bundeskartellamt, ob der Übernahme etwas entgegensteht. Nach der Kartellrechtsnovelle, die derzeit im Vermittlungsausschuss hängt, sollen sich Presseunternehmen künftig einfacher zusammenschließen können. Könnte das noch geltende Kartellrecht die Fusion der Frankfurter Zeitungen verhindern, während die geplanten Änderungen den Zusammenschluss möglich machen würden?
Meßmer: Nein. Nur die Rechtsgrundlage würde sich ändern, nicht die inhaltliche Bewertung. Mit der Kartellrechtsnovelle würden Sanierungsfusionen im Pressesektor ausdrücklich geregelt. Und zwar dann, wenn der übernommene Verlag ohne den Zusammenschluss in seiner Existenz gefährdet wäre. Außerdem darf sich kein Interessent finden, der eine wettbewerbsgerechtere Lösung ermöglicht. Das Besondere daran: Der Zusammenschluss wäre selbst dann zulässig, wenn der Erwerb eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt.
Auch heute prüft das Kartellamt, ob die Voraussetzungen einer Sanierungsfusion für die Frankfurter Zeitungen vorliegen. Es gibt nur keine explizite Regelung dafür, es wird vielmehr auf die allgemeinen Grundsätze für Sanierungsfusionen zurückgegriffen. Ist eine Regionalzeitung insolvent, fallen die Marktanteile ohnehin weitestgehend dem größten Wettbewerber in diesem Regionalmarkt zu, so dass es wahrscheinlich keine durchgreifenden kartellrechtlichen Bedenken gegen eine Übernahme der FR durch die FAZ gibt.
"Keine Kartellaufsicht über die Wasserpreise von öffentlichen Versorgern"
LTO: Wie bereits gesagt, momentan hängt der Gesetzentwurf zum Kartellrecht im Vermittlungsausschuss fest. Wieso?
Meßmer: Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss angerufen, weil er es für systemwidrig hält, dass das Kartellrecht auf Krankenkassen entsprechend angewendet werden soll. Außerdem möchten die Länder durch eine klarstellende Regelung ausschließen, dass die Wettbewerbshüter auch öffentlich-rechtliche Gebühren und Beiträge auf Missbrauch überprüfen können. Bisher kann das Kartellamt beispielsweise gegen überhöhte Wasserpreise nur dann einschreiten, wenn die Versorgung auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt. In Baden-Württemberg etwa betrifft dies nur rund 40 Prozent der Wasserabnahmemenge. Tritt die Kartellnovelle mit den bisher vorgesehenen Regelungen in Kraft, könnten einige öffentlich-rechtliche Versorger Probleme bekommen.
LTO: Werden sich die Länder im Vermittlungsausschuss mit ihrer Kritik durchsetzen können?
Meßmer: Die Länder haben kein Vetorecht, können die Sitzungen des Vermittlungsausschusses aber immer weiter vertagen. Es kann daher sein, dass Schwarz-Gelb der Geduldsfaden reißt. In diesem Fall könnten die unstreitigen Teile der Novelle bereits jetzt und die umstrittenen Fragen erst nach der Bundestagswahl geregelt werden.
2/2: "Wo Wettbewerb herrscht, ist es auch sinnvoll, das Kartellrecht anzuwenden"
LTO: Für besondere Aufregung sorgt die geplante Anwendung des Kartellrechts auf die Krankenkassen. Warum standen die Versicherungen bislang nicht unter der Kartellaufsicht?
Meßmer: Weil die deutschen Sozialgerichte die Krankenkassen bisher nicht als Unternehmen qualifiziert haben, da sie überwiegend soziale Zwecke erfüllen und staatlicher Regulierung unterliegen.
LTO: Wie wird sich die Neuregelung auswirken?
Bernhard: Vor allem die größeren Kassen werden insgesamt an Macht verlieren. Das Kartellamt könnte auch das Verhältnis der Krankenkassen untereinander überprüfen. Insbesondere Zusammenschlüsse würden der Kontrolle der Wettbewerbshüter unterliegen. Die Novelle komplettiert die vorausgegangenen gesetzgeberischen Schritte. Bereits 2011 hat der Gesetzgeber die Beziehungen von Krankenkassen zu Arzneimittelherstellern dem Kartellrecht unterstellt.
Die Änderung könnte sich außerdem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auswirken. Bislang haben auch die Luxemburger Richter Krankenkassen nicht als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts angesehen. Sie haben aber anklingen lassen, dass die Tätigkeiten der Krankenkassen zumindest teilweise durchaus unternehmerisch sind.
LTO: Halten Sie diese Änderung für sinnvoll?
Bernhard: Ja, weil sie die Gegebenheiten widerspiegelt. Es hat sich ein zunehmender Wettbewerb zwischen den Kassen entwickelt. Krankenkasse bieten Wahltarife, Bonusprogramme, Beitragsrückerstattung oder den Verzicht auf Zusatzbeiträge an, um sich voneinander abzugrenzen. Wenn Kassen dabei ihre wirtschaftliche Stärke ausspielen, besteht die Gefahr, dass kleinere Kassen ins Hintertreffen geraten. Zumindest in diesen Bereichen gilt: Wo Wettbewerb herrscht, ist es auch sinnvoll, das Kartellrecht anzuwenden.
"Mehr Macht für das Bundeskartellamt"
LTO: Was sind daneben die Kernpunkte der Gesetzesänderung?
Bernhard: Vor allem zwei Neuerungen sind wichtig: Bei einer untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung einer Fusion können künftig nicht mehr die Unternehmen beurteilen, ob sie auf eine Anmeldung beim Bundeskartellamt verzichten können, weil sie auf so genannten Bagatellmärkten tätig sind. Das sind Märkte mit einem Jahresumsatz von weniger als 15 Millionen Euro. Stattdessen überprüfen nun die Kartellwächter, ob überhaupt ein Bagatellmarkt vorliegt.
Die zweite wichtige Änderung: Den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vermuten die Wettbewerbshüter künftig nicht schon ab 33, sondern erst ab 40 Prozent Marktanteil. Damit entspricht das deutsche Recht nun den EU-Regelungen. Das schafft mehr Freiraum, wenn Hersteller und Abnehmer Preise, Rabatte und Sonderkonditionen individuell aushandeln.
LTO: Bei der Fusionskontrolle soll es künftig darum gehen, ob ein Zusammenschluss von Unternehmen einen wirksamen Wettbewerb erheblich behindern würde. Allein entscheidend ist also nicht mehr, ob die Fusion eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Das deutsche Recht wird damit an den unionsrechtlichen SIEC-Test ("significant impediment to effective competition") angepasst. Wie wird sich diese Änderung in der Praxis auswirken?
Meßmer: Das Bundeskartellamt erhält mehr Macht und mehr Entscheidungsspielraum. Die Behörde kann stärker die Auswirkungen von Zusammenschlüssen und die ökonomische Realität berücksichtigen. Unternehmen können hiervon profitieren, wenn sie die Besonderheiten ihres Marktes präzise darlegen. Aber es wird tendenziell schwieriger werden, die Untersagung einer Fusion gerichtlich zu überprüfen. Die neuen Kriterien lassen sich nur schwer exakt fassen.
Auch ökonomische Gutachten werden relevant dafür sein, ob eine Entscheidung der Kartellwächter Bestand hat. Für die Gerichte ist der Umgang mit diesen Analysen aber schwierig. Denn während der Gesetzgeber versucht, abstrakte Rechtssätze für möglichst viele Sachverhalte zu verfassen, versuchen die Ökonomen, die Besonderheiten jedes Einzelfalls korrekt zu analysieren.
LTO: Vielen Dank für das Interview.
Dr. Stefan Meßmer ist Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft in Stuttgart. Dr. Jochen Bernhard ist dort ebenfalls als Rechtsanwalt tätig. Beide beraten große und mittelständische Unternehmen im Kartellrecht.
Die Fragen stellte Benjamin Lück.
Jochen Bernhard und Stefan Meßmer, Kartellrechtsnovelle: "Mehr Macht für die Wettbewerbshüter" . In: Legal Tribune Online, 14.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8153/ (abgerufen am: 09.05.2024 )
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